Nr. 280. 24. Iahrgavg. 1. KilM ilrs Jotraiittü" Kerlim lolMIntt. WM-ch, 2. Stt-dek 1907. SPartcitag der deutichen Sozialdemokratie In Oeiterreicft. Wien , 30. September. Nachdem Brettschneider-Wien im Namen der Wiener Lokal- crganisation und Server im Namen der beiden Ottakringer Wahl- kreise die Delegierten herzlich willkommen geheimen, eröffnet Pernerstorfer. der den Vorsitz führt, die Verhandlung mit folgender Ansprache: Mit großer Freude und Genugtuung, mit einem gewiß nicht unberechtigtem Stolze kann die Sozialdemokratie Oesterreichs und nicht zuletzt die deutsche Sozialdemokratie Oesterreichs heute zurück- blicken auf die vielen Fahre des Kampfes, die wir hinter uns haben. Es sind 40 Jahre her, daß die österreichische Sozialdemo- kratie besteht. Während der ganzen 40 Jahre ist der erste Punkt des politischen Programms der Partei die Erringung des qll- gemeinen Wahlrechts gewesen. Kämpfe zahllos, Kämpfe nicht ohne Opfer, haben wir in diesen 40 Jahren geführt. Es mußte unend- lieh viel geleistet werden, bevor das allgemeine Wahlrecht, diese erste und natürliche Vorbedingung des politischen Lebens, in Oester- reich geschaffen wurde. Wir wisien, daß verschiedene Umstände mitgewirkt haben, die gerade in diesem Zeitpunkt das allgemeine Wahlrecht erringen ließen. Aber ohne die Sozialdemokratie, ohne die unablässige Arbeit der Sozialdemokratie durch 40 Jahre würde das allgemeine Wahlrecht auch heute noch nicht errungen sein. (Lebhafte Zustimmung.) Wir wissen sehr genau, daß die Forde- rung der Partei zusammengefallen ist mit dem Interesse dieses fast im Sterben liegenden Staates. Aber wir nehmen das Haupt- verdienst an der Erreichung dieses Rechtes für uns in Anspruch. (Lebhafter Beifall.) Wir stehen nun vor einer neuen politischen Situation. Zu neuen Aufgaben lockt ein neuer Tag. Die öfter- reichische Sozialdemokratie wird auch fürderhin dieselben Wege tvandeln wie bisher. Sie ist geradezu dadurch gekennzeichnet, daß sie immer trefflich verstanden hat, das, was im hämischen Sinne positive Arbeit genannt wird, zu leisten, und dabei nicht aus den Augen zu lassen, daß wir eine prinzipielle Partei sind, daß das, was wir als unser Endziel betrachten, uns immer vor Augen steht, daß wir den Unterschied zwischen uns und allen bürgerlichen Par- teicn nie vergessen haben.(Lebhafter Beifall.) Die Hauptaufgabe dieses Parteitages wird es sein, der Partei eine neue Organisation zu geben, von der wir hoffen, daß sie die Grundlage für ein neues, festeres Gefüge unserer Partei sein wird. Auf diesem ersten Parteitag unter dem allgemeinen Wahlrecht wollen wir der Ge- nossen der anderen Nationen gedenken, die mit uns gemeinsam gekämpft und gesiegt haben. Wir danken allen Organisationen, besonders auch den Gewerkschaften, die uns die große Kraft, die uns die Grundlage unserer Organisation gegeben haben. Gewerk- schast und politische Partei werden immer eines Sinnes sein, un- löslich verbunden zu einem Körper, einig in dem Entschluß, vor- tvärts zu marschieren.(Lebhafter Beifall.)— Redner gedenkt dann der vielen verstorbenen Genossen, die als einfache Parteigenossen ihre Schuldigkeit getan haben, und der bekannten Genossen, deren Andenken ihren Tod überdauern wird, des un- vergeßlichen Josef Scheu , der der Partei die prächtigen Kampf- licder gegeben hat, vor allem das„Lied der Arbeit", Emil K r a l i k s, des Mitarbeiters der„Arbeiterzeitung", und auch Jgnaz Auers, eines der besten Männer in der deutschen Bruder- Partei. Gestern nachmittag ist wieder einer der ganz Alten vom p'ode ereilt worden. Julius M o t t e l e r, der in der Zeit ernster Verfolgung sich mit seiner ganzen Kraft für die Partei ein- gesetzt hat. Der Parteitag hat sich zu Ehren der Verstorbenen von den Plätzen erhoben. Pernerstorfer heißt dann die Gäste willkommen: Richard Fischer für die deutsche Sozialdemokratie, T« S z a r z, W e l t n e r und Großmann für die ungarische Sozialdemo- kratie, Fritz Adler für die deutsch -österreichische und ungarische Sozialdemokratie in der Schweiz , Dr. W i t t u k für die Ruthenen und K r i st a n für die Slovenen. Richard Fischer-Berlin (mit lebhaftem Beifall begrüßt) führt dann aus: Ich bin von der deutschen Parteileitung beauftragt, Ihnen die besten Grüße und Wünsche der deutschen Partei für das gute Gedeihen der Arbeiten Ihres Parteitages zu überbringen. Sie begehen Ihren Parteitag unter günstigen Auspizien nach einem Wahlsiege, so großartig und glänzend, wie ihn die Genossen selbst nicht vermutet, die Gegner selbst nicht gefürchtet haben. Wir Deutschen empfinden noch eine besondere Genugtuung bei Ihrem Erfolge. Er ist uns ein gewisser . Trost für den Mißerfolg, den wir selber erlitten haben, ein Miß- erfolg, dessen Ursache die Folge Ihres Sieges sein wird: der Zu- sammcnschlutz aller Gegner.(Zustimmung.) Sic haben durch Ihre Delegierte auf unseren Parteitagen immer mit zu weit ge- triebener Bescheidenheit erklärt, Sie hätten viel von uns zu lernen. (Zuruf: Haben wir auch!) Nun, dann können wir ja stolz sein auf unsere Schüler. Aber so wie die Dinge liegen, scheint es, daß es auch einmal umgekehrt kommen kann.(Heiterkeit.) In Ihrem großen Kampfe um das allgemeine Wahlrecht haben Sie die Technik dieses Kampfes gelernt. Wenn wir jetzt in Preußen diesen Kampf um das allgemeine Wahlrecht aufnehmen, bann ist vielleicht die Zeit für uns Deutsche gekommen, in dieser Technik des Kampfes von Ihnen zu lernen. Wir wissen mit Ihnen, daß mit dem allgemeinen Wahlrecht erst der Boden zu dem großen Kampfe geschaffen ist. daß die Schwierigkeiten damit nicht über- wunden sind, sondern neue größere sich Ihnen gegenüberstellen werden. Sie haben zu verteidigen, was Sie gewonnen haben, wir werden wiedererobern, was wir verloren haben.(Lebhafter Bei- fall.) Auf jeden Fall wissen wir aber, daß, sowie wir uns stets als Glieder einer gewissermaßen gemeinsamen Partei gefühlt haben, wir auch in Zukunft helfend und anfeuernd auf beiden Seiten in guten und schlechten Tagen zusammenstehen werden. (Lebhafter Beifall.) Im Namen der ungarländischen Sozialdemo- kratie spricht Teszarz: In der Ferne betrachtet man Ungarn als freiheitliches Land. Aber wir. die verdammt sind, in Ungarn zu leben, wissen andere Dinge von der ungarischen Freiheit zu erzählen. Das Volk ist unterdrückt, die Unabhängigkeitspartei, die sich in der liberalen Äera demokratische Allüren aab, ist reaktionär, die Heimtücke dieser Regierung, die uns vor drei Jahren das Wahlrecht versprochen hat, hat das Volk getäuscht und will das Wahlrecht eskamotieren. Nun ist gerade die Wahlrechtsbewegung in Ungarn im Gange. Am 10. Oktober, dem Eröffnungstage des ungarischen Parlaments, soll in Ungarn ein allgemeiner De mon st rations streik proklamiert werden. Schon 100 Städte haben sich dafür er- llärt. Die Staatsgewalt sucht die Bewegung zu unterdrücken. Aber nicht umsonst haben wir bei Euch in Oesterreich gelernt, und wir werden in Ungarn nicht eher Ruhe geben, als bis w>'- das allgemeine Wahlrecht haben.(Lebhafter Beifall.) Dr. Fritz Adler begrüßt den Parteitag namens der Landesorganisation der deutschen und ungarischen Sozialdemokratie in der Schweiz , der ältesten Organisation deutscher Zunge, die noch aus den 40er Jahren, aus den Zeiten Weitlings herrührt. Es sind 49 Organisa- tionen mit 3000 Mitgliedern. Eine besondere Organisation in der Schweiz ist notwendig, um die Schweizer Genossen in ihrer Agitation nicht zu hemmen, um die Genossen, die nach der Schweiz kommen, vor Enttäuschungen zu bewahren. Sie sehen in der Schweiz das Land der Freiheit und finden dann, daß der soziali- ftischen Bewegung jedes revolutionäre Temperament fehlt. Ka haben wir die größte Mühe, zu verhindern, daß sie den Anarchisten in die Hände fallen, die auch unter einem anderen Namen als Syndikalisten auftreten. Nachdem Dr. Wittnk namens der ruthenischen Sozial- demokratie und Kristan namens der slovenischen Sozialdemokratie den Parteitag begrüßt haben, und bc- sckilossen worden ist, den Gruß des 83jährigen Friedrich Leßncr telegraphisch zu erwidern, erstattet Skarct den Bericht der Parteileitung. Er gibt in großen Zügen ein Bild des Wahlrechtskampfes, hebt die Taktik Adlers im Wahlrechtsausschusse hervor, der sich mit weiser Mäßigung zurückgehalten und nie in den Vordergrund gedrängt habe, um die Bürgerlichen nicht kopfscheu zu machen, und der doch erreicht habe, was er erreichen wollte. Der Erfolg des Wahl- kampfes hat die Erwartungen übertroffen, er hätte aber noch un- gleich größer sein können, wenn wir organisatorisch und materiell besser gerüstet gewesen wären. Wir haben Niederlagen in Be° zirken erlitten, wo es nicht notwendig gewesen wäre. Und während in anderen Ländern die Mittel für einen solchen Kampf bereit- stehen, haben hei uns die einzelnen Wahlkreise so gut wie gar keine Mittel und die Mittel der Zentrale, aus der noch die anderen Exekutiven unterstützt werden müssen, sind viel zu gering. Neben der Ausgestaltung der Organisation muß das Hauptaugenmerk darauf gerichtet werden, die Einnahmen für die pö- litis che Partei zu erhöhen. Unser Erfolg darf kein Faulbett für uns werden, im Gegenteil, wir müssen das Augen- merk auf die Schäden richten, die sich gezeigt haben und auf ihre Beseitigung hinarbeiten.(Bravo !) Hierauf erstattet Dr. Ellenbogen den Kassenbericht, Dr. Tzech den Bericht der Kontrollkommission. Es folgt der Bericht der Fraktion des ReichSrats durch Rieger: Zwei Dinge mutz sich jede sozialdemokratische Frak- tion stets vor Augen halten: 1. daß sie eine streng proletarische Politik zu treiben hat, die darauf ausgeht, in den Parlamenten Konzessionen für die Arbeiterklasse zu erzielen und zweitens, daß sie bei der Betätigung und der Taktik dieser Opportunitätspolitit das große Endziel in ihrer Bewegung nicht aus den Augen lasse. Das Prinzip darf niemals taktischen Erwä- gungen geopfert werden. Die Fraktion glaubt, gegen dieses Programm nicht gefehlt zu haben. Redner geht dann die Tätigkeit der Fraktion im einzelnen durch und beleuchtet die Frak- tionen im gegenwärtigen Parlament. Unter dem heuchlerischen Vorwande einer neuen Koalition gegen die slavische Gefahr hat sich die deutsche freisinnige bürgerliche Partei unter den Schutz der Klerikalen und Christlichsozialen begeben. Auf deutscher Seite ist der Bund gegen die Sozialdemokratie perfekt. Auch den Polen - klub haben die Herren mit einbezogen, um so die Schutzwehr gegen die sozialdemokratische Hochflut zu verstärken. Die Angst vor dem roten Gespenst wirft alle alten Grundsätze über den Haufen. Diese Parteikonstellation, deren EntWickelung wir vorausgesehen haben, ist uns nur erwünscht, denn wir wollen klaren Boden für unseren Klassenkampf.(Bravo !) Richter(Bergstadt in Mähren ) tadelt, daß die Fraktion für die Erhöhung der höheren Beamtengehälter gestimmt hat.— Dr. Adler: Seit unserem letzten Parteitag in Salzburg sind 3 Jahre verflossen. Diese 3 Jahre gehören zu den Erlebnissen, die Leuten, die in der Bewegung stehen, nur einmal passieren. Es war eine Zeit, nicht nur unvergeßlich, sondern auch der volle Ausdruck für die Fähig- keit und Leistungen, die die österreichische Arbeiterklasse auf- zubringen vermag. Wir haben niemals unsere anderen Aufgaben übersehen. Aber unsere Parteitaktik muß innerhalb und außerhalb des Parlaments ausschließlich von dem Gesichtspunkt der Er- oberung des Wahlrechts beurteilt werden. Wir haben in diesem Kampfe nie Ursache gehabt zu fürchten, daß wir, indem wir dem Proletariat kleinere oder größere Vorteile eroberten, indem wir ihm Schritt für Schritt den Weg bereiteten, uns dadurch vom Endziel entfernt hätten. Die österreichische Partei genießt heute im Auslande— das war in Stuttgart mit Händen zu greifen— vermehrtes Ansehen wegen der Erfolge, die sie davongetragen hat. Aber ich möchte Sic warnen, unsere eigene Tüchtigkeit nicht allzu hoch einzuschätzen. Glauben wir nicht, unsere Taktik sei so gut und unser Elan so groß, daß wir die vor uns liegenden Aufgaben ebenso schnell zu lösen imstande sein werden, wie wir die alten gelöst haben. Es ist mir etwas angst geworden, als die Deutschen so unsere Klugheit lobten.(Heiterkeit.) Ich finde, daß wir uns viel besser als Schüler denn als Lehrmeister ausnehmen(Leb- hafte Zustimmung.) Wir haben im Wahlkampf nicht nur Aus- dauer und Hingebung, sondern auch ein gut Teil unserer Partei- kraft verbraucht, die uns für unser inneres Wachstum schmerzlich abgeht. Von uns kann mancher lernen, das mag sein, aber wir selber haben noch viel zu lernen.(Lebhafte Zustimmung.) Inten- sive Arbeit im Innern tut uns not. So bald etwas Ruhe ist, müssen wir diese Arbeit aufnehmen.(Lebhafter Beifall.) Redner beantragt, die Parteileitung zu beauftragen, für eine Dokumenten- sammlung Vorkehrung zu treffen, um eine Geschichte der öfter- reichischen Sozialdemokratie iy einer diese Geschichte fördernden Weise vorzubereiten. Pernerstorfer und Seitz stellen gegen Richter fest, daß die Er- höhung der höheren Beamtengehälter mit einem Gesetz verknüpft war, das die Erhöhung aller Beamtengehälter brachte und nicht scheitern durfte.— Bernt- Wien bringt den„Besuch in der Hofburg " zur Sprache. Er bemängelt, daß der Fraktionsbericht über diese Tatsache ohne jede Bemerkung hinwegging. Mit diesem Besuch wären durchaus nicht alle Parteigenossen einverstanden. Besonders peinlich berührte es, als man am anderen Tage in den bürgerlichen Blättern, besonders in einem christlichsozialen, las, was für tiefe Verbeugungen unsere Abgeordneten vor den höchsten Personen gemacht hätten.(Wider- spruch.) Das hat die Arbeiter durchaus nicht sympathisch berührt. In Zukunft sollte dergleichen besser unterlassen werden. Wir wollen ja keine Vorschriften machen, aber Dank verdient diejenige Stelle, die dem Volk sein Recht jahrzehntelang vorenthalten hat, auf keinen Fall.(Teilweiser Beifall.)— Schuhmeier (bei seinem Erscheinen mit Heiterkeit begrüßt): Der„Gang zur Hofburg" ist nach sehr reiflicher Ueberlegung angetreten. Es handelte sich ja nicht um einen Besuch in der Hofburg, sondern um die Bekundung, daß auch der Sozialdemokratie das Recht zusteht, an dem ersten Akte der Eröffnung des Parlaments— und das ist die Thronrede— teilzunehmen. Ich verstehe ja die Gefühle der Parteigenossen, ich habe sie lange genug geteilt. Aber die Politik der Sozialdemokratie darf sich nicht von Gefühlen leiten lassen, sondern nur vom Verstand. Ich weiß sehr wohl, weshalb Sie lachten, als ich als erster hier das Wort zu dieser Frage nahm. Ich gehörte ja immer zu denen, die kein Hehl aus ihrem Groll gegen das herrschende System machten. Aber schon in der Fraktion bin ich unbedingt für diesen Gang eingetreten, nicht weil ich so genuß- süchtig bin, in die Hofburg kommen zu wollen, oder weil ich so lebhaft wünsche, daß das Volk mich einmal im Zylinder sehe(Heiter- keit), sondern weil ich demonstrieren wollte.(Beifall.) Der„Gang in die Hofburg " war ein politisch kluger Schachzug unserer Fraktion. Noch immer gilt der Satz: Wer sich selbst entwertet, wird nie Wert besitzen, und wer sich selbst in den Schmollwinkel stellt, wird nie herausgeholt. Die Sozialdemokratie Oesterreichs ist jetzt so stark, daß ihr nicht nur die Tür der letzten Hütte offen steht, sondern daß auch die Tür der Hofburg vor ihr aufgemacht werden muß. (Bravo !) Der Thronrede beizuwohnen, war eine politische Not- wendigkcit, Wir haben eine Position errungen- Es geht nicht mehr an, daß wir uns bei einem Akte ausschließen, der gar nichts gefähr- liches für uns an sich hat. Wenn andere Zeiten kommen, dann werden wir wieder andere Sitten annehmen. Wenn ein anderer Mann an der Spitze steht, dann wäre es eine wirksame Demon- stration, wenn, es hieße, wir gehen nicht mehr hin. Aber so, wie die Dinge heute liegen, war der Schritt notwendig. War Ihnen der Kaiser von Oesterreich �als Bundesgenosse beim Wahlrechts- kämpf recht, dann brauchen Sie auch nicht zu fürchten, daß wir uns durch die Anwesenheit bei Hofe kompromittieren können. Der Kaiser kann uns nicht kompromittieren. und wir ihn auch nichtz (Lebhafter Beifall.) Hillebrand-Karlsbad bestreitet, daß im Lande Widerspruch gegen den sogenannten„Ganz nach der Hofburg " laut geworden sei. Austcrlitz-Wien billigt die Haltung der Fraktion vollständig. Gewiß ist es eint ungewöhnliche Erscheinung, daß Sozialdemokraten sich zur Thron- rede in die Hofburg begeben, aber sie gingen ja nicht aus Lust zum Schaugepränge hin. Wenn man in der Fraktion fragen würde, wer auf die Barrikaden und wer zu Hofe gehen wolle, dann würden sich sicher mehr Teilnehmer für die erste Partie finden.(Große Heiterkeit.) Die Handlung der Fraktion erklärt sich aus ihrer eigentümlichen Situation. Ohne daß eine formelle Koalition gegen sie geschlossen wäre, gibt es im Abgeordnetenhause keinen Ab- geordneten, der ihr nicht alles Unglück wünschte. Im Abgeordneten- hause herrscht die Politik der Einkreisung. Um die Sozialdemo- kratie soll ein Band gezogen werden, um sie aus dem parlamenta- rischen Leben auszuschalten. Wir dürfen uns aber nicht nullifi- zieren lassen, wir müssen an der Spitze aller Aktionen stehen. Da- mit hängt der„Gang zur Hofburg " zusammen. Es war eine symbolische Handlung, um zu bekunden, daß die Sozialdemokratie, wie immer ihre prinzipielle Ueberzeugung ist, und wie sie auch zur Regierung stehen mag, doch für die Regierung eine parla- mentarische Partei ist, die alle parlamentarischen Rechte in An- spruch nimmt, so wie sie gewillt ist, alle parlamentarischen Pflichten zu übernehmen. �(Lebhafter Beifall.) Arbeiten-Bielitz � meint, daß die einzelnen Stimmen, die heute gegen den Gang zur Hofburg laut wurden, nur der Wellenschlag aus Deutschland herüber waren- Dr. Adler: Was Bernt gesagt hat, hat zum Ausdruck gebracht, was wir alle empfunden haben, daß es nämlich eine gewisse Selbstüber- Windung getostet hat, unsere Stellung zu ändern. Warum sind wir früher nicht zur Thronrede gegangen? Wir wollten uns solange nicht beteiligen, als wir nicht Abgeordnete gleichen Rechtes waren. Wir hatten keinen Grund, die Demonstration gegen die Ver- gewaltigung fortzusetzen, weil der Grund zur Demonstration fort- gefallen war. Damit schließt die Debatte.« Nach einem Schlußwort de! Referenten wird ein Antrag, ein Handbuch für die Reichsrats- Wahlen herauszugeben, der Parteileitung überwiesen, ebenso ein Antrag Dr. Adler auf Vorbereitung zur Herstellung einer G e- schichte der österreichischen Sozialdemokratie. Der Fraktion wird vom Parteitag Dank und Vertrauen aus- gesprochen und dem Vorstand Decharge erteilt. (Telegraphischer Bericht.) 2. Verhandlungstag. Wien , den 1. Oktober: Die heutige Sitzung des Parteitages war ausschließlich detJ Beratungen des neuen Organisationsstatutes gewidmet. Dieser Entwurf, der von den Parteisekretären S k a r e t und W i n a r s k i ausgearbeitet ist, wurde von Skaret eingehend begründet: Die Wahlreform hat eine Aenderung des alten Statuts notwendig gemacht. Es soll eine neue Art von Kreisorganisation geschaffen werden, die nach Bedürfnis zwei Formen erhalten kann: die Orts-(Lokal-) Organisationen schließen sich zu Bezirksorganisationen zusammen, und die Bezirksorganisa- tionen gruppieren sich zu einer Kreisorganisation, die entweder genau dem Wahlbezirke entspricht oder aber ein territorial besser zusammenhängendes Gebiet zur Grundlage hat.<— Zur Kandidatenaufstellung für den Reichsrat, die von der Reichsparteiver- tretung in Uebereinstimmung mit den Wahlbezirken zu erfolgen hat, treten, wenn sich die Organisationen der Kreise nicht mit den Wahlkreisen decken, die Vertrauensmänner der den Wahlkreis bildenden Orte zu einer besonderen Konferenz zusammen.— Das System der Straßen- und Häuservertrauens- männer wird jetzt zum ersten Male auch im Statut angeordnet. Weibliche Vertrauenspersonen sind tunlichst an allen Orten im Einverständnis mit der Parteiorganisation des Ortes zu wählen.— Zum Parteitage können die Bezirks-, Kreis- und die aus den Kreisorganisationen gebildeten Landesorganisationen je einen oder je zwei Delegierte entsenden. In Agitationsbezirken, in denen eine Frauenorganisation besteht, können drei Delegierte entsendet werden, wenn ein Mandat einer Frau übertragen wird. Außerdem nehmen die 10 Mitglieder der Reichsparteivertretung, die deutschen Abgeordneten und je ein Delegierter eines jeden Partei- oder Gewerkschaftsblattes an dem Parteitage der deutschen Sozialdemokratie in Oesterreich teil. Die Mitglieder der Partei- Vertretungen haben aber bei den geschäftlichen, die Abgeordneten bei den parlamentarischen Angelegeuheiten nur eine beratende Stimme. Die 10 Mitglieder der Parteivertretung teilen sich in st, die den engeren Parteiausschuß bilden, und in die 8 Kontrolleure. Die Mitglieder der ersten Gruppe müsse/i in Wien wohnen, ebenso zwei der zweiten Gruppe. Diese können unmittelbar nach Ablauf ihres Mandates nicht wiedergewählt werden. Ein Reichsrats- abgeordneter kann zum Kontrolleur nicht gewählt werden. Die Reichsparteivertretung(engerer Ausschuß und Kontrolleure) tritt mindestens alle Vierteljahre zu einer Sitzung zusammen. Der Chefredakteur des Zcntralorgans, der„Arbeiterzeitung", hat in dieser Sitzung beratende Stimme. Es sind auch ständige Ver- treter zu wählen, die bei wichtigen, rasch zu erledigenden Fragen von der Reichsparteivertretung zu einer Reichskonferenz einzuberufen sind. Zu den wesentlichen Neuerungen des Partei- statuts gehört schließlich auch die Festsetzung des AusschließungS- Verfahrens, das allgemein nach dem Muster des deutschen Partei- statuts geregelt werden soll. Die Debatte» die sich an das Referat anschloß, war ausgedehnt und lebhaft. DaS große Interesse der Delegierten drückte sich in einer langen Reihe von Abänderungsanträg en aus, die im Laufe der Diskussion eingebracht wurden. Der ursprüngliche Entwurf hatte die alte Bestimmung, daß jeder Parteigenosse verpflichtet sei, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Diese Bestimmung war ge- strichen worden. Da aber Skaret erklärte, daß die Streichung nur erfolgt sei, weil diese Vorschrift eigentlich als selbstverständlich angesehen worden sei, ließ sich dieser Stein des Anstoßes rasch be- fettigen. Schwieriger gestaltete sich die Beratung der Formfragen der Organisation. Einige Redner meinten sogar� in Oesterreich sei es fast unmöglich, eine einheitliche Organisation zu schaffen. Die Verhältnisse in den verschiedenen Kronländern lägen zu ver- schieden. Andere traten dieser Auffassung wieder entgegen. Seeliger-Teplitz verlangte, daß die Organisationen mit den Wahlbezirken genau zusammenfallen müßten. Als Hauptmangel wurde empfunden, daß die Organisationen zu sehr den Charakter von Wahlorganisationen tragen. Zu einer
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