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Nr. 213. 24. IahtMg. 1. KeilM des Jotüiiirfü" Wim WsdlM Dolttlerstllg, 12. Ztptember 1907. Das llachrichtenbureau. Genosse S t o l t e n. einer der Verfasser des Privatentwurfs der fünf Redakteure, veröffentlicht imHamburger Echo" unter seinem Namen, also wohl für seine Person, einen langen Artikel, der sehr wenig über das Nachrichtenbureau selbst besagt, in dem aber immer wieder die Frage aufgeworfen wird:Warum der Argwohn?" So sagt er: Schon über den ersten Entwurf und dann auch über den Antrag des Parteivorstandes, der ja unseren Lesern bekannt ist, hat sich in einem Teile der Parteipresse nun eine lebhafte Debatte entsponnen. Das ist kein Fehler. Im Gegen- teil. Ueber die Einzelheiten der Ausgestaltung eines solchen Prestbureaus kann man sehr wohl verschiedener Meinung sein, ja selbst darüber, ob sich überhaupt die Errichtung eines solchen empfiehlt oder nicht. An sich läßt sich darüber streiten. Aber diese Frage war auf der Redakteurkonferenz entschieden, auf der sich kein Widerspruch gegen die Schaffung des Bureaus zeigte. Es kann erfreulicherweise auch konstatiert werden, daß die ganze Diskussion über diese Frage wie die Verhandlungen der Redakteur- konferenz überhaupt in sehr ruhiger sachlicher Weise geführt wurden, daß sie alle Anklänge an frühere unangenehme Debatten vermissen ließen. Das gleiche läßt sich leider von den neuerlichen Debatten in der Presse nicht sagen. Durch diese Debatten geht wieder der alte Gel st des Mißtrauens und Argwohns der beiden Richtungen" innerhalb der Partei, der Verdacht Partei- verderberi scher Absichten auf der einen oder anderen Seite und es ist besonders sehr scharf dagegen protestiert worden (imVorwärts"), das Nachrichteninstitutdem Revisionismus auszuliefern". Die Vermutung, daß diese Absicht bestehe, und zwar vor allem bei den Urhebern des ersten Entwurfes, hat der Vorwärts" aus einer allerdings nicht sonderlich geschickten und taktvollen Auslassung desBochum erVolksblatt" geschöpft, das sich, aus dem entgegengesetzten Mißtrauen heraus, dagegen verwahrte, daß das Bureauzum Prüfstein der guten Gesinnung werden sollte, wenn aus der Bureauftage eine neueVorwärts"- Frage würde". Unter solch gegenseitiger Beargwöhnung der Parteigenossen kann weder ein richtiges Urteil über die Sache selbst gewonnen werden noch das Nachrichtenbureau so wirksam werden, wie es im Jntereffe unserer kleinen Parteipresse zu wünschen wäre." Genoffe Stalten findet es auch unrichtig, wenn Bebel aus jener Stelle des Fünfer-Entwurfs, wo die Forderung erhoben wurde, keineswegs etwa trockene Tatsachenangaben' zu vermitteln, sondern die Mitteilungen auch zufärben" usw., die Meinung ausspricht, daß es bei einem solchen Nachrichtendienst nicht ohne Beeinflussung der Parteipresse in der einen oder anderen Richtung abgehen werde. Zu einem solchen Urteil, meint Stalten, könne man nur kommen,wenn sich der Verdacht gegen die Partei- genössische Ehrlichkeit tief eingesressen habe". Genosse Stalten irrt selbst. Wenn jemand wie Bebel einfach logische Folgerungen zieht, so ist er deshalb keinGe- spensterseher", sondern im Gegenteil ein durchaus sachlich erwägender Beurteiler. Die Ehrlichkeit der Genossen steht für uns außer Frage. Allein gerade ein je ehrlicherer Parteigenosse jemand ist, desto selbstverständlicher wird es für ihn sein, seine innerste und ehrlichste Ueberzeugung auch literarisch zu vertreten. Und wenn Genosse Stalten fragtMuß die Färbung nunrevisionistisch oderhistorisch-ökonomisch" sein, die Tatsachen und Vorgänge... sollen... unter sozialdemokratischem Gesichts- Winkel gebracht... werden", so übersieht Genosse Stalten ganz das nun einmal vorhandene Faktum, daß verschiedene Richtungen eben existieren und daß jede von sich die Ueberzeugung hegt, schlechthin den sozialdemokratischen Standpunkt zu vertreten I Daß eS übrigens sehr viel leichter ist, anderen Moral zu predigen, ihnen zu empfehlen, sich alles Argwohns zu entschlagen. als selbst ohne jeden Argwohn zu urteilen, dafür ist gerade Genosse Stalten selb st ein klassisches Beispiel. Schreibt er doch: Aber ein erhebliches Bedenken ist geltend zu machen gegen die Ernennung der Mitglieder des Beirats durch die Parteileitung. Diese würde eS ja damit völlig in der Hand haben, fich gerade ihr gefallende Redakteure als Beiräte auszusuchen und dadurch den Beirat als selbständig mitwirkende Vertretung der Redakteure unwirksam zu machen. Wir hegen nicht die Befürchtung, daß der Partei- vorstand so einseitig handeln werde; aber bei den Besorgnissen, die gegenüber den Vorschlägen des ersten Entwurfs in entgegen- gesetzter Richtung aufgetaucht sind, muß man damit rechnen, daß dasselbe Mißtrauen dem Parteivorstande entgegengebracht werden würde. Deshalb ist es wünschenswert, falls der Beirat uach dem Antrage des Parteivorstandes beschlossen wird, für sie Auswahl. einer Mitglieder eine andere Form zu finden." Uns selbst wäre eS gleichgültig, ob der Beirat vom Partei- vorstand oder vom Parteitag selbst gewählt würde, wenn wir nicht glaubten, daß die Auswahl durch den Parteivorstand selbst die Garantie möglichster Objektivität böte. Genosse Stötten jedoch hält eS für notwendig, daß gerade den Bedenken gegen die Objektivität deS Parteivorstandes Rechnung getragen werden müsse. Aller Argwohn ist also vom Uebel, nur nicht der gegen den Parteivorst and! ES fällt uns gar nicht ein, nun unsererseits dem Genossen Stötten den fteundlichen Vorwurf derGespensterseherei" zurück« geben zu wollen. Nur das eine möchten wir daraus folgern: man sollte sich überhaupt vor moralischer Splitterrichterei hüten und die Dinge so nehinen, wie sie nun einmal liegen. ES handelt sich ein- fach um die Frage: welche Aufgaben kann das Nachrichten- bureau erfüllen, ohne daß innere Reibungen und eine schädliche Beeinflussung der Gesamtpresse komme sie von welcher Seite immer zu befürchten wäre. Darüber mehr in einem Schlußartikel.~ 7. Sliandinavif(i)er Meittrhongreß. Krixiania, den 9. September. Gestern und vorgestern konnte der Kongreß die Resultate der Kommissionsverhandlungen beraten. Zunächst kam der KommissionS- cnkwurf zu einer Resolution in der Frage des Genossen« schaftswesens. Die Mehrheit der Kommission beantragte eine Resolution, die in ihrer Einleitung die Kooperation als die Grundlage künftiger Sozialisierung der Gesellschaft bezeichnete. Gegen diese weitgehende Fassung wandte sich die Minderheit mit aller Entschiedenheit, und auf dem Kongreß selbst wurde von ver- schicdenen Seiten, besonder? von den Dänen, gegen die Mehrheits- resolution Front gemacht. Man einigte sich schließlich auf die etwas veränderte Resolution der Minderheit, die das Genossen- lchaftsjoefen als ein wichtiges Hülfsmittel iyi Befreiungskämpfe des Proletariats bezeichnet. Im zweiten Absatz wird dann er- klärt:Neben der Entwickclung der Arbeiterklasse, die von den politischen und gewerkschaftlichen Organisationen der Sozialdemo- krntie geschaffen wird, wirken die von den Arbeitern auf dem Ge- biete der Produktion und der Distribution errichteten genossen- schaftlichen Unternehmungen als ein Mittel, der Arbeiterklasse Einsicht in die Leitung der Produktion und der Distribution zu gewähren und ihre Fähigkeiten, diese Funktionen zu übernehmen, zu entwickeln." Aus diesen Gründen wird den Arbeitern empfohlen, sich den Genossenschaften anzuschließen und ihre Waren- einkaufe in diesen zu machen. In der Frage der Gesindegesetzgebung nahm der Kongreß eine Erklärung an, die zu einer kräftigen Agitation zwecks Organisation der Landarbeiter und Dienstboten auffordert und desgleichen die parlamentarische Aktion zur Beseitigung der Ge- sindegcsctze in Aussicht stellt. Zwecks Sammlung statistischen Materials bezw. dessen Bearbeitung wird in einem Beschlutz des Kongresses den politischen und gewerkschaftlichen Landcszentralen in den drei skandinavischen Ländern anheimgegeben, ein gemein sameS statistisches Bureau zu errichten, bezw. baldmöglichst einen dementsprcchendcn Vorschlag durch eine gemeinsame Kom- Mission auszuarbeiten und den betreffenden Organisationen zuzw stellen. Bezüglich der gegenseitigen Unter st ützung in größeren Kämpfen wurde beschlossen, eine solche obligatorische zwischen den Landesorganisationen der Gewerkschaften als un tunlich abzulehnen. Diesbezügliche Verträge zwischen den ein- zelncn Gewerkschaften können abgeschlossen werden, jedoch nur unter der Voraussetzung, daß die betreffenden Organisationen ihre Verpflichtungen gegenüber den LandcSorganisationcn er füllen. Eine weitere Erklärung des Kongresses richtet sich gegen jegliche Versuche, die gewerkschaftlichen Landcsorganisationen auf' zulöscn oder zu zersplittern. Die Organisationen, die heute noch außerhalb der LandcSzcntrale stehen, werden zum Anschluß auf gefordert und zwar mit Bezugnahme auf die internationalen Kongresse:Die internationalen sozialistischen Kongresse haben mit Erfolg für die politische Einheit in Ländern, wo mehr als eine sozialistische Partei bestand, gewirkt. Aber die Gewerkschofts bewcgung ist �ln unentbehrliches Glied im Klassenkampfe; auch hier muß vollständige Einheit geschaffen werden, damit sie ihre Aufgaben erfüllen kann." Eine Resolution betrifft die Frage der Arbeitslosigkeit. Sie fordert die Bereitstellung von staatlichen und kommunalen Mitteln zur Abwendung der Folgen der Arbeitslosigkeit und daß als Träger dieser Arbeitslosenversicherung die Gewerkschaften zu fungieren haben. In einer Resolution über die Sclbsthülfe- institutionen der Arbeiter fordert der Kongreß von Staat und Kommune, diesen Institutionen der Arbeiter eine entsprechende Unterstützung zuteil werden zu lassen durch Bereitstellung von Mitteln an die Krankenkassen, Sterbckasscn usw. der Arbeiter. Eine weitere Resolution fordert von den sozialdemokratischen Parlamentsfraktionen der skandinavischen Länder die Einbringung von GesetzcSvorlagen auf Einführung des achtstündigen Arbeits' tages, und daß Staat und Kommune in erster Linie den Acht' stundentag einführen müssen. Zur Demonstration für die Ver- kürzung der Arbeitszeit auf 8 Stunden ist die A r b e i t s r u h e am l. Mai möglichst durchzuftihren. In der Frage Industrie' oder Berufsorganisationen beschloß der Kongreß, die Konzentration der gewerkschaftlichen Kräfte den Arbeitern zur Pflicht zu machen in dem Maße, wie es die industrielle EntWickelung und auch die EntWickelung der Arbeitgcberorganisationen dies erheischen. Gegen die Einführung obligatorischer gesetzlicher Schieds- gerichte zur Entscheidung in Arbeitskonflikten wandte sich der Kongreß in einer Resolution, die Schiedsgerichte zur Entscheidung in Zwistigkeitcn über die Auslegung eingegangener Tarifverträge fordert, sie aber für die Arbeitskonflikte selbst strikte ablehnt. Den Höhepunkt des Kongresses bildete die Verhandlung über den Militarismus. Brantings Referat war eine rhetorische Glanzleistung, die gleichzeitig den realen Verhältnissen der skandinavischen Länder gerecht wurde. Punterwold sprach für die norwegische Delegation in einer gut durchdachten Rede. Und der parlamentarische Führer der Dänen, Borgbjerg, geißelte, von stürmischen Beifallskundgebungen des Kongresses unterbrochen, die Heuchelei der herrschenden Klassen, die die Vater- landsliebe mit der Frage der unsinnigsten militärischen Rüstungen in Verbindung bringen.Weshalb," frug er.sollten wir dänische Sozialdemokraten nicht unser kleines, meerumspülteS Dänemark mit seiner hohen Kultur, seinem intelligenten Volke, seiner Naturpoesie und seinen fruchtbaren Aeckern, seinen Buchenwäldern lieben? Und weshalb sollten die schwedischen Genossen nicht ihr großes Land mit seinen großen Erinnerungen, seinen großen Naturreichtümern lieben? Oder die Finnländer ihr Land der tausend Seen? Oder die Norweger ihre Fjelde und Fjorden, ihr Land, das die größte Demokratie trotz des nationalen Königtums, das nur eine Farce ist, gewährt. Nun, die Vaterlandsliebe hat mit dem Militarismus nichts gemein. Wir lieben unser Land, ohne die Völker anderer Länder zu hassen, denen wir so viel in kultureller Beziehung verdanken. Der Militarismus wird an dem Tage beseitigt sein, an dem die großen Arbeitermassen erklären, wir wollen unsere Brüder anderer Länder nicht morden." Die vom Kongreß einstimmig angenommene Resolution geht von dem Standpuntte der Stuttgarter Resolution aus; sie betont besonders die Notwendigkeit einer starken Sozialdemokratie zur Verhinderung der Kriege, die gegenwärtig in dem Kapitalismus ihre Wurzel baben. Der Kongreß fordert die schiedsgerichtliche Erledigung aller internationalen Streitfragen und verpflichtet die sozialdemo- kratischen Parlamentsvertreter Skandinaviens , auf ihre Re- gierungen dementsprechend einzuwirken. Ferner fordert der Kon. greß eine unausgesetzte Agitation unter der Jugend, um diese darüber aufzuklären, daß sie auch im Waffenrock Bürger ist und daß sie die Klasse nicht vergessen darf, in die sie nach Beendigung der militärischen Dienstzeit wieder zurückkehrt. Der Kongreß fordert von der Sozialdemokratie in allen skandinavischen Ländern eine unausgesetzte Arbeit zwecks Zurückdrängens des Militarismus und für den Schutz der Menschenwürde der Wehrpflichtigen, für Begrenzung und Herabsetzung der Militärausgaben mit Abrüstung und internationaler Rechtsordnung als Ziel, und zuerst und zuletzt eine unausgesetzte Arbeit für die Erziehung des arbeitenden Volkes und der Jugend im Sinne internationaler Bruderliebe, da der Geist des Sozialismus die Grundlage einer höheren Zivilisation ist, die von der Arbeiterklasse in die Tat umzusetzen ist. Damit waren die Arbeiten de» Kongresses erledigt. Nach Schlußreden der Vorsitzenden und deS Genossen Legten für die ausländischen Gäste wurde der Kongreß am 8. September, abends. mit brausenden HochS auf die internationale Sozialdemokratie geschlossen. Die Delegierten singen stehend mehrere skandinavische Arbeiterlieder. Unter den begeisternden Klängen des Sozialisten- morsches entleert sich langsam der Saal. Der nächste Kongreß findet 1911 in Gothenburg statt. Noch eine Entgegnung. Genosse David setzt meiner Kritik seines Verhaltens bei der Abstimmung über die Kolonialdebatte eine Erwiderung entgegen, in der er zu folgendem Resultat kommt: Wenn jetzt KautSky jene Vorgänge in tendenziös-ent- st eilender Weise nachträglich breittritt, so ist daS der einzige Skandal" bei der ganzen Sache. Er muß wohl selbst die Schwäche seines naiv-doktrinären Standpunktes in der Kolonialftage empfinden, daß er auf diese Weise versucht, seine sachlichen Gegner persönlich zu diskreditteren und dadurch die Diskussion auf das Niveau des persön- lichen Zankes herabzuzerren." Mit anderen Worten, David kann die Vorgänge nicht in Abrede stellen, die ich kritisierte, er will sie bloß anders aufgefaßt wissen und beklagt sich daher übertendenziös entstellende Weise". Wir dürfen hinfort nicht mehr annehmen, David habe seinNein" der deutschen Delegation zugerufen, weil er hoffte, dadurch ihre Ab- stimmung zu beeinflussen, sonder» sollen glauben, er habe das bloß getan, un, sich der deutschen Delegationverständlich zu machen". Das mag glauben, wer will; wenn aber David weiter meint, ich hätte zur Kolonialfrage sachlich nichts mehr zu sagen und ver- berge nun meinenaiv-doktrinäre Schwäche" hinter persönlichem Zank, so dürfte er Vinnen kurzem durch eine Arbeit, die ich unter der Feder habe, aus diesem süßen Wahne gerissen werden. _ K. Kaut Sitz. Hud der Partei. Zur Frage der Maifeier resp. zur Frage der Kostendeckung für die Opfer allenfalsiger Mai» feieraussperrungen nahm eine P a r t e i v e r s a m m l n n g in Nürnberg neuerdings Stellung. Kürzlich wurde anläßlich der Delcaiertenwahl zum Essener Parteitag mit knapper Mehrheit be- schlössen, an den Parteitag den Antrag zu stellen, die Frage in der Weise zu regeln, daß Partei und Gewerkschaften die Kosten gemein- sam tragen sollen. Auf diesen Antrag kam in der Versammlung, die den Bericht vom Internationalen Kongreß entgegennahm, in der Diskussion Genosse Kurt EiSner zurück, indem er an die Ver- sammlung die Bitte stellte, jenen Antrag zu widerrufen. Er be- gründete dies damit, daß derartige Anträge sehr gefährlich seien. Er wundert sich, daß die Maifeierfrage überhaupt zu einer Frage der Kostendeckung gemacht werden solle. Derartige Dinge sollte man nicht in Beschlüssen festlegen, sondern unter der Hand regeln; die Frage der Kostendeckung dürfe nicht zum Ausgangspunkt der DiL- kussion über das Für und Wider gen, acht werden.' In der Maifeier habe der politische Kampf Gelegenheit, einmal demonstrativ tätig zu sein, etwas wie eine Aktion zu entwickeln. Man könne sich wohl den Standpunkt denken: Lohnt sich die Maifeier und ist sie die Opfer wert, die sie erfordert? und wenn die Gewerkschaftler auf diesem Standpunkt stehen, so sollten sie sagen: Wir wollen die Mai- feier beseitigen. Das wäre wenigstens ein Standpunkt, den man noch verstehen kann. Die Bestrebungen, die Kosten zwischen Partei und Gewerkschaften zu teilen, hätten den Zweck, die Maifeier von hinten herum zu beseitigen. Es sei schon unbillig, zu verlangen, daß 290 ovo politisch Organisierte zur Hälfte die Kosten für zwei Millionen Gewerkschaftler tragen sollen, aber die Parteikasse sei auch ihrer ganzen Natur nach nicht für derartige Ausgaben eingerichtet. Wenn man so laut und offiziell die Maifeier zu einer Frage der Kostendeckung macht, so sei das geradezu eine Provokation an die Unternehmer, bei der nächsten Gelegenheit eine Aussperrung so ergiebig zu machen, daß die Parteikasse gesprengt werden könnte. Man solle doch die Unternehmer nicht reizen: hier ist unser wunder Punkt, greift den Parteivorstand bei seinem fiskalischen Herzen an l In Berlin habe eine MaiauSsperrung in einem einzigen Betriebe 80 Ovo M. gekostet, und Redner ist der An- ficht, daß der heurige Maiaufruf des Vorstandes durch diesen Fall be- einflußt worden ist. Wenn dann solche Beschlüsse gefaßt werden, würde man noch ganz andere Maiaufrufe erleben. Die Parteikasse könne solche Eventualitäten gar nicht tragen. Derartige Anträge wären der Tod der Maifeier und sollen eS auch sein. Man könne nun für und gegen die Maifeier agitteren, sie aber nicht abhängig machen von dem guten Willen der Unternehmer, die nur zu drohen brauchen, um die Maifeier zu beeinflussen. Er möchte der Maifeier jedes andere Ende wünschen, als das Begräbnis durch den Kassen- standpunkt von Partei und Gewerkschasteii. Wenn man die Maifeier zu vertiefen und zu erweitern suche, werde sie sich ihre Existenz- berechtigung erkämpfen wie in anderen Ländern, nur daS Zögern und Zagen bringe sie schließlich um allen Kredit. Die Versammlung nahm gegen einige Stimmen eine vom Redner vorgeschlagene Resolution an, m der sie erttärt, daß sie sich mit dem von der deutschen Delegation in Stuttgart gefaßten Beschluß zur Maifeier nicht einverstanden erklärt und den Essener Parteitag auffordert, ihm seine Zustimmung nicht zu geben. Die Versamnilung hebt ihren früher beschlossenen Antrag an den Parteitag(gemeinsame Kostentragung) a u f und spricht die Meinung aus, daß hierüber keine bestimmt geregelte Verein- barung zu treffen fei, sondern daß sich hierüber Parteivorstand und Generalkommission von Fall zu Fall zu verständigen haben. Unter keinen Umständen dürfe die Maifeier durch die Regelung der Kosten« ftage irgendwie beeinträchtigt werden. Zum Essener Parteitag. Vom Wahttreis Jena wurde durch Urabstimmung der Genossi Leutert« Apolda delegiert._ Die Berichterstattung über den Internationalen Kongreß. In Köln führte in einer Versammlung deS Sozialdemokra» tischen Vereins der Genosse Bernhrrd Müller als zweiter Bericht- erstatter zur Kolonialfrage aus:In der Kolonialkommission standen sich zwei grundsätzliche Meinungen gegenüber. Die eine lehnte streng jede Kolonialpolitik ab, weil diese ein Anhängsel der kapitalistischen Wirtschaftsweise sei. Die Vertreter der anderen Meinung, die ihre Ansicht in der bekannten Mehrheitsresolution festlegten, forderten die Anerkennung der Kolonialpolitik, falls sie in einem unseren Forderungen mehr entsprechenden Sinne be- trieben würde. Der Holländer van Kol, der Wortführer dieser Gruppe, der allen Ernstes von den Vorteilen der Kolonialpolitik für die Arbeiterschaft sprach, wurde von den Deutschen Dr. David und Bernstein nachdrücklichst unterstützt. Nur mit vieler Mühe gelang es der Minderheit der deutschen Delegation, dieser Reso- lution die gefährlichsten Zähne auszubrechen, indem durch eine redaktionelle Äenderung, vorgenommen durch die Genossen Wurm und David, der unannehmbare Anfang der Resolution gestrichen wurde. Jetzt fand diese veränderte Resolution bei der deutschen Delegation eine große Mehrheit. Die streng ablehnende Gruppe unter Führung von Ledebour blieb in der Minderheit. Bei der Abstimmung im Plenum gab es insofern große Ueberraschungen, als hier die Resolution der Minderheit eine Mehrheit fand und angenommen wurde. Die Art und Weise, wie bei dieser Gelegen- heit Dr. David versucht habe, die Mehrheitsresolution zur An- nähme zu bringen, sei nicht fair gewesen." Eine Debatte fand nicht statt. In Dresden entspann sich in der Versammlung deS vierten sächsischen KreiseS(Dresden -Ncustadt) nach dem Bericht deS Ge- nassen Kühn, der rein referierend war, eine lebhafte Debatte. Wir entnehmen dem Bericht derSächsischen Arbeiterzeitung" folgende Stellen. Genosse Dr. D u n ck e r:... Er habe mit Erstaunen die Ausführungen von van Kol, David und Bernstein gelesen, wir Sozialisten müßten uns mit dem Gedanken auch vertraut machen, mit Waffengewalt in die Kolonien einzurücken..Diese AuSfüh- rungen schlügen allen bisherigen Gepflogenheiten in der Stellung- nähme der deutschen Sozialdemokratie zur Kolouialfrage ins Ge- ficht. Er frage, wie fei es gekommen, daß das Amendement Levebonr-Kautsky im Plenum nicht angenommen worden ist? Warum hat Deutschland im Plenum in der Kolonialfrage seine ganzen Stimmen geschlossen für die Mehrheitsresolution in die Wagschale geworfen? Obwohl nun glücklicherweise die alte Taktik der deutschen Sozialdemokratie durch Annahme der Minderheits- resolution auf dem Kongreß festgelegt worden sei, schreibe die Sächsische Arbeiterzeitung"(der Artikel stamme wohl vom Ge-" nassen Dr. Gradnauer):Es gehört keine Prophetengabe dazu, urvj vorauszusehen, daß in dem Stuttgarter Beschluß bereits seine baldige Wftderaufhebuna lessnt. Dürch eine Art Zufalls-