Nr. 7.

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Berliner Volksblatt.

25. Jahrg.

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Zentralorgan der fozialdemokratifchen Partei Deutschlands  .

Redaktion: S. 68, Lindenstrasse 69.

Fernsprecher: Amt IV, Nr. 1983.

Donnerstag, den 9. Januar 1908.

Expedition: S. 68, Lindenstrasse 69. Fernsprecher: Amt IV, Nr. 1984.

Das Abgeordnetenhaus der Privilegierten wird am Freitag­mittag 12 Uhr über das Recht des Volkes beraten! Entrechtete! Zeigt heute abend durch den Massenbesuch der Wahlrechts- Versammlungen Enern unerschütterlichen Willen, Ener unverkürztes Recht zu erringen!

Uahlrecht und Junker.

Ermäßigung des Wahlzensus forderndes Gesetz vorlegte, Raste, mochte ihre Existenz auch bereits zum allgemein fühl­opponierten zwar zunächst die Konservativen; nachdem sie baren Hindernis jeder gesunden Entwidelung geworden sein, dann aber durch die Wahlen zur Herrschaft gelangt waren, sich nicht als absolut unentbehrlich für das Wohl und den die Agitation für die Wahlrechtsänderung das Land aufwühlte, Bestand des Staates betrachtet? Im Grunde besteht jedoch und es in London   zu einem blutigen Zusammenstoß zwischen fein zu großer Unterschied zwischen beiden Kasten, und es ist In der Einleitung zu seiner Geschichte der französischen   Bolt und Polizei fam, da griffen die leitenden mehr als wahrscheinlich, daß unter Berücksichtigung der ver­Revolution 1789 bis 1814 schreibt der liberale franzöfifche Staatsmänner des tonservativen Rabinetts fchiedenartigen Gesellschaftsverhältnisse der Geschichte einst das Geschichtsschreiber F. A. Mignet: felbst zu einer gründlichen Wahlrechts- iebige preußische Junkertum weit mehr als parasitisch"

Sobald eine Reform notwendig geworden und der Augenblick änderung. Am 18. März legte Disraeli   dem Unterhause gelten wird, denn der französische   Adel zu Beginn der großen ihrer Durchführung gekommen ist, so hält sie nichts auf und alles ein Reformgesetz vor, das alle früheren liberalen Forderungen Revolution. 3war besitzt das preußische Sunfertum nicht wird ihr förderlich. Glücklich dann die Menschen, wenn sie sich weit hinter sich ließ, indem er den Wahlzenfus vollständig mehr das Privilegium der Steuerfreiheit, verstehen können, wenn die einen abträten, was sie zu viel haben, abschaffte. Am 15. Juli 1866 passierte, von Disraelis Energie wenn auch der große ländliche Grundbesit vielfach steuer­wenn die anderen sich mit dem begnügten, was ihnen fehlt; die geleitet, das Gesetz im Unterhause die dritte Lesung, und am politisch begünstigt ist; aber wie einst die Aristo­Revolutionen verliefen friedlich und der Geschichtsschreiber hätte 15. Auguft erlangte es durch königliche Genehmigung Ge- tratie in Frankreich  , befett es fast aus­weder Ausschweifungen noch Unglück zu berichten. Er brauchte segestraft. schließlich alle höheren Berwaltungs, Mili­mur zu zeigen, wie die Menschheit flüger geworden ist, freier und Preußens Junfertum hat jene tiefere Einsicht tär- und Hofämter, und während der fran­glücklicher. Aber bis jetzt bieten die Jahrbücher der Wölfer, wenn in die staatlichen Entwidelungsbedingungen zösische Adel bloß die gutsuntertänigen es sich um Opfer handelt, kein Beispiel einer solchen Klugheit; nie besessen. Bähigkeit und Hartnäckigkeit im Kampfe Bauern ausbeutete, lebt heute das preußische Junker­wer Opfer bringen sollte, verweigert fie; wer sie wünscht, dringt für seine politischen und materiellen Interessen sind ihm nicht tum nur noch auf Kosten des ganzen arbeitenden Volkes, fie ab, und das Gute geschieht wie das Schlechte durch Anwendung abzusprechen; aber es hat keinen Politiker hervorgebracht, das ihm in Form von Liebesgaben, Boll= der Gewalt und mit der Roheit widerrechtlicher Eingriffe. der fähig gewesen wäre, über die Augenblicksintereffen seiner erhöhungen, fünstlich bewirtten Preis­Seit Mignet   jene Säge niederschrieb, sind über 80 Jahre erkennen und die Tagesfragen unter dem Gesichtswinkel des bufte usw. härtere Fronden leisten muß, als Kaste hinweg die Entwickelungsbedingungen des Staates zu steigerungen der landwirtschaftlichen Bro­vergangen, und die Welt hat eine lange Reihe neuer re- allgemeinen Geschichtsverlaufs zu begreifen. Engherzig jede einft der fronpflichtige Bauer Frankreichs  volutionärer Stämpfe erlebt. Doch noch inimer gilt Mignets Machtposition verteidigend, ohne Verständnis für die Volks- der französischen   Aristokratie. Und dieie Kaste, Wort, daß die Bevorrechteten sich nicht dazu zu verstehen vermögen, Rechte, die unhaltbar geworden sind, freiwillig ab- feele wie für die Entwickelungstendenzen der Gegenwart, steht die nur noch künstlich durch der Volksmasse abgezwadte Sub­zutreten. Noch immer spotten die Herrschenden der Lehren das preußische Junkertum heute noch auf jenem Niveau der fidien erhalten wird, macht dieser selben Majie der Geschichte, und wie früher schieben sie die zur Notwendig politischen Auffassung, auf dem vor Beginn der französischen   das Recht der Anteilnahme an der Gesetz­feit gewordenen Reformen weiter und weiter hinaus, bis Revolution die französische   Aristokratie stand. Wie diese die gebung, das Recht der legislativen Ber­endlich die Gewalt die Rolle der Geburtshelferin übernimmt Stimmung des französischen   Bürgertums nicht begriff, wie tretung ihrer Interessen streitig! Das ist und nun mit revolutionärem Griff auch manche jener Ein- es verächtlich auf den Krämer und Handwerker und den ver- eine der seltsamsten Anomalien des heutigen Staatslebens. richtungen vernichtet, die wahrscheinlich, wenn die Geburt des an die Festigkeit der Staatsmacht überließ, so verlacht auch fich im preußischen Abgeordnetenhaus die herrschende Stellung tierten fronpflichtigen Bauern herabsah und sich dem Glauben Aber wenn es auch bisher der Junkerschaft gelungen ist, neuen Rechts auf dem Wege der Reform erfolgt wäre, sich heute der Junker die Ansprüche der arbeitenden, a na ille" zu sichern und das arbeitende Bolf von der Vertretung feiner noch längere Zeit gehalten hätten. Das neueste Beispiel dafür bietet Rußland  . Wäre die und rechnet darauf, daß, wenn diese sich einfallen laffen sollte, ntereffen im Landtage auszuschließen, so ist es dennoch eine Verfassung des 17. Oftober vor zwei Jahrzehnten erlassen 3 raisonnieren, die Repetiergewehre sie bald zur Raison recht gefährliche Mufion der Herren, wenn sie meinen, es und wäre sie von der russischen Bureautratie- was aller- bringen würden. Und doch könnte das preußische Junkertim, werde ihnen auch ferner gelingen. Die preußische Arbeiter­dings in Anbetracht des forrupten Charakters dieser Menschen- wenn ihm nicht seine Seltstfucht den Blid trübte, aus der Klaffe hat die stetige Verhöhnung und Verlegung ihrer Lebens­dings in Anbetracht des korrupten Charakters dieser Menschen- Geschichte lernen, wie wenig Flintenschüsse und Bajonette über- intereffen in dem preußischen Junkerparlamente fatt. Sie forte taum als wahrscheinlich angenommen werden darf- loyal durchgeführt worden, so würden Rußland   voraussichtlich schnell sich oft revolutionäre Umschläge vollziehen. lebte Einrichtungen aufrecht zu erhalten vermögen, und wie fordert diefelben Rechte, die in den süddeutschen Parlamenten nicht nur die jetzigen inneren Wirren, sondern auch die die Arbeiterklasse bereits errungen hat und sie wird Menschenopfer auf den mandschurischen Schlachtfeldern er fühlte sich nicht die französische   Aristokratie, als an dem und Schlotiunter diese Forderung durch. Wie sicher und unantastbar erhaben über das Bürgertum ungeachtet alles Widerstrebens der Land­spart geblieben sein. Auf dem Wege zum modernen Rechts- sonnigen Frühlingstag des 4. Mai 1789 der Bug der Depu- setzen! staat hätte es seine Machtstellung im europäischen   Völter- tierten sich zur Ludwigskirche bewegte. Keiner dieser hoch­fonzert behalten, während es jetzt nahezu ausgeschaltet ist. adeligen Herren sah in seiner angeborenen Weisheit die Dinge die Industrie, das städtisch gewerbliche Getriebe werden zu Stetig schreitet die wirtschaftliche Entwickelung vorwärts, Heute ist es zu dieser Verfassung schon zu spät. voraus, die wenige Monate später über Frankreich   herein- immer wichtigeren Faktoren des Staats- und Wirtschafts­Die aufgepeitschte revolutionäre Energie verlangt weit brachen. Sie fühlten sich so sicher, so selbstbewußt, daß sie lebens. Und zugleich mit dieser wirtschaftlichen Entfaltung größere Bugeständnisse als den Oktobererlaß und höhnisch jede gemeinsame Beratung mit dem dritten Stand reckt und dehnt sich in den wirtschaftlichen Zentren die Ar­mag auch augenblicklich eine gewisse Ermattung die russischen ablehnten, und die getrennte Beratung und Abstimmung nach beiterschaft. Immer mehr wird sie sich ihrer besonderen Boltstämpfe unterbrochen haben, so ist es doch nichts als Ständen als unveräußerliches selbstverständliches Standes- Interessen und ihrer Stellung als wichtigste eine lächerliche Illusion der russischen Staatsturpfuscher, recht verlangten. Und drei Monate später war ihre Kraft Iaffe des heutigen Staats, als Trägerin wenn sie vermeinen, auf der Basis des Ottobererlaffes oder bereits gebrochen! Der Hof mit seiner aristokratischen Gefolg der gesamten modernen Kultur bewußt. gar einer noch inhaltsloseren Scheinkonstitution das Land in schaft hatte nicht nur vor dem aufständischen Pariser Bolt Diese nicht zu bestreitende Entwidelung mag den Junkern und ruhige Bahnen zurückleiten zu können. fapitulieren müssen, auch die von den adeligen der Junkerbureaukratie unbequem sein, aber sie schaffen sie

Nur eine der konservativen Parteien Europas   hat be- Gutsherren wegen ihrer ftlabischen Unter- nicht dadurch aus der Welt, daß fie sie ignorieren. Sie wiesen, daß sie ein gewisses Verständnis für die Unaufschiebwürfigkeit verachteten Bauern hatten sich müssen ihr Rechnung tragen und wenn nicht, barkeit notwendiger Reformen besitzt und daß sie versteht, erhoben. In den östlichen und mittleren Teilen des dann wird es für sie dereinst, vielleicht schon recht bald, eben­fich dann, wenn Aenderungen des bisher geltenden Staats- Reichs: im Elsaß  , in der Franche Comté  , in Burgund  , der falls heißen:" Bu spät!" Mit dem reaktionären Wahlrecht rechts nötig geworden sind, nicht nur den drängenden Dauphiné, Beaujolais  , in der Auvergne: überall gingen die wird dann um so gründlicher auch ihre alte Machtstellung Forderungen der Zeit anzupassen, sondern sogar Schlösser des Adels in Flammen auf. Bu starken Rotten ver- hinweggeschwemmt. selbst die Durchführung der Reform in die einigt, zogen die Bauern von einem Herrenhof zum anderen, Das heutige Dreiflaffenwahlrecht ist unhaltbar geworden. Hand zu nehmen: nämlich die englische   konservative vernichteten die Feudalurkunden und brannten die Adelsfize Auch kleine Sugeständnisse der Herrschenden, wie z. B. die Partei. Mehrfach hat sie im letzten Jahrhundert, besonders nieder, so daß, als am 4. August 1789 die Nationalversamm- geheime Abstimmung oder eine Neueinteilung der Wahlkreise, unter Disraelis Leitung, ihre Straft für die Erweiterung der lung sich mit den Vorgängen zu beschäftigen begann, die Ver- vermögen es nicht mehr zu retten. Die Arbeiterklasse vers politischen Rechte der ärmeren Volksklassen eingesetzt. Be- nichtung der alten Feudalherrlichkeit tatsächlich bereits voll- langt das fanntlich war es ein konservatives Kabinett, das 1867 in zogen war, und die Deputierten eigentlich nichts mehr zu tun Großbritannien   das sogenannte sogenannte Haushaltungsstimmrecht hatten, als diese Vernichtung rechtlich zu sanktionieren. durchführte. Als zu Ende der 50er Jahre des vorigen Vielleicht wird das preußische Junkertum den Vergleich und sie läßt sich nichts abhandeln! Jahrhunderts die Wahlrechtsbewegung in England ein mit der Aristokratie Frankreichs   als eine Herabseßung seiner fegte und am 1. März 1860 Russel und darauf am Charaktereigenschaften und seiner Bedeutung für den preußi­12. März 1866 Gladstone dem englischen Unterhause ein die schen Staat betrachten, Wann hätte auch eine herrschende

allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlrecht,