lich entsinnen sich die Herren jetzt dieses Paragraphen. Tie leistung-Z- fähigen Schultern sind vorhanden, und wenn der preußische Minister dazu übergeht, den Höchstsatz der Einkommensteuer für die Ein- kommen von 100 OOl) M. von 4 aus 5 Proz. zu erhöhen, dann hat er mit diesem«inen Prozent den..Patriotismus", den gerade diese oberste Klasse bei joder Gelegenheit an den Tag legt, sehr niedrig eingeschätzt. lSchr gutl bei den Sozialdemokraten.) Er müßte da �deutend h ö b e r gehen, ganz ruhig bis auf 10 Proz. (Unruhe rechts.) Man schätzt doch auch den guten Christen tveniger nach seinen Worten als nach seinen Taten, oder man sollte es wenigstens. Also schätzen Sie auch den guten Patrioten mehr n seinen Taten ein.(Heiterkeit bei den Sozialdemokraten.) Das unser Steucrprograuim und das wird in den großen Massen der Bevölkerung ein sehr kräftiges Echo finden. Wir verlangen eine Reichseinkommensteuer, eine ReichsvermögenSsteurr und eine Erhöhung der ErbschaftS- steuer. Nach Herrn v. Rheinbaben und Herrn v. Stengel ist die Erbschaftssteuer kein« direkte St«uer. Tab höre ich im Reichstage zum ersten Male, und wenn die Herren versuchen toostten, auf diese Idee ein Patent zu nehmen, so würde es ihnen rundweg ab- geschlagen werden-(Heiterkeit.) Alle wissenschaftlichen Autori - täten sind darin einig, daß die Erbschaftssteuer eine direkte Steuer ist. Wer das Gegenteil behauptet, wird in größter Verlegenheit sein. Und das sind Sie auch; denn da Sie einmal hier den ersten Schritt getan hoben, müssen Sie auch weiter gehen. Sie berufen sich auf andere Staaten, sogar auf Republiken. Ach, meine Herren, wenn sich jemand auf eine bürgerliche Republik beruft, so macht er bei mir damit gar keinen Eindruck. Ich habe in Stuttgart er- klärt, wenn ich zu wählen hätte, ob wir in Teutschland eine Mon- archie wie die englische oder eine Republik wie die französische haben wollten, so lvüvde ich mich höchstwahrscheinlich für England erklären.(Heiterkeit.) Die Republik ans» ch ist ein leerer Schall. (Hört! Hört! rechts.) Möge der Reichskanzler, der uns immer unsere republikanische Gesinnung vorhält, dafür sorgen, daß wir eine englische Monarchie bekommen, allerdings etwas freisinniger (Heiterkeit), dann wollen wir einmal sehen. In Deutschland haben wir drei»Republiken": Hamburg , Bremen und Lübeck ; sie sind aber auch danach, ich d a n k e für die Sorte.(Heiterkeit.) Die Ausgaben für Militär und Flotte betragen mit den Zinsen der Reichsschuld, soweit sie für militärische Zwecke ausgenommen ist, in diesem Jahre eine Summe von 1S17 Millionen. (Hört! hört?) Eine ganz kolossale Summe! Sic wird noch be- deutend verstärkt werden durch die neue Flottcnvorlaae, aus die ich bei der Dpezialdebatte zurückkomnien werde. Wir haben Aus- sicht, daß von 1907 bis 1917 die Ausgaben für die Jlotte, wenn die neue Vorlage— wie wohl selbstverständlich— angenommen wird, sich auf 97» Millionen belaufen werden, d. b. jährlich durchschnittlich auf etwa 90 Millionen.(Hört! hört?) Vielleicht vergehen keine drei oder vier Jahre, und eine dritte Flottenvorlage kommt. Ich möchte jede Wette darauf eingehen.(Heiterkeit.) DaZ liegt in der Natur der Sache: es treibt immer weiter nicht nur bei uns, sondern auch anderwärts. Wir werden auch ein neues Quin- quennat für die Armee bekommen, die Ausgaben werden auch dort gewaltig wachsen. Wie sich in den letzten fünf Jahren vie Schuldenlast des Reiches von 2700 Millionen auf 4009 Millionen gesteigert hat, wird es in den nächsten Jahren weitergehen, so daß Sie nicht imstande sind, aus den, Stcuerwegc alle die gewaltigen Summen aufzubringen. Da entsteht die natürliche Frage: Wenn Sie bereits in Friedenözeiten so wirtschaften, fortgesetzt Schulden auf- nehmen und alle Steuerqucllen aufmachen bis zur letzten, wo sind dann die Mittel im Falle eine? Krieges?—(Sehr gut! bei den Sozialdemokraten�) Tie Haager Friedenskonferenz hat allerdings einige Beschlüsse herbeigeführt, betreffend die Hu- manisierung des Seekrieges . Ganz nett! Trotzdem find wir uns wohl darüber einig, daß ein künftiger Krieg kostspieliger und furch- terlicher wird als jeder frühere. Und waS geschah mitten in den Tagen der Konferenz? Den Herren Vertretern wurde eS dabei langweilig! Zur selben Zeit fand eine der vielen Zusammenkünfte statt zwischen den Königen, Kaisern und Ministern und Fürsten allerart. Ich weiß mich nicht eines Jahres zu erinnern, wo so viele Fürsten - und Mtnistcrbegegnungen stattgefunden haben wie in diesem Jahre. Die Herren sind durcheinander gehuselt wie ein Ameisenhaufen, in den man hineinsticht. So begann der April mit einer Zusammenkunft des Reichskanzlers in Rapollo mit dem italienischen Minister des Neußeren, Tittoni , und es hat geendigt mit einer Zusammenkunft des deutschen Kaisers und deS Königs von England in Windsor . Stets wurde verkündigt: der Friede ist jetzt der Welt gesicherter als je!(Heiterkeit bei den Sozialdemo- kraten.) Das haben wir freilich schon seit einigen Jahrzehnten gehört, so daß man glauben müßte, wir befänden uns beständig im Zustande der Kriegsgefahr und daß, wenn die hohen Herren nicht zeitweilig zusammenkämen, unrettbar ein großer Krieg aus- brechen würde. Aber, meine Herren, bei manchen dieser Äegeg- „vngcn hat die deutsche offiziöse Presse sehr döse Urteile gefallt. Ich erinnere z. B. an die Begegnung in Gaeta u. a. und an die im Anschluß hieran zustande gekommenen Verträge. Da hieß cS stets »ohne Teutschland". Leider ist diese Tatsache wahr. Man hat ja gehofft, daß Windsor jetzt vielleicht eine Aenderung bringt, daß in Windsor z. B. für die Bogdadbahn allerlei Deutschland günstige Abmachungen ge- troffen wären. Es scheint nicht so, wenigstens wird das Gegenteil behauptet. Ich nehme an, daß der Herr Reichskanzler heute die Gelegenheit wahrnehmen wird, uns darüber aufzuklären. Er hat uns ja erklärt, er sei gern bereit, uns auf diesem Gebiete so weit wie möglich entgegen zu komme». Ich hoffe, daß er den Bchaup. tungen der Presse gegenübertritt, daß nichts geschehen sei. daß Teutschland im Gegenteil abgewiesen sei, daß man guasi zur Be- dingung gemacht habe— so heißt es in den Zeitungen—: man ließe mit sich reden, wenn man in bczug auf Marokko andere Seiten anschlage. ES wird behauptet ich habe von alledem keine Ahnung, ich weiß nickt, was davon wahr ist, möchte cs aber gerne wissen.---(Allseitige große Heiterkeit. Zurufe: Wir auch I) Dann habe ich mich ja nur zum Mundstück Ihrer Wünsche gemacht, dann seien Sic mir doch dantbar!(Erneute Heiterkeit. Rufe: Sind wir ja?) Was ist nun das Resultat der Haagcr Friedenskouserenz? Humaiiiiierung des Seekrieges und eine Rc- solution betreffend die Abrüstungsfrage. Mitten während dieser Tagung kommen der deutsche Kaiser und der König von England in Kassel zusammen. Kaum haben sie sich getrennt, so verkündet die offiziöse englische Presse, daß jetzt ein 4. Schiff vom Typ der „Drcadiiolkhgt" auf Stapel gelegt werde, weil die Verhandlungen über die Abrüstungen kein befriedigendes Resultat gehabt hätten! Und genau an dem Tage, wo der deutsche Kaiser von Windsor abreist, erscheint in Deutschland die neue Flottrnvorlagr.(Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Nun frage ich Sie in aller Welt: Ist diese Haagcr FriedenStonferenz nicht eine Komödie, wie sie nie je dagewesen ist?(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten und in der Mitte.) ES freut mich, daß Sie da drüben alle„Sehr richtig!" rufen. Wenn auch Herr d. Tirpitz mit den Zielen deS Flottenvcreinö nicht einverstanden ist, so doch aber mit dessen Vorarbeiten. Zum Flottcnverein gehören nun aber Höchste und Allerhöchste Herr. schaftcn, lauter sehr zahlungsfähige Herren, die ihren Patriotismus einmal bei der Flotte beweisen könnten. Es könnte vielleicht ein Extraflottenbudgct für Leute mit über 10 000 M. Einkommen an, gelegt iverden. Das würde die Herren wohl etwas zur Besinnung bringen. Als Belag für die gegen England gerichtete Spitze möchte ich noch an ein im Jahr« 1905 erschienenes Gedicht erinnern, das augenblicklich durch da« bekannte Kadcttengedicht verdrängt zu sein l-heint. Kenn in letzterem ftlbst schon Kadetten aufgefordert werden, auf die Sozialdemokraten hv schießen, wenn es zum Schießen kommt, so heißt es in jenem,»n einem Zwiegespräch eines Grenadiers und Seekadetten! „Du glaube wohl, wir«vürden die englischen Mucken Behutsam aus sicherer gerne begucken?... Wen» sich der John solch' Wagnis erfrecht, Dann kennt er die deutsche Marine schlecht!... Hinab in die See mit dem Kriegsknechtsgesindel, Dann hätten wir Ruh' vor dem Gentlemanschwindek. Ten dicken Eduard obendrein Heimsten wir uns als Geisel einl" (Hört! hört! bei den Sozialdemokraten. Unruhe und Zurufe rechts.) Ter Dichter ist ein KreiSschulinspektor mit Namen Albert Kleinsckmidt in Gießen . Auch ein Jugendbildner der Nation! Ich will damit nur beweisen, wie gehetzt wird. DaS ist«S. was ich auf das schärfste verurteile. Ter Reichskanzler hat im vergangenen Frühling Andeutungen gemacht, nach denen man annehmen konnte, daß seiner Meinung nach etwas wie eine Kamarilla auch in Deutschland vorhanden sei. Gestern hat er daS auf dag cnt- schiedenste bestritten. Er hat dazu das gute Recht; wir haben aber auch das gute Recht, sein Bestreiten nicht für richtig zu halten. Die Frage der Kamarilla oder, was ungefähr dasselbe ist. der Hintcrtrepprnpslitik, ist in Teutschland nichts Neues; sie spielt bereits seit der Entstehung des Deutschen Reiches eine Rolle. Fortwährend klagte Fürst Bismarck über Friktionen(Reibungen) mit Kreisen,.die mit der Politik nichts zu tun hätten. Für den Mittelpunkt dieser Art der Hintertreppcnpolitik sah er eine sehr hche Dame an. Später, als die erste nicht mehr am Ruder war, wurde über eine andere sehr hohe Dame ähnliches ge- sagt. Fürst Bismarck äußerte sich: „Die Hintermänner, in doppeltem Sinne, umgeben den Kaiser und schließen ihn ab. Der Kaiser glaubt, daß niemand ihn beeinflußt.(Hört! hört! bei den Sozialdemo- kraten.) Für die amtlichen Berater trifft daZ zu. aber diese Menschen haben eine gegenseitige Lebensversicherung unter sich abgeschlossen und lassen nur zu, was ihnen paßt. Das schlimmste ist, daß solckc Leute immer die Meinung des regierenden Herrn haben.(Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Wenn der Kaiser etwas sagt und sich umsieht, sieht er immer nur anbetende Gesichter auf sich gerichtet. Sie geben ihm immer recht und geben ihm so ein Gegengewicht gegen die Bergter, die ihm pflichtgemäß opponieren müssen..." Das ist doch die Schilderung einer Kamarilla.(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Fürst Bismarck beschuldigt dieser Hintertrcppenpolitik hauptsächlich die Liebcnberger, denselben Eulenburg, der nun abgesägt worden ist und der im Bunde mit Hahnke. dem Chef des Militarkabinettv und der Militärpartei, den Sturz CapriviS Herbeiführte, wie Fürst Hohenlohe in seinen Me- moiercn erzählt. Ebenfalls nach Fürst Hohenlohes Memoicren hat der Fürst Eulenburg bei ihm zu erwirken gesucht, daß an Fürst Hatzfelds Stelle Freiherr v. Marschall Staatssekretär des Aus- wältigen würde. Ist das keine Hintertreppen, und kein« Ka- marillapolitik?— 8(18 Marschall gefallen war, dem man den Tauschprozeß gewaltig übelgenommen hatte,(Tausch, der Ver- traucnsmann des Fürsten Eulenburg, hatte moralisch bekanntlich sehr schlecht in dem Prozeß abgeschnitten) sollte an Marschalls Stell« der jetzige Reichskanzler und damalige Botschafter in Rom treten. Horden erzählte darüber in seinem Prozeß. Zurufe rechts: „Lanatvesligl") Wenn Ihnen die Sacke langweilig ist, gehen Sie doch hinaus!(Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) Herr v Bülow befand sich in Rom sehr wohl, und seine Frau Gemahlin. die bekanntlich eine Italienerin ist. ebenfalls. Sie war also da- gegen, daß ihr Gemahl Staatssekretär in Berlin wurde. Um nun ihren Willen durchzusetzen reiste sie keineswegs nach Berlin , son- dern nach Wien , nämlich zum Fürsten Eulenburg, und sagt« ihm: „Hören Sie, wir mögen von Rom nicht weg!"„Ja," sagte er. Bernhard muh nach Berlin ". (Schallende Heiterkeit.) So kam Bülow nach Berlin. (Heiterkeit.) Nach ein paar Jahren schienen die Liebcnberger mit Herrn von Bülow nicht mehr zufrieden zu sein. E« wird behauptet, daß diese Wühlarbeit dicht daran war, Erfolg zu haben, indem sie dem Fürsten sein Verhältnis zum Zentrum zum Vorwurf machte. Da erfolgte der Krach mit dem Zentrum, da erfolgte die Auflösung des Reichstags, obfchon gestern dieser Zusammenhang hier entschieden bestritten worden ist und man den Bruch mit dem Zentrum anders zu erklären suchte. Aber Streitfragen, wie sie im letzten November gespielt baben, haben früher in noch viel größerem Maß". gespielt und sind schließlich immer noch beglichen worden. Auch diesmal wäre sicher zwischen zweiter und dritter Lesung eine Ver- ständigung erzielt worden. Eigentlich war es ja eine ganz unwichtige Streitfrage. Wegen der lumpigen 9 Millionen löst man doch den Reichstag nicht auf, und der Zusammenstoß mit dem neuen Staatssekretär, dem Herrn von Dernburg (Zurufe bei den Sozial- dcmokraten: DaS„von" kommt noch! Große Heiterkeit.) war auch nicht so schlimm, �m Anfang des ZwisteS stand der Chorus der Freisinnigen auf Seite des Zentrums— siehe die Reden des Herrn Ablaß —, plötzlich aber schwenkte er um und stellte sich auf die Seite der Regierung. Also, meine Herren, das waren alles keine Gründe, aber man mußte um jeden Preis Gründe schaffen.(Sehr richtig! im Zentrum und bei den Sozialdemokraten.) Da gab denn der Streit der Herren Roeren und Dernburg willkommene Ver» anlassung. den Krieg vom Zaune zu brechen und verschiedene Fliegen mit einem Schlage zu treffen. Ucbcr die Art dcö Wahl- kampfeS will ich mich hier nicht auslassen. DaS habe ich früher getan. Jedenfalls steht es fest, daß ein solcher Zustand der Dinge für Deutschland außerordentlich beschämend ist, daß eine solche Kamarillen- und Hintertrcppenpolitik in einem parlamcnta- r i s ch regierten Lande nicht möglich ist. Der Reichskanzler weiß ja gar nicht, ob er morgen noch auf dem Stuhle»tzt. Er muß seine Augen vor» und hinten haben.(Große Heiterkeit.) Stets und ständig muß er überlegen, ob er irgendwo anstößt. Kurzum, eine höchst unbehagliche Situation! Und nun gar die allerhöchste Person. Der Herr Reichskanzler freilich hat in einem Interview erzählt, an der ganzen Geschichte sei kein wahres Wort. Er wird natürlich das Gegenteil nicht sagen, daS kann man nicht verlangen. (Heiterkeit.) UebrigenS sind uns solche Interviews bedenklich. WaS aber jeder davon halten will, muß er selbst wissen. Tic hohen Herren, die auf solche Weise umsponnen und cingegattert werden, ivisscn gar nicht, daß sie umsponnen und cingegattert werden. Die, die ihn umspinnen und cingattern, bringen ihm den Glauben bei, daß er alles weiß und alles kann und alles will, mit einem Wort, allmächtig ist. ES gibt sehr wenig Menschen, die dem widerstehen können, am allerwenigsten die, die so selbstbewußt glauben, daß sie alles wissen, alles können, allcS wollen.(Sehr richtigl bei den Sozialdemokraten.) Bei den Prozessen sind sehr unangenehme Dinge sexueller Art zutage gekommen und in breitester Weise erörtert worden. Ich habe 1901 bereits in einer ausführlichen Weise auf diese Dinge hin- gewiesen. Zur großen Ucbcrraschung der Mehrheit des Hauscö iihrte ich damals aus, daß, wenn alle hur Verantwortung gezogen würden, die gegen§ 175 verstoßen, zwei neue Gefängnisse Iton der Größe Plötzcnsecs nicht ausreichten, um sie unterzubringen.(Hört! hört! links.) Ich habe ausgeführt, daß sich darunter Personen aus den höchsten Gesellschaftskreisen befinden und daß, wenn die Polizei pflichtgemäß die Herren, die sie kennt, zur Anklage brächte, ein Skandal entstehen würde, gegen den der Panamaskandal , der Drcyfußskandal. der Tauschprozeß und alle anderen ein wahres Kinderspiel wären. Ich habe damals erklärt, daß dabei alle Stände des Reiches beteiligt seien. Tarauf wurde eine Kommission eingesetzt, auf die hier gestern hingewiesen wurde. Die Kommission beschloß, auf meinen?lntrag den Polizcibcamten zu vernehmen, der diesem Ressort vorsteht. An Stelle deS Herrn von Mecrscheidt- Hüllesem kam ein Graf Pücklcr. Ich wiederholte ihm alle meine Angaben, bemerkte ihm übrigens, daß cS sich nicht nur um Männer handelt, sondern auch um Frauen. Nur daß auf die Fraucn der Paragraph nicht zutrifft. Zwei Prozent, wenn nicht mehr, aller Männer sind geborene Homosexuelle.(Hört! hört!» Ter Graf v. Pücklcr erklärte, daß er alles dies bestätigen müsse.(Hört! hört!) Er bestätigte, daß hohe Fremde, wenn sie nach Berlin kommen, sich die Räume als Sehenswürdigkeit ansehen, in denen diese Männerwelt zusammenkommt und verkehrt. Der Nationallibcralc Herr Kruse erklärte ausdrücklich: Kollege Bebel hat nicht übertrieben, er hat noch zu wenig gesagt, das sage ich ihm als Arzt in meiner Stellung in Norderney. (Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) ——. Man hat bestritten, daß ganze Regimenter verseucht seien, warum wurde denn verboten, daß in Potsdam die Mann- schaft fernerhin in weiße» Lederhoscn und Kanonenstiefcln aus- gehe? Und da tritt der Regimentskommandeur der Garde-du-Corps auf und sagt, ihm sei das alle« unbekannt! Mir sind die Dinge gar nicht neu gewesen. Eins nur habe ick mit Schrecken gesehen, daß inittlerweile das Uebcl noch ganz gewaltig schlimmer geworden ist. Es ist dahin gekommen, daß die Subjekte, die sich als männliche Prostituierte verkaufen, nicht etwa die Polizei fürchten, sou- dern vielmehr die Polizei fürchtet sie!(Hort! hört! bei den Sozialdemokraten.) Bei der Polizei sind die Namen der aktiven und passiven Pädcrastcn eingetragen sowie auch die Namen der Erpresser. Offiziere, Unteroffiziere und Gemeine sind verurteilt worden. Adlige Offiziere in den Tod gegangen, um den Erpressern zu entgehen. Das weiß auch der Kriegsminister. Durch Ver- tuschen verschlimmert man die Sache. Di« männlichen Prostituierten schreien adlige Namen, Namen von Prinzen des Königshauses aus, in der Nahe der Kranzlerccke, Unter den Linden . Die Polizei muß sich sagen: Wenn ich die anklage, dann komme» die Kerle und schwatzen cs aus! WaS soll nun die Welt dazu sagen, wenn eine Reihe der„Edelsten und Besten der Nation", die mit souveräner Verachtung auf uns Sozialdemokraten herabsehen, die das Volk nur ansehen als Mittel zum Zweck, wenn ein« große Reihe dieser Leute an den Pranger gestellt wird? WaS muß das im Volke für einen Eindruck machen? Daher unterbricht die Polizei diese Prozesse mit aller Gewalt. Sic darf die Dinge nicht ans Tageslicht kommen lassen, auch wenn die Gerichtsverhandlung hinter verschlossenen Türen stattfindet. Vielleicht würde nicht alles bekannt, aber doch die Namen der Persönlichkeiten, und das soll um jeden Preis vermieden werden. Ter Reichskanzler meinte gestern, das alles sei noch kein Zeichen der Fäulnis der bürgerlichen Gesellschaft. Ich will daS bis zu einer gewissen Grenze zugeben. WaS wir hier in sehr aus- gedehntem Maße haben uno beklagen, hat einstmals in Griechen- land existiert; spricht man doch von„griechischer Liebe", wie man die entsprechende Erscheinung beim weiblichen Geschlecht ..lcsbische Liebe" nennt. Wir haben griechische und leSbische Liebe im Deutschen Reiche, nur kein perikleisches Zeitalter,(«ehr gut! bei den Sozialdemokraten.) Aber cs ist nötig, darüber zu sprechen. Ich habe mich im höchsten Grade gewundert, daß der Reichskanzler nicht, bevor er gestern seine Erklärung abgab, die Sachverständigen der Polizei zu sich kommen ließ, Herrn v. TreSkow und ähnliche Leute, und sie ersuchte, ihm ihre Dossiers vorzulegen. Er würde erstaunt sein über daS, was er erfahren hätte. Er selbst hat in dem Prozeß, in den er schändlicherweisc gerissen wurde, erklärt ihm sei manches über den Fürsten Eulenburg zu Ohren gekommen, aber nicht so, daß er hätte zufassen können. Auch ich lasse den Fürsten Eulenburg zunächst aus dem Spiel, ober auch andere Herren aus der Hofgesellschaft sind betroffen, ich erinnere an die Grafen v. L y n a r. v. Hohoyau usw. Auch eine ganze Reibe anderer Herren— ich kann gelegentlich mit mehr dienen— ist hier beteiligt. Dem Reichskanzler kann doch nicht unbekannt sein, daß etwas vorlag; denn die Herren sind auf Grund von Anklagen aus dem Militärvcrhältnis entlassen worden, nur hat man sie noch mit Pension entlassen. (Lebhaste Rufe: Hört? hört!) und keine Anklage aus§ 175 erhoben, ja, sie nicht einmal vor ein Ehrengericht gestellt. DaS ist das Charakteristische, wie bei unö mit zweierlei Maß gemessen wird. oben und unten.(Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten, Zwischenrufe de« Abgeordneten Mugdan .) Herr Mugdan , wenn Arbeiter gefaßt werden, die werden angeklagti(Lebhafte Zu» stimmung bei den Sozialdemokraten.) Ich will nur sagen, man soll sich hier nicht hinstellen und leugnen, was nicht zu leugnen ist. Hier muß endlich mit dem Eisen, mit dem glühenden Eisen vorgegangen und ausgebrannt werden,(Bravo ! bei den Sozial» demokraten) und gezen jeden.(Zuruf links: Sie sind doch gegen§ 175!) Gewiß, der 8 175 ist nach meiner Ansicht auch unhaltbar.(Erneuter Zuruf des Abgeordneten Heckscher.) Herr Kollege Heckscher, an dem Tage, an dem der 8 175 zur Beratung kommt, finden Sie mich auf dem Posten, da werde ich Ihnen ein ganz anderes Material vorlegen. Man muß unterscheiden zwischen den Leuten, die die Anlage von der Natur haben und denen, die sie erworben haben. Das sind eigentlich mehr, und das sind die schlimmeren. Aber Sie haben gar keine Ahnung, wieviel respektable, ehrenwerte und brave Männer in höchsten Stellungen Jahr für Jahr in den Selbstmord getrieben werden, die einen aus Scham, auS Furcht, die anderen aus Angst vor dem Erpresser. Ich verlange nur, daß hier einmal gründlich aufgeräumt wird, daß jeder, der sich schuldig macht, verfolgt wird. Wenn Sie das tun. werden Sie notwendigerweise dazu kommen, sich zu fragen: Kann unter solchen Umständen der 8 175 bestehen bleiben?— Während auf diesem Gebiete mit der größten Schonung gegen hohe und höchste Herren vorgegangen wird, während aus diesen und vielen anderen Gründen der 8 175 des St.-G.-B. unhaltbar gfc. worden ist, hat sich herausgestellt, daß der% 86 eine der festesten Stützen de« Deutschen Reiches ist, ohne den es gar nicht existieren kann.§ 8S bestrast die Borvercitung zum Hochverrat. Mein Parteigenosse Liebknecht hat bekanntlich eine Broschüre geschrieben:„Militarismus und Antimilitarismus", worauf er an» geklagt und verurteilt worden ist. 8 50 handelt nicht von H and» tun gen. sondern von Meinungen: Meinungen sollen be» straft werden können, die»ach Ansicht des Richters vielleicht später einmal zu Taten führen könnten l Mein verstorbener Freund Liebknecht und ich sind vor 35 Jahren auf diesen Paragraphen hin verurteilt worden, weil wir„vorbereitende Hand- tun gen" gegen das Deutsche Reich, auf Hochverrat gerichtet. unternommen haben sollen. Wie Sie sehen, steht das Deutsche Reich heute noch. Nun ist der Sohn deS Alten ebenfalls unter 8ln- klage gekommen wegen einer Broschüre, von der jeder, der sie kennen gelernt hat, sich sagen muß, daß es eigentlich ganz undenkbar fei. wie er wegen einer solchen Broschüre angeklagt werden konnte. Ter 8 50 schafft nur Tcndenzprozessc, nichts anderes. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Deshalb ist er so ge- fährlich und bedenklich. Wir wissen freilich, der Militarismus ist ein Kräutlein Rührmichnichtan. Soweit kann man doch aber nicht gehen, daß eine ernsthafte Kritik am Militarismus verboten werden soll! Ter Prozeß Liebknecht war der Prozeß deS allerhöchsten Kricgshcr�.(Sehr richtig? bei den Sozialdemokraten.) Von jener Seite ist der Prozeß verlangt worden.(Erneute lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) Von jener Seite hat man gemeint, es müßte auf das schärfste da. gegen vorgegangen werden, daß so ein Buch wie daS Liebknecktsche verbreitet würde; daraus erwüchsen dem Militarismus Gefahren. Es gebt auch die Fama, daß der Obcrreicksanwalt sich g e w c i g e r t habe, die Anklage zu erheben, daß er aber gemußt habe und daß die Anklage hier im Kriegsministerium ausgearbeitet ist. Nur so erklärt es sich auch, wie cö dazu kommen konnte, Lieb» knecht der„Ehrlosigkeit" zu bezichtigen und Zuchthaus gegen ihn zu beantragen. ES war mir sehr angenehm, daß Bassermann gestern dieS aufs schärfste verurteilt bat. Ja, ich habe die moralische Ueberzeugung, daß es nickt die wirkliche Absicht des ReichSanwaltS gewesen ist, daß er Zuchthaus beantragt bat. Er mußte es be- antragen, das wurde von anderer Stelle verlangt gegen die Ueberzeugung des ManneS.(Glocke des Präsidenten.) Vizepräsident Tr. Paasche: Ich möchte bitten, einem der obersten Beamten nicht solche Vorwürfe zu machend
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