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allgemeine Wahlrecht eingeführt. In Bayern und Baden hat man ern fast allgemeines Wahlrecht. Fast nirgends hat das Volk so wenig Rechte, wie in Preußen. Jeder zurückschallende Historiker muß daher bei jedem Bvrussiadenkmal zu Beginn des 20. Jahrhunderts an die Schande Preußens erinnert werden. Auf Antrag des Verteidigers, Rechtsanwalt Haase, wird ein Artikel aus derKönigsberger Allgemeinen Zeitung" der lesen, in welchem eine Beschreibung des Denkmals enthalten ist Darin ist ausgedrückt, daß auf dem Denkmal tatsächlich eine Schandsäule abgebildet ist. Eine zerbrochene Schandsäule, auf die sich die Borussia stützt. Verteidiger Rechtsanwalt Haase: Es wird dem Angeklagten der Vorwurf gemacht, in dem Artikel nicht erweislich wahre Tat- fachen veröffentlicht zu haben. Der Herr Staatsanwalt hat Be- Weismittel angeführt, u. a. den Artikel in derH a r t u n g s ch e n Zeitung", worin dem Angeklagten Geschichts klitterung und Behauptung unwahrer Tatsachen vorgeworfen wird. Er habe kein klares Bild über die geschichtlichen Vorgänge gegeben. Ich habe es nun für meine Pflicht als Verteidiger ge- halten, den Antrag zu stellen, den Archivrat und jetzigen Geschichts- Professor Lehmann darüber zu vernehmen, daß sämtliche in dem Artikel behaupteten Tatsachen richtig sind. Ich habe jetzt sogar ein Interesse daran, den Beweis dahin zu erweitern, daß alles dies von den Lehrstühlen der Universitäten gelehrt wird. Ich weiß zwar, daß dem nichts im Wege steht, Teile aus Werken im Plai daher zu verlesen, ohne daß sie zum Gegenstand der Verhandlung gemacht sind. Es ist für die Beurteilung des Angeklagten von weittragender Bedeutung, festzustellen, ob er Geschichts klitterung getrieben und unwahreTatsachen behauptet hat, oder ob er nur wahre Tatsachen mit einer gewissen Borsicht vorgetragen hat. Unter diesen Umständen muß ich den größten Wert darauf legen daß zum mindesten die Briefe, bie Friedrich Wilhelm III. an Napoleon geschrieben hat, verlesen werden. Ferner muß ich Wert darauf legen, daß zum mindesten der Brief des Königs an Stein verlesen wird. Tann aber muß ich Wert darauf legen, daß alles das verlesen wird, was namentlich nicht nur Humboldt, sondern auch Delbrück und Lehmann festgestellt haben über die Königin Luise. Zur Erläuterung meines Antrages verlese ich die Briefe deL Königs Friedrich Wilhelm III. an Napoleon . Dann möchte ich zum mindesten hinweisen auf die Briefe der Königin Luise , die in derDeutschen Rundschau" veröffentlicht sind. In einem Brief vom 5. November 1807 schreibt Luise:Wir haben zum Diner vier Gänge, zum Abend drei Gänge. W i r leben von der Luf t." Ich glaube, daß diese Anträge genügen werden. In beantrage daher, aus den angeführten Werken von Lehmann, Bauer und derDeutschen Rundschau" die angeführten Stellen zu vcr- lesen und den hiesigen Professor KrauSke zu vernehmen, der die Richtigkeit dieser Tatsachen bestätigen wird. Der Staatsanwalt beantragt, den Antrag abzulehnen, da die Richtigkeit der behaupteten Tatsachen unerheblich ist. Nach kurzer Beratung wird verkündet: Die BeweiSantrSgc werden abgelehnt, da die Feststellung, ob die geschichtlichen Tatsachen richtig sind, nicht für die Verhandlung von bedeutendem Belang sein können. Die strafbare Handlung kann nur in Ausdrücken, die heute lebende Personen verletzen sollen, gesehen werden. Staatsanwalt: Als der Kaiser nach hier kam, wurden ihm damals begeisterte Grüße entgegengebracht, nicht zum wenigsten durch die Presse. Dazwischen erschien der Artikel derVolks- zeitung", der die Feier in Memel herabsetzte. Zunächst hat man die Artikel immer damit zu decken gesucht, daß Personen gar nicht genannt seien. Es kommt aber darauf gar nicht an, da nach Reichsgerichtsentschcidung gerade die versteckten Beleidi- gungen die schlimmeren find. Die geschichtlichen Re- miniSzenzen sind chr die Anklage nicht von Belang. Es sind durch den Artikel Personen von heute und nicht durch geschichtliche Dar- stellungen verstorbene Personen getroffen worden. Der Artikel war dazu geeignet, Personen in der Achtung herabzusetzen. Er war ferner dazu geeignet, den Kaiser herabzusetzen. Die Tendenz deS Artikels ist entschieden unpatriotisch, und des- halb war der Gedanke einer Majestätsbcleidigung sehr naheliegend. Der Kaiser hat sein großes Interesse durch tätiges Eingreifen bekundet, und wenn dann diese Feier, deren Mittelpunkt der Kaiser war, eine Tragikomödie genannt wird, wenn das zu enthüllende Denkmal als eine Schandsaule be- zeichnet wird, und noch die zu feiernden Vorfahren ge- schmäht werden, dann ist die Frage der Majestätsbeleidigung unbedingt zu bejahen. Gewußt habe Marckwald ganz entschieden, daß der Kaiser kommen werde und wie die Stimmung in Memel war. Trotzdem hat er diese Artikel gebracht und auch eine Rede in Memel gehalten, die sich mit der Sache beschäftigte. Er hat also sicher mit vollem Vorbedacht gehandelt und auch den Artikel zur Herabsetzung des Kaisers und des Denkmalkomitees bewußt geschrieben. Der AngeNagte Marchionini hat. wie er selbst sagt, in der fraglichen Zeit doch noch vorübergehend in der Redaktion gearbeitet. Und wenn er nun den Artikel mit der bezeichnenden Ueberschrift sah, mußte er sich über den Artikel klar werden. Er ist zum mindesten nach dem dolus eventualis strafbar. Er hat sich durch Zeichnung deS Artikels der MajestStSbeleidigung schuldig gemacht. Bei der Beleidigung der Mitglieder deS Denkmak-KomiteeS liegt die Sache ähnlich: Die Beleidigung ist begangen durch Schmähung des Werkes, das die beleidigten Personen aus patriotischem Gefühl errichtet haben. Die Angeklagten sind beide wegen Majestätsbeleidigung vor- bestraft. Das und auch die Stimmung, die Aufregung, die der Artikel bei den Patrioten, die es ehrlich mit ihrer Vaterlandsliebe meinen, hervorgerufen hat. muß jetzt als strafschärfend in Betracht gezogen werden. Die Veröffentlichung der Artikel gerade in d e r Zeit der höchsten patriotischen Stimmung ist beinahe eine ehrlose Handlung, denn das innerste Ge- fühl eines großen Teiles der Bevölkerung ist bewußt und bis ins tiefste verletzt worden. Jeder anständige Mensch, allgemein ge- sprochen. sollte doch das innerste Gefühl anderer achten und würdigen. In Anbetracht all dieser Tatsachen und Er- wägungen ist eine harte Strafe gegen den Verfasser des Artikels, den Angeklagten Marckwald. am Platze. Ich beantrage für jeden Fall der Beleidigung ein Jahr Gefängnis, zusammengezogen zu einer Gesamtstrafe von einem Jahr und sechs Monaten Gefängnis, ferner ist die Verhaftung des Angeklagten auszusprechen. Der Angeklagte M a r ch i o n i n i ist milder zu bestrafen. Ich beantrage gegen Marchionini neun Monate Gefängnis, ferner ist die Einziehung der Zeitungen und der Platten zu verfügen. Verteidiger Rechtsanwalt Haase: Für die Schuld des An- geklagten Marchionini ist beute nicht der aeringste Beweis er- bracht. Marchionini ist seit dem 15. September nur noch hin und wieder auf die Redaktion gekommen, um seinem Vertreter etwas zu helfen. Er konnte sich um die Redaktionsgeschäfte gar nicht kümmern, weil er mit den Vorbereitungen zu seiner Abreise nach Berlin beschäftigt war. Ich halte eS für selbstverständlich, daß der Gerichtshof den übereinstimmenden Angaben der beiden An- geklagten über diesen Punkt Glauben schenkt. Ter Angeklagte Marckwald hat die volle Verantwortung für die Artikel übernommen. Er hat auch nicht nur erklärt, sondern auch den Beweis dafür angetreten, daß er den Artikel nicht leicht- fertig, sondern auf Grund eingehender wissenschaftlicher Studien aeschrieben bat. Er bat ! nur geschichtliche Feststellungen veröffentlicht. Ich behaupte, es wäre niemand eingefallen, in dem Artikel eine strafbare Handlung zu sehen, wenn nicht ein Blatt, das sich liberal nennt, dieKönigsberger Hartungsche Zeitung, vielleicht um frühere Sünden zu büßen, ihr hyperpatriotisches Herz entdeckt und ein großes Geschrei über den Missetäter in derVolkszeitung" erhoben hätte. Jetzt wußte ich, daß der Staats- anwalt einschreiten würde. Jetzt war der Dolus da, und nun suchte man einen Tatbestand zu konstruieren. Selbst der nationalliberale Führer, Justizrat Dr. Krause, hat die Ansicht ausgesprochen, daß eine strafrechtliche Verfolgung des Ar- tikels nicht möglich sein würde. Ebenso der konservative RcichstagSabgeordnete K r e t h. Der bekannte Professor Hans Prutz hat sich in ähnlicher Weise wie der Angeklagte über die byzantinische Verhimmelung des Hohenzollernhauses ausgesprochen. Und nun frage ich. w a s steht in dem Artikel, auS dem sich die Empörung und Entrüstung herauslöst, die auch in dem Plaidoyer des Herrn Staatsanwalts zum Ausdruck gekommen ist. AuS dem ganzen Artikel sind zwei Worte herausgelöst und an denen werden die Angeklagten auf- gehängt. Der Staatsanwalt meint, der Kaiser könne auch beleidigt werden, ohne daß er im Artikel genannt sei. Aber wo findet fTch auch nur ein Hinweis, eine Beziehung auf den Kaiser? Nirgends! Soll es denn nicht mehr erlaubt sein, Angriffe gegen die Junker zu richten und ihnen ihr Sündenregister vorzuhalten. wie es alle Historiker tun? Nun hat man ferner eine Beleidigung des Denkmalkomitees konstruiert. Ich bitte den Herrn Staats- anwalt. mir zu bestätigen, daß die Herren den Strafantrag erst gestellt haben auf Ersuchen der Staatsanwaltschaft und eine An- zahl der Herren es sogar abgelehnt haben, den Strafantrag zu stellen. Hierzu gehört auch der Staatsmini st er von Moltke. Der Angeklagte hat den Artikel gerichtet gegen Byzantinismus und ServilismuS und dafür soll er auf l'/h Jahre inS Gefängnis? Ich bin über- zeugt, daß Sie zur Freisprechung beider Angeklagten kommen müssen. Der Staatsanwalt erwidert, der Angeklagte Marckwald sei durchaus nicht glaubwürdig. Marchionini habe von dem Artikel Kenntnis haben müssen. Bei dem Schlußpassus deS Artikels habe der Angeklagte an den Kaiser denken müssen. Redner zitiert eine Stelle aus derVolkszeitung", wo gesagt sein soll, daß die Sozialdemokratie nur ihren Patriotismus für wahr, jeden anderen für Schwindel erklärt. Wir werden uns das hehre Bild, welches wir von der Königin Luise haben, durch solche Artikel nicht nehmen lassen. Verteidiger Rechtsanwalt Haase: Der Herr Staatsanwalt hat den Wunsch ausgesprochen, daß das Bild, wie es auf Grund der Geschichtslegcnden entstanden ist, im Volke erhalten bleibe. Er wird es aber dem An- geklagten Marckwald nicht verdenken, wenn er auf Grund seiner Kenntnis der Geschichte den Wunsch hat, dieses Bild der Wahrheit gemäß umzugestalten. Ich habe mich vorher über das Strafmatz nicht ausgesprochen, weil ich das nicht für nötig halte. Wenn der Herr Staatsanwalt den Antrag auf Verhaftung stellt, so möchte ich doch darauf hinweisen, daß der Angeklagte bisher nie davor zurück- geschreckt ist, die Folgen seiner Tätigkeit zu tragen. Er würde es weit von sich weisen, sich einer, wenn auch noch so hohen Strafe, durch die Flucht zu entziehen. Auf Antrag des Angeklagten Marckwald wird der vom Staatsanwalt zitierte Artikel über den Patriotismus der Sozial- demokratie verlesen. Hierbei wird festgestellt, daß der Artikel einen ganz anderen Sinn hat, als der Staatsanwalt behauptet. Angeklagter Marckwald: Derselbe Herr Staatsanwalt, dem soeben schlagend bewiesen worden ist, daß er einen Artikel von mir, ganz gelinde gesagt, völlig mißverständlich zitiert hat. hat meine persönliche Ehren- haftigkeit angezweifelt. Er sagt, ich hätte die Verfasserschaft des Artikels erst zugegeben, als mir nichts anderes mehr übrig blieb. Ich habe jedoch, als die Anklage kam, es sofort für meine selbst- verständliche Pflicht gehalten, die volle und alleinige Ver- antwortung für den Artikel zu übernehmen. Vielleicht hat der Herr Staatsanwalt deshalb, weil er mir das Ehrgefühl abspricht, auch meine sofornge Verhaftung beantragt. Ich lege kein Gewicht auf die Ansicht des Herrn Staatsanwalts über meine Ehre. Wohl aber lege ich Gewicht auf die Ansicht meiner Parteigenossen hier- über. Selbst wenn die gegen mich verhängte Strafe noch hinaus. gehen sollte über das vom Herrn Staatsanwalt beantragte Straf - maß. so würde ich mich doch nie dieser Strafe durch feige Flucht entziehen. Mein Verteidiger hat in seinem glänzenden und meines Er- achtens unwiderleglichen Plaidoyer dw j u r i st i s ch e n Gründe zusammengefaßt, welche eine Freisprechung bedingen. Mir selbst wird es, und zwar schon angesichts des hohen beantragten Straf- maßeS, nicht verwehrt werden können, Ihre Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen, wenn ich die Gründe zusammenfasse, die mich moralisch zur Veröffentlichung meines Artikels berechtigten. Schmachvolle Zustünde waren eS in der Tat, welche zum Zusammen- bruch der alten preußischen Monarchie bei Jena führten. Zur Begründung dieser Behauptung berufe ich mich auf den größten Verherrlicher des Hohenzollernhauses, Heinrich v. T r e i t s ch k e. Vom Jahre 1705 an bis zum Jahre 1806 war die auswärtige Politik Preußens eine ununterbrochene Kette von antinationalen Handlungen gegen die deutsche Nation. Immer rief Preußen Frankreich zu ülfe, um ein möglichst großes Stück von anderen deutschen daaten zu erhalten. T re i t sch ke schreibt, der Wettkampf der dynastischen Habgier habe vernichtet, was im Reiche noch vorhanden war an Treu und Glauben, an Pflicht und Ehre. Kaum war die Schlacht von Jena geschlagen, da war der König zum Frieden unter den demütigendsten Bedingungen bereit. Ich will mich nicht eingehend über die Behauptung ver- breiten, daß die Königin Lnise am gebrochenen Herzen gestorben sei. Man hat mir vorgeworfen, ich hätte lein Verständnis für den Sd>merzensschrei einer geprüften Mutter. Aber dann darf es keine Komödie sein, wie in diesem Falle. Die Königin hatte ein- fach die ihr von Hardenberg aufgeschriebene Roll« auswendig ge- lernt. Die Volkserhebung im Jahre 1813 mußte dem Könige auf- gezwungen werden. Würde ein Journalist, der alles dies weiß, seine Pflicht gegen die Wahrheit und gegen die Wissenschaft gröblich verletzen, wenn er anläßlich der Enthüllung eines der Erinnerung an jene Zeit gewidmeten Denkmals nicht den Mut findet, den geschichtlichen Ent- stellungen und Unwahrheiten rückhaltlos ent- gegenzutreten? Den Inhalt des Artikels billige ich auch heute noch vollkommen. Ich habe damit nur meine Pflicht getan. Nach dreiviertelstündiger Beratimg verkündet der Vor- sitzende das Urteil: ES kann gar keinem Zweifel unterliegen, daß der Angetlagte beabsichtigt hat, mit seinem Artikel die Aufmerksamkeit seiner Leser darauf zu lenken, daß in Memel nicht ein National- d c n k m a l. sondern eine Schandsäule errichtet wird. ES ist vollständig unglaubwürdig, wenn der Angeklagte erzählt, daß er mit dem Ausdruck Schande nur das preußische Dreiklasscnwahl- recht habe treffen wollen. Davon ist in dem Artikel überhaupt nicht die Rede. Die ganzen historischen AuL- führungen sind in dem Artikel nur gemacht, um den An- fang und den Schluß in einen Zusammenhang zu bringen. Die Teilnehmer an dem nationalen Fest sollten herabgewürdigt werden. Als Teilnehmer kam in erster Linie l in Frage der Kaiser. Mit einem Pathos, der in einer Volks- ! Versammlung mehr angebracht ist als im Gerichtssaale, hat der Angeklagte lange historische Ausführungen gemacht. Diese Tat- fachen sind als unerheblich betrachtet worden. Was die Täterschast des Angeklagten Marchionini anlangt, so hat der Gerichtshof den Angaben der beiden Angeklagten in diesem Punkt Glauben ge- schenkt und Marchionini wird daher freigesprochen. Der An- geklagte Marckwald ist bei der Tat mit großer Ueberlcgung vor- gegangen. Er wollte einen Bombeneffekt erzielen. In An- bctracht seiner vielen Vorstrafen erschien eine Gesängnisstrase von 1 Jahr und 3 Monaten am Platze. Der Angeklagte wird sofort in Haft genommen, da kein Anlaß vorliegt, von der Regel abzuweichen. Auf Antrag des Verteidigers beschließt das Ge- richt, daß Marckwald gegen eine Kaution von 10 000 M. frei- zulassen ist.__ Blann werden die Invalidenrenten erhöht? Allenthatben spricht man jetzt von der großen Teuerung, ver­langt oder gewährt Teuerungszulagen, weil mit den festgesetzten Ge- hätler» nicht mehr aiiszntommen ist. Vater Staat" soll den Gemeinden mit gutem Beispiele voran- gehen, beißt es und den Beamten eine Aufbesserung ihrer Gehälter gewähren. Das ist nicht nur allein Tagesgespräch, sondern wird in manchen Fällen auch bereits pratiisch durchgeführt. Sogar die Pensionen sollen erhöht Werden, wie die deutsche Lehrerschaft jetzt ernsthaft fordert, da die seitherigen Sätze unzureichend sind, der herrschenden Teuerung nicht stand halte» können. Gut l Das alles für die Beamten! Und die Arbeiter? Diese haben kein festes, lein sicheres Einkonniien, statt Teuerungszulagen, jetzt Arbeits- l o s i g k e i t oder Lohnreduktron zu gewärtigen! Und erst die I>i v a l i d e n der Arbeil? Wenn die Pensionen der Beamten nickt mehr ansreichen, die jährlich 12000 M. oft betragen, was sollen da erst die Invaliden- und Altersrentenenipfänger sagen? Mit Recht hat unsere Fraktion schon vor 10 Jahren im Reichs- tage bei der Beratung des JnvalidengesetzcS von den ausgeworfenen Hnngerreiitc» gesprochen. Und wie haben sich seit diesen Jahren die wirtschaftlichen Verhältnisse geändert, trotz enormer Teuerung sind diese Hungerrenten geblieben, auch der Reichsznschuh wurde nicht erhöht. Wer denkt bei dem chronischen Dalles der Regierung an die Erhöhung dieieS Zuschusses? Die armen Invaliden müssen deshalb notgedrungen sich mit der erbärmlichen Rente zufrieden geben, die im Höchstfälle beträgt in Lohnklasse I 133 Mark pro Jahr - ll lvö. III 102. -» IV 217 m h m V 229.. DaS sind Durchschnittsrenten und müssen deshalb Tmifende mit noch viel niedrigeren Sätzen zufrieden sein. Renten von 135 M auch in Lohnklasse II und III sind keine Seltenheit. In vereinzelten Fällen sehen auch die Laudes-Versicherungsanstalten selbst ein. daß diese Hungen enten nicht mehr ausreichen, obschon sie niemals aus- gereicht haben. So schreibt die Landes- Versicherungsanstalt W e i m a r": Da sich die Höhe der Renten nach Zahl und Höhe der ge- leisteten Beiträge richtet, so sind diese z. Z. naturqemäß noch gering, und schwanken von 115 M. bis 220 M. jährlich. Dieser Betrag erwies sich als zur B e stre i t u ng dernötigstcn Lebensbedürfnisse namentlich in den Fällen als unzulänglich, in denen andere Einkommens- quellen oder die Unter st ützung durch Familien- angehörige nicht zu Gebote standen. Insbesondere traf dies aus alleinstehende Personen zu. denen eS außerdem an einem geeigneten Unterkommen und der erforderlichen Pflege ge- brach." Aus Hunger, auS Not müssen deshalb diese Aermsten ihre letzten Kräfte wagen und ei» neues Arbeitsverhältnis aufnehmen, sofem sie den Unternehmern ihre Invalidität verheimlichen können. Sie werden zu Lohndnickern wider Willen, weit sie ja wenig mehr leisten können. belasten die Krankenkasse » aufs neue, siechen dann früh dahin, da der Rest der Kräfte aufgebraucht ist. Die Versicherungsanstalten geben nur langsam dazu über. eigene Anstalten für Invaliden zu errichten, um dlesen Aufnahme zu gewähren. Sie geben damit zu. daß die Rentenempfänger mit diesen Beträgen nicht mehr auskommen können. Als die Novelle zum Jnvalidengesetz am 1. Januar 1000 in Kraft trat, welche es den Versicherungsanstalten ermöglichte, eigene Jnvalidenheime zu errichten, war es die Versicherungsanstalt Thüringen ", welche dw erste Anstalt zum Preise von 75 000 M. käuflich erworben hatte. Diesem Beispiele folgten bald andere Ver- sicherungsanstalten, so daß nach denAmtlichen Nachrichten des ReichsversicherungsamteS" Nr. 4 1007 heute die Versicherungsanstalten Berlin ",.Oberbayern".Schwaben und Neuburg".Tdüringen". Braunschweig ".Hansastädte " usw. eigene Jnvalidenheime be- sitzen, neue errichten, zirka 030 Invaliden heute untergebracht sind! Doch was will diese kleinere Zahl bedeuten!! Der Bericht der VetsicherungsanstattThüringen " gibt unS auch genauen Aufschluß über die Höhe der Pflegelosten eines Invaliden. Die Ernährung beträgt, wobei die einzelnen Speisen genau auf­gezählt sind, pro Tag S4 Pfennige , für Wäsche. Miete, Heizung. Taschengeld usw. wurden noch 4t Pfennige pro Tag verausgabt, so daß sich ein Pflegetag auf 1,05 Mark stellt. Man denke, bei eigener Anstalt, bei 14 527 Pflegetagen, rationeller Wirtschaft und Beschäf­tigung der Pfleglinge nach Möglichkeit, eine Ausgabe von 1,05 M. pro Tag--- 31 Mark pro Monat. Nun beträgt aber die MonatSrente nur 12 bis 16 Mark!! Die Versicherungsanstalten haben deshalb oft mehr als den doppelten Betrag der Rente aukzuwende», um die Renten- empfänger unterzubringen. Aus welchen Mitteln soll nun derfreie" Rentenempfänger diese Zuschüsse leisten? Die VersicherungsanslattNiederbayern ' schreibt in ihrem Be- richt pro 1006. daß sie auch der Jnvalidenhauspflege ihre Aufmerk- samkeit geschenkt habe. Statt eine eigene Anstatt zu erbauen, hat fie ihre Invaliden in Privaipflege gegeben, und sie bemerkt: In dem mit dem Aiyl Sl. Jordok in Landshnt sBesitzer und Verwalter I. Filsermoyer) verbundenen Jnvalidenhame der Ver- stcherungsanstalt für Niederbahetn finden Rentciicmvfänger und Rentenempfängerinnen Aufnahme mit bester Verköstigung und Pflege ohne Unterschied der Konfession.' Als Pflege s ätze sind ieitcnS der Versicherungsanstalt für männliche Personen 40 Mark und für weibliche S5 Mark monatlich zu zahlen." Die Jnvalidenhauspflege verursachte einen Aufwand von 44 349 Mark, wovon 25 158 Mark durch Renten und andere Einnahmen swie Armenpflegezuscbüsse, Uniollrente uiw.j gedeckt lourden, so daß ein Zuschuß von 10 190 Mark verblieb." Die viel größere VeisicherungsanstaltSchlesien " hatte nur den Betrag von 15 520 Mark für Jnvalidenhauspflege aufgewendet. Da kein eigenes Heim vorhanden, so bat die Bersicherniigsanstalt die Pfleglinge in Privatanstalte» untergebracht. Der Pflegesatz betrug pro Tag 1,06 Marl durchschnittlich,worauf eine dutchichnittliche Einnahme von 0,42 M. in Anrechnung kam, so daß die Versicherungsanstatt im Durchschnitt täglich einen Zuschuß von 0,64 Mark für jede» Pflegling zu leisten hatte". Die Rente betrug also pro Tag nur 42 Pfennige, während der Pflegesatz 1,06 Mark betrug. Auch die VersicherungsanstaltWürttemberg" besitzt noch kein eigenes Jnvalidenhaus. hatte aber im Jahre 1006 insgesamt 107 Rentenenipsänger in fremden Heimen untergebracht. Sehr billige Pflegesätze boien ihr die vorhandenen Stiftungen, Stifte, die nur 250 M. pro Jahr Pflegegeld verlangen. Die Pflegennstalt Liebenau z. B. I Marl vro Tag Pflegegeld undISMark jährlich