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Me Sozialdemokratie gegen den Versuch, sie zur Eides- Helferin für das Reichsgericht zu mißbrauchen, erst noch zu verteidigen. Uebrigens findet dieNordd. Allg. Z t g." am Schluß eines jener unmanierlichen Artikel, wie sie nachgerade beim Bülow-Blatt ständig werden, daß Bebel vor Gericht einen Stand- Punkt vertreten hat,der in der Sache genau der gleiche ist, wie ihn Liebknecht sich zu eigen gemacht, d. h. nichts anderes als Verrat am eigenem Lande". Dabei werden endlich wieder unsere französischen Genossen als Patrioten uns vorgehalten. Uns kann es ja recht sein. Aber merken denn die Auftraggeber des dummen Blattes nicht, wie merkwürdig es im Ausland berühren muß, Bebel, der wenn er spricht, im Namen von drei Millionen spricht, immer des Vaterlandsverrats zu beschuldigen? DieNational-Zeitung" ist juristisch einverstanden, waS bei der Sachvcrständigkeit dieses Blattes nur in Ordnung ist und unsere Meinung über das Urteil bekräftigt. Aber über die Zweckmäßigkeit steigen diesem weisen Blatt schwere Bedenken auf, so daß es schließlich den köstlichen Vorschlag macht, den Ver- urteilten zu b e g n a d i g e n, ehe er Zeit hätte, sich zum Märtyrer zu machen. Da ist doch die.Tägl. Rundschau" anderer An­sicht. Sie schreibt: Liebknecht ist danach mit einer verhältnismäßig sehr milde» Strafe davongekommen und man wird die Begrün- dung des Urteilsspruchs abzuwarten haben, um daraus vor allem zu erkennen, warum diesem Angeklagten die custoäia honesta zu­erkannt worden ist. Trotz des geringen Strafmaßes aber wird die Tatsache der Verurteilung niit Genllgtuung zu begrüßen sein, weil hiermit zum erstenmal das höchste deutsche Gericht der sozialdemo- k ratischen Agitation Maß und Grenze gesetzt und ihr gezeigt hat, daß sie im Begriff steht, die feine Scheide- linie zwischen derVerbreitung hochverräterischer Grund- sähe" und derVorbereitung zur hochverräterischen Hand- lung" zu überschreiten, d.h. über das vom Gesetz allenfalls noch Geduldete hinauszugehen und die Bahn des Verbrechens zu betreten." Und zum Schluß des giftigen, mit Dummheit ausgepichten Artikels heißt es: Die Milde des Leipziger Urteils ist von schwerer Bedenklichkeit, da dieser Spruch kaum geeignet ist, die höchsten Interessen des Staates zu schützen, der durch das Eindringen hochverräterischer Ideen in die Armee schwer gefährdet ist. Die Sozialdenrokratie ist nur dann im Zaume zu halten, wenn sie weiß, daß jeder ihrer Versuche, das Gesetz zu verletzen, mit rücksichts- loser Härte geahndet wird, wenn sie Monarchie und Staat in der Ueberzeugung gegenübersteht:Vor diesem Tiere hüte dich, greift man es an, so wehrt es sich I" In einem Blatt, das dem Kaiser vorgelegt wird, sollte man doch nicht Monarchie und Staat mit: Tier bezeichnen. Das ist doch taktlos I ver Zar facht Geld. Der russische Finanzminister reist nach Berlin . WaS will er? WaS anders als Geld? Aber in den Zeitungen läßt er berichten. Rußland brauche keine neue Anleihe, Rußland habe viel mehr Geld mit.hejden Händen zum Fenster hinauszuschmeißen. Soeben war er in Paris . Seiner Reise ging das Gerücht voran, es handle sich um einen neuen Pump von 100 Millionen Rubel. Und bevor Herr Kokoffzeff Paris verlieh, kam auch schon die Nachricht, die Anleihe habe sich zerschlagen. Vor seiner Abreise ließ ihn dieNeue freie Presse" in Paris interviewen. Oh, er habe die schönsten Eindrücke mitgenommen erklärte der russische Finanzministcr. Clemcnceau sei ein sehr weiser Mann; schade nur. daß seine, Kokoffzeffs Zeit so knapp bemessen gewesen sei, er hätte aus den internen Besprechungen mit dem französischen Premier sonst viel profitiert. Voller Weisheitssprüche, aber mit leerem Beutel zog der russische Finanzminister von Paris ab. Weshalb war er denn nach Paris gekommen? Nur seiner Ge- sundheit wegen erklärte er dem Interviewer. Das muß eine recht interessante Krankheit sein, die ihn plötzlich von Petersburg nach Paris treibt und von hier nach Berlin fortschnellt I Geld braucht Rußland keines! Aber, warf der boshafte Zeitungsmann dazwischen habe er denn nicht selbst in seinem Budgetbericht er- klärt, Rußland könne gegen Jahresschluß nicht ohne neue An- leihen auskommen? Ja, nein antwortete Kokoffzeff gewiß, aber die Steuereingänge seien gestiegen. Die Steuereingänge sreigcn bekanntlich in Rußland immer, wenn die Regierung keine neue Anleihe bekommt. Die Steuereingänge das ist in der Hauptsache das Schnapsmonopol. Was der russische Finanzminister verschweigt, ist, daß, wenn man noch so sehr den Schnaps ver- wässert, dadurch noch längst kein Ausgleich der Staatseinnahmen und Ausgaben geschaffen wird, daß der Staat seit Jahren die Eisenbahnen ausraubt und hier ein latentes Defizit geschaffen hat, das sich bald auf eine Milliarde beläuft, und daß die nötigsten Ausgaben, selbst die Armeeausgaben bis zum äußersten eingeschränkt werden. Geht doch gerade in diesem Augenblick die ungemein charakteristische Nachricht durch die Presse, Rußland habe beschlossen, seine sämtlichen Kriegsschiffe selbst zu bauen keine mehr im Auslande. Was bedeutet das? Wie ist die russische Schiffsbau- tcchnik auf einmal so leistungsfähig geworden? Sollte vielleicht durch die jüngste Havarie des Zarenschiffs der Beweis erbracht worden sein für die maritime Ueberlegenheit Rußlands ? Oder waren die Rcgierungswerften bis jetzt untätig, während Kriegs- schiffe im Auslande gebaut wurden? Nein, sie waren beschäftigt, soweit ihre Leistungsfähigkeit reichte! Wie sollen sie nun dazu kommen, jetzt auch noch die ausländischen Aufträge zu erledigen? Man weiß es in Deutschland wie in den anderen Staaten rech: gut, welche gewaltigen Anlagen zu einem modernen Kriegsflotten- bau gehören und wie lange es dauert, bis man eine leistungs- fähige Panzerplattenindustrie entwickelt hat. Es handelt sich einfach darum: Rußland kann keine Panzerschiffsbauten im Auslände mehr vergeben und muß sich auf seine eigenen recht armseligen Docks beschränken denn die zarische Regierung hat kein Geld mehr für Flottenbautcn. Und doch hat sie sich es nach dem Krieg zur Ehrenaufgabe gemacht, die verlorene Flotte rasch wiederherzu� stellen! Es sieht böse aus um die russischen Finanzen, wenn die zarische Regierung sich nach dieser Richtung hin Beschränkungen auferlegt. Wie steht eS um die Duma wollte der neugierige Bericht- crstatter wieder wissen. Die Duma? In Rußland äußerte de: Minister seien die politischen Unterschiede nicht so scharf ge- prägt; die Linke stimme manchmal für die Rechte und umgekehrt, man könne deshalb noch nicht wissen, wie die dritte Duma zu- sammengesetzt sein werde. Diese albernen Verlegenheitsphrasen zeigen deutlich genug, wie in Wirklichkeit die Dinge stehen. Es unterliegt denn auch schon jetzt nach den vorliegenden Wähler- gebnissen keinem Zweifel mehr, daß die Wahlen eine blamable Schwäche der Rechten zeigen werden. Trotz der Einschränkung des Wahlrechts, trotz des hohen Drucks der Regierung trotz der Unterbindung jeder Wahlagitation, trotz aller Schikanen und Be- cinflussungen, trotz des parlamentarischen Jndifsercntismus, de: durch die Kosakenpolitik der beiden Dumas großgezogen wurd-, wird es sämtlichen monarchischen Partejen kaum gelingen, etliche Tausend Stimmen zusammenzubringen und es sieht sehr danach aus, daß sie auch in der dritten Duma in der Minorität bleiben werden. Ohne Geld, ohne Anhang im Volk, ohne Kriegsflotte und ohne kriegstüchtige Armee hat die zarische Regierung auch bereits in der auswärtigen Politik alle Machtansprüche des Reichs aufge- geben. Der Weg zum Stillen Ozean ist durch Japan verlegt; in Zentralasien hat Rußland sich vollständig England unterworfen; auf der Balkanhalbinsel überläßt es unter der Form eines ge- meinsamcn Vorgehens Oesterreich die Oberhand. Der Zar hat nichts mehr abzugeben, seine Freundschaft ist nichts mehr wert und seine Minister klopfen vergebens an alle Türen, um die Gunst der Regierungen und einen Zehrpfennig für die Reise zu erbetteln. Das Wort von den Schnorrern und Hausierern, mit dem der deutsche Reichskanzler einst die russischen Revolutionäre belegte, paßt jetzt viel mehr auf die reisenden Minister des russischen Zaren. Parvus. Gin freilinnlger äber DlocKpoIitiK. ImMorgen" macht Professor Dr. Hugo P reust, ein Frei- sinniger, der erstens etwas von Geschichte, zweitens etwas von wirklich bürgerlicher Politik versteht und sich drittens noch eine ge- wisse Sehnsucht nach Demokratie bewahrt hat und daher aus all diesen Gründen unter dem Freisinn keinen Einfluß besitzt, ein paar treffende Bemerkungen über die Blockpolitik.Sollen sich, meint Pxeuß,die Liberalen mit Regierungshülfe aufschwingen, aber nicht gegen die Konservativen, so kann es nur gegen das Zentrum sein." Da tut vielleicht doch das Junkertum bis zu einem gewissen Grade mit. Mobiler wird dies freilich wider den anderen Gegner, wider die Sozialdemokratie. Zu solcher Gegenleistung ist aber das Bürgertum mit so freudiger Begeisterung bereit, daß seine Hülfe ganz den Charakter einer Gegenleistung verliert und ihm zum Selbstzweck wird. Die Fahne freiheitlicher Ideale wird unentwegt in die Höhe gehalten im Kampfe wider die Schergen römischer Geistcsknechtung; aber dieser Kampf bleibt sehr abstrakt, weil man an besagte Schergen in eonereto leider nicht heran kann; dafür entladet sich der KampfeSmut sehr konkret gegen die Ver- treter der organisierten Arbeitermassen, die man in greifbarer Nähe hat und mit denen man weniger in der Höhe der Ideale, als in den Niedeningen der materiellen Interessen karamboliert." Diese Politik ist aber, wie Preuß nachweist, nicht nur gegen alle liberalen Prinzipien, sondern vor allem urdumm. Denn soll der Block überhaupt etwas zustande bringen, so können es nur Kompromisse sein. Damit aber Kompromisse, die auch nur be- scheidenen liberalen Ansprüchen genügen, möglich sind, darfdaS Kompromisieln niemals zum Prinzip werden". Das Kompromiß kann das Ende eines ernsten Kampfes für daS Prinzip sein; das Prinzip des Kompromisses vor dem Kampf ist die Kapitulation. Daß eine Partei, die nicht die Macht hat, der Gesetzgebung ihre Forderungen zu diksieren, schließlich auch für eine Lösung zu haben ist, die ihr Programm zwar nicht erfüllt, sich aber ihm annähert, das ist so selbstverständlich, daß die ausdrückliche Proklamierung dieser Selbst- Verständlichkeit die Bedeutung hat, die Programmforderung von vornherein zu eliminieren und die Möglichkeit des Erreichbaren auf ei» um so tieferes Niveau herabzudrückcn. ES war die un- verzeihliche Sünde der Nationalliberalen in ihrer Blütezeit, nicht, daß sie Kompromisse schlössen, sondern daß sie Stümper in dieser Kunst waren, indem sie das Kompromiß zum Prinzip erhoben. Ob der Liberalismus im Block kunstverständiger geworden? Die erste Probe, die Jnstradierung der preußischen Wahlreform, be- rechtigt zu den allerschlechtesten Erwartungen; wie bei dem Pferde mit den ädilizischen Mängeln ist ungefähr alles da, was nicht da sein sollte." Das ist eine sehr treffende Verurteilung der Taktik der Frei- sinnigen Volkspartei in der pteußischen Wahlrechtsfrage, zu der diese sich unter der Führung des unglaublich ungeschickten F i s ch b e ck verleiten ließ. Wieder hat Preuß recht, wenn er meint, daß es dem Freisinn an Persönlichkeiten fehltvon ihnen reden, ist Ver- legenheit". Die Konservativen haben zwei Möglichkeiten: sie können mit'dem liberalen oder mit dem Zentrnmskalbe pflügen. Der Liberalismus muß gerade, wenn er im Block irgendetwas bedeuten wollte, sich die Möglichkeit wahren, die Konservativen und die Regierung jederzeit vor einen Block der Linken zu stellen. Oder wie Preuß sagt:Eben deshalb ist es für den Liberalismus auch im Block und gerade im Block eine Lebensfrage, die Fühlung nach links, mit der Sozialdemokratie, nicht völlig zu verlieren, so sehr ihm dies gerade als vornehmste Be- dingung seiner Blockpolitik angepriesen wird." Aber die Freisinnige Volkspartei will von solcher Politik nichts wissen und bleibt in den Niederungen der materiellen Interessen". Daß der Block auch keine noch so bescheidene liberale Polisik machen, sondern die r e- aktionäre noch steigern wird, muß gerade in den letzten Tagen die Rede Bassermanns auch den unverbesserlichsten Op- timisten gezeigt haben. Nicht nnt den heutigen unfähigen Führern der Freisinnigen Volkspartei , sondern nur gegen sie wäre eine wirkliche bürgerliche Demokratie in Deutschland möglich. Aber sehlt es auch da nicht an Persönlichkeiten? Wenn Herr Dr. Preuß meint, es seibegreiflich, wenn Charaktere, deren politische Individualität in einer festen Weltanschauung wurzelt, darob(ob des Blocks) tiefstes Mißbehagen empfinden und nicht mit- tun mögen", sondern nur beiseite treten können, so muß er doch in aller Bescheidenheit darauf aufmerksam gemacht werden, daß dieses mutlose Beiseitetreten mit ein Grund ist. daß sich in Deutschland eine bürgerliche Demokratie, die für die deutsche poli- tische Entwickelung, wie wir immer betont haben, nur ein Vorteil sein könnte, nicht gebildet hat! Politische Ucbevücht. Berlin , den 12. Oktober 1907. Ein seltsamer Willkommensgruh. DieTimes" leistet sich als Präludium für den geplanten Besuch des Kaisers bei seinem lieben Onkel in England einen höhnischen Ausfall gegen den Reichskanzler Fürsten Bülow und eine Auslandspolitik, obgleich sicherlich England dieser Politik, die es nicht nur aus seinersplenckick isolation" herausgeholfen, sondern ihm auch wieder das unbestrittene politische Uebergewich: in Europa verschafft hat, sehr dankbar sein sollte. Das englische Blatt versichert, dgß der Kaiser als Enkel der Königin und Neffe des Königs ein höfliches und reichliches Will- kommen beim englischen Volke finden werde. Die Wichtigkeit der bei monarchischen Zusammentreffen statfindcnden Unterredungen hänge von Umständen ab. Die Anwesenheit des Reichskanzlers im Gefolge des Kaisers könnte als ein wichtiger Umstand aufge- 'aßt oder als solcher ausgebeutet werden. Es sei wahr, daß Fürst Bülow in letzter Zeit eine freundlichere Haltung gegenüber England eingenommen habe, aber es feien Gründe da, die ihn dazu veranlaßt haben. Die englisch -französische Entente, die englisch -russische Konvention und noch andere Entdeckungen hätten ihn veranlaßt, seine Ansichten über die Macht Englands zu revidieren. Möglich sei es aber, daß er das Falsche seiner früheren wenig freundschaftlichen Haltung England gegenüber«ingesehen habe. Einen Beweis seiner Freundschaft könnte Fürst Bülow geben, wenn erunseren französischen Freunden" entgegenkäme. Unsere Politik und unsere Haltung hat sich nicht geändert, seitdem der gegenwärtige Staatssekretär für auswärtige Angelegenheiten erklärt hat, daß eine Besserung in den Beziehungen zwischen Deutschland und uns nur dann eintreten könne, wenn die Be- Ziehungen zwischen Deutschland und Frankreich gut und fair sind." Wirkungen d:r Zollwucherei. Das Zentrum und der Reichsverband zur Verleumdung der Sozialdemokratie dürfen sich gratulieren, daß wir die Reichstags- wähl hinter uns haben. Würde heute gewählt, das Resultat würde anders ausfallen. Der Kolonialrummel zieht nicht mehr; was aber wesentlicher ist: derSegen" der noudeut scheu Zollpolitik macht sich immer schärfer fühlbar. Wie einen Hohn empfinden es daher die katholischen Arbeiter, daß der Arbeitervertreter G i e s- berts die Schuld des Zentrums an dem Zustandekommen des neuen Tarifs rühmend hervorhebt! Wie durch die Zollpolitik den Arbeitern der Brotkorb höher gehängt wird, das empfindet am deutlichsten die Bevölkerung an der Grenze, die früher kleine Mengen Fleisch, Brot usw. zollffei herüberholen konnte. AuS Bocholt schreibt man uns: Vor Inkrafttreten der neuen Zollgesetze machte die Bocholter Bürgerschaft in großem Umfange von der Vergünstigung Gebrauch, von den an der Grenze aus holländischem Gebiete errichteten Fleisch- Verkaufsbuden Fleisch in zollfreien Quantitäten(4 Pfund pro Tag und Haushalt) einzuführen. An Sonntagen zählte man nicht selten 400500 Personen, die den zweistündigen Spaziergang nach der Grenze machten, um dort je 4 Pfund Fleisch(also zusainmen 1600 bis 2000 Pfund) und andere billige Lebensmittel(Reis, Mehl, Stuten usw.) zu hole»; an Wochentagen waren es wenigstens 100, an den schulfreien Mittwoch- und Soimabendnachmittagen sicher 200300 Personen. Man zahlte damals an der Grenze pro Pfund Speck 60 Pf., Rindfleisch 4550 Pf., Schinkenspeck 70 Pf., Roll- schinken 75 Pf., Schweinefleisch 60 Pf., Kalbflesich 4046 Pf. In Boibolt zahlte man seinerzeit dagegen für das Pfund Speck 80 Pf.. Rindfleisch 75 Pf., Schinkenspeck 1,10 M., Roll­schinken 1,10 M., Schweinefleisch SO Ps., Kalbfleisch 80 90 Pf., durchschnittlich war also das Pfund Fleisch an der Grenze etwa 30 Pf. billiger als i» Bocholt . Wer 4 Pfund holte, waS jeden Tag für jeden Haushalt einmal geschehen konnte, halte an Fleisch 1,20 M. gespart. Kein Wunder, daß die Minderbemittelten in hellen Scharen nach Holland gingen, um dort billiges Fleisch zu kaufen. Vielfach verdienten sich arme Kinder einige Groschen, indem sie für andere Familien Fleisch usw. von der Grenze holten. Wenn man nun an- nimmt, daß eine Arbeiterfamilie von 5 Personen zweimal in der Woche jemanden zur Grenze schickte und pro Woche also 8 Pfund Fleisch zollfrei holen ließ, so stellte dies eine Ersparnis von achtmal 30 Ps. 2,40 M. pro Woche oder 124,80 M. pro Jahr dar. Nimmt man ferner an, daß nur für 1500 Haushaltungen von dieser Vergünstigung Gebrauch gemacht lvurde, so ergäbe dies löOOmal 124,80 M. 187 200 M. Ersparnis pro Jahr für die Einwohnerschasl der Stadt Bocholt , die 22 000 Einwohner zählt. Diese Summe gehl also der Bocholter Einwohnerschaft, insbesondere der Arbeiter- schaft pro Jahr durch die neue Zollgesetzgebung verloren. Nun find aber auch seit dem Vorjahre bezw. seit dem Inkrafttreten der neuen Zollgesetze alle anderen Lebensmittel sowie Mieten, Kleidung und andere Gebrauchsartikel so erheblich im Preise gestiegen, daß da- gegen die geringen Lohnaufbesserungen in einzelnen Betrieben gar nicht in Betracht kommen. ES bleibt also der Arbeiterbevölkerung nichts anderes übrig, als die bedeutenden Mehrausgaben auf Koste » der Ernährung zu bestreiten, oder mit anderen Worten: daS Fleisch ist ein Leckerbissen geworden und kommt nur noch selten auf deu Tisch des Arbeiters. Es ist zweifellos in hiesiger Gegend, wo in der hier dominierenden Textilindustrie bekanntlich nur geringe Arbeitslöhne gezahlt werden, eine Unterernährung eingetreten, und hierdurch wird ebenso zweifellos die Volkskraft geschädigt. DaS ist derSegen" der neuen Zollgesetzgebung. So wirkt sie an der deutsch -holländischen Grenze I Herv« gegen die Eseleien der Tante Vost. Nach Schluß des Plaidoyers des OberreichSanwaltS verlas Liebknecht folgende Depesche Helvös, die ihm soeben zugegangen war und die sich auf die bewußten Zitate aus derVosstschen Zeitung" bezog: Je n'ai jainais ecrit cette aneria(Liebknecht et moi noris suffisons ponr detraire l'idee de patrie) envoyez moi rarticlc gazetto voss. Bonne chance. Gustave Hervö, 89 rue vaugirard, Paris . Deutsch : Ich habe niemals diese Eselei geschrieben(Lieb- knecht und ich genügten, um die Idee deS Vaterlandes zu zer- stören). Schickt mir den Artikel aus der.Vossischen Zeitung". Viel Glück! Gustav Herve , 89 Rue Vaugirard, Paris . Ein bescheidener Vorschlag. Herr Barth hat sich einige Monate lang in Amerika vom deutschen Freisinn erholt und feiert heute seine politische Auf- erstchung in einem Artikel imBerk. Tagebl.", worin er dem Freisinn ein Ultimatum stellt. Barth will noch einmal ein Experiment niit dem Block machen, obwohl er selbst darin eine bedenkliche politische Verirrnng sieht. Die P i c p m e i e r", wie er seine vorsichtigeren freisinnigen Blockbrüder tituliert. will er noch einmal voranzutreiben suchen. Die alten Methoden, meint Barth, nützen nichts. Ein erneuter Hinweis, daß man die Forderung der Heber- tragung des ReichstagSwahlrcchts auf Preußen seit einem M e n s ch e n a l t e r im Programm führe und unentwegt an dieser Forderung festhalte, ist eindruckslos. Auch mit Anträgen im jetzigen preußischen Abgeordnetenhause, die i» der Richtung einer Erfüllung dieser Forderung liegen. werden die Freisinnigen keinen Erfolg erzielen; sind doch nickit einmal sämtliche Nationalliberale für die Unterstützimg des frei- sinnigen Verlangens nach der geheimen Stimmabgabe zu haben. Anders läge die Sache, wenn die preußische Regierung bewogen werden kann, ihrerseits mit einer Wahlreform- vorläge zu kommen. Man kann sich kaum ein bescheideneres liberales Ansinnen denken als die Belohnung ihrer treuen Dienste im Block durch eine Abschlagszahlung seitens des Fürsten Bülow auf die ja auch von ihm im Prinzip als nötig anerkannte Wahlreform. Man wiirdc den guten Willen. die Freisinnigen nicht nur mit leeren Ncdeiisarteu abspeisen zu wollen, schon er- kennen können, wenn er in dieser letzten Session des preußischen Landtages vor den Neuwahlen eine Art Notgesetz zwecks Ein- führnng der geheimen Stimmabgabe vorlegen würde. Gesetzgeberische Schwierigkeiten, die in der Sache selbst lägen, gibt es nicht. Die Formulierung eines Gesetzentwurfs, der für Urwähler und Wahlmänner das Abstimmungsgeheimnis sichert, ist leicht und einfach. Legt die Regierung einen solchen Entwurf vor.' so müßte auch die nationalliberale Partei dafür stimmen, denn sie kann nicht weniger liberal sein als die Regierung. Das Zentrum ist bereits durch seine frühere Haltung genötigt, zuzustimmen. Damit wäre selbst im gegenwärtigen preußischen Abgeordneten- hause eine Majorität gesichert."