d«r Klassenkampf ein notwendiges Ergebnis der sozialen Enk-Wickelung ist/ Der Artikel schildert zunächst das Verhältnis vonGeselle und Meister unter der Zunftordnung, dann die Auflösungder Zunft und Hausgemeinschaft und die sich daraus ergebendeWirkung auf die soziale Lage von Unternehmer und Arbeiter,wobei ersterer in eine immer höhere, letzterer in eine immer tiefereStellung gerät. Dann heitzt es:„So spaltet sich bei der neuzeitlichen Umschichtung des Wirt-schaftlichen und gesellschaftlichen Lebens das früher sozial geeinteGewerbewesen in zwei getrennte soziale Klassen.Diese Klassentrennung prägte sich nicht bloß aus in dersozialen Achtung, in der gesellschaftlichen Stellung, indie der Industriearbeiter sich versetzt sah; die Wandlung derDinge kam dem Arbeiter empfindlich zum Bewuhtsein durch ihreWirkung auf den materiellen Untergrund seinesDaseins, auf seine Subsistenzmittel. Er sah den Arbeit-geber, den Kapitalisten, höher und höher steigen, sah ihn reichwerden; sich aber sah er verurteilt, arm zu bleiben.Und doch wußte er, daß seine Arbeit, seine Mühe, seinSchweiß es war, der die großen Werke schaffen half, und ersah und wußte, daß seine Arbeit ebenso gut im Wirtschaftslebennotwendig war wie die Tätigkeit des Unternehmers; seinMenschheitsbewußtsein bäumte sich auf gegen die bloßeWertung als Arbeitstier und Maschinen-mädchen, und nicht lange, da schloß ein Band sich um dieAngehörigen der neuen Klasse, das Bewußtsein der Zu-sammengehörigkeit der Enterbten. Sie, die dieReichtümer der neuen Zeit mit erwerben halfen, wollten nichtimmer die Stiefkinder der neuen Zeit sein und ihreRechte sich wahren und, wenns sein muß, erobern inenergischem Kampfe. Und so konnte es nichtausbleiben, daß die beiden Klassen des mo-dernen Jndustrievolkes über kurz oder lang miteinander inGegensätze und Widerstreit gerieten: zumKampf von Klasse gegen Klass e."Das hört sich wesentlich anders an als das törichte Gefaseleüber den Klassenkampf als„sozialdemokratische Mache"zur Verhetzung der Massen. Der Klassenkampf wird von demchristlichen Blatte als notwendige Erscheinung der sozialen Ent-Wickelung hingestellt. Das ist immerhin ein Fortschritt,Ein Eselsfuhtritt.Die„W e s e r- Z e i t u n g", ein wirklich einflußreichesBlatt der Freisinnigen Vereinigung, übernimmt mitdiabolischem Behagen aus der„Voss. Z t g." die nichtsweniger als pietätvolle Leichenrede für Naumann, derenim„Vorwärts" gestern Erwähnung geschah. Die„Weser-Zeitung"bescheinigt Herrn Naumann, daß er seine Doppelmauserung ver-gebens zu beschönigen sucht. Sie leitet ihre Zitate aus der„Voss. Ztg. mit den Worten ein:„Scharf geht die„Voss. Ztg." mit dem Abg. N a u m a n n insGericht, der erst zu einem Volks stürm zugunsten desSache so darstellt, als habe er nichts anderes ge-wollt, als was die Freisinnige Volkspartei aufihrem letzten Parteitag bekundet."So verfährt ein Blatt derjenigen Partei mit HerrnNaumann, der dieser Herr selbst angehört!—Während die„Weser-Zeitung" in der Stäupung Naumannsgetreulich den Spuren der„Voss. Ztg." folgt, erlaubt sie sich gegen.über dem„Vorwärts" eine originelle Albernheit.Während nämlich die„Voss. Ztg." gesagt hatte, der„Vorwärts"überschütte neuerdings Herrn Naumann„mitbitteremSpottund Hohn",„verbessert" die„Weser-Zeitung" diese Wendungdadurch, daß sie den„Vorwärts" Herrn Naumann„mitWagen-ladungen Schmutzes" überschütten läßt!Das„saubere" Freisinnsblatt! ES nimmt keinen Anstand,diese„Wagenladungen Schmutzes" dann wörtlich seinenLesern zu servieren. Natürlich nur, um für den armenNaumann Sympathien zu erwecken!—Ein«e«rs Hamburger Berggesetz.Im Juni 1906 wurde von Senat und Bürgerschaft in Hamburgekn Gesetz geschaffen, wonach Steinsalz und andere auf derselbenLagerstätte vorkommende Salze von dem Verfügungsrechte des Grund-eigentümers ausgeschlossen sind und das Recht zur Aussuchung undGewinnung dieser Salze dem Staate vorbehalten bleibt. Zu jenerZeit hatten nämlich auswärtige Gewerkschaften mit Grundeigen-tümern des Amte? Ritzebüttel Verträge abgeschlossen, durch welcheden Gewerkschaften das Recht zur Aufsuchung und Gewinnung vonSalzen, Sole und Oelen auf den Grundstücken der betreffendenGrundeigentümer eingeräumt wurde. Durch das erwähnte Gesetzwurde das Regal nur auf Stein- und Kalisalze beschränkt, so daßdas Recht der Grundeigentümer zur Aufsuchung und Gewinnungvon Sole und Oelen unberührt blieb.Hieraus hat sich nun eine bunte„Rechtslage" ergeben, derdurch Ergänzung eines neuen Gesetzes, das am Mittwochabend dieHamburger Bürgerschaft beschäftigte, ein Ende gemacht wird. Dergrundlegende Paragraph lautet:„Mteinsalz und die mit diesem auf derselben Lagerstättevorkominenden sonstigen Salze sowie Sole, Kohle und Bituminasind von dem Verfügungsrechte des Grund-eigentümers ausgeschlossen. Das Recht zur Auf-suchung und Gewinnung dieser Mineralien stehtdemStaatezu und kann von diesem einem anderen übertragen werden. ImFalle der Uebertragung ist der Erwerber zu einer Weiterüber-tragung oder zur Ueberlassung der Ausübung des Rechts an einenanderen nur mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde befugt."Da nun aber zwei Gesellschaften— ein Hamburger Kon»sortium und die Internationale Bohrgesellschaft in Erkelenz— sichdurch Vertrag mit den Grundeigentümern des Amtes Nitzcbütteldas Ausbeutungsrecht auf die vom Gesetz von 1906 außer Betrachtgelassenen Mineralien gesichert haben, hat der Staat mit den beideninzwischen fusionierten Gesellschaften, die jetzt den Namen„Bohr-gesellschaft I, Gesellschaft mit beschränkter Haftung" führen, einenGesellschaftsvertrag abgeschlossen, wonach dieser Firma das aus-schliehliche Recht verliehen wird, im Gebiete des Amtes Ritzebüttelauf Stein- und Kalisalze sowie auf alle anderen Mineralien zuschürfen. An den erforderlichen Tiefbohrungen, die etwa 300000Mark kosten werden, beteiligt sich der Staat mit 10 Proz.WaS später geschehen soll, deutete der die Senatsborlage ver-tretende Senatssyndikus Dr. Schaeser nur an:„Haben dieBohrungen den Erfolg, daß Mineralien gefunden werden— unddie ganzen Chancen sollen keineswegs ungünstig sein—, so istdann der Moment gekommen, in dem da? eigentliche Bergwerks-unternehmen ins Leben gerufen werden muß. Zur Errichtung einessolchen ist natürlich die Gesellschaft mit diesem Kapital nicht inder Lage, da schon ein einziger Schacht 2 bis 3 Millionen kostet.Die Gesellschaft würde dann eine neue Gesellschaft gründen, undan dieser Bergwerksgesellschaft soll der Staat sich zunächst nichtbeteiligen, ihm aber das Recht zustehen, innerhalb eines Zeit-raumes von fünf Jahren nach begonnener Förderung, also zueiner Zeit, wo die Rentabilität zu übersehen ist, s i ch m i t e b e n-falls 10 Proz. zu beteiligen."Nach Ansicht des Senats, der die Regie von sich weist, soll dieAnlegung großer industrieller Unternehmungen nicht zu den Auf»gaben des Staates gehören.(I) Genosse Paeplow beantragtedie Ueberweisung deS Gesetzes an einen Ausschuß, der prüfensoll, ob es nicht möglich sei, den Bergwerksbetrieb instaatliche Regie zu nehmen. DeS weiteren bekämpftRedner die in den Verträgen vorgesehene hundertjährigeVertragsdauer und verlangte einen umfassenden Arbeitcrschutz,den der EenatSkommissar schon in den Vorschriften der Gewerbe-ordnung für ausreichend hält.Der Antrag Paeplow wurde abgelehnt und die gesamteVorlage— Gesetz und Verträge— angenommen. Warumsollte man sich auch die Aussichten auf ein keines Geschäftruinieren?—Gelsenkirchcner Stadtkafsenverhaltnisse.Gelsenk irchcn, den 20. September.In der gestern abend abgehaltenen Stadtvcrordnetensitzung be-faßten sich die Stadtväter mit der an der hiesigen Stadtkasse be-gangenen Unterschlagungen. Oberbürgermeister Dr. Machens gabeine ausführliche Darstellung der Vorkommnisse. ES handelt sich umdie Bureaubeamten Thiemann und Bin!, sowie um die Steuerkassen-beaniten Loos und Koch. Thiemann hat die eingenommenen Gelderfür Jagdscheine, Kostgänger- und Radfahrerkarten im Betrage von1400 Mark unterschlagen. Der Schaden ist gedeckt. Bink hat dieGelder für Erbbegräbnisse und dergleichen unterschlagen. Die unter-schlagene Summe beträgt 3000 M. Diese ist noch nicht gedeckt. DerKassenbeamte Loos hat 18 600 M., sein Kollege Koch 30 000 M.unterschlagen. Die letzte Summe ist zurückerstattet.In der Sitzung fragte Stadtv. BenthauS, ob eS wahrsei, was die Spatzen von den Dächern pfiffen, daßin den letzten Tagen wieder eine neue Unter-schlagung entdeckt sei. Es handele sich um die Ver-untrenung von Ueberstundengelder».Oberbürgermeister Dr. Machens bezeichnete es als einen nieder-trächtigen Streich eines Beamten. Er wolle diesem Beamten zeigen,was Beamtenehre sei. Es sei eine Gemeinheit, daß solche Dingein die Oeffenllichleit gebracht würden. Dieser Fall könne nur ingeheimer Sitzung verhandelt werden. Das Kollegium beschloß, dieSache im geheimen zu verhandeln nnd vertagte sich hierauf.Preßsünder.Die Ferienstrafkammer zu Frankfurt a. M. verhandelte amDonnerstag gegen den früher als verantwortlicher Redakteurder Frankfurter„Volks st imme" zeichnenden, wegen Be-leidigung angeklagten Genossen Adolf K a r st. Die..Volksstimme"brachte am 22. Juli eine Kritik über die bekannte Affäre desftüheren Wiesbadener Postarztes S ch c l l e n b e r g, der gemäß-regelt wurde, weil er bei der Reichstagsstichwahl von seinem„fteien" Wahlrecht Gebrauch machte und anstatt für den national-liberalen für den sozialdemokratischen Kandidaten stimmte. ImAnschluß daran gab die„Volksstimme" einer Zuschrift Raum, dieallerlei Verhältnisse im Oberpoftbezirk Frankfurt a. M. besprach.Es wurde darin dem Oberpostdirektor Maier der Vorwurf ungerecht-fertigter Bevorzugung katholischer Postbeamtenund Postunterbeamten bezw. ungerechtfertigter Zurücksetzungevangelischer Postbeamten gemacht. Dadurch fühlte sichdieser beleidigt und er sowie Staatssekretär Krätke stellte Straf-antrag. Die Vorwürfe konnten in der Verhandlung nicht bewiesenwerden und wurden zurückgenommen. Es kam ein Vergleich zu-stände, wonach Genosse Karst 60 0 Mark Buße bezahlt, wennStaatssekretär Krätke seinen Strafantrag ebenfalls zurückzieht.Morenga entwichen.Nach einem telegraphischen Bericht deS Gouverneurs ausWindhuk hat Morenga den Oranje verlassen und ist aufenglischem Gebiete mit zwanzig Gewehren nach Norden ausgewichen,er wird sich hiernach nicht stellen. Die Engländer hoffen, mitdeutscher Unterstützung Morenga noch einzuholen. Das Zusammen-wirken mit der Kappolizei funktioniert gut."Hoffentlich wird durch Morengas Flucht nicht folgende amtlicheAnkündigung widerrufen:Berlin, 21. September. sW. T. B.) Nach telegraphischerMeldung aus Südwestafrika wird beabsichtigt, im Oktobermit den Heimsendungstransporten in dem Maßewieder zu beginnen, daß Ende November die Schutztruppedenetatsmäßigen Stand von 4000 Mann erreicht hat.DeS einen Morengas wegen wird man ja wohl nichtTausender von Mannschaften mehr benötigen I6000 Mann sollten doch wohl genügen, wenn Deutschland nichtfür das Ausland zumGefpött werden soll l—Schweiz.Aufhebung des Advokaturmonopols in Genf?Genf, 19. September. sEig- Ber.) In Uebereinsttmmung miteiner bezüglichen Volksinitiative legt unsere Kantonsregierung demGroßen Rat folgenden, einen einzigen Artikel umfassenden Gesetz-entwurs vor:„Jede Person, die im Besitze der bürgerlichen Handlungsfähig,keit ist, kann Rechtsstreitigkeiten selbst ausführen oder sich durchandere zivilrechtlich handlungsfähige Bürger vertreten lassen."In anderen Kantonen, z. B. Zürich, hat man im Gegensatzdazu die Freiheit der Vertretung vor Gericht aufgehoben unddas Advokaturmonopol eingeführt. Die rationellste Lösung derFrage bestände unzweifelhaft in der von der Sozialdemokratie ge-forderten Unentgeltlichkeit der Rechtspflege.Chuia.Hongkong, 21. September. Die Aufstäudischen 2000an Zahl— haben die Stadt Liu-tschau bestürmt, wurdenaber beim Ersteigen der Stadtmauern zurückgeschlagen. DerHauptmann der kaiserlichen Truppen ist gefallen. Die Miß-stimmung im Distrikt von Kau-tschau nimmt größere Alls-dehnung an.—Himriha.Das„Land der Freiheit".Dem„B. T." meldet ein Kabeltclegrmnm:New York, 20. September.Das Einwanderungsdepartement hat beschlossen, die Anar-chistin Emma G o l d m a n n, die zuletzt bei dem Anarchisten-kongreß im Haag weilte und sich dann nach den VereinigtenStaaten eingeschifft hat, auf amerikanischem Bodennicht zuzulassen. Der Beschluß, der den An/ömmlingals„unerwünschten" Einwanderer bezeichnet, wird damit be-gründet, daß die Goldmann Russin und nicht in Amerikanaturalisiert ist, auch seinerzeit als Mitschuldige an der Er-mordung des Präsidenten Mac Kinleh in Haft gewesen ist, ob-schon damals die Beweise zu ihrer Bestrafung nicht ausreichten.» �«Die„freie Republik" macht unter Roosevelts„glorreicher"Leitung ganz gewaltige Fortschritte— der Reaktion entgegen.Die amerikanische Bourgeoisie pflegt sich, wenn sie nach dem„dunklen Europa" herüberkommt, Wunders wie aufzuspielen; siepocht auf ihre amerikanischen„Freiheiten" und bespöttelt unseremittelalterliche Zurückgebliebenheit. Wir leugnen nicht, daß unserepolitischen Zustände sich mit denen der Vereinigten Staaten nichtmessen können, aber den Uebcramerikanern, jenen AankeeS, die sichgar zu sehr mit ihrer transozeanischen„Freiheit" aufspielen, sollteder neuere amerikanische KurS doch zu denken geben. Sie habenalle Veranlassung, ihrem Präsidenten, ihrem Senat, ihren Be-Hörden scharf auf die Finger zu schauen, damit rhr„freies"Amerika bor der VerpreußungSgcfahr bewahrt bleibe.DK ruffifche(Revolution.Die Wahlaussichten der Opposition.Auf der letzten Plenarsitzung des Zentralkomitees ber Ka-dcttcnpartei wurde von A. Smirnoff ein Bericht verlesen, der aufGrund des Zahlenmaterials der verflossenen Wahlen die jetzigenWahlaussichten der Opposition abzuschätzen sucht: Von 4384 Wahl-männern in 46 Gouvernements des europäischen Rußlands kanndie Opposition danach auf 1660 Stimmen oder 38 Proz. lgegen63,7 Proz. im Vorjahre), die äußerste Rechte auf 32,6 Proz.(gegen27,7 Proz. im Voriayre) rechnen. Der Rest entfällt auf me Okio-bristen und„Gemäßigten". Die Chancen der Opposition haben sichdemnach ungeachtet des ungeheuerlichen WahlrechtSraubeS vom16. Juni weniger verschlimmert, als ursprünglich erwartet werdenmußte.Noch günstiger gestaltet sich die Lage bei Betrachtung der ein«zelncn Gouvernements. In 6 Gouvernements mit 51 Abgeordnetenhat die Opposition jetzt schon die absolute Majorität in den Wahl-männerversammlungen. In 14 Gouvernements mit 103 Abgeord-neten ist die Zahl der oppositionellen Wahlmänner nahe zur ab-soluten Majorität. In der dritten,„neutralen", Gruppe, die auS17 Gouvernements mit 130 Abgeordneten gebildet wird, steht dieOpposition hinter den Rechtsparteien nur wenig zurück. In 6 Gou-vernements mit 49 Abgeordneten hat die äußerste Rechte einenbedeutenden Vorsprung vor der Opposition, und nur in 4 Gouver-nements mit 30 Abgeordneten besitzt die äußerste Rechte die ab-solute. Majorität. Da die Oktobristen allem Anschein nach mit derextremen Rechten Hand in Hand gehen werden, kann die Oppositionalso auf die ersten zwei Gruppen(mit zirka 160 Abgeordneten!ernstlich rechnen. Wenn in Betracht gezogen wird, daß das neueWahlgesetz in 27 von 61 Gouvernements die absolute Majoritätauf den Gouvernementsverfammlungen den Junkern fürsorglichgesichert hat, muß dieses Resultat berechtigtes Staunen erregen.Besondere Beachtung verdienen die Ausführungen desselbenAutors(„Rjetsch", 16. September) bezüglich der Wahlaussichtender Opposition in den Städten. DaS neue Wahlgesetz hat be-kanntlich in den Städten ein Zweiklassenwahlsystem cingeführk,wobei in der ersten Klasse 738, in der zweiten 670 Wahl-männer gewählt werden, obwohl die Zahl der Wähler hier sechsmalgrößer ist als in der ersten. Daß die Opposition in der zweitenKlasse siegt, daran zweifelte sogar die Regierung nicht, unddeshalb entrechtete sie die Kleinbürger und Arbeiter in der zweitenKlasse zugunsten der Hausagraricr und Großindustriellen in derersten. Nun konstatiert Smirnoff auf Grund der Berichte der Tele-gierten auf der jüngsten Kadettenkonferenz, der Enquete der Mos-kauer Kadetten, seiner eigenen Informationen und der Berichteder Provinzpresse, daß in 104 Städten, d. h. in einemfünftel aller Städte von 61 Gouvernements.7 Proz, aller Wahl männer in der ersten Klassezur Opposition gehören werden!—Wenn diese Schlüsse für alle Städte der 61 GouvernementsAnwendung finden, so könnte angenommen werden, daß von den738 Wahlmännern der ersten Klasse 426 zur Opposition gehörenwerden. Zusammen mit der unzweifelhaft oppositionellenMajorität in der zweiten ergibt das für die Opposition eineAnhängerschaft von 71 Proz. unter den städtischen Wahlmännern.—Die„schöpferische" Tätigkeit Stolypins hat es also glücklichdahin gebracht, daß sogar in den Kreisen der Großbourgeoisie dieoppositionelle Stimmung um sich greift.„Unsere Interessen gehenmit den Interessen des Junkertums auseinander", erklärten dieGroßkaufleute in Kaluga, und diese Ansicht wird zweifellos voneinem bedeutenden Teil der russischen Bourgeoisie geteilt. Langsam,aber sicher vollzieht sich die Isolierung der feudal-burcaukratischenReaktion.Nene Ausnahmeverfügungen gegen die Sozialdemokratie.DaS Ministerium des Innern hat für die Vertreter der Ad-ministration eine neue Instruktion ausgearbeitet, die bei der Ab»Haltung von Wahlversammlungen beobachtet werden soll. Diealten Einschränkungen der BersammlungS- und Redefreiheit, disnur die russische„Konstitution" hervorzubringen vermochte, sollenauch während der bevorstehenden Wahlkampagne aufrechterhaltenwerden; außerdem aber soll folgende Regel in Kraft treten:„Wennin der Bcrsaminlung die Aufforderung laut wird, ausschließlich zumZweck der Propagauda in die Duma zu gehe», so genügt das, umdie Versammlung unverzüglich aufzulösen."—Diese Mahregel ist— wie leicht ersichtlich— ausschließlichgegen die sozialdemokratische Partei gerichtet. Welche Folgen siewährend der Wahlkampagne zeitigen kann, ist nicht schwer zu er-messen.Gleichfalls von dem Wunsche diktiert, die Agitation der So»zialdemokratie lahmzulegen, ist das Rundschreiben, das der Vor-stand des Petersburger Fabrikantenverbandes— offenbar im Einvernehmen mit der Administration— am 9. September an dieVerbandsmitglicder erlassen hat. Unter Hinweis auf die obli-gatorische Verfügung des Stadthanptmannes vom 14. März cmp-fichlt der Verbandsvorstand, die Abhaltung von Arbeitcrvcrsamm-lungen auf den Fabriken— darunter auch von Wahlversammlungen— um keinen Preis zuzulassen, da„die Arbeiter sich nach derFabrikordnung ausschließlich während der Arbeitszeit und nur zurAusübung der ihnen laut dem Dicnswertrag auferlegten-Arbeitenauf der Fabrik aufhalten dürfen".— Diese Auslegung der Rechteder Arbeiter steht in krassem Widerspruch zu dem Wahlgesetz selbst,das den Arbeitern direkt vorschreibt, sich zur Ausübungihrer Wahlpflicht in den Fabrikräumen zu versammeln. Währendder Wahlen für die erste und zweite Duma fanden solche Ver-sammlungen auf allen Fabriken statt/ und auch sonst waren Ar-beiterversammlungen in den Fabrikräumen keine Seltenheit. Jetztaber schreiten die Scharfmacher im Unternchmerverbande, im Bundemit der Administration, gegen diese Errungenschaft, gegen diesesgesetzliche Recht der Arbeiter ein, um ihnen vollends die Mög-lichkeit zu rauben, an der Wahlkampagne teilzunehmen.Blinde Rachgier.Lodz, 21. September. Von den verhafteten Arbeitern derFabrik von Silberstein wirb jeder dritte nach Sibirien deportiertwerden,Ge�erksebaMicbes.Steine ans den Einigungsweg!Die Frage der Einigung zwischen den Zentralberbändenund den der„Freien Vereinigung" angeschlossenen Verbänden.gewohnheitsmäßig„Lokalisten" genannt, hat nie eine fach-lichere Erörterung erfahren, als auf dein gestern zu Endegegangenen Parteitage tn Essen. Uns hat eS besondersangenehm berührt, und praktisch, wird es von den bestenFolgen sein, daß dort die Vertreter der Zentralverbände alsdie offenbar Stärkeren nicht auf eine gewaltsame Entscheidungdrängten, sondern selbst dafür eintraten, man möge nocheinmal Zeit für den Abschluß des Einigungswerkcs geben,daS iin Interesse der Arbeiterschaft allerdings unerläßlich sei.Wir können es nicht als gerechtfertigt ansehen, aber wirmüssen es natürlich als von ehrlicher Ueberzeugung diktierthinnehmen, wenn auch jetzt noch eine nicht unerhebliche An-zahl von Mitgliedern der„Freien Vereinigung" sich gegen denZusammenschluß mit den Zentralverbänden erklären. Auch derGenosse Kater, der unter der Ueberschrift„Dun res agitur"in der„Einigkeit" das Wort nimmt, um der NichteimgfcntdaS Wort zu reden, hat das unbestreitbare Recht, seineMeinung redlich zu vertreten. Leider verläßt er in seinemArtikel den Standpunkt der Sachlichkeit und versteigt sich u. a.dort zu einer Verdächtigung der Einigungsfreunde in denReihen der„Freien Vereinigung", die eine Kritik in derüblichen parlamentarischen Form beinahe unmöglich macht.Fritz Kater schreibt:„Alle„Einigungen", die bisher auf diesem Gebiete statt«gefunden, sind klassische Zeugen für obige Sätze, sie sind zumeistauch nur zustande gekommen, weil für gewisse Personenschon vorher die gewünschte»LebenSstelluno"