Nr. 224. 24. Jahrgang.1. Irilop to Jatmiitls" Knlim JolbMnlt.Pittmifi, 25. Zeplmbn IM.Die Partelprefle über den Parteitag.„Bolsbote"(Stettin):„Prinzipielle Gegensätze sollten eigentlich innerhalb derdeutschen Sozialdemokratie nicht bestehen über die beiden FragenMilitarismus und Kolonialpolitik, die diesmal in so auffälligerJorm vor dem Parteitag erörtert wurden. Wir halten aber auchdie Befürchtung solcher prinzipieller Differenzen für grundlos.Die deutsche Sozialdemokratie ist sich völlig einig in ihrerprinzipiellen und energischen Bekämpfung des Militarismus, dersich nach dem Willen seiner interessierten Lobredner nicht so sehrgegen den äußeren, als vielmehr gegen den inneren Feind, widerdas arbeitende Volk, die klassenbewußte Arbeiterschaft richten soll.Tie erregte Auseinandersetzung über den Fall Noskc erscheint unswenig angebracht. Auch uns haben manche Partien der Reichstags-rede des Genossen Noske nicht gefallen, aber deshalb glaubten wirdoch nicht, daß damit eine Revision unserer militärpolitischenHaltung inszeniert werden sollte. Nun soll im Kriegsfalle dieHaltung der Partei von der Frage, ob Angriffs, oder V e r-teidigungskrieg, abhängig gemacht werden. Wir halteneinen solchen Standpunkt für falsch und die Fragestellung fürirreführend, stimmen vielmehr hier dem Genossen Kautsky zu,der in solchen Fällen die Haltung des Proletariats durch dieInteressen des proletarischen Befreiungs-.kämpf es bestimmt wissen will. Als bestes Mittel zur energi-schen Bekämpfung des völkcraussaugenden Militarismus erscheintuns immer noch die eifrigste Aufklärungsarbeit in den Arbeiter-massen. Haben wir nur erst die Köpfe dieser Massen, nun. so wirduns später das übrige auch nicht mehr so schwer fallen.Noch ein Wort zur K o l o n i a l d e b a t t e. Das erfreulicheErgebnis ist: die Partei verharrt der kapitalistischen Kolonial-Politik gegenüber in scharfer Oppositions st eilung, wasnatürlich nicht ausschließt, daß sich wie bisher auch unsere Genossenim Reichstage für die Verbesserung der sozialen Lage der koloni-sierten Völkerschaften zu bemühen haben...."„Königsberger BolkS-Zeitung":„Genosse Bebel machte wieder den Unterschied zwischen Ver-IcidigungS. und Angriffskriegen; er meinte so ungefähr, wennDeutschland zum Angriff gegen daS Ausland vorgehen würde,so würde das Herz der deutschen Arbeiterklaffe natürlich nicht fürden Sieg der germanischen Eroberer schlagen; wenn aber unserVaterland angegrisfen würde, so würden wir sogar, soweit wirnicht militärpflichtig sind, voll Begeisterung den Schießprügel er-greifen, um Deutschland zu verteidigen. Und auf den Einwand,daß die besitzenden Klassen sich immer als die Angegriffenen hin-stellen würden, meinte Bebel, an unserer Einsicht würde der Ver-such scheitern, einen Angriffskrieg in einen Verteidigungskriegumzulügen. Wie leicht der Unterschied zu machen sei, gehe—so meinte Bebel— daraus hervor, daß zum Beispiel im oft-asiatischen Kriege unzweifelhaft Japan der Angreifer gewesen. Eskommt aber nicht darauf an. wer zuerst die diplomatischen Be-Ziehungen abbricht oder den ersten Schuß abfeuert. Wenn Japanals Angreifer Ruhlands gelten soll, so waren im Burenkriege dieEngländer die Unglücklichen, die zur Verteidigung genötigt waren.Japan mußte jeden Tag fürchten, daß Rußland den Anfang macht.Es ist kein durchsichtiger bürgerlicher Schwindel, densozialdemokratische Weisheit entschleiern kann, wenn beide Teilenach Ausbruch eines Krieges behaupteten, angegriffen zu sein;auch bei Schlägereien glauben zumeist beide Parteien in Notwehrgehandelt zu haben und die Gerichte sind ungerecht, wenn sie nureinem von beiden Teilen Glauben schenken....Mit Genugtuung erfüllt uns daher die Annahme deS An-irageS, der uns die Agitation unter der Jugend zur Pflicht macht.Wir freuen unS. daß die von uns gebilligten Beschlüsse deS i n t e r-nattonolen Kongresses, also auch der über dieK o l o n i a l f r a g e, die einstimmige Billigung deS Parteitagesgefunden haben. Mit Genugtuung erfüllt eS uns, daß die vonunS eingehend begründete Notwendigkeit eineS Nachrichten»b u r e a u s für unsere Parteipreffe vom Parteitag nicht verkanntworden ist. Die Annahme des Antrages Wurm zur Alkohol,frage entspricht unserem Standpunkt; gegen die Regelung.welche die Maifeierfrage gefunden hat, haben wir Ein-wände nicht zu erheben. Hoffentlich werden Parteivorstand undGeneralkommission einen praktischen Weg zur Unterstützung deranläßlich der Maifeier Ausgesperrten ausfindig machen. Dieprinzipiellen Bedenken gegen die Unterstützung halten wir für un-begründet; wir sehen darin keine Abschwäckmng der Maifeier. ImGegenteil! Die Beteiligung an der Arbeitsruhe kann nur wachsen,wenn die Arbeiter wissen, daß der einzelne die Folgen eineretwaigen Maßregelung nicht allein zu tragen braucht."„Sächsische Arbeiterzeitung"(Dresden):»... Während in Stuttgart(!8g8) jene Periode begann, inder die Meinungsverschiedenheiten unter den Parteimitgliedernzu immer erregteren Auseinandersetzungen und zu schweren Schädi»gungen der Partei führten, welche Periode ihre extremste EndWickelung auf dem Parteitag in Dresden fand, erscheint nun aufdem Parteitag in Essen die Partei in demWillen einig, daß Meinungsverschiedenheitennimmermehr in Bruderzwist ausarten dürfen,daß ruhige Würdigung der Ansichten anderer und parteigenössischeToleranz die Vorbedingungen sind für die absolut notwendigeEinigkeit der gegen eine Welt von Feinden kämpfenden Arbeiter-klaffe, für die zu erhaltende und zu stärkendeAktionskraft deö deutschen Proletariats.... Die Frage des P r e tz b u r e a u S ist in größter Sachlich-keit zur Erledigung gelangt, so daß auch diejenigen— und es sindderen wohl nicht wenige—, die Bedenken gegen die VerstärkungdeS zentralistischcn ParteiapparatcS haben, auf jede Erörterungim Plenum verzichten konnten. Dann hatten wir die größerenAuseinandersetzungen über die Militär-, Kriegs- undK o l o n i a l f r a g e. Es waren nur leichtere Plänkelgefechte. ESgab keine neuen Entscheidungen, Festlegungen oder gar Ver-dammniSbeschlüsse, eS gab aber auch keinen Anlaß zu fortdauernderVerbitterung, vielmehr konnte der eine vom anderen lernen, undjeder wird, obfchon diese Auseinandersetzungen nicht einmal sehreingehende und systematische waren, Gewinn daraus schöpfen.Unser Urteil über diese Frage selbst haben wir sckon in den früherenArtikeln vom Parteitag ausgesprochen. Es genügt, nochmals zumAusdruck zu bringen, daß der Parteitag, indem er einmütig die Bc-schlüsse des Stuttgarter Internationalen Kongresses billigte, d i eentschiedene Kampfes st eilung der Partei gegenalle Ungerechtigkeiten des Militarismus.gegen alle K r i e g s t r e i b e r e i e n und Völker-Verhetzungen, gegen alle K u l tu r w i d r i g k e i t e nder kapitalistischen Kolonialpolitik durchausbekräftigt hat."„Tribüne"(Erfurt):»... DaS Prcßbureau ist zur Tatsache geworden, möge ese?ne gute Waffe zur Verbreitung vermehrter Aufklärung werden.Die„Militärfrage" ist im besten Sinne gelöst worden, indem durchdie scharfe Debatte die Notwendigkeit für alle kräftig unter-sirichen wurde, den Kampf gegen den Militarismus in der ent-schiedensten. ober an den weithin sichtbaren Stellen der Partei auchin der klarsten und grundsätzlichsten Weise zu führen.Dem Mißbrauch mit dem nicht glücklichen Ausspruch vom„dieFlinte auf den Buckel nehmen" ist damit ein•Stiegel vorgeschoben.Für das Proletariat können in der Kriegsfrage nur immer d i ewirklichen Interessen des Proletariats dieeinzig mögliche Richtschnur geben...»In der Kolonialfrage ist durch einstimmige Sanktion derStuttgarter Resolution bis auf weiteres eine Situation geschaffenworden, die in ihrem Ergebnis wohl klar ist, deren Weg aber keineungemischte Befriedigung gewähren kann. Gleichwohl hat hierder Parteitag das erhoffte Richtige getroffen.Ueber die Ergebnisse und Lehren der ReichstagSwahl ist sogehandelt worden, wie daS nicht anders denkbar war. Das„Niederreiten" kann nur den schärfsten Klassenkampf stärken, der,wie Bebel glücklich betonte, durch Erweiterung der Grenzen, durchtaktvolle Heranziehung aller Schichten, die am Kapitalismus keinInteresse haben, noch umfassender zu machen ist."„BolkSblatt"(Halle):„Anläßlich deS von Singer erstatteten Berichtes über deninternationalen Kongreß in Stuttgart lebte die Streitfrage wiederauf, ob von einer sozialdemokratischen Kolonialpolitik gesprochenwerden dürfe oder nicht. David geriet mit Kautsky und Ledcbourhart aneinander; doch schon nach wenigen Stunden der Debattehatte der Parteitag das Interesse an weiteren Auseinander»setzungen über diese Frage verloren, nachdem sich— was vonvornherein selbstverständlich gewesen war— herausgestellt hatte,daß in der Verurteilung der kapitalistischen Raubpolitik in denKolonien keinerlei Meinungsverschiedenheit bestand und gleicheUebereinstimmung darüber herrschte, daß der Sozialismus bc-rufen sei, auch den Völkern in den Kolonien wirkliche Kultur zubringen. Einige Heißsporne wollten zwar Bebel nicht recht geben,der gesagt hatte, das Ganze sei eigentlich nur ein Streit umWorte; aber der Parteitag ließ in seiner übergroßen Mehrheitkeinen Zweifel aufkommen, daß er der gleichen Meinung sei."„BolkSblatt"(Bochum):„Der Parteitag ist zu unserer Freude harmonisch verlaufen.und die agitatorische Wirkung, die für unser Revier davon zu er-warten ist, wird nicht zu unterschätzen sein. Die Auseinander-setzungen über die Militär- und die Kolonialfrage waren zwarnicht ganz frei von unangenehmen Nebenerscheinungen, im großenund ganzen verliefen sie in angemessenen Formen.Der politische Ertrag der Verhandlungen hätte größer seinkönnen. Die Ablehnung der Behandlung der Wahlrechtsfrage fürdie Einzelstaaten hatte von vornherein die Möglichkeit ahgeschnitten,die einzige brennende Frage der Gegenwart, die Frage des preu-ßischen WahlechtS, ausgiebig zu behandeln. Sie hätte sich aller-dings noch bei Besprechung der Reichstagswahlcn und der poli-tischen Situation behandeln lassen. Die preußische Wahlreformist ein Bestandteil der Blockpolitik im Reiche, unmittelbar mit ihrverknüpft. Der Parteitag selbst hätte durch gründliche Bchand-lung der Frage gewonnen, und er hätte erheblich dazu beitragenkönnen, die Erkenntnis von der Notwendigkeit und DringlichkeitdeS Kampfes ums preußische Wahlrecht gerade jetzt immer weiterauszubreiten und immer tiefer und fester in die Köpfe zu hämmern,Die deutschen, insbesondere die preußischen Arbeiter müssen er-kennen lernen, daß es für die Arbeiterklasse Deutschlands kein Heilgibt, bevor nicht die preußische Junkerherrschaft gestürzt ist; dieJunkerherrschaft aber dokumentiert sich im preußischen Klaffen-und Herreuparlament."_Fracft— Aasten rock!Ist schon die Medizin, die Lehre vom kranken Menschen, einedemokratische Wissenschaft— vor dem Tode sind wir alle gleich—.so kann man Hygiene und Demographie fast als sozialdemokratischdenunzieren. Oeffentliche Gesundheitspflege und Völkerstatistik habeneS vorzugsweise mit der Masse der Besitzlosen zu tun, sie lehrenauf allen Blättern die Abhängigkeit deS Einzelnen von der Gesamt-heit, den Zusammenhang zwischen sozialer Lage und Gesundheit,zwischen Elend und Epidemien; sie wirken aufreizend und verhetzend,indem sie die Wohnungsmisere und die Sterbeziffern der Armenfeststellen, die Abhängigkeit der Eheschließungen, der Geburten, derSlerbefälle von der Verteuerung der Lebensmittel zahlenmäßig beweisen; sie bereiten selbst den Boden vor für eine zukünftige,kollektivistische Gesellschaft, indem sie die hygienischen Forderungenfeststellen, welche beim Zusammenleben von Menschenmassen untergleichen Bedingungen, in den modernen Riesenstädten, in Häusern,Schulen, Arbeitsstätten usw. erfüllt werden müssen.Von Demokratie und sisif Sozialdemokratie ist nun freilichbeim internationalen Kongreß für Hygiene undDemographie, der beute im Volkshause des Deutschen Reicheszusammentritt, nichts zu spüren. Für den Geist, welcher diese wissen-swastliche Tagung beseelt, läßt sich kaum ein besseres, bez ichnenderesMerkmal auffinden— ex ungue leonem")!— als die Sorgfaltbezüglich der den Mitgliedern, resp. Besuchern vorgeschriebenen—Kleidung. Frack oder Waffenrock— das ist seine Devise.Zur Eröffnung des Kongresses und der Hygieneausstellung amMontag heißt es:Anzug: Frack. Waffenrock;zum Empfang des Kongresses durch die Stadt im RathauS amDienstag:Anzug- Frack. Waffenrock;zum Festmahl am Mittwoch nachmittag im LandeSauSstellungSpark:Anzug: Frack. Waffenrock;zur Festvorstelliing in den kgl. Theatern am DonnerstagAnzug: Frack, Waffenrockusw.Doch nein, für die beiden letzten Kongreßtage finden wir aus-drücklich iin Programm vermerkt: Anzug beliebig. Nunmehr dürfenauch diejenigen minderwertigen Elemente, die weder einen Waffen-rock noch Schwalbenschwänze aufzuweisen haben, an den verbleibendenfestlichen Veranstaltungen teilnebmen.Kein Wunder daher, daß mich, als ich heute um die Mittagszeit,von der Praxis kommend, in meinem„beliebigen" Anzug und sogarohne Zylinder daS ReichStagSgebäude betrat, der am Eingang postierteBeamte scharf musterte und fragte, ob ich Kongreßmitglied sei unddiese Befragung mit Auge und Mund ein zweites und drittes Malwiederholte, als ich mehrmals Portal lV zu passieren wagte.Man glaube nur nicht, daß diese Betonung des Kleiderzermoniellsauf solchen Kongreßlagungen überall sonst gang und gäbe wäre.Als ich 1834 am X. internationalen Kongreß für Hygiene undDemographie in Budapest teilnahm, habe ich nichts davon gc-spürt, geschweige denn ausdrückliche Bestimmungen darüber wiehier in allen drei Kongreßsprachen im Programm gefunden. Nein,das ist eben Preußen. daS Land der Dreiklassenwahl. desKastengeistes und Standesdünkels, in dem die„Kanaille" nichts zusagen hat, in dem die gesellschaftliche Klassenscheidung sich selbst inden lokalen Verkehrsmitteln dokumentiert, in dem oie Minister inEskarpinS zu Hofe befohlen toerden; das Land, in dem auch„beimZivil" der Mensch nichts, der Reserveoffizier alleS gilt, das Land,in dem ein Hochschullehrer ungestraft, selbst ohne Widerspruchzu finden, die Universitäten als die Leibgarde der Hohenzollern bezeichnen konnte.Dieser Geist der preußischen Subordination und Disziplin, derin Frack und Waffenrock eingeschnürten Wissenschast kennzeichnet dieganze Organisation des Kongresses. Wir zweifeln nicht, die Kongreß-lcitung wird mit Glanz die fürchterliche Aufgabe bewältigen, 4S00Menschen— so viele Mitglieder aus aller Herren Länder sollen be-reit» eingezeichnet sein--- eine Woche fast ununterbrochen zu unter-halten und zu amüsieren. Ob aber die Wissenschast dabei zu ihremReckt kommen wird, ob die bei solchen Maffenaufgeboten längst zurNebensache gewordene ernste Arbeit(„Zweck des Kongresses ist diewissenschaftliche und praktische Forderung der gesamte» hygienischen") An der Kralle erkennst Du den Löwen, an kleinen Aeußer-lichkeitcn das Wesen.und demographischen Bestrebungen") durch all den offiziellenKlimbim mit seinem kostspieligen Prunk und Pomp, dieFestreden und Festessen, die Empfänge und Ausflüge, die Konzerteund Theatervorstellungen, mit einem Wort: durch Frack und Waffen-rock nicht ganz erdrückt werden wird, das muß diese Woche zeigen.Die Konareßordnuna setzt für Referenten und Korreferentenhöchstens je 20 Minuten fest, eine Zeit, die gerade ausreicht,� diebereits gedruckt vorliegenden Thesen zu erläutern, nicht irgend einThema wissenschaftlich zu behandeln— mein Referat in Budapestnahm nrehr als die doppelte Zeit in Anspruch. Und für die DiS-kussion stehen gar den Rednern 5,. sage und schreibe: fünf Minutenzur Verfügung, mehr als zweimal darf niemand bei demselbenGegenstand das Wort ergreifen. Echt preußische FreiheitlIch fürchte, es dürften nicht niele den Mut haben, überhauptanzufangen, immer in der Angst, nach fünf Minuten guillotiniertzu werden— und, wer weiß? Vielleicht steckt hiittcr diesemArtikel 10 diese geheime Absicht; wozu lange diskutteren und damitdie pünktliche und vollständige„Erledigung" des Programms inFrage stellen!Und von echt preußischem Geiste zeugt auch Arttkel S, nach demdem OrganisattonSkomitce ohne weiteres das Recht zusteht,„ihmnicht geeignet erscheinende Personen von der Mitglied-schaft auszuschließen"— also auch Leute ohne Frack und Waffenrock,Herren oder Damen, die sich zwar„wissenschaftlich oder praktischmit der Hygiene und Demographie beschäftigt haben" und bereitsind, die 20 M. als Mitgliedsbeitrag abzuladen. aber deren Nasedem Komitee nicht gefällt.Als ich gegen 2 Uhr einen Blick in die Ausstellung werfenwollte, die programmmäßig um 1 Uhr durch den Kronprinzen er«öffnet werden sollte, wurde den zahlreichen Einlaß begehrendenMitgliedern bedeutet, daß es noch mcht so weit wäre— jetzt kämenerst die hohen und höchsten Herrschaften und andere bevorzugteMitglieder dran— die Uniformierten hatten den Vortritt. Ja, ja—Frack und Waffenrock IArme Hygiene!Arme Demographie 1 Z.voll der Lukherrlchast der StadtBerlin.Als vor kurzem Professor Wagner gegen die Berliner städtischeVerwaltung auf dem Evangelisch-sozialcn Kongreß den sehr herbenVorwurf aussprach, die Berliner städtische Verwaltung sei sozial.politisch die rückständigste, konnte man zwar hervorheben, daßProfessor Wagner und seine Freunde zur Erhebung dieses Tadelsnicht gerade die Berufensten sind, weil die ihnen nahestehendenpolitischen Freunde in praktischer Sozialpolitik nichts weniger alsMusterleiftungen aufweisen. Aber die Berechtigung des Vorwurfesmußte trotz des Entrüstungssturmes, den die liberale Press« durch-brauste, von jedem, der die städtische Verwaltung kennt, anerkanntwerden. Unablässig hat die Sozialdemokratie die städtische Ver»waltung gemahnt und gedrängt, ihren sozialen Aufgaben gerechtzu werden. Und doch ist bis heute den in städtischen Betriebenbeschäftigten Arbeitern noch nicht einmal das gewährt, was in einerReihe von Großbetrieben längst durchgeführt ist. Hierzu tretendie wiederholten Versuche, die gewerkschaftliche Tätigkeit und Zu-geHörigkeit der Arbeiter offen und versteckt zu bekämpfen. Schonvor Jahren ist darauf hingewiesen worden, wie unleidlich dieVerhältnisse auf den Gütern, die die städtische Verwaltung inBesitz hat, sich gestaltet haben. Die städtische Verwaltung nimmthier eine Stellung zu den Arbeitern ein, die sich kaum von dereines östlichen Großgrundbesitzers unterscheidet, der die Arbeiterganz seiner Willkür und Laune unterstellt wissen will. Die Ber-liner Gutsverwaltung zahlt auf ihren Rieselfeldern den Arbeiternnoch immer so niedrige Löhne, daß einheimische Arbeiter nach einerAnstellung in städtischen Diensten nicht lüstern sind und für diestädtischen Güter deshalb jaußländifche Arbeiter in Masse an-geworben und auf ihnen beschäftigt werden.Ein Fall aus der Praxis, der typisch dafür ist, welche sozialeFürsorge die Gutsverwaltung Berlin ihren Arbeitern angedeihcnläßt und der auch fernerhin einige interessante Schlaglichter aufdie staatliche und sozialpolitische Fürsorge wirft, soll hier einer ein-gehenden Besprechung unterworfen werden.Der Arbeiter D., der auf dem Rieselgut Osdorf seit demJahre 1301 beschäftigt war, erlitt am 5. September 1904 einenschweren Unfall. D. war damit beschäftigt, die Ochsen eines Ge-spannes zu tränken, als eine? der Tiere unruhig wurde, stürzteund dabei den Arbeiter hinterrücks schwer gegen den Trog drückte.Im Krankenhaus, wo der Verletzte Aufnahme fand, wurde fest-gestellt, daß D. eine Quetschung des Brustkorbes, der unterenBrustseite, der Leber- und der Magengegend erlitten hatte. ESstellten sich Magenblutungcn ein, denen"später ein Magengeschwürfolgte, eine Erkrankung, die eine erhebliche Entkräftung deS Mannesherbeiführte. Der Verletzte erhielt deshalb, nachdem er verschiedent-lich im Krankenhause Lichterfelde, im Krankenhause am Urbanzu Berlin und schließlich bis zum 2g. Februar 1905 im Kranken-Hause zu Britz gewesen war, für eine kürzere Zeit die Vollrenteund nach der Entlassung aus dem Krankenhause eine Rente von80 Proz., die den JahreSbetrag von 108 M. ausmachte. Den vor«handenen Rest seiner Arbeitsfähigkeit zu verwenden war dem D.nicht möglich, denn von der Gutsverwaltung Osdorf erhielt erkeine für ihn geeignete Beschäftigung. Der Herr Administratorhatte entdeckt, daß D.—„simuliert" und nicht arbeiten„will".und so erhielt er überhaupt keine Beschäftigung. Es befand sichder Verletzte in einem Zustand, der eine selbst leichte andauerndeArbeit unmöglich machte: die fortschreitende Entkräftigung bei demschon früh gealterten und durch andere Leiden an seiner Wider-standskraft gebrochenen Mann hatte seine Arbeitsfähigkeit ganzaufgehoben. Schon eine flüchtige Beobachtung mutzte jedem be-stätigen, daß es sich hier um einen schwer leidenden Mann, abernicht um einen Simulanten handelt, dem auch aus dem Unfallsicherlich ein höherer Rentenanspruch zustand, als 80 Proz. Trotz-dem kam die V.andenbnrgische landwirtschaftliche Berufsgenossen-fchaft schon am 24. Oktober 1905 zu dem Entschluß— dem Manndie Rente zu entziehen, weil er wieder vollständig gesund sei. Dieärztlichen Gutachten konstatierten zwar, daß daS Körpergewichtdes ManneS von 128 auf 115 Pfund gesunken war, aber ein Unfall-leiden sei nicht vorhanden. Mit einem Schlage waren damit oemMann und seiner ebenfalls in ihrer Arbeitsfähigkeit sehr ge-schwächten Frau vollständig die Subsistenzmittel entzogen. DieArmenverwaltnng, und zwar die Gemeindebehörde in Grotz-Lichter-felde— denn die Gutsvcrwaltung hat ihre Arbeiterwohnungennicht in den Bezirk der Gutsverwaltungen, sondern nach berühmtemMuster ostpreutzischer Junker in eine anliegende Gemeindegelegt— mußte nunmehr für den Mann eintreten und Armen-Unterstützung gewähren. Damit aber nicht genug, kam die Guts-Verwaltung und kündigte nunmehr dem kranken, erwerbsunfähigenArbeiter die elende GutSwohnung und drohte, ihn aufs Strafen»Pflaster zu setzen, wenn er die Wohnung nicht räumt.In seiner Verzweiflung suchte nunmehr der Mann Rechtsschutznach, der ihm von sachkundiger Hand zuteil wurde. Von dieserStelle wurde zunächst indirekt die städtische Verwaltung gebeten,von ihrem Vorhaben Abstand zu nehmen und dem Mann zummindesten diese dürftige Unterstützung zu belassen, da er dochimmerhin in Diensten der Osdorfer Gutsverwaltung um den Resteiner Arbeitsfähigkeit gekommen war. Vorläufig gelang eß, dasVorhaben der Gutsvcrwaltung zu inhibieren. Bei einer näherenPrüfung der Unfallsache ergab sich, daß von der dürftigen Unfall.rente deS armen Verletzten die Betriebskrankenkasse der Stadt-gemeinde Berlin und die Armenvcrwaltung in Groß-Lichterfelde91.75 M. eingefordert hatten. In dem Bescheid der BerukSaenossen-