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Prüfung mitgeteilt ist,um auch weiteren Kreisen zur Meinungs- äußerung Gelegenheit zu geben". Der Arbeiterklasse, auf deren geistiger und körperlicher Arbeit die Kultur beruht, ist der sie be- treffende Gewerbeordnungsnovelle-Entwurf bekanntlich bis heute noch nicht bekannt gemacht. Auch diese verschiedenartige Behandlung der Gesetzesvorbereitungen zeigt, daß der Reichskanzler, in dessen Namen das Neichsamt des Innern vorgeht, die Arbeiter für minderen Rechts hält als die, deren Existenz durch die Arbeit der Arbeiter ermöglicht wird. Der Inhalt des veröffentlichten Entwurfs steht in auffälligem Gegensatz zu seiner Länge und der seiner Erläuterungen. Es ist ein Mckwerk, dessen Notwendigkeit sich infolge der schwankenden Judikatur herausgestellt hat. Dem unlauteren Wettbewerb kann ein mit den Lebensverhältnissen vertrautes Gericht sehr leicht an den Kragen ohne ein besonderes Wettbewerbgesetz. Der§ 826 des Bürgerlichen Gesetzbuches gibt, wie die Erläuterungen anerkennen, in sehr vielen Fällen die Möglichkeit zum Einschreiten.§ 826 lautet: Wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, ist dem anderen zum Ersätze des Schadens verpflichtet." Dieser Grundsatz kann freilich nur unter der Boraussetzung, daß er von Nichtern geHand- habt wird, die mit den Verhältnissen des werttätigen Lebens vertraut sind dem unlauteren Wettbewerb den Garaus machen, soweit das innerhalb der heuttgen auf Ausbeutung de? Menschen durch den Menschen beruhenden Gesellschaftsordnung möglich ist. Den Beweis hierfür hat Frankreich geführt. Der Artikel ' 1382 deS Code civile(Jede Handlung eines Menschen, die einem anderen Schaden verursacht, verpflichtet den, durch dessen Schuld der Schaden entstanden ist, zum Schadenersatz") ist vorbildlich für die Bekämpfung des illoyalen Wettbewerbs durch allerdings mit Laien- richtern besetzte Gerichte gewesen. Wer nun erwartet hatte, der Entwurf schlägt nun endlich eine Ergänzung deS Wettbewerbgesetzes dadurch vor, daß er die Rechtsprechung Richtern überträgt, die nicht von der politischen Laune des jeweiligen Regiments abhängig und mit den praktischen Lebensverhältnissen vertraut sind, über- trägt also Richtern. gewählt aus allen Kreisen der Bevölkerung durch das Volk ist enttäuscht. Die langen Er- läuterungen lassen dies wesentlich st e Mittel zur Be- kämpfung deS unlauteren Wettbewerbs unberücksichtigt. Sie gehen den Weg der Spezialgesetzgebung. der Kasuistik. Vorgeschlagen werden einige neue Fassungen gegen den schwindelhasten Aus- verkauf und gegen gleiche KonkurSwaren-Aus- verkaufe. Unter Strafandrohung sollen bei Ausverkäufen die wahren Gründe des Ausverkaufs künftig angegeben werden. Be- trügerischen Nachschüben bei Ausverkäufen soll ein Riegel vor- geschoben werden. Uns dünkt, alles das, was der neue Entwurf treffen will und besonders hervorhebt, konnte bereits auf Grund des bestehenden Gesetzes getroffen werden und ist auch in einer Reihe Reichsgerichts- Entscheidungen alS bereits unter die bestehenden Strafvorschriften fallend bezeichnet. Hält man den Weg der ausdrücklichen Hervorhebung einzelner Fälle des unlauteren Wettbewerbes für notwendig, so gibt man damit zu. daß man zu der heutigen Rechtsprechung das Ver- trauen nicht hat, daß sie die Betrugsvorschriften und die Be- stimmungen de» unlauteren Wettbewerbs richtig zu handhaben ver- steht. Dann sollte man konsequent sein und nicht davor zurück- schrecken, endlich die zur Findung deS Rechts durchaus ungeeignete heutige Organisation der Rechtspflege an Haupt und Gliedern von Grund auf zu reformieren. Das Flickwerk des Gesetzentwurfs ver- legt dem Schivindel nicht den Weg. sondern leitet ih>i nur auf andere Bahnen, erleichtert ihm also, wenn auch wider Willen sein Fortbestehen. DaS ist die natürliche Folge jeder kasuistischen Gesetzgebung. Die Folge des Gesetzentwurfes würde sein: ein paar Strafparagraphen mehr. Vermehrung einiger un- gerechten Richtersprüche, freisprechender oder verurteilender Natur im übrigen bleibtS wie's war. Dem Mittelstand kann auf diesem Wege nicht im geringsten geholten werden. Ver- mehrung von Strafparagraphen schafft keine Besserung der Rechts- Pflege. Den Regierungen sollte jedes geeignete Mittel zur Minderung schwiudelhaften Wettbewerbes genehm sein. Warum versteift sie sich darauf, daS für diesen Zweck wirksamste Mittel Ersatz derge- lehrten" Juristen durch Richter, die vom Volk aus allen Kreisen der Bevölkerung entnommen sind nicht in Vorschlag zu bringen? Der Entwurf bringt dem reellen Handel ein paar Strafbestimmungen mehr, aber keinen Schutz. Und auf den hat er Anspruch. Ausländische Arbeiter sollen nur landwirtschaftliche Sklaven sein. In mehreren märkischen Kreisen hat, offenbar infolge höherer Anordnung, die Polizei an Wirte, bei welchen Ausländer wohnen, Verfügungen zugehen lassen, durch die sie bei Strafe aufgefordert werden, die bei ihnen wohnenden Ausländer zu entlasten. So lautet eine im Amtsbezirk Ali-Glienicke des Kreises Teltow - BeeSlow erlassene Verfügung wie folgt: Der Amtsvorsteher des Amtsbezirks Alt-Glienicke. J.-Nr. A. 10 58-}. Adlershof . den 12. Dezember 1907. Den nicht in der Landwirtschaft beschäftigten ausländisch- polnischen Arbeiter!» ist der Aufenthalt in Preußen nicht ge- stattet. Ich verbiete Ihnen daher für die Zukunft die Beherbergung solcher Arbeiter und fordere Sie gleichzeitig hiermil auf, die etwa jetzt noch bei Ihnen wohnenden auöländisch-polnischen Ar- beiter bis spätestens zum 18. Dezember 1007 zu emlaffen. Für jeden Fall der Zuwiderhandlung werde ich eine Ihnen hiermit angedrohte Strafe van 60 Mark, an deren Stelle im Unvermögensfalle eine siebentägige Haft tritt, gegen Sie fest- setzen. v. Ruzicsowka. Gegen diese Verfügung wird hoffentlich von den Beteiligten das Verwaltungsstreitverfahren beschritten werden, denn sie ver- stößt gegen die Staatüver träge und gegen die auö dem Bürgerlichen Gesetzbuch folgende Ber- pflichtung zum Innehalten der Verträge. Erst lockt das Großgrundbesitzertum und nicht minder der preußische Minister für öffentliche Arbeiten ausländische Arbeiter nach Deutschland . Und wenn die Betreffenden solange in Teutschland sich aushalten, daß sie Verständnis für die ihnen auferlegte Rolle der Lohn- drückerei finden weist man sie aus oder ordnet gar an, daß die Wirte die Mietsverträge brechen! Em Induftne und Ftendcl Kunstseide. Zu den Industriezweigen, die in kurzer Zeit einen, nächtigen Aufschwung genommen haben, gehört die Fabrikation künstlicher Seide. Zwar wurden die ersten Versuche der Nachbildung der Seide des Maulbeerspinnerö schon im Jahre 1634 gemacht und zwar von einem Franzosen Hilaire de Chardonnet , dem es auch gelang, aus einer Lösung von Nitrozellulose oder Schießbaumwolle in Aether und Alkohol seidenglänzende, hallbare Fäden herzustellen. Dieser Weg blieb lange der einzige und ist auch jetzt noch der am meisten benutzte. Die Uebelstände, die diese Kunstseide mit allen Nitro- körpern, z. B. Zelluloid, Schießbaumwolle, Nitroglyzerin und anderen Sprengstoffen teilt, daß sie unter gewissen Umständen eine explosionsartige Zersetzung oder Verbrennung erleiden. lenkte die Bestrebungen dahin, die Zellulose auf andere Weise als in nitriertem Zustande in Lösung zu bringen. Gute Resultate erreichte mau durch die Benutzung der schon lange bekannten Eigenschaft der Zellulose in Kupferoxydammoniak löslich zu sein. Man fällte diese Lösimg durch Ehlorammonium oder Amniouitlmfulsai und führte den halb trockenen Niederschlag ber amorphen Zellulose in Fäden gepreßt durch eine Eisenvitriollösung. worauf die völlig getrockneten Fäden auf Haspeln aufgewickelt wurden. Die hiermit gemachten Versuche ergaben sehr befriedigende Resultate und das Verfahren wird in einer der jüngsten aber zu- gleich größten Fabrik des Wuppertals ausschließlich angeivendel. Diese auf verschiedene Weise hergestellten Kunstseiden übertreffen an Glanz und an Leichtigkeit, Farbstoffe aufzunehmen, die Naturseide. Nur die Festigkeit der Fäden ist bei ihnen um etwa die Hälfte ge- ringer. Wäbreud ein Faden echter Seide bis 300 Gramm ohne zu zerreißen trägt, liegt die Grenze der Zerreißbarkeit bei Kunstseide ichon bei einem Gewicht von 110 150 Gramm. Aber das hindert nicht, sie zu einer ganzen Reihe von Fabrikationen zu verwenden; so werden Passemeuterieit und Futterstoffe jetzt ausschließlich oder zum Teil aus ihr hergestellt. Von welcher Bedeutung diese verschiedenen, durch Patente ge- schützten Kunftseidetabrikatiouen sind, ersieht man aus einer Ver- gleichung mit der Produktion an Naturseide und ihrer Rentabilität. Die Gesamlweltproduktion an Naturseide war im Jahre 1S04 21 145 000 Kilogiamm, die der Kunstseide im Jahre 1S06 2 400000 Kilogramm, im Jahre 1007 etwa 2 900 000 Kilogramm. Italien produzierte 1S04 noch 5 900 000 Kilogramm Naturseide, Frankreich nur noch 624 000 Kilogramm, aber seine Produktion an Kunstseide ist jetzt etwa viermal io groß. Den Hauptteil der in Frankreich pro- duzierten Kunstseide liefert die Chardonnel-Gesellschaft: sie verteilte bei einem Aktienkapital von 2000000 Frank in den Jahren 1904 und 1905 je 50 Proz. Dividende. In Deutichland sind die Hauvtfabriken von Kunstseide die Vereinigten Kuustseidesabriken in Frankfurt a. M., sie verteilten bei einem Aktienkapital von 3 650 000 M. im Jahre 1906: 20 Proz., bei 8 500 000 N?. im Jahre 1905: 35 Proz., bei 3 000 000 M. im Jahre 1904 ebenfalls 35 Proz., bei 2 500 000 M. im Jahre vorher 15 Proz. Dabei veldient noch bemerkt zu werden, daß im Jahre 1905 der Reingewinn 2400000 M. betrug, dagegen insgesamt an Löhnen nur 1 089 647 M. ausgegeben wurden. Die Bereinigten Elberfelder Glanzstoff -Fabriken arbeiten nach dem Kupferoxydammoniak-Verfahren. Sie haben im letzten Jahre mit inem Aktienkapital von 2 500 000 M. einen Reingewinn von 2 000 000 M. erzielt und einen Reservefond von 1 800 000 M. Nach dem Cbardonnet-Berfahren arbeitet auch eine belgische Gesell'chaft in Bayzinghsn. Nur in England haben die Kuitstseidefabriken keine große Außdehnung erhalten. Das Kapital zieht, wie man sieht, aus der Kunstseidefabrikatioir einen hohen Gewinn: die Löhne der betreffenden Arbeiter stehen dazu in keinem Verhältnis. Hierzu kommt, daß diese Arbeit für sie mit mancherlei Gesundheitsschädigungen und Gefahren verknüpft ist. Während die Arbeiter in den Chardonnetfabriken durch die bei Her- stellung der Nitrozellulose auftretenden gefährlichen nitrcien Gase viel zu leiden haben und auch von den Actheralkoholdämpfen bei Ver- dmistcn der Lösungen arg belästigt werden, sowie von ExvlosionS- gefahr bedroht sind, sehen sich die Arbeiter in der Elberfelder Kupferammoniakfabrik den ätzenden Ammoniakdämpfen in hohem Grade ausgesetzt._ KonkurSstatistik. Nach der borläufigen Mitteilung deS Kaiserlichen Statistischen Amts zur KonkurSstatistik gelangten im 3. Vierteljahre 1907 im Deutschen Reiche 2205 neue Konkurse zur Zählung, gegen 2064 im 3. Vierteljahre 1900. Es wurden 399(403) Antrage auf Konkurs­eröffnung wegen Mangels eines auch nur die Kosten des Verfahrens deckenden Massenbetrages abgewiesen und 1806 Konkursverfahren eröffnet: von letzteren hatte in 1067 Fällen ausschließlich der Ge- meiuschuldner die Koukurseröffiiung beantragt. Beendet wurden im 3. Vierteljahre 1907: 1839(im 3. Vierteljahre 1906: 1782) Konkurs- verfahren, niid zwar durch Schlußverleilung 1248, durch Zwangs- vergleich 413. infolge allgemeiner Einwilligung 46 und wegen Massemangels 132. In 789 beendeten Konkursverfahren war ein GläubigerauSschuß bestellt. Von den 2205 neuen und den 1839 beendeten Em der Frauenbewegung. Der erste Streit. Brütend saß Fritz Lehmann in der finsteren Küche und starrte unverwandt in die erlöschende Glut dos Herdfeuers. Anni, seine junge Frau, hatte die Stubentür krackend hinter sich in? Swloß ge- warfen und sich sofort ins Bett gelegt, wo sie noch lange in die .Kissen schluchzte. Ein Ehezwist also I Und alles wegen der Zeitung. Als aufgeklärter. politisch und gewerkschaftlich organisierter Arbeiter las Lehmann, wie sich'S gehört, denVorwärts", seine Frau wollte aber nun durchaus dieMorgenpost" haben. DenVorwärts" mochte sie nicht, dabei gab sie aber keinen Grund dafür an, genug. sie mochte ihn nicht, blickte nicht hinein und rührte ihn nicht ein- mal an. Trotzdem blieb Lehmann, der sonst in den meisten Dingen gutmütig nachgab, in dieser Beziehung fest auf seinem Stand- Punkt stehen. Seine Aiini war ein ganz tüchtiges, manierliches Weib. Nur in diesem Punkte wollte sie keine Vernunft annehmen, trotz der erdenklichsten Mühe, trotz alles gütlichen Zuredens. Sicher steckte» da dritte Perionen dahinter, die ihr mit nichtsnutzigen Ratschlägen den Kopf verdrehten. Aber jetzt ging Fritz Lehmann auch die Er- keuntnis mit erschreckender Deutlichkeit auf. daß- er vor der Hochzeit. in den zwei Jahren, versäumt hatte, seine Braut, wie es seine Pflicht gewesen wäre, in die politischen und gewerkschaftlichen Be- strebimgen und Ziele einzuweihen und sie über die wichtigen Pflichten. auf die iiotweitdigen Aufgaben der Arbeiterfrau im Befreiungs- kämpfe aufmerksam zu macheit, sie zu einer wackeren Kämpferiii heranzubilden. All die trüben Stunden, die er jetzt durchkosten mußte, und die sein sonst so friedliches Gemüt verdüsterten und verbitterten, wären ihm dann erspart geblieben. Jetzt bereute er diese Nachlässigkeit bitter, doch es war zu spät. Zu ipäl? Es darf nicht zu spät sein, kommt Zeit, kommt Rat. derVorwärts" bleibt im Hanse. Mit einem Ruck stand Lehn>aim auf. DaS Feuer war nun ganz erloschen und es fror ihn. Leise klinkte er die Tür auf und schlich auf den Zehenspitzen an daS Bett seiner Frau. Sie hatte die Augen geschloffen und er wollte bedächtig einen Gmeiiachtkuß auf die weiße, schöne Stirn drücken, aber die Ichläserin hatte es gemerkt und hastig zog sie die Decke über den Kopf. Am nächsten Morgen stand er schlecht gelaunt auf. Der Kaffee war schon bereit. doch Frau Anna war nicht zu sehen. Sonst hatte sie wenigstens. wenn die ZeiNmgöfrau klopfte, denVorwärts" hereingenommen, heute schien sie es absichtlich unterlassen zu haben, denn er lag nicht da. Abends suchte Lehmann einen Freund auf. um mit diesem einer Berufsversammlung beizuwohnen. Dem Frennde schüttete er sein Herz ans m,d sie sprachen eingehend über die Sache. Als Fritz nach seiner Wohnung schlenderte, pfiff er ein lustiges Liedchen. Am nächsten Abend kanfte er in der Parteispedition die letzte Nummer derGleichheit". Nach dein Abendbrot, bei dem weder er noch seine Anni ein Wort gesprochen hatte, setzte er sich breit an den Tisch und legte dieGleichheit" auseinander. Dann las er. las und las. ohne sich scheinbar um seine Frau zu kümmern, die erst ganz verdutzt dreinschaute, nachher aber von Zeit zu Zeit neugierig über seine Schulter blinzelte. Später aing sie schlafen, wie am Abend vorher. während er daS Blatt zu Ende las und wieder leise in die Smbe schlich. Hier legte er e'ivaS uinstäiidlich dieGleichheit" in die Kommode, merkte sich aber die Lage ganz genau. Am nächsten Abend wiederholte sich dieselbe Szene. Diesmal lag er eine dünne, leicht- verständliche Agitationsbrojchüre. Als er diese nachher ebenfalls in die Kommode legte, merkte er sofort, daß dieGleichheit" ihre Lage verändert hatte. Das ging noch einige Tage so an. als er wieder die neueste Nummer der»Gleichheit" beiseite gelegt hatte, fand er sie am anderen Abend, alS er nach Hause kam, auf dem Tische liegen. Er ließ aber nichts merken, soitdern ging in die Stube, und als er wieder in der Küche erschien, war dieGleichheit" ver- schwanden und sein Liebliitgsgericht, Schweinerippchen mit Sauer­kraut, stand auf dem Tische. Nun mußte das Eis bald brechen, und er nahm sich vor, den Anfang zu machen. Nach dem Esten wusch er sich und zog sich um. Sie spülte das Geschirr ab. Da nahm er ihr braunes Lockenköpfchen in beide Hände und sah ihr lachend in die feuchten Augen. Sag' mal, Maus, wie lange willst Du denn noch mnckschen?" und als sie immer noch nicht sprach, wirbelte er wie toll mit ihr in der Küche herum und trällerte über- miilig:Trotz' nicht so, trotz' nicht so, morgen bist Du wieder ftoh, holdrio, trotz' nicht so--- 1° Nun mußte Anni doch herzlich lachen.Willst Du mitkommen, kleiner Trotzkopf?" flüsterte er ihr neckend ins Ohr. Sie ftagte nicht, wohin, nickte aber zustimmend. Stumm und glücklich schritten die beiden hernach durch die belebten Straßen und bald saßen sie in einem großen Saal, der knüppeldick mit Menschen besetzt war. darunter sehr viele Frauen. Oben auf der Tribüne aber stand eine Frau und sprach in zündenden Worten von der Armut der Besitzlosen, von der Frauen- und Heim- arbeit, von der Ausbeutung der armen Kinder, vom Familienelend und von der Teuerung, und der Vortrag klang in einem wuchtigen. flammenden Appell an die Frauen aus, sich zu organisieren und mitzukämpfen gegen alle Unterdrückung und vor allem die Arbeiter- presse und dieGleichheit" zu lesen. Mit geröteten Wangen und glänzenden Augen hatte Frau Aimi der Rede gelauscht. AlS'sie nun am Arme ihres Mannes ihrer Behausung zuichritt, raunte sie ihm verschämt ins Ohr:Fritz, bist Du mir noch böse?'Ich?". er lachte hell auf:i wo, Herz, Schwamm drüber!"So was soll und wird nicht mehr vorkommen und gleich morgen abonnieren wir auf dieGleichheit". _ Die Sozialdemokratische Föderation in London veröffentlicht soeben ein Manifest zugunsten des allgemeinen Wahlrechts für alle Erwachsenen. Ausgehend von den Stuttgarter Beschlüffen, faßt die Schrift kurz alle Gründe zusammen, die für Gewährung des all- gemeinen Wahlrechts an die Frauen sprechen. ES folgt eine ge- drängte Darstellung des auf dem Gebiete deS Frauenwahlrechts in den verschiedenen Ländern bereits Errungenen. Schließlich werden die Genossinnen und Genossen aufgefordert, in eine zielbewußte Bewegung einzutreten. Versammlungen abzuhalten, die für diese Frage vorhandene Literatur(angeführt wird Klara Zetkins kleine FlugschriftFrauenstimmrecht") zu verbreiten usw. Versammlungen Veranstaltungen. Martendorf. Mittwoch, den 18. Dezember. S'/s Uhr, bei Reichert. Chausseestr. 27, Vortrog: Frau Lungivitz. Ser ickts-Z eitung. § 153. Die Klempner Sipplie und Löwinger hatten sich am 13. De- zember vor dem Gericht in Pankow auf Grund des§ 153 der Ge­werbeordnung zu verantworten. Sie sollten den Zimmererpokier Bornhagen durch die Drohung mit ihrer Arbeitsniederlegung zu bestimmen versucht haben, den Tischler Neupert, der während des Zimmererstreiks Streikarbeit machte, zu entlassen. DaS SchöfstIt- gericht Pankow lehnte die Eröffnung des Hauptverfahrens ab, da selbst, wenn die tatsächlichen Behauptungen der Anklage richtig sew sollten,§ 153 deshalb nicht Anwendung finden könne, weil höchstens Bornhagen , nicht aber Neupert bedroht wäre. Hierauf allein komme es aber an. Auf die Beschwerde der AmlSanwaltschaft er- öffnete die Strafkammer das Verfahren. Der Verteidiger, Rechtsanwalt Heinemann, führte aus. daß der Beschluß des Gerichts in Pankow durchaus zutreffend sei. Tie Strafkammer mach- sich des Rechtsirrtums schuldig, der zu einer vollständigen Vernichtung des ÄoalitionSrechteS führe, daß auch Drohungen gegen den Gegner im Lohnlampf unter§ 153 fub- sumiert werden können. DaS Äammergericht und neuerdings endlich auch das Reichsgericht haben das Verfehlte dieser Ansicht erkannt. Tie Zeugenvernehmung, die sich lediglich auf Verneh- mung des Belastungszeugen Bornhagen beschränkte, ergab zudem noch, daß von einer Drohung bei beiden Angeklagten keine Rede sein konnte. Bornhagen mußte unter seinem Etd zugeben, das? Löwinger mit ihm überhaupt nicht gesprochen habe. Sipplie habe lediglich zu ihm gesagt:Meister, Sie beschäftigen einen Unorgani- sierten. Wenn die Baukontrolle kommt, können wir möglicherweise deshalb Unannehmlichkeiten haben." Bornhagen erwiderte darauf, daß er den Unorganisierten weiter beschäftigen wolle, womit Sipplie sich zufrieden gab. Er arbeitete ruhig weiter mit Neupert zusammen, der heute noch bei der Firma in Stellung ist. Beide Angeklagte wurden hierauf freigesprochen. Ter Maurer Wierzbecki war vor demselben Gericht angeklagt. bei Gelegenheit deS Bauarbeiterstreiks im Sommer d. I. versucht zu haben, den Bauarbeiter Alisch mittels Bedrohung mit einem Verbrechen zur Arbeitsniederlegung zu bestimmen. Zugleich war Wierzbecki des Vergehens aus ß 153 angeklagt. In der Haupt- verhanolung ergab sich, daß der angeblich Bedrohte, ein ganz junger Mensch, dem Angeklagten, einem alten, unbestraften Mann, zu- gerufen hatte: er solle lieber Beefinge sammeln gehen, als Streik- Posten stehen. Alisch behauptete, daß ihm der Angeklagte darauf Prügel angedroht habe. Die übrigen Zeugen bestritten selbst dies. Das Gericht fand in Uebereinstimmung mit den Ausführungen des Verteidigers, Rechtsanwalt Heinemann, in der Aeuherung des Angeklagten, selbst wenn sie wirklich gefallen wäre, höchstens eine Erwiderung auf die ihm zugefügte Beleidigung, keine Bedrohung und kein Vergehen gegen§ 153 der Gewerbeordnung und sprach den Angeklagten frei. Ter Bauarbeiter Kunkel sollte bei Gelegenheit des Bauarbeiter­streiks im Sommer d. I. den Steinträger Bunge mit der Faust ins Gesicht geschlagen haben, um ihn damit zum Anschluß an den Streik zu bewegen. Außerdem sollte Kunkel den Polier Riedel, um ihn zum Folgcleisten der Wünsche der Streikenden zu bewegen, im Juli d. I. gedroht haben, er bekäme soviel Prügel, daß er genug hätte. Kunkel wurde darauf wegen Körperverletzung, Bc- drohung und Vergehens gegen Z 153 der Gewerbeordnung in zwei Fällen angeklagt. DaS Schöffengericht Berlin-Wedding hielt den Angeklagten trotz seiner Einwendungen im Sinne der Anklage für üb-rführt und verurteilte ihn zu drei Monaten Gefängnis, wäh- rend der Amtöanwalt selbst nur einen Monat beantragt hatte. Dagegen legte Kunkel Berufung ein. Er wendete vor der Straf- tanimcr ein, daß er nur deshalb dem Bunge einen Schlag gegeben habe, weil dieser ihn ohne jeden Grund am Tage vorher eine tüch- tige Ohrfeige verabreicht hatte. Die Beweisaufnahme ergab die völlige Richtigkeit dieser Behauptung. Selbst die Arbeitswilligen, die als Belastungszeugen geladen waren, mußten zugeben, daß Bunge ohne jeglichen Anlaß den Angeklagten am Tage vorher ge- schlagen halte, da die Arbeitswilligen damals gegenüber den Streikenden in der Ueberzahl waren. Kunkel habe weder dem Bunge noch sonst jemanden etwas zu Leide getan. Ziiedel be­hauptete, daß Angeklagter ihm Prügel angedroht habe, da er seinen Arbeitern verboten hatte, mit den Streikenden zu sprechen. An- geklagter bestritt dies. Der Verteidiger, Rechtsanwalt Heinemann, beantragte, den Angeklagten lediglich wegen einfacher Körperverletzung mit eine-. kleinen Geldstrafe zu belegen. Kunkel habe dem Bunge lediglich einen Schlag gegeben, weil dieser ihn am Tage vorher ohne jeden Grund gemißhandelt hatte. Daß Kunkel den Bunge zum Anschluß an den Streik veranlassen wollte, dafür fehlt jeder Anhalt. Des- halb entfalle die Anwendung des Z 153. Im Falle Riedel könne von dessen Anivendung schon deshalb keine Rede sein, weil Riedel Gegner des Angeklagten im Lohnkampfe war, der Z 153 aber nur den Terrorismus gegen die auf derselben Seite der Lohnbewegung Stehenden bekämpfen wolle. Die Strafkammer folgte diesen Aus­führungen und setzte die Strafe von 3 Monaten Gefängnis ans 56 Mark Geldstrafe herab. Gibt eS für Behörden keine zweckdienlichere Aufgaben als die Konstruktion und Verfolgung solcher Anklagen?