Nr. 9.
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Vorwärts
S
10. Jahrg.
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Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.
Bum Bergmannsreik im Saarrevier.
An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen die sogenannte Sozialreformpolitit der Regierung. Praktisch erkennbar wird sie am deutlichsten, wo die Regierung selbst als Arbeitgeberin mit den Arbeitern in Verbindung tritt, wo sie vorbildlich den Privatunternehmern sein sollte.
Die Regierung als Arbeitgeberin schwimmt vollständig in dem Strom der privatkapitalistischen Unternehmungen, ihre Stellung zu den Arbeitern scheint höchstens in Folge ihrer Konzentrirten Machtmittel noch autoritativer. Jeder Versuch, mit den Arbeitern anders als von oben herab in Verbindung zu treten, fehlt. Der Schein einer Arbeitervertretung, wie er in den Arbeiter- Ausschüssen geschaffen, erleichtert nicht nur nicht die Verständigung zwischen den Staatsbehörden als Arbeitgeber und den Arbeitern, sondern erschwert sie. Die Arbeiter- Ausschüsse hätten nur dann einen Werth, wenn sie getreu die Anschauungen, Meinungen und Stimmungen der Arbeiter wiederspiegelten. Dann müßte man es aber in die freie Wahl der Arbeiter stellen, sich ohne Bevormundung ihre Vertretung zu schaffen. Es ließe sich denken, daß die Regierung Einschränkungen für nöthig hielte, wenn den Ausschüssen besondere Machtbefugnisse beigelegt wären. Das ist aber nicht der Fall; die Ausschüsse können höchstens Wünsche und Meinungen der Arbeiter wiedergeben. Die unter Bevormundung und Einschränkung durch den Arbeitgeber ernannten Ausschüsse tönnen aber auch diese Aufgabe nicht erfüllen. Sie können also höchstens dazu dienen, dem Arbeitgeber mißliebige Wünsche und Meinungen zu unterdrücken und ihm ein falsches Bild der wirklichen Arbeiter stimmung zu geben.
Bis zum Jahre 1889 war die Regierung gewöhnt, die Bergarbeiterverhältnisse als einen höchst idyllischen Zustand anzusehen und darzustellen. Um so überraschender war für sie und für das große Publikum die plöglich zum Ausbruch kommende Bewegung. Welche Lehre haben die Bergbehörden aus derselben gezogen? Wir können ruhig sagen: Sie haben nichts gelernt. Die Strömung, welche sich nach den Ermahnungen des Raisers an die Grubenbefizer und Industriellen in umso größerer Feindseligkeit gegen die Arbeiter fund that, scheint auch die Behörden mit sich gerissen zu haben. Da darf es denn nicht Wunder nehmen, wenn der gegenwärtige Streit die Regierung überraschte, es sei denn, daß sie selber ihn herbeiführen wollte, was wir nicht annehmen möchten. Der Bote von der Saar" giebt folgende sachgemäße Darstellung der Entstehung des Streifs. Er schreibt:
Nach dem 89er Streit hatte sich die Lage der Bergleute im allgemeinen zufrieden gestaltet. Das Geding bewegte sich
Feuilleton.
Nachorua verboten.)
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Mittwoch, den 11. Januar 1893.
in einer Höhe, daß ein Mann mit Familie davon leben konnte; die Behandlung der Beamten war im allgemeinen eine beffere; wenn die Achtstundenschicht auch nicht bewilligt wurde, so wäre diese nicht erfüllte Forderung doch nie der Grund zum Streik geworden. Wenn man auch noch erbost war über die Ablegung der Streifführer, so war das nicht schlimm. Erbitterter wurden die Bergleute dann wieder, als bei der Umänderung des Knappschaftsstatuts ihre Wünsche in keiner Weise be rücksichtigt wurden. Mittlerweile trat eine immer schlechter werdende Behandlung seitens der Beamten und eine an fangende Reduktion der Gedinglöhne ein. Neue Unzufriedenheit entstand durch die Umgestaltung des Berg Gesetzes. Die geäußerten Wünsche der Bergleute verhallten bekanntlich, von ein paar leeren Reden der Dasbach, Hize u. s. w. abgesehen, völlig unbeachtet. Mit der Nichtbeachtung dieser Wünsche ging eine fortdauernde Gedingreduktion Hand in Hand. Die Reduzirung der Gedinglöhne hatte die Folge, daß schlechtere Rohlen geliefert werden mußten, damit der Bergmann auf seinen Lohn kam. Um sich vor der Verschlechterung der Kohlen zu schützen, wurde nun die Förderung unreiner Rohlen aufs schärfste geahndet. Strafen, bald Geld, bald zeitweise Ablegung hagelten nur so.
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Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.
Blatt scheint nur gegründet zu sein, um die Bergleute mit Füßen zu treten. Ein föniglicher Bergbeamter redigirt Das im Schimpfen und Lügen ganz Erstaunliches leistende Blättchen, die jeden Tag von den einzelnen Gruben zur Direktion kommenden Bergboten expediren daffelbe, d. h. sie nehmen es mit und vertheilen es, die Steiger sammeln nicht nur Abonnenten, sondern ziehen auch das Abonnementsgeld ein u. f. w. Daß dies Blatt die Lage der Bergleute stets als außerordentlich schön und gut schildert, ist nach Lage der Sache selbstverständlich. So schwafelt es jetzt von den Löhnen des Oktobers und behauptet, der Bergmann würde einen auskömmlichen Lohn verdienen. Daß die Löhne feit Oktober bedeutend reduzirt wurden, und daß durch Einlegen von Feierschichten die Lage des Bergmannes noch bedeutend verschlechtert wurde, verschweigt es aber. Die Löhne, die die Bergleute zuleht ausbezahlt bekamen, das find trotz aller Schönfärberei Hungerlöhne, der Familienvater ist bei dem Lohne nicht im stande, sich und seine Familie ordentlich zu ernähren.
Der Streik droht weitere Ausdehnung zu gewinnen über ganz Westfalen. Die Bergarbeiter in den andern Grubendistrikten müssen es am besten wissen, wie gerechtJest tam die Arbeitsordnung, die in einer Anzahl von fertigt die Beschwerden der ausständischen Arbeiter sind. Bestimmungen einfach unannehmbar für die Bergleute ist. Als der Protest gegen die Arbeitsordnung lauter und lauter Im übrigen thut die kapitalistische Heßpresse das Ihrige, wurde, als das Wort„ Streit in Aussicht" schon gefallen war, die gesammten Arbeiter ihre Solidarität erkennen zu lassen. reduzirte die Verwaltung die Schichtlöhne um 10-15 Prozent. Die rheinisch- westfälischen Kapitalistenblätter können nicht Die Bergleute tamen im Geding nicht mehr auf den Schicht genug auf die Regierung mit der Mahnung eindringen, mit lohn, sie wollten also nicht mehr auf Geding arbeiten, da redu aller Energie gegen die Arbeiter vorzugehen; der Regierung airte man plöglich noch die Schichtlöhne ganz bedeutend. Es wird ihre Schwäche und Arbeiterfreundlichkeit" zum Vorwar das für die Bergleute eim Schlag ins Gesicht. Die wurf gemacht, durch welche sie den Ausstand heraufbeschworen. letzte Löhnung stieß sodann dem Faß den Boden ein. Die Die Schwäche der Regierung hat allerdings den Ausstand Löhnung war jetzt im Winter gerede vor den Feiertagen unter verschuldet; aber diese Schwäche teftand darin, daß fie allem Luder. Familienväter, die mit 4-7 Kindern gesegnet sind und in der ersten Hälfte des Monats 40 M. Abschlag er nachdem sie ihre„ arbeiterfreundliche" Sozialreform mit stolzen halten hatten, wurden für den Monat ausgelohnt mit 20 bis Worten angekündigt, es bei diesen Worten bewenden ließ und 40. Mart. Wir haben den Lohnzettel eines Bergmannes mit Schritt für Schritt vor dem Ansturm der Großindustriellen zu9 Kindern gesehen, er erhielt ganze 18 Mark Löhnung. Die rückwich. Das ganze Gebahren der letzteren ist gerade seit den Arbeitsordnung allein wäre nicht im ftande gewesen, die Leute kaiserlichen Erlassen darauf gerichtet, diese in ihrer vollen zum Ausstande zu bringen, es ist systematisch von seiten der Ohnmacht erscheinen zu lassen. Mit unverhohlener SchadenVerwaltung zum Streit gereizt worden. Die Behandlung der freude, die nur getrübt ist durch die sie selbst bedrohenden Leute war immer schlechter geworden, Ausdrücke wie" Schaf". Ausstände, blicken sie auf den Streit in den fiskalischen Schafskopf"," aullenzer" und ähnliche Kosenamen waren von seiten der Beamten nichts Seltenes. Eine ganze Anzahl Arbeiten, die nach 89 extra bezahlt wurden, wurden mit zum Geding gehörend gerechnet, trotzdem das Geding bedeutend reduzirt war. Wir wollen nur ein Beispiel anführen:
Werken; sie erhoffen von der Niederlage der Arbeiter ein gegen diese gerichtetes Schreckensregiment, das den letzten Resten der färglichen Arbeiterschutzbestimmungen vollends den Garaus macht. Was gewinnt die Regierung von der Nach 89 brauchte der Bergmann das Ausbauen, Stellen Niederlage der Arbeiter? Ihr Sieg gegenüber den Arvon Stempeln 2c. nur an der Arbeitsstelle vorzunehmen. Trat beitern ist gleichbedeutend mit ihrer vollständigen Abdankung die Nothwendigkeit ein, daß in der Strecke etwas derartiges gegenüber allen Gelüsten der Industriebarone. Und der gemacht werden mußte, so bekam der Mann das besonders be- Rönig absolut, wenn er unseren Willen thut", diese zahlt. Jetzt soll der Bergmann die Strecke 50 Meter weit in Kennzeichnung des Junkerstandpunktes paßt dann Ordnung halten, ohne daß er dafür extra bezahlt würde. Wer da weiß, wie oft durch den Druck Brüche und Einstürze vor noch treffender auf das Schlotjunkerthum. Die tommen, der kann ermessen, welche Last man den Bergleuten hunderttausende Arbeiter sind aber für alle Zeit in die dadurch aufgehalft hat. Dazu kommt noch die fortwährende revolutionären Reihen getrieben; die tausende Arbeiter, Verhöhnung und Beschimpfung der Bergleute durch das offizielle die von den Grubenbesitzern in die Acht erklärt werden, sind Organ der Bergwerksdirektion, des Bergmannsfreundes". Das ein lebendiges Mahnzeichen für die Arbeiter. Mag es den
in dem wir saßen, ein tadelloses, vortreffliches Diner munden. Da wir wußten, wie dünn die Scheidewand war, so plauderten wir mit leiser Stimme.
Bis zum Braten waren wir gekommen, und das Nebenzimmer, in dem nur das Feuer knisterte, war leer geblieben. Da schlug es acht, laute Fußtritte wurden hörbar, Worte wurden gewechselt, und die Kellner brachten Kerzen.
Es war klar, das benachbarte Zimmer wurde besetzt. Ich erkannte die Sprechenden an ihrer Stimme und Selbst in den elegantesten Pariser Restaurants sind die wußte, wen wir neben uns hatten. Scheidewände zwischen den Einzelfabinets bekanntlich sehr Es waren vier der verwegenſten Strandvögel, die je in dünn. So wird bei Very beispielsweise der größte Salon durch eine zusammenschiebbare Zwischenwand nach Bedarf in zwei Theile getrennt.
dem Schaum, den der Wogenschlag unserer Zeit unaufhörlich an die Ufer wirft, ausgefrochen waren: liebenswürdige Menschen, aber problematische Existenzen; sie lebten gut, doch man wußte nicht, wovon.
Dort war es nicht, wo die folgende Szene spielt, sondern irgend wo anders; wo, will ich nicht verrathen. Sie bildeten ein Fähnlein jener geistreichen Condottieri Wir waren unser Zwei, und ich sage, wie jener bekannte Ehrenmann:„ Ich möchte sie nicht gern kompromittiren." Wir ließen uns in dem gemüthlichen, kleinen Salon,
die ihm nützen konnten, auf dem Bauche zu kriechen, und der nun so schlau war, sich gegen alle, die er nicht mehr nöthig hatte, unverschämt zu benehmen. Er glich einer jener grotesken Balletfiguren aus dem" Gustave", die Herr von hinten und Knecht von vorn sind.
Die Schleppe dieses Industriebarons trug ein geistreicher, unfteter Mensch, der Redakteur Alfred Blondet. Er war glänzend begabt aber faul, wußte, daß er ausgebeutet wurde und ließ es doch geschehen, war zuverlässig und perfid, wie es ihm gerade einfiel, kurz, er gehörte zu jenen Leuten, die man gern hat, aber nicht achtet.
Der Dritte war ein Spekulant und hieß Couture. Er steckte beständig in Geschäften drin und deckte mit dem Gewinn aus dem einen den Verlust aus dem andern. So erhielt ihn die zuckende Kraft seines Spiels, hielten seine kühnen, raschen Bewegungen ihn allein an der Oberfläche. Er schwamm hierhin und dorthin und suchte in dem unendlichen Meer der Pariser Geldwelt nach einem halbwegs sicheren Eiland, wo er landen konnte. Augenscheinlich hatte er die richtige Stelle noch nicht gefunden. Was den Letzten, den hervorragendsten unter den Vier,
der modernen, zum blutigsten Kriegshandwerk gewordenen Industrie, welche den Gläubigern die Sorgen und sich dem Vergnügen überlassen, und deren einziger Kummer ihre Toilette ist. Tapfere Bursche übrigens, die wie Jean Bart ihre Zigarre *) Der so betitelte Roman des französischen Meisters der auf einem Pulverfaß rauchen würden, sei es auch nur, um Charakterschilderung, Balzac , ist, wie dieser es nennt, eine in der Rolle zu bleiben. Spottsüchtiger als die politischen betrifft, so wird schon sein Name genügen, um ihn zu soziale Studie", deren Werth es feinen Abbruch thut, daß sie Wizblätter, so spottsüchtig, daß sie sich selber nicht ver- schildern: Biriou!*) Aber ach! es war nicht mehr der schon ein halbes Jahrhundert alt ist. Die Bourgeoisie unter schonen; scharfsichtig, ungläubig, mit feinstem Spürsinn für Biriou von 1825, sondern der von 1836, nicht mehr blos Louis Philippe , dem Bürgerfönig", war schon richtige, aus Geschäfte begabt, habgierig, verschwenderisch, neidisch aber der schnurrige Menschenhaffer, der bissige Humorist, als gewachsene Bourgeosie und hat schon alle Charakterzüge der Bourgeoisie von heute, nur daß weniger Runzeln vorhanden und sehr selbstzufrieden; große Lebenskünstler, reich an glück- den man ihn kannte, sondern ein Teufel, der wüthend vor die Geschwüre nicht so sichtbar und häßlich sind. Das klassische lichen Einfällen, mit auflösendem, alles errathendem Ver- Zorn darüber ist, so viel Geist und Wiz vergeblich verBild der Börse, ihres Treibens und ihrer Praktiken, trifft genau auf stande ausgestattet; und doch noch ohne festen Halt in der schwendet und bei der letzten Revolution auch nicht das die Gegenwart zu, so daß man meint, es sei gestern geschrieben, Welt, in der sie eine Rolle spielen wollten. ärmlichste Strandgut aufgefischt zu haben. So versetzte er jegt, wie ein seiltanzender Harlekin jedem einen Fußtritt, der ihm nahe tam; er tannte seine Beit bis in ihre ges an den Fingern herzuzählen. Wie ein Clown sprang er heimsten Falten, und vermochte alle ihre Standalgeschichten
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und kann unsern Refern bei den bevorstehenden Debatten über Nur ein Einziger der Vier war emporgekommen, die Ausschreitungen" der Börse als Leitfaden dienen; sie sehen freilich auch nur bis an den Fuß der Leiter. Geld allein da" wie's gemacht wird". Und daß dies alles heute noch so Lebensfrisch und so wahr ist, das ist der glänzendfte Beweis für was ihm noch alles fehlt, wenn er ein halbes Jahr lang lebensfrisch und so wahr ist, das ist der glänzendste Beweis für genügt nicht ganz; ein Emporkömmling merkt meistens erst, die Kunst und das Genie Balzac's , des größten der modernen Charakterschilderer und des natürlichsten, welches trok nur Schmeichelhaftes zu hören bekommen. Andoche Finot fremder Abstammung- gute deutsche Wort ja nicht mit natu- hieß der Parvenu. Es war ein kalter, wortfarger, steifer, ralistisch", seinem puren Gegentheil, verwechselt werden darf. geistloser Mensch, der sich nicht geschämt hatte, vor allen,
*) Biriou spielt in zahlreichen Romanen der menschlichen Komödie" Balzac's eine Rolle. D. Uebers.