Tchrist verkauft. Don der Schädlichkeit des Militarismus überzeugt,habe er nicht nur das Recht, sondern auch die moralische Pflicht.den Militar'ismus zu bekämpfen. Der Reichsanwalt habeselbst gesehen, daß seine aus der Lieblnechtschen Schrift geholten Argumente sehr schwach seien. Darum habe er zuderen Unterstützung das Auftreten Liebknechts indiesem Prozesse und auf dem Parteitagehergeholt, das doch mit der Anklage nichts zu tun habe.Jugendvereine und die Einsetzung einer Kommission zur anti-militaristischen Propaganda hätten mit dem künstlich konstruiertenFall nichts zu tun, der möglicherweise eimnal solle eintreten können.Nach der Theorie des Oberreichsanwalts habe Liebknecht zwar„nein"gesagt, aber das bedeute so viel wie„ja" und— deshalb mußte erprozessiert werden. H a a s e wie Rechtsanwalt H e z e l, der dannplädierte, verlangt die blanke Freisprechung Liebknechts.Rechtsanwalt H e z e I nahm sich die Anklage besonders nach derSeite hin bor. daß sie völlig unbestimmt lasse, welche vorbereitendeHandlungen zu hochverräterischen Unternehmungen gemeintseien. Wie auch die Ziele dieser Handlungen seien, eskönne doch unmöglich anders als freisprechend geurteiltwerden, wenn man diese Handlungen und Ziele nicht mehr an-geben könne. Nachdem Hezel alle möglichen Wirkungen deS Buchesdurchgegangen, kommt er zum Schluß, daß der Hochverrats-Paragraph glatt vorbeischieße. Er erinnert die Richterdaran, daß sie erster und letzter Instanz seien und es deshalbhier in diesem Falle sehr genau nehmen müßten. Siemüßten sich um deS Ansehens der Justiz willenvon allen Einflüssen frei machen, die sich ihrer be-mächtigen könnten, weil sie hier über einen p ol i t i s ch e nGegner zu urteilen hätten. Die schwache Position der Anklagezeige sich auch darin, daß der Oberreichsanwalt versucht habe, dasBuch als ein anarchisttsch-sozialistisches Produkt hinzustellen. Erlehne es ab, mit dem Oberreichsanwalt darüber auch nur in eineDiskussion einzutreten.Nachdem Dr. Rosenberg auf das Wort verzichtet hatte und derOberreichsanwalt noch einmal vergeblich versuchte, sich gegen denAngriff zu wehren, hielt Genosse Liebknecht eineglänzende Verteidigungsrede, die sehr lebhaft an die Lassalleschenerinnert. Er riß rücksichtslos das juristische Mäntclchen von dempolitischen Gewaltakt der Anfluge und sagte das, was ist:Der Kampf der politischen Staatsgewalt gegen den aufkommendenantimilitaristischen Geist. Wenn diese Rechtsprechung Praxiswerden sollte, so wäre die Verbreitung von Vernunft Hoch-verrat. Er wolle sich nun mit den Tatbestandsmerkmalenbeschäftigen. Aus dem Kommentar eines bekannten hochangesehenenJuristen wolle er den Nachweis liefern, daß der Hoch-Verratsparagraph zu Unrecht anzuwenden gesucht werde. Erverlas nun die Stelle, worauf der Präsident nach demNamen des Kommentators fragte und Liebknecht ihm lächelndantwortete: es sei der Herr Oberreichsanwalt OlS-hausen. sUngeheure Heiterkeit und Bewegung im Zuhörerraum.Der Herr Oberreichsanwalt möge nun danach die Konsequenz ziehenund die Anklage fallen lassen. Sei, fährt Liebknecht fort, einsolches Buch zu schreiben, eine vorbereitende Handlung zu einemhochverräterischen Unternehmen, so sei das Benutzen desPapiereS zudiesem Buch auch schon eine vorbereitende hochverräterische Handlung,ebenso die Z e u gun g v o n Kindern, die im antimilitaristischenGeiste erzogen werden sollen. In der antimilitaristischen Propadandawerde nicht die Vernichtung, sondern die Verwirklichung der Ver-fassung erstrebt. Nunmehr rechnete Genosse Liebknecht mit demOberreichsanwalt noch persönlich deshalb ab, weil dieseres gewagt hatte, in seinem Plaidoyer seine Ehre an-zugreifen. Liebknecht sagte: Wenn einem Manne, der auf seineArbeit angewiesen sei, der sich in den politischen Strudel gestürztund alles in die Schanzen geschlagen habe, jemand die Ehre ab-sprechen wolle, dürfe es nicht von einer Seite geschehen, die ingerichtlicher Position lebend, Anklage erhebt.Um Uhr wurde die Sitzung geschloffen und auf Sonnabendvormittag um 11 Uhr angesetzt.ver Ashlmhtslturm des ungarische»Proletariats.Budapest, 10. Oktober.(Privat-Dep. des„Vorwärts'.)Ungarns Hauptstadt steht heute unter dem überwältigendenEindruck der ungeheueren Wahlrechtsdemonstration. Die Größedieser Kundgebung hat alle Erwartungen übertroffen. DieMachinationen der Regierung und der bürgerlichen Presse,die alle Mittel aufgeboten haben, um die allgemeineArbeitseinstellung zu verhindern oder wenigstens einzudämmen, sindschändlich zunichte geworden. In Budapest hat heute die Arbeitgeruht: Es erschien keine einzige Zeitung. Sämtliche Geschäfteivarcn geschlossen, ebenso— ohne Ausnahme— sämtliche CaföS,sämtliche Wirtshäuser. Da diese sonst auch Sonn- und Feiertagsstets offen gehalten werden, so bot Budapest heute ein Straßenbild:so tot wie noch nie.In diese Stille wurde Leben gebracht durch die schon in allerFrühe aus allen Richtungen in großen Scharen den Versammlungs-orten zuströmenden Arbeiter. Um 8 Uhr früh sammellen sie sichan acht verschiedenen Plätzen der Stadt, und um 9 Uhr setzten sichdie ersten Trupps in Bewegung zu einem großen Rundgang durchdie Hauptstraßen der Stadt. Unterwegs schloffen sich diesem Zugenach und nach die an anderen Orten Versammelten an,' bis allezu einem einzigen Riesenzuge vereinigt waren. Der Zug war solang, daß er, obwohl die Demonstranten in 6 Reihen marschierten,bei einem sehr schnellen Tempo über 3 Stunden währte. VonBürgerlichen wird die Zahl der Teilnehmer auf LvlsvoO ge°schätzt!Der Aufzug fand sein Ende im Stadtwäldchen, wo«ruf einemausgedehnten Terrain von 4 Tribünen herab Reden gehaltenwurden. Da es unmöglich war, die große Menge gleichzeitig vorden Tribünen zu plazieren und es auch nicht anging, mit denVorträgen zu warten, bis das Ende des Zuges heran war, sowurden während der 3 Stunden von allen Tribünen ohne Unter-brechung Reden gehalten, und zwar so, daß die zuerst Angekommenennach dem Anhören eines Vortrages den Nachfolgenden Platz machenkonnten und so allmählich alle Teilnehmer des ZugeS vor denTribünen Platz fanden.Längs der ganzen Aufmarschlinie standen in den Straßenkolossale Doppelspaliere: Leute, die mit wenigen Ausnahmen denWahlrechtszettel, das Demonstrationszeichen des Tages,am Hute hatten. Die Häuser waren mit Fahnen geschmückt, ausden Fenstern wurde der Zug auf seinem ganzen Wege von Tausendenund Abertausenden von Menschen durch Tücherschwenken begrüßt.Die Demonstration, die morgens um 9 Uhr begann, fand ihrEnde nachmittags 3 Uhr. 5000 Frauen marschierten im Zuge.Die kolossale Menge löste sich nach Schluß der Demonstration inder größten Ruhe ohne jeden Zwischenfall auf. Die Konsignierungder Polizei und des Militärs, die— in der Hoffnung, die Massezu provozieren, in reicher Fülle anwesend waren—, erwies sichals eine klägliche Maßnahme, die zuschanden wurde an demdiszipli.yixrten und überlegenen Verhalten der Arbeiter� selche sichnicht eismal durch ein paar übereifrige, scharf ift die Mengereitende„Dchutz'.Leute zu unüberlegten Taten hinreißen ließen.Während sich der endlos scheinende Zug nach dem Stadtwaldefortbewegte, begab sichdie Deputationvon 40 Teilnehmern ins Abgeordnetenhaus, um dem Präsidentendes Hauses das Memorandum der Partei zu überreichen.Präsident Justh empfing die Deputation in Gesellschaft vonmehreren Abgeordneten. Das Memorandum wurde vom GenossenGarbai übergeben, der eine der Schärfe der Situation entsprechendeRede hielt:„Am heutigen Tage," so sagte Genosse Garbai,„habenwir dem materiellen Leben des Landes Stillstand geboten, damitaus diesem heraus alle Welt vernimmt, was der unterdrücktenArbeiterschaft Ungarn» Not tut, wa? sie an wirtschaftlichen, politi-scheu Forderungen hat. Unsere Hauptforderung ist das allgemeine,gleiche, geheime und dezentralisierte Wahlrecht. Die gegenwärtigeRegierung," so führte der Redner weiter aus,„als Ueber-gangsregierung ist ans Steuer der Staatsgeschäfte getretenmit der ausdrücklichen Verpflichtung, das allgemeine Wahlrechteinzuführen. Seit dieser Zeit sind 19 Mvnate verstrichen, inwelcher Zeit in O e st e r r e i ch das allgemeine, gleiche Wahlrechteingeführt worden ist. Uns aber sind nicht einmal die Grund-Prinzipien der Wahlreform bekannt. Hingegen benutzt die Ueber-gangsregierung die Zeit zur Unterdrückung der Gewerkschaftenund der Vereine, die die Arbeiter zur Wahrung ihrer materiellenund kulturellen Interessen begründet haben. Nicht weniger als354 unserer Gewerkschaften sind im Laufe dieses Jahres rechts-widrig aufgelöst worden. Kein Wunder, daß in den letzten zweiJahren nach amtlichen Ausweisen 290 000 Arbeiter aus Ungarnnach Amerika ausgewandert sind. Der Proletarier hat in diesemLande keine Rechte und keine Heimat. Das Klassenparlamentschaffte in der Zeit Gesetze, die das Leben des ungarischen Ar-beiters unerträglich machen."Hier führte Genosse Garbai die statistischen Daten an, die denVerfall des Landes und das Elend des Volkes schlagend beweisen.„Dem mutz ein Ende gemacht werden", so schloß der Redner.Er überreichte dem Präsidenten das Memorandum der sozial-demokratischen Arbeiterschaft mit dem Ersuchen, daß der Präsidentdasselbe dem Abgeordnetenhaus unterbreiten und dahin wirkenmöge, daß das allgemeine Wahlrecht baldigst zum Gesetz erhobenwerde.Präsident Justh, der die Bittsteller erwartet zu haben schien undden die Ausführungen des Genossen Garbai ganz aus der Fassungbrachten, verwahrte sich entschieden dagegen, daß das gegenwärtigeParlament ein K l a s s c n p a r l a m e n t sei! Dieses Parlamenttrage das Wohl des ganzen Volkes auf dem Herzen. Ein Genosse,ihn unterbrechend:„Schön gesagt! aber wahr ist es nicht!" EinAbgeordneter ruft dazwischen:„Es ist wahr!" Einige Genossen:„Es ist nicht wahr!"...Des weiteren erklärte Präsident Justh, daß das Parlament diesehochwichtigen Fragen aus cjgenen Stücken, ohne jede Pression, ohnejeden äußeren Zwang im wohlaufgefatzten Interesse und zur Zu-friedcnheit des ganzen Vaterlandes lösen werde. Eine Antwortzur S a ch e könne er auf daS Memorandum der Arbeiterschaft nichterteilen. Er werde es aber dem Abgeordnetenhause pflichtgemäßunterbreiten.—• ♦•Unsere groß angelegte Demonstration hat schon ihre erstenFrüchte getragen. Gestern abend ließ der Minister des Innern ineinem ihm nahestehenden Blatte die Erklärung abgeben, daß derGesetzentwurf über das allgemeine Wahlrecht schon fast ganz fertigsei, daß er dasselbe im Laufe der nächsten Budgetverhandlungenim Abgeordnetenhause einbringen werde und daß die Verhandlungder betreffenden Gesetzesvorlage durch die mit Oesterreich gepflo-gcnen Ausgleichsverhandlungen einen kleinen Aufschub erleidenkönne.—Weiter erklärte der Minister im Abgeordnetenhause den Jour-nalisten, daß die Verhandlung der Grsetzesvorlage im Frühjahr1908 stattfinden werde, so daß man im Oktober 1908 auf Grunddes allgemeinen Wahlrechtes die Neuwahlen werde vornehmenkönnen!!Die Provinzhat sich wacker gehalten. Aus mehr als 100 Städten sind bereitsNachrichten über die Wahlrechtsdemonstrationen der Arbeiter ein-gelaufen. Wir heben aus der Fülle der Telegramme hervor:Debreczin: An der Demonstration beteiligten sich 10 000Arbeiter.Zcnta: Die Demonstration verlief durch das plumpe Ein-greifen der Gendarmerie weniger würdevoll, als das Proletariatder Stadt erhofft hatte.In Kassa, Sätoraljaujhely, Eger, Miskolc, Szeged, KecSkemet,Szolnok, Resica fanden ansehnliche Demonstrationen statt.In O r a v i c a dominierten die Bergarbeiter, ebenso inPees, wo ihrer 15 000 am Zuge teilnahmen.— In G h ö r de-monstrierten 13 000, in T e m es V ä r 20 000, in Baja 8000, inRozsahegy 5000 Arbeiter. Miskolc und Preßburg sahen ganz ge-waltige Manifestationen.In Ujvidek leistete sich die Gendarmerie eine Attacke gegen dasVolkshaus: es wurden leider viele Arbeiter verwundet. In Szom-bathely(Steinamanger) ward der Demonstrationszug verboten,der Redner verhaftet.Auch in der Provinz war allenthalben das Militär konsigniert,die Polizei durch die Gendarmerie verstärkt, schwärmten Patrouillendurch Straßen und Gassen.Wie Oesterreichs Proletariat am ewig denkwürdigen 23. No-vember 1905 daS allgemeine Wahlrecht im Maffenschritt der'Ar-beiter-Armeekorps aus dem Boden stampfte, so hat UngarnsProletariat sich am 10. Oktober 1907 des österreichischen Bruderswürdig gezeigt. Solange Proletarierherzcn für Recht �ird Frei-hcit schlagen, wird diese gewaltige Demonstration nicht vergessenwerden.Blockpolitik-- Scharfmacherpolitik.Herr Bassermann hat den Nationalliberalismus den„Kern" deS Blocks genannt. Gegen diese Auffassung erhebtdie„Konservative Korrespondenz", daS Sprach-rohr des Hauptvereins der deutschen Konservativen, lebhaftenEinspruch.Die Blockpolitik, sagt die„Konserv. Korr.", könne nurZompromißpolitik sein. Aber nicht etwa ein Kompromißzwischen Freisinn und Konservativen, dessen mittlere Linie derstationalliberalismus bilde, sondern ein Kompromißzwischen Konservativen und Nationallibe-r a l e n I Die Korrespondenz wird dann sehr deutlich:„ES hieße doch wahrlich die Selbständigkeit und dieBedeutung der konservativen Parter ganz erheblichunterschätzen, wenn man sich der Illusion hingeben wollte, dieKonservativen würden, bloß um die Dauer des Blocksz'u verlängern, eine„verständige liberale Politik" treiben.Würden sich denn nicht auch die blockbegeisterten Natioualliberalenhöflichst bedanken, wenn man sie einladen wollte, der Dauerdes Blocks zuliebe eine verständige konservative Politik zumachen 1Man wird wohl nicht fehlgehen, wenn man annimmt, baßder Abgeordnete Bassermann in seiner programmatischen Rede dieGrundzüge der von ihm geforderten vernünftigen liberalen Politikgezeichnet hat. Sollte aber auf der Linken erwartetwerden, der Block, d.h. die k o n s e r v a t i v- l i b e ra leMehrheit würde die Hand zur Verwirklichung der verschiedenenProgrammpunkte bieten,'so wiirde man sich täuschen. Wir hebennur einiges aus den sehr bedenklichen Forderungen und Ansichtenhervor. Der Redner forderte den AuSbau des Koalitions-rechts in freiheitlichem Sinne und die Zurückgewinnung dervon den Sozialdemokraten beherrschten Industriearbeiter durchMittel, die sich nur in der liberalen Politik findenließen. Der nationalliberale Führer ist dabei der Meinung,_ daßjetzt die Gelegenheit günstig sei, in der Jndustriearbeilerschaftgegenüber der Sozialdemokralie Boden zu gewinnen. Diese An-schauung können wir nicht teilen, wir sind vielmehr davonüberzeugt, daß der Block»ur dann seine nationale Ausgabe invollem Umfange wird lösen können, wenn er die Sozialdemokratiemit aller Schärfe und aller Rücksichtslosigkeit bekämpft. Dieliberalen Mittel haben im Kampfe gegen dieSozialdemokratie versagt."Die Konservativen wollen also von einem f r e i h e i t-lichen Koalitionsrecht nichts wissen! Für siebedeutet die Blockpolitik rücksichtsloseste Scharfmacherpolitik!—Mordspatriotismlisund Kriegsbereitschaft.Die Ausweisung unseres Genossen Pablo Jglesias und diebrutale Verfolgung der antimilitaristischen Propaganda durch dasradikale französische Ministerium sind mehr als Torheiten kleinerNarren. Sie dienen vielmehr der Demonstration; sie sindchauvinistische Kundgebungen. Die französische Regierung wartetnicht erst ab, bis der Sozialismus seine Friedenskundgebungenim Lande entfaltet hat; sie ergreift das Prävenire, benutzt dieerste beste sich ihr bietende Gelegenheit, um mordspatriotischeDemonstrationen auszulösen. Sie findet denn auch einen mäch-tigen Wiederhall in der bürgerlichen Presse Frankreichs. Diebürgerliche Oeffentlichkeit Frankreichs zeigt sich einmütig kriegS-lüstern— wie auch die deutsche Bourgeoisie bei den jüngstenReichStagswahlen. Denn hinter der kolonialpolitischen Machedieser Wahlen steckte, wie man es an allen Orten wahrgenommenhat, ein starker Zug von mordspatrtotischem Rummel. DieseStimmung hat in Teutschland seit den Wahlen nicht abgenommen,sondern zugenommen. Die Flottenrcde des ZentrumsführersSpahn ist dafür ebenso kennzeichnend, wie die AuslassungenBassermanns und die Beschlüsse des nationallibcralcn Parteitages.Die letzteren lassen sich in die Formel zusammenfassen: Kon-Zessionen an die Oeffentlichkeit in der inneren Politik und for-cierte Kriegsrüstungen— Polizeifriedcn, weil man mitder Eventualität eines Krieges zu rechnen hat. Zu gleicher Zeitbringt die„Kölnische Zeitung" an leitender Stelle eine mords-patriotische Notiz über Deutschlands Kriegsbereitschaft.Teutschland sei kriegsbereit wie niemals, behauptet die„Köln.Ztg.". Mag sein, doch was das offiziöse Blatt zur Bekräftigungdieser Ansicht anführt, steht auf sehr schwachen Füßen. Es warnicht bloß eine französische Zeitung, eS war der deutsche Bankier-tag, der auf die Geldschwierigkeiten im Falle eines europäischenKrieges verwiesen hat. Nun sagt die„Köln. Ztg.", auch ärmereStaaten hätten schon kostspielige Kriege geführt. Gemeint sindoffenbar Rußland und die Türkei. Allein diese Staaten habensich auch dann durch solche Kriege zugrunde gerichtet. Das ist da?eine. DaS andere ist aber noch wichtiger— nämlich, daß nurunter den primitiven und noch mehr verwahrlosten wirtschaftlichenund politischen Zuständen, wie sie nur in Rußland und in derTürkei herrschen, eine derartige Kriegführung möglich ist. Einmoderner Industriestaat ist für die Lahmlegung der Produktion,die Ausraubung der Staatskassen, die Gefährdung des Geldein-laufs, die Zerrüttung des Eisenbahnverkehrs usw. usw. ganz andersempfindlich, als ein Bauernstaat. Das bezieht sich allerdings aufDeutschland ebensowohl wie auf Frankreich.Noch auf ein besonderes Moment möchten wir in diesem Zu-sammenhang verweisen. Als in sich geschlossenes Reich warDeutschland stark. Es wäre noch stärker, wenn die deutsche Ein-heit nicht ein Bruchstück, die deutsche Freiheit nicht ein Bettclstückgeblieben wäre. Doch nehmen wir es, wie es war, so war esItark, solange es nur seine Stellung in Europa zu verteidigenhatte. Aber je mehr es sich politische Interessen über dieOzeane in Afrika und in aller Welt schafft, wird seinpolitisches Schwergewicht versetzt, und eS wird schwach. Es hatin einem blutigen Kriege den Rhein erobert, um eine starke Ver-teidigungslinie zu besitzen; inzwischen aber hat es sich selbst inallen Ecken der Welt Angriffspunkte geschaffen. Noch vor zehnJahren konnten Deutschlands Heerführer erklären: Im Falle einesKrieges brauche Deutschland keine Secgcfahr zu fürchten—„Deutschlands Küsten schützen sich selbst".— Schon ist es anders.und jede neue Kolonie, jede neue deutsche Interessensphäre verlegtdas Schwergewicht in den Seekrieg. Man kann es als geschichtliche Regel hinstellen: je größer der Kolonialbesitz, desto geringerwird die Defensivkraft des Staates. Man sieht es an Spanienwie an Holland. Man sieht auch, mit welchen SchwierigkeitenEngland zu kämpfen hat. Dieses hat aber in seinem Ozean-gürtel eine Verteidigungslinie, wie kein Land in Europa. Ueber-dies hat es sich strategische Stützpunkte in den Weltmeeren ge-'chaffen, die man ihm erst abringen müßte, um sie zu besitzen.Nach alledem scheint uns der bramarbasierende Ton der„Köln.Ztg." wenig angebracht. Es gibt jetzt in Deutschland wohl mehrMenschen und mehr Geld als 1870, aber Teutschland bietet jetztviel mehr Angriffspunkte als damals, es zeigt mannigfaltigere,kompliziertere Interessen, die durch den Krieg verletzt werdenwürden. Schließlich— damals handelte es sich um die Reichs-gründung, jetzt kann es sich höchstens um ein Ausbcutungsmonopolunter den Schwarzen oder den Gelben handeln! Der Baffer manu-iche oder Bülowsche„Liberalismus" ist es sicher nicht, der dasdeutsche Volk begeistern könnte.In ähnlicher Weise haben sich freilich die Dinge auch inFrankreich entwickelt.War schon der dcutsch-französische Krieg 1370/71 das traurigsteEreignis des 19. Jahrhunderts, so wäre ein Krieg zwischen Deutsch-lland un? Frankreich heutzutage das größte Unglück der Nationen.Wohl ist die Bourgeoisie hüben wie drüben daran, die Völker ineinen Krieg hineinzuhetzcn— ob ihr das aber gelingen wird.hängt nicht unwesentlich von der Klaffensolidarität des Proletariatsund dem Widerstand ab, den eS dem Mordspatriotismus der Aus-bcuterklasse zu bieten vermag. P a r V u S-liiarokko.Der Sultan Abdul Aziz hat gegen den französischenGesandten Regnanlt, der ihn zu Rabat aufgesucht hat, sehrfriedliche Saiten aufgezogen. Er versprach dem Gesandten,die Prüfung der französischen Vorschläge im Verein mit demMaghzen mit größtem Eifer ohne Zeitverlust zu beiverl-ftelligen.