stellt Mächst fest, Last Kohl ein öolles Drittel Kr badischen Richterbisher kein anderes politisches Blatt las als dasgenannte geisteSarme Karlsruher Sensationsblatt, daß sie und ihreFamilien also ihre regelmäßigen Informationen über alle Vor-kommnisse im öffentlichen Leben lediglich aus der sogenanntenparteilosen Gcneralanzciger-Presse holten,— demselben Blatt,das während des Burenkriegcs dem ödesten Engländerhaß diewildesten Konzessionen gemacht, vor dem Auszug nach China denGrafen Waldersee mit Siegeslobhymnen überschüttet habe undmit byzantinischen Berichten über jeden Fürsteneinzug die Volks-secle zu vergiften pflege. Menschen, die regelmäßig die„Franks.Zeitung", den„Vorwärts", die„Köln. Zeitung" oder die„Germania"läsen, seien ganz andere als die, denen Blätter vom Schlage der„Bad. Presse" genügten. Dann fährt gegen den nationalliberalcnLandgerichtsrat Mainhard der demokratische Blockbruder im.Landesboten" wörtlich fort:.„Merkwürdig berührt unS in den Ausführungen dcS Landgerichtsrats Mainhard jener Satz in Gedankenstrichen, mitdem er voller Verwunderung konstatiert, daß die s o z a l d e m o-kratische Presse der Hauptstadt sich bei der Besprechungdes Falles Hau korrekt benommen habe. Auch da tutsich ein Stück Weltanschauung auf. Voll Verwunderungglaubt er das konstatieren zu müssen, und diese Verwunderungtönnen wir uns nur dadurch erklären, daß er diese Pressenicht kennt und doch bisher glaubte, ein Urteilüber sie zu haben. Das soll kein Vorwurf gegen ihn sein.Denn auch er ist ein Kind seines Milieus. Aber wir denken,wie wird es sein, wenn ein sozialdemokratischer Ar-beiter wegen eines Streikvergehens als An-geklagter vor ihm steht? Er wird nach bestem Wissenund Gewissen richten. Aber seine Anschauungen über SoziaOl i s m u s und Sozialdemokratie, die die Jungen all-mählich überwinden, müssen mit innerer Notwendigkeit seinU r t e, l beeinflussen. Ob er die Ethik des Streiks versteht? Ob er weiß, daß der Streikbrecher ein Mann mindererEhre und der Streikende ein ehrlicher Kämpfer ist? Weiß erauch, daß eS einem badischen Beamten das Genick brechen kann,wenn er den„Voltsfrcund" liest, daß es noch vor wenigen Jahrengefährlich war, den„Badischen Landesboten" zu lesen, daß aberdie Lektüre der sensationslüsternen, nach oben aber frommen„Bädischen Presse" gerne gesehen war?"Treffender und klarer ist kaum einmal in einem sozialdemo-Iratischen Blatte der Charakter unserer modernen Strafrechtspflegeals Klassenjustiz gekennzeichnet worden, jener Justiz, die,ohne bewußt parteiisch zu sein, doch in politischen und sozialenVorurteilen befangen ist und bei allen Entscheidungen, denenTatbestände politischer oder sozialer Natur zugrunde liegen, sichlediglich von Anschauungen dcS eigenen gesellschaftlichen Milieusleiten läßt, weil eS ihren in diesem aufgewachsenen Repräsentantennicht möglich ist, stch aus dem Denk- und GefühlSkreiS der eigenenKlasse herauszuheben und sich in denjenigen zu versehen, in demder ihrer Rechtsprechung überantwortete Angeklagte sich bewegt.Am zwingendsten wirkt diese Logik bei der Anwendung auf daSwirtschaftliche Kampfmittel deS Streiks, besser gesagt: aufdie Beurteilung der moralischen Qualitäten des Streikendenund des Streikbrechers, die in ihrer grellen Verschiedenheitden ganzen unüberbrückbaren Abgrund zwischen der Denk- undGefühlswelt deS Proletariates und der der Bourgeoisie aufzeigt.Wie eingangs schon gesagt, sind daS für Leute, die im prole-karischen Klassenkampf stehen, gewiß keine neuen Wahrheiten;einen besonderen Wert erhalten sie erst dadurch, daß sie von einemAngehörigen der bürgerlichen Klasse ausgesprochen werden, undzudem von einem Manne, der durch langjährige enge Berührungmit unserer Nichterwelt über die darin maßgebenden Anschauungenaufs beste informiert ist. Man wird sich in unseren Kreisen das,was der bürgerliche Herr über den Charakte» unsererJustiz und über die moralische Wertung des Streikendenund des Streikbrechers zu sagen wußte� mexketl.Iflarohho.Friedensderhandlungen— Waffenstillstand— eS sindüberraschende Nachrichten, die aus Casablanca kommen. Nochläßt sich nicht beurteilen, ob in der Tat eine für die Franzosengünstige Wendung eingetreten ist, oder ob etwa nureine Kriegslist der Marokkaner hinter ihren Angeboten steckt.Zu diesen eigenartigen Meldungen kommt die andere, daßMulay Hafid, der Gegensultan, französische Hülfe in Anspruchnimmt, um mit den Mächten zu verhandeln, sowie daß derKommandant eines französischen Kriegsschiffes die Besorgungder Mulay Hafidschcn Briefe übernommen hat. Eine Handlung,die zweifellos eine Parteinahme der Franzosen zugunstenMulay Hafids gegen seinen Bruder Abdul Aziz bedeutet.Die deutsche Regierung hat inzwischen ihre Antwort aufdie Forderung der französischen Regierung gesandt, ihr zu ge-statten, entgegen der Akte von Algeciras französische Polizei-truppen in den Hafenstädten einzusetzen. Ucber den Inhaltdieser Antwort teilt die„Nordd. Allg. Ztg." nut: Die deutscheRegierung habe die Befugnis Frankreichs, sich für die Vorgängevon Casablanca Genugtuung zu verschaffen, anerkannt und be-absichtige nicht, der von Frankreich aus diesem Anlaß unter-nommenen und durch außergewöhnliche Umstände motiviertenAktion Schwierigkeien zu bereiten. Sie hoffe und wünschejedoch, daß sich schwere Schädigungen der fremden Kaufleute,wie die in Casablanca erlittenen, nicht wiederholen möchten.Die deutsche Regierung mache deshalb darauf aufmerksam, daßmach Ansicht des deutschen Geschäftsträgers in Tanger die, inder Akte von Algeciras nicht vorgesehene Aufstellung fremderPolizeikorps unter den gegenwärtigen Verhältnissen einenAngriff der Bergstämme auf die Stadt und ernste Gefahr fürLeben und Gut der Europäer hervorrufen könnte, zumal wennjene Maßregel nicht unter dem Schutze militärisch unbedingtgenügender Kräfte vollzogen würde. Die gleiche Gefahr dürfteauch in anderen Hafenorten bestehen.>Die Meldungen des Sonntags und Montags lauten?Madrid, 8. September. Ein Telegramm der„Correspondenciabe Espano" besagt, daß drei Marokkaner dem General Drude imNamen der Kabylen anboten, die Waffen niederzulegen und umeinen Waffen st ill st and von 48 Stunden baten. Zwei vonden Unterhändlern blieben als Geiseln im französischen Lager.Paris, 7. September. Der in Casablanca am 6. Sev-tember abgeschlossene Waffenstillstand wird am Sonnabeno-mittag zu Ende gehen. Die Einstellung der Feindseligkeiten wardurch das Eingreifen des Kaid Maisi, des Häuptlings des Choukla-Stammes, veranlaßt, der mit dem französischen Geschäftsträger dieGrundzüge eines Einvernehmens festzusetzen wünschte. DerScheik, der nicht genügenden Einfluß auf die Stämme zu habenschien, um seine Ansichten zur Geltung zu bringen, sollte heutefrüh eintreffen und wurde noch um 3 Uhr erwartet.Pari«, 8. September. Die„Agence HavaS" veröffentlichtfolgende Note: Die Regierung hat ein Telegramm des GeneralsDrude erhalten, in dem dieser mitteilt, daß die Delegation vor-nehmer Marokkaner, die der Scheik El Maisi nach Casablancaführen sollte, nicht eingetroffen sei. Infolgedessen habe derGeneral beschlossen, den El Maisi bewilligten Waffenstillstand bisheute abend auszudehnen. Die Operationen sollen morgen wiederbesinnen, wen» die marokkanischen Abgesandten nickt im Laufedes Mends kommen, LtN sich zu unterwerfen. Das TekeMMmDrudcs teilt ferner mit, daß seit Eintreffen der Truppen jnCasablgnca 800 Marokkaner getötet worden seien-politifcbe CUberlicht.Berlin, den 9. September 1907.Die schmunzelnden Kriegstreiber.Ucber die Ergebnisse der Haager„Friedens-konferenz" schreibt das weiland Kruppsche Organ, die„Verl. Neuest. Nachr." schmunzelnd:„Von den altehrwürdigen Bäumen deS Haager Schloßparksfällt das Sommerlaub, und wer noch nicht allen Mut zu ernst-hafter Fragestellung verloren hat, frägt nach dem Ertrag derHaager FciedenSwochen. Sieht man von den wenigen wirk-lich'wertvollen Teilergebnissen der Konferenz ab—' in ersterLinie wäre die Abänderung der Haager Konvention vom29. Juli 1899 über die Pflege der Verivundetenim Seekriege dahin zu rechnen— so lassen sich dieArbeiten des Haager Kongresses wohl am besten als Beiträge zurBiisgeftaltung des KriegsrcchtcS charakterisieren. Nicht positiveEriedensarbeit wurde geleistet, sondern der Krieg und dieriegführ Ung wurden zum Teil auf neue theoretischeFormeln gebracht. Für die Praxis deS Krieges kommen Beschlüssewie das Verbot des Bombardements von nichtbefestigten Städtenund Dörfern ohne Kriegsvorräte, das Verbot von automatisch ex-plädierenden Kontaktminen, der Schutz der Rechte von Neutralenoder die Bildung von Prisengcrichten schwerlich in Betracht. Hierentscheidet die Gelegenheit und der Zwang des Augen-b l i ck s... Ueber die innere Wahrhaftigkeit feines(Englands) A b-r ü st u n g s v o r s ch l a g e s, der sich nach vielfältigem Sieb-verfahren am Ende in eine schattenhafte Resolutionüber die Notwendigkeit des„M a te r i a l s amm e l ns" auflöste,hat ja alle Welt längst den Stab gebrochen.Bliebe als diskutierbar höchstens der noch ausstehendePlenarbeschluss über das obligatorische Weltschiedsgericht.Aber auch in dieser Frage macht eine fatale Klansel, die kaum zuumgehen sein wird, jede praktische Wirksamkeit eines eventuellenBeschlusses illusorisch. Der Vertrag soll nämlich nicht für solcheFälle gelten, in denen nach Ansicht eines der be-teiligten Staaten seine Ehre oder seine vitalenInteressen in Frage kommen. Dieser Ehre unddiesen vitalen Interessen wird man voraussichtlich jedesmalbegegnen, wenn in Zukunft die Frage der Einsetzung eines Schieds-gerichtS akut werden sollte; denn es ist s e l b st v e r st ä n d l i ch,daß die Staaten in allen Fällen, wo ihnen der Weg des Kriegeserwünscht wäre, von dieser angenehmen KlauselGebrauch machen würden."Die internationalen Konfliktsschürer, Panzerplatten-Patrioten und Kanonenfabrikanten können sich in der Tat dieHände reiben I Der„Friedenskongreß" hat für sie wackereArbeit geleistet l_Karl Peters als Ethiker.Die vielfachen Ehrungen, die Herr Karl Peters nach seineinMünchener Prozeß von den Vertretern des echten Deutschtums undvon sittsamen hysterischen Jungfrauen meist des gleichen Kalibers,wie die schönen Verehrerinnen HauS— erfahren hat, scheinen seinSelbstbewußtsein sehr gekräftigt zu haben. Während er es bishernur als feine göttliche Mission betrachtete, Kolonien zu erobern undin das Innere Afrikas deutsche Kultur und deutsche Keuschheit zutragen, fühlt er neuerdings den Beruf in sich, auch unser gesamtesöffentliches Leben zu versittlichen und auf die Höhen seiner eigenenreinen Moral zu heben. Jn den„Han, burger Nachr." leistet er sicheine gar wunderschöne Moralpredigt, in der eS heißt:„Die Sozialdemokratie, Vertreterin der weniger gebildetenKlassen unseres Volkes, will nicht beweisen; sie schimpft. Michbezeichnet sie mit dem geschmackvollen Ausdruck„Hänge-PeterS"oder„Hänge-Karl". Meinen Freund Dr. Otto Arendt vcr-sucht sie abzustempeln als„Meineid-Otto", während docherwiesen ist, daß. wenn in München ein falscher Eid ge-leistet ward, sicherlich nicht Arendt, sondern jemand sonst ihngeleistet hat. Nebenbei, auch ich habe beim Durchgehen meinerAkten vor einer Woche einige Dokumente gefunden, die FrauGeheimrat Kayser und ihre Hintermänner interessieren werden.Der K i st e n d i e b st a h l, der mich meiner Verteidigung vorGericht 1896/97 wesentlich beraubte, ist nicht vollständig erfolg-reich gewesen. Ich werde in der Lage sein, einige Akten demnächsten deutschen Gerichtshöfe, mit dem ich zu tun haben werde,vorzulegen. Wenn ich gegen sozialdemokratische Zeitungen jetzt gericht-lich vorgehe, so geschieht das in der Hoffnung, das deutscheBürgertum veranlassen zu können, gegen denpöbelhaften Ton dieser Presse mit allgemeinenGesetzen einzuschreiten. Wir müssen, wie wir die Preß-freiheit von den Briten übernehmen, so auch die Schntzmaßregelnfür die Ehre des Einzelnen aus diesem Lande einführen. DasEindringen des Proleiariats in die Politik darf am Endenicht zur V e rp ö b e Iis i e r un g unseres gesamtenöffentlichen Lebens führen."Peters als Ethiker— das hat gerade noch gefehlt. Wie wirhören, hat der Zirkus Busch einen Sohn Morengas als große„Attraktion" engagiert. Wir möchten ihm empfehlen, sich auch dieMitwirkung der„großen" Karl Peters zu sichern. Jn der Rolle desempfindsamen Moralpredigers würde er entschieden die Konkurrenzsämtlichen Klowns schlagen.—_Nachklänge von der Reichstagswahk.Vom Schöffengericht zu Ibbenbüren(Westfalen) wurden voreiniger Zeit die Genossen T. und E. aus Rheine wegen HauS-ftiedenSbruchS zu je 10 Tagen Gefängnis verurteilt, weil sie inIbbenbüren am Tage der Reichstagswahl„trotz Aufforderungdes Wahlvorstehers das Wahllokal nicht verlaffen" hatten.Der Vorgang war folgender: Im ersten Lokale dienteeine Suppenterrine( I), im zweiten ein blechernes Kästchenals Wahlurne( I). Bei jeder Stimmabgabe. wurde derDeckel abgenommen und die KudertS aufeinander gestapelt.Als einige Wähler ihr Wahlrecht ausgeübt hatten, traten dieGenoffen an den Wahlvorsteher, Kaufmann Jörgens, mit demBemerken heran, daß die Urne nicht den Vorschriften entspreche.Höflichst ersuchten fie um Abänderung. Sie kamen aber schön an.„Wie heißen Sie? Sind Sie in diesem Bezirk wahlberechtigt?'—daS war die Antwort, die den Genoffen zuteil wurde. Und alsGenosse T. darauf erklärte, es sei nicht notwendig, daß er Wählerdes Bezirkes sei, hieß eS:.Heran» aus dem Lokal l"T. ließ sich nicht verblüffen. Die Wahlhandlung fei, erwiderteer, eine öffentliche. Er habe daher daS Recht, auf Mißständebeziehungsweise Verstöße gegen daS Wahlrecht aufmerksam zumachen und ersuche, seinen Protest gegen die beanstandete Urne zuProtokoll zu nehmen. Das wurde brüsk abgelehnt.„Heraus ausdem Lokal I" schallte es ihm nochmals entgegen. Darauf verließenbeide das Lokal.Alsbald erfolgte eine Anklage wegm Hausfriedensbruches. Sieendete, wie bereits bemerkt, mit der Verurteilung zu zehnTagen Gefängnis! Natürlich legten die Genoffengegen diese eigenartige„Sicherung deS Wahlgeheimnisses"durch das Schöffengericht in Ibbenbüren Berufung ein. DasLandgericht Münster hat nun daS Urteil aufgehobenUnd die beiden Genossen freigesprochen unter UebernahmederKostenauf die Staatskasse- Interessant ist die Be-grundung. Der Genosse T. habe, heißt eS, zwar seine„Befugnisseüberschritten," als er entgegen dem Verbot des Wahlvorstehers imLokal verweilte, aber: T. sei Reichstagskandidat ge-wesen, er befasse sich mit Politik. Demnach habeer sich Wohl über den Wahlakt informieren könn eu.Auch möge er der festen Ueberzeugung gewesen sein, daß er sich imRechte befinde, wenn er der Ausforderung des Wahlvorstehers zun'Verlassen des Lokals nicht Folge leiste lEine mehr als sonderbare Begründung.—Das gerettete„a. D."Oberst a. D. G ä d k e. berühmter wegen seiner Prozesse umdas ,a. D.", als durch seine ostasiatischen Kriegsprophezeiungen, vondenen keine in Erfüllung gegangen ist, hatte abermals vor demBerliner Schöffengericht einen Strauß um seinen Titel„Obersta. D." zu bestehen. Er erlebte jedoch die Genugtuung, abermalsals Sieger aus diesem Streit hervorzugehen.Es gelang allerdings Herrn Gädke nicht, Herrn Dr. Romen,den bekannten Unsachverständigen für sozialdemokratische Meineideund derzeitigen„Geheimen Kriegsrat", durch seinen Protestaus dem Gerichtssaal zu entfernen. Herr Gädke forderte, daß dieserHerr, der ihn selbst in der„widerwärtigsten unda n i m o s e st e n W e i s e" in der Presse bekämpft habe, nicht als„amtliche Aufsichtsperson" der Verhandlung beiwohnendürfe. Da jedoch der Staatsanwalt erklärte, daß Dr. Romen nichtals Aufsichtsperson, sondern„nur im Auftrage des Kriegsmimsters"der Verhandlung beiwohne, wurde Gädkes Protest uubeachtet ge-lassen.Besseren Erfolg hatte Herr Gädke in der Sache selbst. Er der-wahrte sich dagegen, daß man ihm seinen Titel„Oberst a. D." durch einmilitärisches Ehrengericht aberkennen könne: Man habe ihn un-gerecht und ohne jeden Grund vor ein Ehrengericht ge-zogen und nichts gefunden, was auch nur nach dem Lot gemessen,ihm zur Unehre gereichen könnte. Und dieses Ehrengericht habe ihmseinen in langer Dienstzeit erworbenen Titel aberkannt,daS heißt eine Strafe ausgesprochen, die nur bei ganzschweren ehrenrührigen Handlungen angängig sei. Dem voreiniger Zeit wegen Betruges verurteilten Major Zander habeman seinen Majortitel nicht nehmen können, ebenso liefenOffiziere, die wegen Päderastie und anderen ehrenrührigenDingen schleunig st ihren Abschied erhalten haben,ruhig mit ihrem Osjizierstitel herum, und im Gegensatz dazu wolleman ihm, der nie etwas Ehrenrühriges begangen, seinen Titelrauben! Nach der Verfassung können Strafen nur in GemäßhcitdeS Gesetzes erkannt werden. Ein Gesetz sei nicht da,es handle sich also um einen willkürlichen Akt. Auchdie Krone sei nicht befugt, willkürlich Strafen zu verhängen. DieStrafe sei»»gesetzlich und die königliche Order, die ihm seincuTitel entzogen habe, widerspreche der Verfassung.Der Gerichtshof erkannte auf Freisprechung. DaS Gericht ist,wie der Vorsitzende in längeren Ausführungen juristlicher Natur dar-legte, zu der Entscheidung gekommen, daß die königliche Verordnungein A r m e eb es e h l ist, dem nur die zur Armee gehören-den Personen unterstehen. Für den Angeklagten, der ausdaS Recht zum Tragen der Uniform verzichtet hat—und dieses Verzichtrecht steht außer Zweifel— sei d a SEhrengericht nicht mehr zuständig, denn unter Militär-Personen, die der Kommandogewalt deS Oberbefehlshabers unterstehen, seien die Offiziere a. D. nicht zu verstehen. Damit entfalledie Möglichkeit, sie der Armeedisziplin zu unterstellen. Ein Akt aber,durch welchen NichtMilitärs der Titel entzogen wird, sei als Rc-gierungsakt zu betrachten, und ein solcher bedürfte nach Artikelder preußischen Verfassung der ministeriellen Gegen-zeichnung.— Der Gerichtshof habe daher auf Freisprechungerkannt und die Kosten des Verfahrens der Staatskasse auferlegt.—Der Hochverratsprozeh des Genossen Liebknecht.Die Ansehung des Verhandlungstermins ist nun-mehr erfolgt. Am 9. Oktober, vormittags 9 Uhr, soll sich GenosseDr. K a r l Liebknecht vor dem Reichsgericht zu Leipzig ver-antworten.Dr. CurtiuS. der Präsident der evangelischen Kirche AugS-burger Konfession im Rcichsland, scheidet am 1. Oktober aus seinemAmte. Man hat ihn, seit er sich durch die Herausgabe der Hohen-loheschen Memoiren die Ungnade dcS Kaisers zugezogen hat, gesell-schaftlich derart geschnitten und verfchmt, daß er cS vorzieht, zugehen. Der ganze Fall ist wieder ein neues Beispiel der Freiheitder Meinungsäußerung im Deutschen Reiche.—Freisinniger Marasmus.Man schreibt uns aus Königsberg:Der im Absterben begriffene ostpreußische Freisinn, der auch inKönigsberg bei der letzten Hottentottenmahl mit Hülfe des zustandegekommenen reaktionären Blockkartells und der unter An-Wendung verwerflichster Mittel aufgescheuchten indifferentenWählermassen noch einmal auf kur�e Zeit neues Leben und sogardas Mandat gewann, liegt nun wieder sehr schwer danieder, sodaß an seinem Aufkommen selbst von seinen Freunden gezweifeltwird.Der große Herr Justizrat G h ß l i n g, Landtags- und Reichs.tagsabgeordneter, sollte oder wollte am letzten Montag in Königs-berg in einer vom Wahlverein der Freisinnigen Voltspartei ein-berufenen Versammlung, zu der auch die Mitglieder der anderenliberalen Parteien eingeladen waren, Bericht über die Reichstags-und LandtagSsession erstatten. Ferner sollte die große freisinnigeVersammlung Stellung nehmen zum Parteitag in Berlin und zuden Anträgen für denselben. Auch sollten Delegierte gewühltwerden.Um 8 Uhr sollte die Versammlung beginnen, aber erst nach9 Uhr hatten sich nach und nach zusammen einige b0 Herren derFreisinnigen Volkspartei, der Freisinnigen Vereinigung und derNationalliberalcn Partei eingefunden, die rings um die leerenStühle auf den Seitenbänken des SaaleS Platz nahmen. DerHerr Abgeordnete Güßling eröffnete, leitete und unterhielt dieS eehrte Versammlung ein Stündchen mit seiner aalglatten, ge-hmeidigen, nichtssagenden Rede. Eine Diskussion kam nicht zu-stände. Entweder ivaren die Herten durch die salbungsvolle Rededes freisinnigen Helden derartig erschüttert, oder sie waren eingc-schläfert worden, daß sie nicht reden wollten. Denn bedeutsamgenug für sämtliche Blockbrüder auch außerhalb Königsbergs mußdoch die Rede gewesen sein. Brachte doch die„Hartungsche Zeitung"am anderen Tage in 6 langen Spalten der Welt Kunde von dergroßen Rede des freisinnigen Land- und ReichStagsabgeordnetcn,sowie der von ihm verlesenen nichtssagenden Anträge zum Partei-tag. Der Freisinn in Königsberg liegt nun wieder, einsam undverlassen von seinen Kampfgenossen, in den letzten Zügen. Abersein'.abgeordneter, er lebt, als Walirzeichen einer, wenn auch nurkurzen, jedoch glanzvollen unvergeßlichen freisinnigen Machtperiode.Uuterfchleife bei der Gelsenkirchener Steuerkasse.Zu den Unterschlagungen der verhafteten Steuerrendanten LooSund Bock wird amtlich mitgeteilt, daß die Höhe der ver-untrcuten Gelder sich auf etwa 30 0 00 Mark belaufenwird. Die Unterschlagungen sind anscheinend gemeinsamverübt. Jetzt ist gegen einen weiteren städtischen Beamten.den Pollzersekretär Thiemann, der im vorigen JahreJagdgelder veruntreut haben soll, Anklage erHoven. Der Stadt-