Nr. 303.
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Vorwärts
9. Jahrg.
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Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.
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Sonntag, den 25. Dezember 1892.
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in der neuen wie in der alten
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Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.
Das Chriftfest ist auf die römischen Saturn alien But Weihnachten. und diesen Widerspruch zu beseitigen, das ist das Biel, gepfropft worden- das Fest der Heiden, die zur Sonnen- die Aufgabe des Sozialismus. Weihnachten ist wiedergekommen im Rundlauf der wende sich der paradiesischen Zeiten unter Gott Saturnus Das Christenthum war die Verheißung. Der rollenden Jahre Weihnachten, die heilige Nacht", in erinnerten, da alle Menschen gleich waren und Brüder und Sozialismus ist die Erfüllung. Er will die Einheit welcher die christliche Legende das" Christkindlein geboren Schwestern, und die zum Gedächtniß jener heiligen Zeiten des Denkens und Handelns. Die Harmonie des Lebens werden läßt, das Christkindlein, welches der Welterlöser ist, für die Dauer des Festes die Sklaven zu Herren und die und der Lehre, die echte wahre Moral, die thut mas sie der Messias . Herren zu Sklaven machten. gebietet. Er duldet nicht, daß das Jch sich über es und Ein uraltes Fest- Jahrtausende älter als das Christen- Das Chriftfest war niemals ein Fest der Gleichheit über alle Anderen stelle- er will die Gleid, Alles thum, das sich der heidnischen Menschheit einschmeichelte, aber es sollte sein ein Fest der Liebe und des Friedens. deffen, was Menschenantlig trägt", und über jedem zelnen indem es ihre Gebräuche bewahrte, nur anderen Inhalt in Am heutigen Tag tönt in der ganzen christlichen Welt nur Eins: die Allgemeinheit, die Gesammtheit, die wenschsie eingießend. Es war das Fest der Wintersonnenwende von allen Kanzeln heit. Er will zerbrechen das Doppeljoch des Mammon und das vornehmste Fest des Naturdienstes das Fest der neu- herunter und wird in allen Kirchen gesungen die frohe Bot- des Moloch, des furchtbaren Zwillingspaars, das die geborenen Sonne, die, nachdem sie der trauernden, Eis- ge- schaft des Heilands, der vom Himmel gekommen, um die Menschheit in goldenen und eisernen Ketten hält, und fesselten Erde den Rücken gewandt und sie hoffnungsloser Menschen aus dem Elend zu retten und der Sünde und das seinen Gottesdienst feiert in Schmuß und Blut. Erstarrung, dem Tod alles Lebenden zu überlassen gedroht Zwietracht zu steuern, auf daß da sei Es ist ein schwerer Kampf Moloch und Mammon hatte nun plöglich umdreht auf der abschüssigen Bahn Friede auf Erden und den Menschen ein sind start. und zur bräutlich lächelnden Erde zurückkehrt, ihr Hoffnung Wohlgefallen." Und jetzt haben fie all ihre Macht zusammengerafft, um ihre Herrschaft zu behaupten. Schwerer bringend auf Erlösung aus den Fesseln des harten, kalten, als je drücken ihre goldenen und eisernen Ketten. Doch todbringenden Winters. Und während die frohe Botschaft erklingt, welches das ist ein Naturgesetz vor Sonnenaufgang ist die Nacht An Stelle der Sonne, der Sp Serin des Lichts, der Schauspiel bietet in Wirklichkeit die Christenheit? am schwärzesten, und wenn die Sonne der Erde wieder Wärme, des Lebens hat das Christenthum den Gottessohn Die alte Welt von Waffen starrend, zehn Millionen naht, ist der Winter am tältesten. Das Wüthen der gesetzt, der auch Menschensohn ist, den Gottmenschen den Menschen mit all der teuflischen Kunst welche Reaktion kündet uns den Sieg. Und die Partei, deren Seiland. An Stelle des sinnbildlichen Naturdienstes den der Barbarei die vor ihr sich prostituirende Bivilisation Mitglieder aus Pflichtgefühl ruhig jeder Gefahr trozen für übersimmlichen Gottesdienst. bieten kann, zum Massenmord ausgerüstet und bereit, jeden die große Sache, wie die drei Berliner Genoffen Hensel, Fast zweitausend Jahre sind's, daß nach dem biblischen Augenblick aufeinander los zu stürzen und grauenvolle Blut-& achmann und Nauen , die am 22. Januar 1887 den Mythos der Erlöser geboren ward-heute vor 1892 arbeit zu beginnen grauenvoller, als jemals verrichtet Tod fanden; und wie die Hamburger Genossen, die letzten Jahren! und ist die Menschheit erlöst? ward, ehe der Messias kam. Und dabei wüste Orgien des Sommer aus Pflichtgefühl dem rathlosen Feind Hilfe Ein Blick auf die Welt und die Menschen, und wer Mammon. Die herrschenden Klassen in wildem Reigen um leisteten im Kampf gegen den Würgengel der Cholera Augen hat zu sehen und Ohren zu hören, der muß sagen das goldene Kalb tanzend, die Arbeit ausgebeutet, aus diese Partei kennt teine Furcht, fie kennt nur die Pflicht, Nein! Nein! Und nochmals Nein! Der Heiland hat die gepreßt, niedergedrückt wie nie. Unten Elend, oben taumeln- fie feunt nur das hehre Bielfie wird fiegen. Und wenn Welt nicht erlöst und das Christenthum hat nicht ge- der Luxus und allgemeine Fäulniß. die Sozialdemokratie rothe Weihnachten feiert, wird das Wort der Verheißung erfüllt sein: Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen!
bracht, was es verheißen: Friede, Menschenliebe, Ge- Und drüben in der neuen Welt das nämliche Bild. techtigkeit. Nur daß es dort die Bürger eines und desselben Staates sind, die zum brudermörderischen Kampf die Hand gegen einander heben.
Es war die Verheißung, nicht die Erfüllung. Und der Erfüllung harrt heute die Menschheit sehnsüchtiger als je, denn die Noth ist größer als je.
Arbeiter- Weihnachten.
Nein, nein und dreimal nein! Das Christenthum, die Losgetrennt von der Gott- und Heilandlegende, die es Religion hat die Menschenliebe nicht gebracht, mit allen asiatischen und den meisten anderen Religionen und kann sie nicht bringen. Die Religion hat die gemein hat, ist das Christenthum eine Sittenlehre, die in Gerechtigkeit nicht gebracht und kann sie nicht bringen. dem einen Theil die Gleichheit, Gerechtigkeit und Menschen Die Religion hat den Frieden nicht gebracht und fann liebe predigt, in dem anderen die blinde Unterwerfung unter ihn nicht bringen. Ein übersinnliches Sittengesez, das in den bie Obrigkeit, welche Gott verordnet hat. Hier zeigt sich Verhältnissen nicht wurzelt und, weit entfernt den Berhältnissen Unter dem Zeichen der Arbeitslosigkeit, des größten Noth das Zwiespältige des Christenthums, das so zu gleicher Zeit zu entsprechen, nicht seiten im schreiften Widerspruch mit ſtandes und tief gedrückten Werdienstes begehen die Arbeiter dies die Religion der Sklaven und ihrer Herren, ihnen steht, kann unmöglich dem praktischen Handeln als viele Tausende deutscher Familienväter aus den sogen. unteren" Mal Weihnachten. Trauriger und fummervoller als je sehen Bolks religion und Staats religion werden konnte. Richtschnur dienen. Jetzt sind es nur wenige Menschen, Klassen dem Fest entgegen. Ein großer Theil von ihnen hat Diese Zwiespältigkeit beherrscht die Geschichte des Christen- welche die Kraft haben, sich über die Logit der Verhältnisse unter dem Drucke der unbeschreiblichen Krisis, die nun schon viele
thums.
Eine breite Kluft trennt Theorie und Praxis. und das Gebot des persönlichen Interesses hinweg zu sehen. Monate lang wüthet, überhaupt keinen Verdienst, alles EntbehrWort und That stehen im Widerspruch, und der hoffnungs- Es sind das die Menschen des Ideals- die Idealmenschen, liche ist aus der Wohnung dieser Hermſten ins Leihhaus gewandert. lose Versuch, ihn aufzuheben, hat das Christenthum bei den die das Sittengesetz ernst nehmen und, ohne Rücksicht auf Die Freude des Gebens und Empfangens auch der kleinsten GeMuhamedanern und Hindus, die Lehre und Leben für Eins die Folgen, ihr Handeln nach ihm einrichten. Sie sind schenke im Familienkreise ist ihnen genommen, oft fehlt's am trockenen halten, in den Ruf schmählichster Heuchelei und Doppel- aber zu allen Zeiten seltene Ausnahmen gewesen und außer Brot für Frau und Kinder. Armenbehörden,„ wohthätige" Bereine und einzelne Menschenfreunde greifen hier und da ein. Sie mögen ungigkeit gebracht. Dem Muhamedaner und Hindu sind Stand, die Masse ihrer Genossen auf die gleiche Höhe des es theilweise wirklich gut meinen. Wüßten sie aber, wie fich das feine Religionsbücher auch oberstes Gesetz für das Leben. Denkens und Fühlens zu heben. Der Widerspruch zwischen Serz des Arbeiters zusammenkrampft bei dem Gedanken, nach Der Christ, der„ leben will wie Christus lebte", wird un- Lehre und Leben kann erst verschwinden, wenn die mensch Jahren angestrengtester, redlichster Arbeit am schönsten Familienfähig befunden, dem christlichen Staat als Offizier z. B. lichen Verhältnisse, wenn die gesellschaftlichen Einrichtungen fest des Jahres verurtheilt zu sein zum- Almoſenempfangen, nicht länger im Widerspruch stehen mit dem Sittengesetz sie lenkten ihre Anstrengungen nach einer anderen Richtung!
zu dienen.
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Feuilleton.
Radbrud verboten.)
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merkungen luftig. Georges stachelte sie noch mehr an, veranlaßte sie zur Fronie, und beide verstanden sich trefflich. Alle Augenblicke rief fie ihn: Hören Sie mal, BelAmi! Kommen Sie doch mal her, Bel- Ami ."
Dann verließ er sofort die Mama und lief zum Töchterchen, das ihm irgend eine kleine Nichtswürdigkeit ins Ohr flüsterte, und sie lachten aus vollem Herzen.
Allmälig aber wurde ihm die Liebe der Mutter so läftig, er empfand einen so unüberwindlichen Widerwillen Er konnte es nicht vertragen, wenn sie mein Käßchen", gegen sie, daß er sie nicht mehr hören und sehen, an sie mein Schatz" mein Hundelchen", mein Blauvögelchen", nicht mehr denken konnte ohne Zorn. Er blieb ganz fort, ihm sagte, wenn sie ihn fragte: Wem gehört dieser beantwortete ihre Briefe nicht mehr, folgte ihren EinMund?" Antwortete er nicht sofort: Mir gehört er," so ladungen nicht. hörte sie nicht eher mit Fragen auf, bis er bleich wurde Endlich begriff sie, daß er sie nicht mehr liebe, und sie vor Nervosität. litt schrecklich darunter. Aber sie hing sich ihm an, lauerte Viel mehr Ernst und Würde hatte er bei ihr erwartet, ihm auf, verfolgte ihn, wartete stundenlang hinter den Didothränen im Auge vielleicht, aber nicht die eines herabgelassenen Vorhängen einer Droschke an der Thür der Rammerzöfchens. Redaktion oder seines Hauses, oder in den Straßen, durch die er kommen mußte, auf ihn.
des Sommers nur noch gewachsen. Sie gefiel ihm wirklich. Beider Naturen waren gleichartig; sie wie er gehörten zu dem abenteuerlichen Geschlecht der Lebensvagabunden, der Vagabunden der Gesellschaft, die richtigen Landstreichern, ohne es zu ahnen, außerordentlich ähnlich sind.
Er glaubte endlich die Frau Direktor allmälig losgeworden zu sein, hatte er ihr doch deutlich genug, ja beinahe brutal seinen Entschluß, mit ihr zu brechen, ausgedrückt, da erhielt er in der Redaktion jenes Telegramm, das ihn auf zwei Uhr nach der Rue de Constantinople bestellte. Beim Gehen las er es noch einmal:
" Ich muß Dich nothwendig heute noch sprechen. Es handelt sich um etwas sehr, sehr Wichtiges. Erwarte mich um zwei Uhr in der Rue de Constantinople. Ich kann Dir einen großen Dienst erweisen. Auf ewig die Deine.
"
Virginie."
Was mag die alte Schachtel von mir eigentlich noch wollen?" dachte er." Bu sagen hat sie mir natürlich nichts, möcht' ich wetten. Höchstens wieder einmal, daß In der ersten Zeit hatten sie sich häufig in der Rue Er hatte die größte Lust, sie zu mißhandeln, zu be- fie mich liebt. Hin muß ich aber doch. Sie spricht von be Conſtantinople geſehen, aber Du Roy, der bort bie Möglichkeit einer Begegnung mit Frau von Marelle leidigen, zu schlagen, ihr rund zu erklären:" Ich denk nicht etwas sehr wichtigem, von einem großen Dienst, vielleicht Clotilde kommt ja erst um fürchtete, fand jetzt tausende Ausflüchte, die Zusammenkünfte mehr dran, ich habe es fatt, Sie sind mir zuwider." Aber steckt doch etwas dahinter. muß ich die Alte abgefertigt abzuschlagen. So suchte er denn durch seine Kälte, durch harte Blicke, haben. Berdammt! Wenn sie sich nur nicht treffen wollten! Nun mußte er sie fast täglich in ihrem Hause besuchen, zuweilen sogar durch grobe Worte ihr begreiflich zu machen, Diese Weiber sind doch zu verrückt." bato zum Frühstück, bald zum Diner. Sie drückte ihm die daß die Geschichte ein Ende haben müsse. Und er dachte, daß nur seine Frau eine Ausnahme band unterm Tisch, ihm aber machte es mehr Spaß sich Mit besonderer Hartnäckigkeit suchte sie ihn nach der bilde. Sie quälte ihn niemals, fie lebte au seiner Seite und mit Susanne zu beschäftigen, die ihn durch ihr munteres Rue de Constantinople zu locken, allerhand Listen wandte schien ihn ja auch zu lieben. Wesen fesselte. Ein beweglicher, spöttischer Geist, tausend sie an, und er zitterte unaufhörlich vor dem Gedanken, daß| Langsam ging er nach seiner Rendezvous- Wohnung. boshafte Einfälle steckten in diesem Puppenkörper. Wie sie dort eines schönes Tages mit Frau von Marelle zu- Dabei versezte er sich mechanisch in Born gegen Frau Walter. Marionette auf dem Markt war sie ftets in Parade. sammentreffen könne. Weber alles und jeden machte sie sich in beißenden Be- 1
eine
Seine Neigung zu dieser war im Gegentheil während Na, sie soll mich kennen lernen, wenn sie mir wirklich