Die interessanteste Mitteilung deS„Minenlegers" Brust betrifft die Mit gliederzahlen des GetverkvereinS. Der Gewerkverein habe jetzt bei 70 000 Mitgliedern an 40 Beamte. Auf dem christlichnationalen Arbeiterkongreß in Berlin wurden 80 000 Mit glieder angegeben. Ende 1904 habe der Bergarbeiter- gewerkverein im Ruhr gebiet rund 39 000 Mit glieder gehabt, diese Zahl sei aber jetzt nicht mehr vorhanden! Während des Streiks ILOö habe der Gewerkverein 40 000 Neuaus nahmen gemacht, noch», ehr seienbis jetzt wieder ver- koren gegangenl Brust erklärt also, der Gewerkverein habe in den letzten zwei Jahren rund 41 000 Mitglieder im Rnhrgebiet verloren! Da Brust selbst noch Gewerkvereinsmitglied ist und durch Zwischenträger über die internen Berhältuiffe in der Gewerkvereins zentrale ständig auf dem laufenden gehalten wird. ist seine Mitteilung kaum als eine bloße Behauptung anzusehen. Seine Angaben werden auch gestützt durch den Ausfall der Knapp- schaftsältestenwahlen am 23. November. Bon den 1b neugebildeten Sprengeln eroberte der„alte Verband" 10, der christliche Verband bekam nur drei seinen erhielte» die Polen , einen die Zechenpartei). obwohl die meisten Sprengel in den Bezirken liegen, die man all- gemein als die besten für den Gewerkverein angesehen hat. Der Wahlausfall hat denn auch allgemein überrascht. Nun erklärt Brust, der christliche Berein habe seit dem großen Streik 41000 Mitglieder eingebüßt. Er sei heute weniger stark tvie vor dem Streikt DaS sei ein so starker Rückgang der christlich- nationalen Arbeiterorganisation, wie ihn auch die schlimmsten �Schwarzseher nicht geträumt hätten. Brust erzählt weiter, im Saargebiet stehe es ebenfalls sehr schlecht mit dem Gewerk- Verein. Wenn man ihn„zur Notwehr" zwänge, will Brust noch weitere Mitteilungen über die Desorganisation des Gewerkvereins machen. Die Leitung ruiniere durch ihre„sozialdemokratische Taktik" den Gewerkverein. Sie wolle die Sozialdemokraten im Radikalismus noch übertrumpfen. An der„sozialdemokratischen Taktik" kann der von Brust be- hauptets Rückgang des christlichnationalen Vereins nicht liegen, denn der von Brust als die„Ausgeburt der Hölle" bekämpfte„sozial- demokratische Verband" macht gute Fortschritte. In den letzten beiden Geschäftsjahren hatte der„sozialdemokratische Verband" 2777 000 M. Einnahme an Mitgliederbeiträgen, der christliche Bergarbcitergewcrkverein nur 1 234 000 M. In den ersten drei Quartalen 1907 nahm der„sozialdemokratische Verband" 1221000 M. Mitghederbeiträgc ein, das sind über 100000 M. mehr wie im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Das Ver» mögen des„sozialdemokratischen Verbandes" erhöhte sich in den ersten drei Quartalen 1907 schon um 21 l 000 Mark. Seine„sozialdemokratische Taktik" kann also den christlichen Berg- arbciterverein nicht so zurückgebracht haben. Woran eö liegt, tvird nun wohl die GewerkoereinSleituug aufklären. Da der christliche Bergarbeitergewerkoerein die christlichnationale Mustergewerkschaft in Deutschland ist, ist den Mitteilungen des Abgeordneten Brust über die rapide Desorganisation dieser Vereinigung eine zeitgeschichtliche Bedeutung nicht abzusprechen. Mag auch Brust übertrieben haben, so viel steht doch fest, er weiß Bescheid über die Lage der Dinge in der christlichnationalen Arbeiterorganisation. Man darf gespannt sein auf die Antwort der Angeschuldigten. Sie können zu den An klagen nicht mehr schweigen. ver AahIrechlZltZmpf. Der 1. Dezember hat das Werk des 2S. November fortgesetzt. Zahlreiche Orte und Bezirke, wo die Protestversammlungen gegen daS Dreiklaffenunrecht am Dienstag nicht abgehalten werden konnten, haben am Sonntag ihre Kundgebungen gehabt. Von ihnen gilt dasselbe, was von denen des Dienstags gesagt werden konnte. Sie sind glänzende Demonstrationen entschloffener Kampfbereitschaft gewesen. Dichte Maffen fiillten die Säle und eine gewaltige Er- bitterung gab sich in dem Verhalten der Zuhörer kund und der feste Wille, die Dreiklassenschmach abzuschütteln. Durchweg wird von starkem Besuch und von begeisterter Aufnahme der Referate berichtet. Immer höher schwillt die Flut des ZomeS gegen die Ent- «chtung.... Besonders imposante Massenkundgebungen. sind auS dem Ruhr» revier zu melden. In Dortmund waren vier Säle überfüllt, im Wahlkreise tagten neun große Versammlungen, wovon die zu Lünen 2000 Besucher umfaßte. Im Nachbarwahlkreise Bochum - Gelsenkirchen fanden 17 äußerst stark besuchte Volksversamm- lungen statt, im Wahlkreise Hamm-Soest sieben Versammlungen. wovon die in Unna 200 Demonstranten vereinigte. Auch im übrigen Westfalen sind große Kundgebungen zu verzeichnen; in Hagen -Schwelm tagten 13 imposante Verfamm» lungen. In Hagen selbst hatten sich 800 Demonstranten eingefunden. Jn SchleSwig-Holstein war für den Wahlkreis Kiel der Sonntag der Demonstrationstag. In Kiel selbst taglen fünf gewaltige Versammlungen, von denen zwei polizeilich abgesperrt wurden, im Wahlkreise waren zwölf Versammlungen veranstaltet. Eine große Anzahl von Versammlungen hat in P o m m e r n getagt, im ReichStagSwahlkreise Randow-Greifenhagen allein zehn, außerdem hatten noch siebzehn Orte der Provinz Kund- gedungen. In der Probinz Sachsen fanden im Wahlkreise Nord- Hausen neun stark besuchte Versammlungen statt, bei Halle vier, im Bezirk Bockwitz drei; in Mühlhausen waren 1000 Zuhörer ver- sammelt. Außerdem werden noch Versammlungen aus einzelnen Orten Brandenburgs . Hannovers und des Rheinlands ge- meldet, in W e st p r e u ß e n hatten Elbing , Grandenz, Manenwerder, Thorn, in Schlesien Freiberg . Grünberg<200 Besucher). Mallwitz (Kreis Sprottau ), Peterswaldau und Sagan stark besuchte Kund- gebungen. • Bergarbeiter und Landtagswahlrecht. In dem größten Saale des Industriezentrums Gelsen» kirchen- Altstadt fand am Sonntag eine von 2000 Bergarbeitern besuchte Versammlung statt mit der Tagesordnung:„Die Berg- arbeiter und der preußische Landtag". Reichstags- abgeordneter Hue hielt da§ Referat; die Versammelten stimmten ihm lebhaft zu. Erschienen waren auch zahlreiche christlichorganisierte Bergarbeiter, das Referat fand indes keinerlei Widerspruch. Ein- stimmig wurde folgende Resolution angenommea: „Die heulige Bergarbeiterversammlnng erklärt: Der Streit um ein besseres Knoppichaftsslatut hat uns erkennen lassen. daß der preußische Landtag bei der Sendernng de? Knapp- schaftSgesetzeS<T>tel VII deS Allgemeinen Berggesetzes) durchaus arbeiterfeindlich handelte, als er nicht nur alle auf eine Erhöhung des ArbeitereinflusseS auf die Kassenverwaltung hinzielenden Anträge der allgemeinen Bergarbeiterkongresse ab- lehnte, sondern auch noch die Regierungsvorlage verschlechlerte. Dieselben traurigen Erfahrungen haben die prenßisckien Bergarbeiter mit dem Landtag gemacht, alö er 1892 und 1905 ein wirkliche» Bergarbeiters chutzgesetz schaffen sollte. Da sind den Bergarbeitern Steine statt Brot gegeben worden. Dies wäre nicht möglich gewesen, wenn die Arbeiter auf die Zusammensetzung des Landtages Einfluß hätten. Das in jeder Beziehung ungerechte Dreikkaffenwahlrecht verhinderte die Berg- arbeiter. in den Landtag eine Vertretung ihrer Interessen zu ent- senden. Diese empörende Tatsache erkennend, fordert die heutige Ver- sammlung alle preußischen Bergarbeiter auf, sich in die erste Reihe der Bewegung gegen das Dreiklassenivahlrecht. für dos Reichstagswahlrechl zum preußischen Landtag zu stellen. Da die gewerkschaftlichen Organisationen als solche nicht den Wahlkampf führen können, so fordert die Versammlung alle Bergarbeiter auf, i» ihren politischen Parteien die maßgebenden Führer und Körperschaften zu nötigen, unzweideutig Stellung für die Einführung deS allgemeinen. gleichen, geheimen und direkten LandragSwa'hlrechteS zu nehmen. Diese Angelegenheit ist nun zu einer Lebensfrage der ganzen Bergarbeiterschaft geivorden. Denn nicht eher werden die Berg- arbeiter aus die Erfüllung ihrer wohlberechtigten Lebensschutz- forderungen rechnen dürfen, als bis durch Beseitigung des Drc,- klassenwahlrechtS da§ arbeitende Volk Einfluß auf die Landes- gesetzgebung gewonnen hat." Die„vergarbeiterzeitung" fordert alle preußischen Bergarbeiter auf, in gleicher Weise wie ihre Kameraden in Gelleukirchen zu der WahlrechtSbewegung Stellung zu nehmen. Wenn man die Unfall Ziffern ansehe, dann wisse man, wie schwer der Bergarbeiterschutz in Preußen durch die Schuld deS Landtages vernachlässigt sei. Es seien innerhalb der letzten fünf Jahre von 1000 Bergleuten unter Tage tödlich verunglückt in Frankreich 1,l8—1.24. in Belgien 1,120—1,333, in Preußen 1,998— 2,177. Von 1000 Bergarbeitern der Gesamtbelegschaft seien tödlich verunglückt in England 1,231—1.328, in Preußen 1,799—1,989. Vergleiche man längere Zeiträume, so ergebe sich, daß von 1000 Kohlenbergarbeitern tödlich verunglückten in England Preußen 1824/64: Z.S70 1841/52: 1,650 1861/65: 3,240 1861/66: 2,656 1881 90: 1,923 1881/90: 2 934 1891/95: 1,524 1891'1900: 2,474 1896/1905: 1,294 1901/1905: 1.975 Im preußischen Landtage seien vor zirka einem halben Jahr hundert die arbeiterschützenden Bestimmungen der alten Berg ordnungen aufgehoben worden. Statt Brot habe der preußische Landtag den Bergarbeitern Steine gegeben. Dmum sei für die Bergarbeiter die Abschaffung des Dreiklassenwahlrechts eine Lebens- frage._ poUtifcbe Ckberftcbt. Berlin , den 3. Dezember 1907. Direkte Reichssteucrn. In seiner Rede, mit der Freiherr v. Stengel die EtatS- Verhandlungen im Reichslage einleitete, hat er behauptet, daß in den Vereinigten Staaten von Amerika , deren Verfassung doch sicherlich auf einer durchaus liberalen und ftcisimngen Grundlage aufgebaut fei, niemand auch nur daran denke, die direkten Steuern auf das Vermögen und daS Einkommen ganz oder teilweise den Einzel- staate» zu entziehen und auf den Bund zu übertragen. Dort habe man längst erkannt, daß man die direkten Steuern den Einzelstaaten belasten müsse, wenn die föderativen Grundlagen der Verfassung jener Staaten keinen Schaden leiden sollen. Nun herrscht in der nordamerikanischen Union trotz mancher demokratischen VcrfaffungSbesttmmungen die Plutokratie, und deshalb kann selbst dann, wenn die Behauptungen deS Herrn v. Stengel richtig wären, das dortige Steuersystem keineswegs ohne weiteres als Muster für Deutschland gelten. Tatsächlich aber plant man. wie die„Boss. Ztg." feststellt, auch in Amerika die Einführung einer BundeS-Erbschafts- und Einkommensteuer: „Präsident Roosevclt empsiehit in seiner Botschaft an den Kongreß vom 4. Dezember 1906 für die deninächstige Revision deS BundessteueriyftemS die Einführung einer vor allem die Riesenvermögen treffenden progressiven Erbschaftssteuer und einer progressiven Einkommensteuer als BmideSeinnahme. Danach scheint also der Präsident der Vereinigte» Staalen, der doch wohl nichk beabsichtigt, an dem söderaliven Charakter der Union zu rütteln, über die Wirkung, die in dieser Hinsicht von direkten Steuern ausgehen könnte, wesentlich anders zu denken als die deutschen Staatsmänner."_ Dernbnrgs Pläne. Nach der Information des Scherlblattes verlangt Dernburg an Eisenbahnbauten: 1. Die Eisenbahn DareSsalam— Morogoro nach Tabora , 2. die Usambara-Bahn bis zum Kilimandscharo weiterzubauen. 3. daS Rufidji-Ulanga-Schiffahrt- Projekt zu betreiben, wenn die Untersuchung dieses Projektes, die im Gange ist, günstig ausfällt. Daran schließt er nock daS Südbahnprojekt von K i l w a aus, jedoch hat sich Dernburg noch keineswegs für einen bestimmten Ausgangspunkt entschlossen. Diese Bahnbauten, fährt daS Scherlblatt fort, würden zirka 150 Millionen kosten, doch werde die Bauzeit 10—15 Jahre be- tragen, so daß sich p r o I a h r nur eine Summe von 12 bis 15 Millionen ergebe. Die Bewilligung dieser Summe hoffe Dem- bürg von der ReichStagSmehrhett wohl erwarten zu können. Mit DernbnrgS Kolonialbauplänen steht es genau so wie mit den Flottenbauplänen des Herrn v. Tirpitz. Die Kosten sollen sich auf eine Reihe von Jahren verteilen, so daß pro Jahr nur so und soviel erforderlich sei. Nackcher aber stellt sich heraus, daß die Bau- tosten ganz wesentlich höher sind als der Voranschlag. Und dann wird plötzlich ein beschleunigtes Bautempo verlangt. Es braucht ja nur— was nur zu wahlscheinlich ist— in Ost- afrika wieder ein größerer Eingeborenenaufstand auszubrechen und der Bahnbau wird beschleunigt. Die Jahresraten verdoppeln und verdreifachen sich dann! Aber was Herr Tirpitz kann, wird ja auch Herr Dernburg noch können I Die Blockmehrheit wird bewilligen— daS Boll kann ja nachher die Suppe auslöffeln!— Klerikale Agrarpolitik. DaS„Bayrische Vaterland" nagelt die„Kölnische Volks- zeitung" auf eine Inkonsequenz fest, die der weiteren Beachtung wert ist. In Nr. 1025 vom 26. November bringt nämlich das rheinische Zentrumsblatt die Rede des ultramontanen Abgeordneten Herold anläßlich der Interpellation über die Lebensmittel» teuerung. Darin gibt Herold unter dem Beifall seiner GesinnungS- genoffen der Ueberzeugung Ausdruck, daß die Aushebung der Zölle nicht denZweck erreichen werde, diePreise für Lebensmittelherabzusetzen, denn der Zoll übe seine Wirkung nur bei billigeren Preisen aus. In derselben Nummer, eine Seite weiter, bringt die„Kölnische Volkszeitung" einen Artikel im Handelsteil über die KrisiS im türkischen Wirtschaftsleben. Darin heißt eS: „Um der gewaltigen Erhöhung der Brotpreise zu begegnen, hat die türkische Regierung nun vor einigen Wochen ein Verbot, Getreide zur Ausfuhr zu bringen, erlassen. Ob dieses Mittel hinreicht, um die schlimmsten Folgen der Verteuerung des Brotes von der Bevölkerung abzuwenden, darf billig bezweifelt werden. Zu dem einzig durchgreifenden Mittel einer Er- Mäßigung oder gar zeitweisen Aufhebung der Einfuhrzölle für Getreide kann sich die otto- manische Regierung offenbar nicht ent- schließe n." In Deutschland hat also die Herabsetzung oder Abschaffung der Getreidezölle keinen Einfluß auf die Brotpreise, in der Türkei dagegen ist sie das„einzig durchgreifende Mittel" zu diesem Zweck. Wunderbar!— Agrarische Wahlstatistik. Daß die Zahlen der Agrarier nicht zu stimmen pflegen, wenn die Herren durch ihre Gelehrten ihren Lesern vorrechnen lassen, daß die Getreidezölle, Wehzölle und Grenzsperren Brot und Fleisch nicht verteuern, ist ja eine bekannte, aber immerhin erklärliche Tatsache. Die Herren Agrargelehrten m ü s s e n ja mit falschen Zahlen operieren, da ihnen sonst der Beweis nimmermehr gelänge. Daß aber die Herren von der„Deutschen Tages- zeitung" auch die Zahlen der Wahlstatistik in un- alaublichstcr Weise entstellen, läßt sich höchstens aus der Gewohnheit und deni Prinzip erklären. Zahlen nie- mals richtig wiederzugeben. Die„Deutsche Tagesztg." gibt— sie ist ja die Berufenste dazu l— der Sozialdemokratie den Rat,„etwas bescheidener" aufzutreten. Die Sozialdemokratie habe dazu alle Veranlassung, habe sie doch bei den letzten Reichstagswahle n sehr schlecht abgeschnitten. Und nun verzeichnet das Oertel-Blatt folgende sozialdemokratische Stimmenverluste: „Beispielsweise verloren sie im Kreise Leipzig -Land 14 440, in Dresden r. d. E. 9163, in Zittau 8553 und in Stollbcrg und Teltow -BeeSkow über 6000 Stimmen. Bedenkt man nun. daß gerade in diesen Kreisen die Arbeiter- bcvötkerung bei weitem überwiegt, so kann man behaupten, daß viele Arbeiter, die»och im Jahre 1903 den sozialdemokratischen Kandidaten zum Siege verhalfen, die Schädlichkeit der Bewegung mindestens einigermaßen erkannt und ihr den Rücken gekehrt haben." In den genannten fünf Wahlkreisen soll also die Sozial- demokratie 44 156 Stimmen verloren haben! In Wirklichkeit verlor sie gegenüber 1903 nur in drei dieser Wahlkreise Stimmen, nämlich in Dresden rechts der Elbe 1921 (nicht 9163!), in Zittau 540(nicht 8553!) und in Stollberg 1096(nicht 6000!) Stimnien. Dafür g e- wann sie in Leipzig -Land 1883 und in Teltow - Beeskow 30 250 Stimmen l Die Sozialdemokratie verlor also in den aufgezählten fünf Wahlkreisen 3557 Stimmen und gewann 32 133 Stimmen, sodaß sie einen Reingewinn von 28 381 Stimmen zu verzeichnen hatte, statt des von der „Deutschen Tageszeitung" behaupteten Verlustes von 44156 Stimnien. Der Himmel mag wissen, woher das Agrarierblatt seine Zahlen bezogen hat! Und das wagt sich an statistische Be- rechnungen heran, die mehr erfordern als bloßes Abschreiben! Das Dreiklassenparlament kein Klassenparlament. Die Wildnationalliberale„Rheinisch-Westfälische Zeitung", die Vertreterin der rheinisch-westfälischen Industriellen, macht sich die Ausführungen des freikonservativen Landtags- Abgeordneten Vorster zu eigen, der sich gegen jede wahrhaft demo- kratiiche Aendcrung des DreillassenwahtsystemS ausspricht und hofft. daß die Mehrheil des Abgeordnetenhauses niemals ihre Zu- stimmung zur Einführung deS ReichötagöwahlrcchtS geben werde. DaS schnurrigste an der Sache ist jedoch, daß Vorstcr in seiner Schrift beweisen will, daß das Dreillassenparlament kein Klas senp ar la m ent sei. ES sei vielmehr ein Parlament, das dem M i t t e l st a n d de» ausschlaggebenden Einfluß einräume. Demi die Mehrheit der Wähler der zweiten Klaffe setze sich aus Wählern mit einem Einkommen his 2400 M. zusammen. Sei doch in rund 9000 von insgesamt 27 000 Urwahtbezirken die zweite Klasse den Einkommen bis zu 1500 M.„zugänglich", in weiteren 9000 Bezirken den Einkomme» zwischen 1500—2400 M. AIS ol� eS sich um die, Z u g ä n g l i ch k e i t" handele und nicht um die Zahl der Wähler mit solch' niedrigem Einkommen! Da aber in der 2. Klasse nach Vorster daS Durchschnitts- « i n k o m m e n 8600 M. beträgt, ergibt sich, daß auch in der 2. Klasse der Besitz ausschlaggebend ist I Aber selbst wenn daS nicht wäre: es gehört eine eiserne Stirn dazu, zu behaupten, ein Wahlrecht, das 15 Prozent der Urwähler doppelt so viel Wahlrecht einräumt, wie den 85 Prozent der Wähler 3. Klasse, sei kein Klassenwahlrecht, keine schamlose Entrechtung von mehr als sechs Siebeuteln aller Wähler! In großen Städten ist obendrein daS Verhältnis noch schlimmer. So hatten in Berlin in der 1. Klasse 1.63 Prozent der Wähler ebensoviel Wahlrecht, wie 88.92 Prozent der Wähler 3. Klasse! Denn von 11 Prozent Wählern der beiden obersten Klassen gelang eS sogar, die 3. Klasse völlig zu überstimmen, sodaß diese neu» Zehntel der Wähler im Grunde überhaupt kein Wahlrecht hatten! Und das ist nach der Ansicht des LrganS der nationalliberalen Schlotjimker kein Klassenwahlrecht!— Ein Gendarmenspatz. In U e b e r st r a ß im Oberclsaß kam am 17. März d. I. der Gendarm Herschelmann in den Schulsaal, öffnete einen Schrank und entnahm einer Kiste die in ihr aufbewahrten Mobil« m a ch u n gs b e fehle, die er in die Tasche seines Fahrrades brachte. Dann ging er zum Lehrer Bach und ersuchte ihn, ihm das Paket mit den Mobilmachungsbefehlen a u Sz u- händigen. Natürlich geriet der Lehrer in begreifliche Auf- regung, als er das Paket nicht fand, umsomehr, als der Gendarm mit sofortiger Verhaftung drohte. Schließlich gab er dem Lehrer zur Herbeischaffung des Paketes Frist bis zum Montag Mittag. Dann fuhr er mit dem Paket davon. Auch am Montag hatte sich das Paket natürlich noch nicht angefunden, obwohl der Lehrer und der Bürgermeister nochmals nach ihm gesucht hatten. Am Nachmittag kam der Gendarm wieder. Das Paket war natür- lich nickt da. Der Gendarm drohte wieder mir Verhaftung, gab aber dann dem Lehrer eine Gnadenfrist bis 6 Uhr und ging zum Bürgermeister. Als er von diesem wieder zu dem Lehrer zurück- kehrte, sagte er ihm auf den Kopf zu, der Bürgermeister hätte ge- sagt, der Lehrer gehe öfter üb er die Grenze nach Frankreich hinüber!.... Zwei Tage später klopfte der Gendarm am Schulsaal in Largitzen an und erzählte dem dortigen Lehrer, in U e b e r- straß seien die Mobilmachungspapiere gestohlen worden. Darauf schrieb der Lehrer Bach einen Artikel in ein Mülhauser Blatt, in dem eS hieß, daß der Dieb sich als Gendarm Hcrschelmann entpuppt habe. Dadurch fühlte sich der Gendarm be- leidigt. Lehrer Bach und ein Schriftsetzer wurden vor Gericht zitiert und erhielten 50 M. b e z w. 20 M. wegen Beleidigung. Dem Bürgermeister von Ueberstraß aber, der den Hergang der Sache dem Polizeikommissar und der Kreisdirektion mitteilte, wurde erklärt: Ter Gendarm habe nur Spaß machen wollen!.... Bisher hat man noch nicht vernommen, daß dem Gendarm flargemacht worden ist, daß solche dummen und frivolen Spaß« nicht zu seinen Befugnissen gehören.
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten