«8 ist auch zuzugeben, daß der.Religionsunterricht", wie ihn Sozialdenwiraien und freireligiöse„Prediger" ertheilen, kein ReligibNkUNterricht ist. Gleichwohl können wir grundsätzlich den Erlaß nicht billigen. Es ist Sache der Eltern, zu de- fn innren, in welcher Religion das Kind erzogen werden soll: es rst nicht Äufgade deo Staates. Religionsunterricht zu er- Iheilen, oder zu entscheiden, welcher Unterricht als Re- ligivnsunterricht anerkannt werden soll. Gerade wir Katdolilcn nüissen uns hier gegen jeden Zwang und jede Einmischung verwahren. Es� ist noch in aller Erinnerung, welche Wirrfale der Allkalholizisnuis im Religionsunterrichte angerichtet hat. Da wurde ein von einem altkatholischcn Lehrer ertheilter Religionsunterricht als katholisch bezeichnet, obschon die Eltern davon nichts wissen wollten. Wie leicht ist es in solchen Fällen, die Kinder für Dissidentcnkinder und den nichtschulplan- inähipen Religionsunterricht für ungenügend zu erklären! Die „Norddeutsche Slllgeineine Zeitung" berust sich für den Erlaß aus die VersnssUug, der es durchaus entsprechend sei, wenn jedes Kind Religionsunterricht gemeße» müsse. Das steht nun wohl nicht so in der Bersasjung, indeß das ist Nebensache; die Hauptsache ist: der Staat hat nicht zu bestimmen, waö als Religion und Religionsunterricht anerkanntwerdensollodernicht." Berössentlichnng der Kommnnal-Einkonimensteuer- Liste». Die Niinister des Innern und der Finauzen haben entschieden, daß der von den Stadtverordneten beschlossenen Verösteutlichnng der Koinnlunal-Einkommeustcuer-Listen von Aufsschls wegen nicht entgegengetreten werden soll. Ohne die Orsfnittichkeit dieser Listen, ivelche die Grundlage dcS Klassen- Wahlsystems bilden, würde die Ausstellung der Wählerlisten jeder Kontrolle entbehren.— Tie Zlugriffe auf die Bermögcnsstener, sowie gegen die Sclbstcinschätzung zur Einkommensteuer, die in der kapitalistischen Presse und in zahlreichen Petitionen von Handelskammern u. s.>v. erhoben werden, gehen durch- gehends von der an sich richtigen Anschauung aus, daß unsere ganze kapitalistische Wirthschaft so vollständig auf Schwindel beruhe, daß sie keinerlei offene Klarlegung vertragen könne. Es ist jedenfalls ein Vorzug der so bc- kämpften Steuern, daß sie der Bourgeoisie dieses Selbst- bekemitmß abzwingen.— Die Moloch- Anbeter nützen die Weihnachtsferien nach Kräften aus, um für die Militärvorlagc Stimmung zu machen. Wir werden förmlich mit Reptilien-Waschzetteln überschüttet, die uns die Annehmlichkeiten der Weißblutung schildern. Das Geschreibsel ist nicht Werth, gelesen zu werden. Wer einem Volk sagt:„Du mußt Dich zu Grunde richten, weil es mir nolhwendig erscheint," der ist kein guter Nathgeber. Weg mit solchen Rathgebern! Weg mit der Militärvorlage! Und weg mit jedem Abgeordneten, der sür sie stimmt!— Osfiziösc Augstmacherei. Die»Norddeutsche Allge- meine Zeitung" schreibt: ,Der Abgeordnete Dr. Lieber hat sich gegenüber der Mög- lichknt, daß die verbündeten Regierungen, wenn die Müilär- vorläge im Reichstag nicht zur Annahme gelangt, im Sinne der»kleinen aber guten Armee' zur vollen dreijährigen Dienst« zeit zurückkehren könnten, aus die am 24. Juni tKSO vom Reichskanzler abgegebene Erklärung, wonach die Zahl der Tispositions-Urlauber um etwa Kllvo vermehrt werde» würde, drrusen. Er wird darin Recht haben, daß sich, falls die Mililärvorlage nicht angenommen wird, die deutschen Militär- Verwaltungen bis zum Ablauf des Septennals lür gebunden hallen würden. Warum sie es aber noch darüber hinaus sein sollten, ist nicht abzusehen." Es fragt sich nur, ob die Negierung noch einen Reicks- tag finden wird, der ihr die Mittel zu ihren Plänen oe- willigt? Oder will sie es auf einen Staatsstreich ankommen lassen?— Tie Vorbildung zum Offizier. Als einen Vorzug des Offizierkorps, des„ersten Standes", betrachtet das frei- konservative„Deutsche Wochenblatt" das Wahlrecht der einzelnen Ossizierkorps bei der Aufnahme seiner Mitglieder. Diesem Vorrecht sei es allein zuzuschreiben, daß bisher kein Jude Offizier wurde und der Osfizierstand von der Zu« laffung„anders gearteter Personen" frei blieb, unter der heute Richter, Aerzte, Lehrer und andere Berufszweige „leiden".„Leider" aber käme zu diesem Vorzug des Offizierstandes ein Mangel: „Die Bildungsstufe feiner Mitglieder ist— selbstverständ- lich vom Durchschnitt gesprochen— nicht der Zeit entsprechend fortgeschritten, sie ist hinter den Ansorderungea an die übrigen gebildeten Stände zurückgeblieben." Wozu braucht der„erste Stand" des Staate? eine höhere Bildung? Die„Schneidigteit" würde durch dieselbe nicht gewinnen, und es stände traurig mit dem„ersten Stande", wenn er Abbruch an der„Schneidigkeit", welche durch keine Bildung ersetzt werden kann, erlitte.— Die Reichstags-Ersatzwahl im Wahlkreise Dirschau- Verent- Stargard für den verstorbenen Abgeordneten von Kossowski(Pole) ist auf den 26. Februar anberaumt. Als polnischer Kandidat ist Herr Michael von Kalkstein auf- gestellt, dessen Wahl nicht zweifelhaft ist.-- Die Mucker- und Geldsack-Allianz in Stuttgart , welche bei der Oberbürgermeister-Wahl schmählich unterlag, sieht jetzt auch ihre letzte Hoffnung aus die Nichtbestätigung Rümelin's vernichtet. Die Bestätigung durch die Regierung ist erfolgt. Daß eine Partei eine Niederlage erleidet, ist keine Schmach und kann unter Umständen der Be- siegte sogar die größere Ehre beanspruchen. Hier aber haben sich die Unterlegenen durch ihre Machinationen, die Bestätigung des Gewählten zu vereiteln, mit dem größten Schmutz besudelt. Sie, die besonders„Respektablen" und„Frommen", welche mit ihrer„deutschen " Gesinnung und ihrem„Patriotismus" prunkten, suchten die Person des Gewählten, der seit Jahrzehnten ein höheres Staats- amt bekleidet, durch das Aufstöbern seines Privatlebens bis in die früheste Jagend, wobei sie vor Lügen und Vcr- leumdungen nicht zurückschreckten, herabzuziehen. Und in dieser gemeinen Thätigkeit wirkten mit die beiden Kollegien, Magistrat und Bürgcrausschuß, wenigstens in ihrer großen Mehrheit. Von der Wahlniederlage hätte die geschlagene t artet sich wieder erholen können, aber niemals von der chmach, mit der sie sich selbst beladen hat.— Tiefer hangen! In Chemnitz hatte eine Ver- sammlung Arbeitsloser den Beschluß gefaßt, sich an den Stadtrath um Beschaffung von Arbeit zu wenden, und einen Ausschuß gewählt, der dem Stadtrath die Lage vorstellen sollte. Aus die betreffende Eingabe erwiderte der Stadt- rath: Auf die Eingabe, welche Sie dem unterzeichneten Ober- büraermeistcr am 20. d. M. namens einer am IS. d. M. im Gasthaus Wiesentbal abgehaltenen Versammlung überreicht haben, erwidern wir Ihnen, daß wir Bedenken tragen, uns mit einer Versammlung angeblich Arbeitsloser in eine Er- örterung über die Frage einzulassen, ob und welche Maß- regeln von uns zwecknmßigerweise getroffen werden können, um einzelnen Arbeilslosen Arbeit zu verschaffen. Durch die Behandlung in öffentlichen Versammlungen wird dem Interesse der Arbeiter unseres Erachtens nicht gedient. Auch das, was im einzelnen Falle für den einzelnen Arbeiter etwa geschehen kann und geschieht, wird durch die Behandlung der Sache in öffentlichen Versammlungen nicht gefördert, sondern weit eher erschwert. Wir werden, was wir thun können, wie bisher, so auch ferner thun, müssen es aber ablehnen, mit dem in derge- dachten Versammlung erwählten Ausschuß in eine weitere Er- örterung über die Fürsorge für Arbeitslose einzutreten. Chemnitz , den 22. Dezember 1892. Der Rath der Stadt Chemnitz . A n d r 6, Dr., Oberbürgermeister. Diese bureaukratische Unfehlbarkeit, die auch das Elend besser zu kennen vermeint als die Elenden selbst, ist außer in Deutschland höchstens noch in China möglich.— Lothar Bücher über Bismarck . In„Schorer's Familienblatt" hat ein Freund Lothar Bucher's Aeuße- rungen desselben über die letzten Jahre der Aera Bismarck und über das klägliche Nachspiel veröffentlicht. Daß Bucher seinem„Chef"„nioralische Kurzsichtigkeit"(Blindheit wäre richtiger gewesen) zuschrieb, haben wir schon mitgetheilt. Interessant sind aus den Aufzeichnungen des Freundes noch folgende Stellen: „Kurz nach Vismarck's Sturz sah ich Lothar Bucher . Er nahm lebhaften Antheil an dem weltbedeutenden Ereigniß, machte aber auch kein Hehl aus seiner Ueberzeugung, daß der Fürsi die Haupts chäi ld an der Katastrophe selbst trage. Bucher erkannte ebenso wie andere objektive Beobachter an, daß die Lage in den letzten Jahren Bismarck's unhaltbar geworden sei. Die fortwährenden Niederlagen nach innen und außen, die Verhetzung aller Klassen und Parteien, die vollständige Direktionslosigkeit der Regierungsorgane hätten einen Umschwung geradezu unvermeidlich gemacht. -- Wie Bucher erzählte, beschäftigte er sich nach Bismarck's Sturz als Gast in Friedrichsruhe hauptsächlich damit, das Material für Bismarck's Memoiren zusammenzutragen und dessen mündlich mitgetheilte Erinnerungen zu fixiren. Zu diesem Zwecke hatte er seine stenographischen Kenntnisse wieder aufgefrischt. Nach dem Frühstück pflegte der Fürst ebenso wie zu der Zeit, wo er noch im Amte war, am liebsten zu arbeiten. Er ließ sich dann in das allgemeine Frühstückszimmer die Aktenstücke bringen und gab, unbekümmert um etwaige fremde Anwesende, hier seine Ordres. Erst nach vielen Vorstellungen Bucher's und nachdem mehrfach Indiskretionen vorgekommen waren, ließ sich Bismarck einst bestimmen, in einem anderen Zimmer zu arbeiten. In Friedrichsruhe that er es in einem Räume, der nur durch eine Glasthür vom Frühstückszimmer ge- trennt war. Hier pflegte er nun in den letzten Jahren, während er seine Pfeife rauchte, anknüpfend an irgend ein Tagesereigniß seine Erinnerungen im Kopfe zu sammeln und zu erzählen. Er kam dabei oft vom Hundert st en ins Tausend st e und beging sehr erhebliche Jrrthümer, da ihm alles urkundliche Material fehlte. Bucher notirte geduldig alles der Reihe nach stenographisch. Dann mußte es der Sekretär um- schreiben und nun ging Bucher daran, daS Notirte unter das bereits Vorhandene«inzuordnen und dann nachzuprüfen. Zu diesem Zwecke benutzte er die Privatkorrespondenz Bismarck's und arbeitete eifrig in der Berliner Bibliothek. Wie er sagte, war die Arbeit eoeuso schwierig wie peinlich, denn der Fürst sei meist um so fester von einerThatsache über- zeugt, je mehr er sich im Jrrthum befinde. Sehr bedauerte der Geheimrath wiederholt, daß Bismarck alles, was festgestellt sei, s o f o r t in die Oeffentltch- k e i t gebe. Fast alles Neue in den Memoiren habe er ver- schiedenen ihn besuchenden Redakteuren mitgetheilt, die es mehr oder weniger entstellt verbreitet hätten. Es bleibe sonach sehr wenig Werthvolles übrig. Von der großen Gesprächigkeit des Fürsten und den vielen Interviews, die er Journa- listen gewährte, war Bucher nichts weniger als erbaut. Nach feinen Aeußerungen hatte sowohl die Fürstin als die übrige Familie den Kanzler davon abzubringen versucht, aber umsonst. Auch Bucher lenkte gelegentlich einmal das Gespräch auf die Sache und meinte, es sei doch viel klüger und politischer zu schweigen. Aber da kam er schön an. Bis- marck musterte ihn von oben bis unten und rief:„Lieber Bucher, das verstehen Sie nicht. Wenn mich einer haut, hau« ich chn wieder l" Die„Kreuz-Zeiwng", welche diese Aufzeichnungen abdruckt, fügt am Schluß die Bemerkung hinzu: Unsere Leser werden in diesen Aufzeichnungen den psycho- logischen Schlüffel für Ereignisse der jüngsten Vergangenheit finden, die dem Uneingeweihten wie ein Rälhsel erscheinen. Lothar Bucher aber war ein Eingeweihter und Voreingenommen« heil gegen oen Fürsten Bismarck wird ihm niemand vorwersen können. DaS ist bitter. Und wir wissen, daß Bucher sich über den„Chef" noch viel— kräftiger geäußert hat, als die„Aufzeichnungen des Freundes", der sich auch hofmännischer Sprache befleißigt, es erkennen lassen.— Nachdem wir Vorstehendes geschrieben, erhalten wir die„Hamburger Nachrichlen" mit einem Artikel gegen die „Aufzeichnungen" in„Schorer's Familienblatt". Die stereotypen Kraftausdrücke(„Giftmischerei gegen Fürst Bis- marck":c.) verrathen den Urheber, und wer den Urheber kennt, weiß, was dessen Ableugnungen werth sind.— Dem iuternationaken Arveiterkongreß zu Zürich wird sich eine Reihe von internationalen Gewerk- schafts-Kongressen anschließen. Zu den bereits be- kannten ist nun auch der der H u t m a ch e r gekommen. Die österreichischen, sranzösischen, englischen, belgischen und deutschen Kollegen haben sich geeinigt, und in den nächsten Tagen wird der Aufruf erscheinen.— Die Hoffnung der Unternehmer und ihrer„unabhängigen" Hofnarren, daß der Londoner Gewerkschaftskongreß dem Züricher Arbeiter- kongreß Abbruch thun tverde, wird sich nicht erfüllen. Der Londoner Gewerkschaftskongreß wird ein Rnmpfkongreß sein und durch sein Fiasko nur den Niedergang des alten Trades» Unionismus aller Wett anschaulich machen. Die sozialistischen Gemeindcräthe Frankreichs an der Arbeit. Mau schreibt uns aus Pari», den 2S. Dezember: Bei der Debatte über die Verwirklichung der einzelnen For- derungen des Lyoner Gemeindewahl-ProgrammS wurde aus dem Kongresse zu Marseille die Frage aufgeworfen, woher die Kom- munen die Mittel zur Beffergestaltung des Arbeiterlooses in der heutigen Gesellschaft nehmen sollten; die zur Verfügung stehenden Gelder, hieß es, reichten nicht aus, und neue Steuern würden die Bevölkerung der Städte mit segtaUstischer Verwaltung bald so erbittern, daß es den sozialistischen Etadträthen binnen kurzem unmöglich sein würde, die Geschäfte in gedeihlicher Weise weiter- zuführen. Darauf erwiderte Genosse L a f a r g u e in sehr zu- treffender Weise, wenn man von„Bevölkerung" spreche, so dürfe man dabei nicht die Klassengegensätze vergessen; so lange die Bourgeois die Herrschaft in den Händen gehabt, hatten sie sich nicht im mindesten genirt, den Haupttheil der Steuer- lasten auf das arbeitende Volk abzuwälzen; nun die Arbeiter eine Reihe Rathhäuser erobert hätte», sei es nicht mehr wie billig, daß die Bourgeoisie gehörig zur Tragung der Steuern herange„ogen würde, die Sozialisten möchten dabei keine Zag- hastigkeit an den Tag legen, sondern den Klassenkamps, wie ihn nun einmal die heutige Gesellschaftsordnung mit sich bringe, auch auf diesem Gebiete mit aller Energie führen. Kürzlich ist dieser Rath unter anderem in M o n t l u? o n in Thalen unr- gesetzt worden. Es handelte sich um die Miethssteuer. Der Sladlrath von Montluyon beschloß, diejenigen Einwohner, die unter 300 Franken Miethe zahlen, gänzlich von dieser Steuer zu befreien und den Aussall im Budget durch eine stark progreslwe Besteuerung der höheren Mielhsbeträge zu decken. So wurde festgesetzt, daß die Miethssteuer verdoppelt und verdreifacht werden sollte, wenn die Miethe sich auf mehrere Tausend Franken beliefe, und mit Haarsträuben las der entsetzte Bourgeois in allen darob in ein wahres Wuthgeheul ausgekrochenen kapitalistischen Organen, daß man bei einer Miethe von 1000 Franken statt 139,52 künftig 243,90 Fr., bei 2000 statt 279.03 künftig 740,39 und bei 8000 statt 429.70 künstig 1111,04 Franken bezahlen solle. Es ist auch zu schrecklich, daß die Bürger, welche allein für die Mielhe so viel ausgeben, als mehrere Arbeiterfamilien zusammen zu ihrem ganzen Levensunterhalte brauchen, etwa ein Drittel des Mielhsbetrages als Steuern hingeben sollen, um die Lasten ihrer ärmeren Mitbürger etwa? zu erleichtern. Höhnisch weisen die Blätter, welche, wie alle republikanischen Organe, neben der „Freiheit" die„Gleichheit" und ,/Lrüderlichkeit" aus ihre Fahne geschrieben haben, die„Ironie" des MaireS von Mouttu�on zurück, der in einem Ausruf die Hoffnung ausgedrückt hatte. „daß bei dieser Gelegenheit der Geist der Brüderlichkeit der wohlhabenden und reichen Bevölkerung von Montluyon auf der Höhe der Opfer sein würde, die man von ihr verlangte." Glücklicher Weise für die Bourgeois schlief der von der Regierung bestellte Wächter der kapitalistischen Aus- beutung, der Präfekt, nlcht; ein passender Gesetzesparagraph ließ sich entdecken; und schleunigst annullirte der Regierungsvertreter die vom sozialistischen Gemeinderalh gefaßten Beschlüsse. Die Bourgeoisie athmet noch einmal auf und versucht jetzt, den energi- scheu Mai« von Montlugon, Genossen D o r m o y, der bekannt- lich auch kürzlich die Unverletzlichkeit der Polizei antastete, zu Unbesonnenheiten zu provoziren, um ihn seines Amts entsetzen zu können. DaS wird chr jedoch nicht so leicht gelingen.— Wie die Bourgeoispreffe gegen die sozialistischen Gemeiuderäthe vorgeht, dafür ein anderes Beispiel. Kürzlich brachte der „Temps" einen langen Entrüstungsartikel über die schlecht« Verwaltung der Stadt R o u b a i x. Bei den geschäft- ltchen Angelegenheiten fehle den Sozialisten jede Sachkenntniß, ihre Versprechungen, d. h. die Durchführung des Lyoner Pro- gramms, könnten sie nicht halten; die Volksbildung würde von ihnen vernachlässigt, man hätte Lehrkurse unterdrückt und Lehrer im Gehalte geschmälert; ein hervorragender Sozialist von Roubair hätte irgendwo geäußert, man würde beim Sladtbud�et «ine Million sparen können, und jetzt seien es blos lumpcge 40 000 Franken u. s. w. u. f. w. Daraufhin theilt das Organ unserer Freunde Guesde und La sarg ue folgendeSrnU: Zunächst können die im Mai zur Herrschaft gekommenen Sozialisten noch nicht viel ausrichten, weil ihnen anfangs die Hände durch das von den Opportunisten festgesetzte Budget gebunden sind. Trotzdem hat der Stadtralh von Roubair schon in diesem Jahre gegen IS 000 Franken, d. h. mehr alS sechsmal so viel wie sein Vorgänger, darauf verwenden können, die dedürstiaen Schulkinder mit Kleidungsstücken zu verse'—„Fe:..-->,»> er an zwei Schulen Schülerspeiseballen eingerichtet; die anderen Schulen sollen so bald wie möglich in gleicher Weise ausgestattet werden. Die Armuth ist in der großen Industriestadt Roubaix so vorherrschend, daß von 11 705 Kindern 8532 als bedürftig bezeichnet werden mußten und auf städttsche Unkosten in der Schule eine Mahlzeit erhalten sollen. Von den 34 l 230 Frauken jähr- licher Betriebskosten der Schülerspeisehallen hat der Sladlrath bereits den größten Theil, nämlich 213 000 Franken, ins Budget aufnehmen können: und den Rest hofft man auch bald aus- zubringen. Was die Vernachlässigung des Schulunterrichtes be- trifft, so verhält es sich damit folgendermaßen: Von 29 außer» ordentlichen Kursen hat der Stadtrath 4 unterdrückt, weil die- selben nur von einem oder von zwei Schülern besucht wurden. Dafür hat er drei Zufchneidekurse neu eingerichtet. Durch die Unterdrückung der genannten 4 Kurse find allerdings die Gehälter einiger Direktoren und beffer gestellten Lehrer geschmälert worden; dafür beschäftigtstch aber der Sta blrath gerade jetzt damit, die Lage der Unterlehrer, welche oft von den Direktoren schamlos ausgebeutet werden, zu verbessern. So steht eS in Roubair. und ähnlich geht es in allen sozialistischen Kommunen zu. Ehe aber die Be- richligung der falschen Nachrichten erfolgt, machen die entstellten und meistens absichtlich verlogenen Berichte die Runde durch die ganze Presse, so daß der arglose Leser zu der Anstcht kommen muß, in den sozialistischen Gemeinden sei man weder seiner Börse noch seines Lebens sicher. Man verleumdet recht wacker, in der Hoffnung, daß doch immer etwas hängen bleibt. Jedoch muß hervorgehoben werden, daß die radikale Presse, in der vielfach Sozialisten thülig sind, nicht in dieses Hetzgeschrei mit ein- stimmt: im Gegentheil, es kommt nicht selten vor. daß Blätter wie die„Justice", das Organ von Clemenceau und Pelletan, oder die„Petite Republiqu» franyaise" die sozialistischen Gemeiuderäthe in Schutz nehmen. Die sranzösischen Radikalen unterscheiden sich in dieser Beziehung sehr vortheUhast von den deutschen „Freisinnigen". Ueber den Kongreß der holländischen Sozialisten erfahren wir nachträgiich noch, daß die Mehrheit sich,„im Gegensatz zu der Taktik der deutschen , belgischen und fraa- züsischen Sozialisten für die revolutionäre Taktik aus- gesprochen hat, weil sie— die Mehrheit— nicht an die fortschreitende Entwickelnng der gegenwärtigen Ordnung der Dinge zum sozialistischen Staat glaubt."„Die sozialistische Partei muß den Umsturz der bestehenden Gesellschaft mit allen gesetzlichen und ungesetzlichen Mitteln anstreben." Der Kongreß hat außerdem eine, mit unserem Programm wesentlich übereinstimmende,„Prinzipien-Erklärung" an- genommen, und zu gleicher Zeit, da es mit dem„revolutio- nären gewaltsamen Umsturz" nicht so rasch geht, die Aus- arbeitung eines„praktischen Programms" beschlossen, welches— dem nächsten Kongreß vorgelegt werden soll. Es scheint daraus zu erhellen, daß der Kongreß den„re- volutionären gewaltsamen Umsturz" vorläufig für nicht praktisch hält, was etwaS stark nach„Opportunismus" und „schwächlicher Rechnungsträger«" riecht.— J England. Aus London wird unter dem heutigen Tage tetegraphirt: Die Regierung beschloß die Einsetzung einer königlichen Kommission, bestehend auS Mitgliedern aller Parteien unter dem Borsitz» des Prinzen von Wales, zum Zweck der Feststellung von Maßregeln sur die Altersversorgung von Arbeits - unfähigen und Greisen. Hoffentlich nimmt man sich das deutsche Altersoerjlche« rungs-Gesetz zum abschreckenden Beispiel.—
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten