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1. Beilage zumVorwärts" Berliner Volksblatt. Kr. 17. Lrritag, de» 20. Januar 1893. 10. Jahrg. Paelamenfslret'idjfc, Deutscher Reichstag. 25. Sitzung vom 19. Januar 1893. I Utz*. Am Bundesrathstische: v. Maitz ahn. . Der Abg. G ö s e r, Vertreter für XVII Württemberg, ist gestern nach schweren Leiden in Berlin verstorben. Die Mit- glieder erheben sich zum Gedächtniß des Verstorbenen von den Auf der Tagesordnung steht die erste Lesung der Novelle zum Börsen st euergesetz, welche die Stempelgebühr für Lauf- und Anschaffungsgeschäfte durchweg verdoppeln und damit eine Verdoppelung der Einnahmen von 13 auf 26 Millionen Mark herbeiführen will. Staatssekretär v. Maltzahu: Die Steuererhöhung, welche das Bier und den Branntwein treffen würde, wird nach der Ansicht des Reichstags vorzugsweise oder ausschließlich von den minder begüterten Klassen der Bevölkerung getragen. Von der Borsensteuer wird dies mit Recht nicht behauptet werden können, diese ,st vielmehr ein Mittel, um auch die wohlhabenden Klassen zu einem Beitrag für die durch die Heercsvorlage erwachsenden Mehrkosten des Reichs heranzuziehen. Es handelt sich durchaus nicht um eine der Börse feindliche Maßregel, fondern einfach um ein finanzielles Erforderniß. Wir stehen vor der Roth- wendigkeit, die Kosten für neue Reichsausgaben aufzu» bringen, und dazu soll auch die Börsensteuer einen Beitrag liefern. Tiesem Bedürfniß gegenüber kann auch die Rücksicht aus den augenblicklichen Zustand des Börsenverkehrs, auf die vorhandene wirthschastliche Depression nicht ausschlaggebend sein. Die Vorlage wird, auch wenn sie angenommen wird, keines- wegs ihrem ganzen Effekt nach sofort in Kraft treten, und nie- wand kann doch sagen, ob nicht in kurzem diese wirthschastliche Depression und das augenblickliche Darniederliegen des Börsen- geschästs einem neuen Aufschwung Platz gemacht hat. Wenn die Eingänge aus der Börsensteuer in den letzten Jahren thatsächlich zurückgegangen sind, so ist dies nicht eine Folge der Börsensteuer, sondern eben eine solche der allgemeinen ungünstigen Gestaltung der wirthschaftlichen Lage. Wenn wir jetzt die Sätze verdoppeln, so wird eben, wenn die Ursachen der wirthschaftlichen Depression und mit ihnen diese selbst verschwunden ist, das Einkommen aus der verdoppelten Steuer das doppelte sein. Man fürchtet auch eine Schädigung des Arbitragegeschästs von der Vorlage. Eine Scheidegrenze im Wege des Gesetzes läßt sich zwischen soliden und unsoliden Geschäften nicht ziehen. Die sonstigen Vorwürfe gegen die Verdoppelung sind ungefähr dieselben, welche schon bei der ersten Berathung des Entwurfes eines Börsensteuer- Gesetzes vorgebracht worden sind. Die Steuer wird auch nach der Ver- Koppelung nicht so hoch sein, daß der Verkehr sie nicht tragen könnte. Wenn behauptet wird, daß gerade diese Erhöhung des Stempels die Folge haben wird, daß das deutsche Geschäft an deutschen Plätzen, welches sich den bestehenden Verhältnissen an- bequemt hat, in Zukunft nicht mehr leistungsfähig bleiben wird. daß der Verkehr in das Ausland, nach Paris , gedrängt werden wird, so weise ich darauf hin, daß im Moment auch in Frank- reich eine Besteuerung der Börsengeschäfte in Höhe unseres Stempels geplant wird. Abg. Dr. Siemens(dfr.): Wenn die Vorlage auch nur eine eventuelle ist, so muß ich doch näher aus dieselbe eingehen. Die Stellung der Freisinnigen zur Börsensteuer ist ja bekannt. Wir haben immer den Satz vertreten, die wohlhabenden Kreise der Nation höher zur Besteuerung heranzuziehen, als die minder wohlhabenden; wir haben aber für Verkehrsabgaben, welche die freie Thätigkeit, die Initiative des Einzelnen beschränken, nie- mals Stzinpathie gehabt. Heute vor zehn Jahren sprach Herr Scholz hier aus, daß eine Schädigung dieser freien Thätigkeit des mobilen Kapitals von feiten der Regierung selbstverständlich nicht beabsichtigt sei. Die Begründung der heutigen Vorlage läßt davon nichts mehr merken. Der Vertreter der verbündeten Regierungen führt im Gegentheil als Hauptgrund für die Vor- tage das finanzielle Bedürfniß an. Gegenüber der Stimmung des Landes darf man sich aber darauf nicht beschränken. Die Vorlage ist außerordentlich leicht motivirt, und diese Leichtigkeit begründet sich in dem Gefühl der Sicherheit, daß die verbündeten Regierungen von einer sehr starken Volksströmung getragen , verden. Dieser Jrrthum ist weit verbreitet. Wir befinden uns in dem revolutionärsten Jahrhundert seit 2009 Jahren. Raum und Zeit sind durch Dampf, Bahn und Elektrizität in ihrer begrifflichen Ausdehnung gänzlich verschoben. Wir befinden uns in einer thatsächlichen Revolution. Bor 120 Jahren waren 1000 Weber zur Herstellung eines Produkts nölhig, welches jetzt mit der Maschine von einem Weber hergestellt wird. Wenn dieses Gesetz weiter wirkt, wenn es dazu geführt hat. die arbeitende Bevölkerung aus dem Lande in die Stadt zu führen, tann ist es nicht zu verwundern, daß ganze Reihen von Be- völkerungeklassen dadurch in das höchste Erstaunen gesetzt sind. Die konservativen Parteien, welche sich im Grunde auf dem Grundbesitz und dem Kriegsdienst im Sinne des Mittelalters aufbauen, sträuben sich begreiflicherweise gegen diese Entwickelung, ebenso die Sozialdemokraten, obwohl doch die erste Voraussetzung ihrer Existenz die Wiedereinführung der persönlichen Freiheit ist, die erst durch die Industrie, durch das mobile Kapital gebracht wurde. Die Freiheit des Arbeiters ist ja noch nicht so groß, als es wünschenswerth ist, in dieser Beziehung wird noch manches zu thun sei», aber wenn die Herren das mobile Kapital angreifen, dann sägen sie den Ast ab, auf dem sie selber sitzen. Das mobile Kapital konzentrirt sich an der Börse; an ihr tritt der Ausgleich ein zwischen den Kredilbedürfnissen der verschiedenen Gegenden unter einander. Das augenblicklich liquide Kapital wird in den Engagements hin- und hergeschobcn, es wird durch das Verhältniß der Valuten der verschiedenen Länder festgestellt. Alle diese Thätigkeiten werden durch die Steuer gehemmt, durch die Verdoppelung der- selben natürlich noch weit mehr. Der steuerliche Effekt der Vor- läge wird sicherlich nicht erreicht werden, eine Schwächung des mobilen Kapitals aber auch nicht. Das mobile Kapital wird in seiner Beweglichkeit durch solche Erschwerungen seiner Thätig- keit behindert, und jede solche Vehinderung wirkt auch ungünstig ans andere Staatsverwallungs- Zweige zurück. Ter Staatssckrelär hat auf die Arbitrage Bezug genommen. Diese ist weiter nichts als der Versuch, das Gleichmaß in den Geld- Verhältnissen der verschiedenen Staaten herzustellen. Bei den geringen Erträgen, welche dieser Zweig des Geschästs abwirft, vermindern sich die Chancen desselben stetig und die Verdoppelung der Steuer möchte ihn vielleicht gänzlich in Wegsall bringen. Dabei ist Arbitrage außerordentlich wichtig für die Aufrecht- erhaltung unserer Währung, welche durch die Erschwerung des Geschäfts indirekt geschädigt werden muß. Mit der Verdoppelung des Stempels wird serner lediglich die Entwickelung Berlins aus Kosten der Provinz begünstigt. Bedenklicher noch ist die ungünstige Vorlage nach der politischen Seite. Wir brauchen Arbeits- gelegenheit. wir müssen Fabrikale exportiren, wenn wir nicht Menschen exportiren wollen. Jede wirthschastliche Frage wird auf diese Weise gleichzeitig zu einer politischen. Die Theorie des Fürsten Bismarck, daß man wirthschaftlich feindlich, politisch freundlich irgendeiner anderen Nation gegenüberstehen kann, ist platt zu Boden gefallen und mit dem Abschluß der neuen Handels- vertrage auch von der Reichsregierung offiziell verlassen worden. Allerdings will man jetzt auch m Frankreich eine Börsensteuer einführen. Aber die urtheilsfähigen Kreise in Frankreich wollen von dieser Maßregel nichts wissen. Es giebt ebenso wenigstens internationales Geld, als es etwa internationales Wasser giebt. Gewiß hat die Börse Fehler gemacht, namentlich weil sie die Verhältnisse fremder Länder nicht so genau kannte, wie es noth- wendig gewesen wäre, aber deshalb die Börsensteuer erhöhen, hieße die Industrie in ihrer Bethätigung, in ihrer Unternehmungs- lust schädigen. Die Steuerverdoppelung wird die Kapitals- konzentration nach Berlin , die Bereicherung einzelner Großer und das Verschwinden Kleiner beschleunigen und unseren Einfluß auf dem Weltmarkt herunterbringen. Abg. Mehnert(dk.): Wir stehen der neuen Börsensteuer- vorläge sehr sympathisch gegenüber; ist doch die Einführung dieser Materie, die Gesetzgebung ein Hauptverdienst der konservativen Partei. Die Beschneidung der überwuchernden Aeste des mobilen Kapitals schafft dem Grundbesitz erst Licht und Lust zur Fort- existenz. Die prozentuale Börsensteuer wurde im Reichstage erst nach dreimaligem vergeblichem Bemühen unserer Freunde 1833 angenommen. Der heutige Entwurf steht genau auf dem Boden des damals vorgelegten Gesetzes. Die anderweitige Berechnungs- weise, welche der Entwurf außerdem noch vorschlägt, die ver- änderte Skala, akzeptiren wir ebenfalls. Es werden also in Zu- kunst auch die Geschäfte, welche Kapitalien von über 100 000 M. betreffen, durch die Abstufungen von je 10 000 M. gerechter als bisher herangezogen werden. Für gewiffe Arten von Geschäften darf es übrigens bei der Verdoppelung nicht bewenden. Sehr erfreut sind wir, daß auch in Frankreich der einzig richtige Weg beschritten wird. Die Petitionen, die uns zugegangen sind, setzen allerdings der Vorlage ein recht kräftiges Rem entgegen. Wir dürfen uns aber dadurch nicht beirren lassen. Nach de» Petitionen sieht es fast so aus, als ob das Vaterland in Gefahr wäre, wenn statt der bisherigen 10 Pf. 20 genommen werden. Das gilt namentlich von der Petition der Aellesten der Berliner Kaufmannschaft. Dieselben düsteren Prophezeiungen sind uns schon 1383 und 1883 in Petitionen und von den Gegnern der Besteuerung der Börse hier im Hause vorgetragen worden. Richtig ist nur, daß das Geschäft' in der Provinz zu gunste» der Metropole Berlin zurückgegangen ist, aber das kommt nur daher, daß die großen Berliner Bankfirmen ihre Filialen sn masse in allen kleinen Provinzstädten vorgeschoben haben. Die Börsensteuer wird mit unserer Zustimmung nicht abgeschafft, vielmehr muß die Börse, soweit es das legitime Geschäft nicht schädigt, noch weit mehr zu Steuerzwecken herangezogen werden (Zustimmung rechts). Von einer Auswanderung des Kapitals oder seiner Besitzer ist in irgendwelchem größeren Maße nichts zu merken gewesen. Die Einwanderung gewisfer internationaler Elemente sieht der Deutsche in seiner Mehrheit über- Haupt nicht gern und hätte deshalb auch wohl nichts gegen das Wiederauswandern derselben einzuwenden. Der Zug der Zeit geht dahin, das mobile Kapital gerade gegen- über dem mit Steuern überlasteten Grundbesitz mehr und gerechter zu den Staatslasten heranzuziehen. In welchem Umfange das mobile Kapital sich zu verstecken gewußt hat, zeigte sich in wunder- barer Weife bei der Einschätzung in Preußen auf Grund des neuen Einkommensteuer-Gesetzes. Das Einkommen aus Handel und Gewerbe ist in die erste, das aus Grundbesitz in die dritte Klasse gerückt. Je mehr man sich an die Deklaration gewöhnen wird und je»nehr die Beamten in das neue System eindringen werden, desto höhere Summen werden sich ergeben. Man voll- zieht einfach einen Akt der Gerechtigkeit, wen» man das mobile Kapital ergiebiger für Steuerzwecke macht. Wenn wir im großen und ganzen mit der Verdoppelung der Börsensteuer zufrieden sind, so müssen doch die reinen Differenzgeschäfte, die Spiel- geschäfte, bedeutend höher getroffen werden und wir würden gar nicht dagegen sein, wenn eine zehnfache Erhöhung einträte. DieKölnische Zeitung " hat vor einiger Zeit sogar eine hundert- fache Erhöhung für berechtigt erklärt. Schon in dem ersten An- trage von Wedell-Malchow war eine höhere Besteuerung der Zeitgeschäfte gegenüber den Kassengeschäften in Aussicht ge- nommen; auch Antrüge von nationalliberaler Seite hatten dasselbe Ziel. Das alte Reichsstempel- Gesetz von l8äl hatte ja einen fünffachen Stempel für diese Geschäfte. Frankreich zieht aus den Umsätzen der Kapitalien an der Börse eine wesentlich höhere Steuer als wir, und der jetzt eingebrachte Gefetzentwurf Tirard wird das Erträgniß weiter erhöhen. Schon jetzt beträgt das Auskommen daraus fünfmal so viel als bei uns. Jedenfalls müssen diejenigen Geschäfte, welche nicht durch effektive Lieferung erledigt werden, sondern durch Differenz- Zahlungen, mit einer höheren Steuer belegt werden. Escheubach hat in denPreußischen Jahrbüchern" die Berechtigung dieser Forderung nachgewiesen, desgleichen Professor Cohn, jetzt in Marburg . Die Umsätze in den nicht effektiven Geschäft haben sich schon vor mehreren Jahren zu den Umsätze» im effektiven Geschäft verhalten wie 20 zu 1. Was in dieser Beziehung ge- sündigt worden ist, ist ja in Berlin aus den Processen der letzten beiden Jahre noch in frischer Erinnerung. Bei den Lotterie- loosen geht sofort einschließlich des Reichsstempels ein Betrag von mindestens 20 pCt. dem Spieler verloren, und dieser Abzug hat die Spielwuth nicht im Geringsten vermindet. Weshalb sollte man nicht zu einem ähnlichen Mittel greisen gegenüber diesen Differenzgeschäften, mit welchen verglichen das Lotteriespiel doch noch ein ehrliches Spiel ist(Heiterkeit). Werden dadurch aber Viele vom Spiel abgeschreckt, so wäre dieser Erfolg im allgemeine» sittlichen sozialen Interesse erst recht mit Freuden zu begrüßen. Der Unterschied zwischen dem legitimen Zeltgeschäft und dem reinen Spielgeschäft ivird sich vielleicht nicht präzise formuliren lassen, sollte das der Fall sein, so würde ich persönlich auch nicht davor zurückschrecken, sämmtliche Differenzgeschäfte mit derselben höheren Steuer zu belegen, wie es bereits in anderen Steuern geschehen ist. Endlich inüssen wir noch dem Wunsche Ausdruck geben, daß der Stempeltarif nicht vorbeigehen möge an der Ein- führung eines einigermaßen erhöhten Emissionsstcinpels für aus- wärtige Anleihen. Was ist aus diesem Gebiete in den letzten Jahren alles geschehen! Man denke an Transvaal , Chile , Serbien , Argentinien , Uruguay , Mexiko , Guateniala. Portugal ! Wie viel kleine Leute haben nicht in diesen fragwürdigen Papieren, welche die deutschen Banken mit unterbringen halfen, ihre gesamniten Ersparnisse verloren! Der Export nach de» Staaten, die uns diese Werthe geschickt haben, dürste für unsere Industrie wirklich nicht von Bedeutung sein. Das Interesse unserer heimischen Landwirthschast wird andererseits dadurch direkt geschädigt, daß wir durch die Hingabe des deutschen Geldes eine Anzahl exotischer Staaten zu unseren Schuldnern machen, die uns dann mit ihren Bodenprodukten bezahlen müssen. Würde wirklich die Hälfte dieser Geschäfte an der Börse infolge der Ver- zehnsachung der Steuer unterbleiben, so würden doch 40 Mill. Mark herauskommen; von anderer Seite wird das Erträgniß sogar auf 70 Millionen berechnet.(Gelächter links.) Im Publikum würde man es nicht verstehen, wenn das Be- dürfniß einer so erheblichen Einnahme- Erhöhung des Reiches nicht Gelegenheit geben sollte, auch die Börse stärker heran- zuziehen. Die Börse ist heute, was sie immer war, die Akademie für Gesetzesübertretungen. Das Wort allein hat ja schon seine besondere Bedeutung: Börse stammt von byrsa, und dieses be­deutet das abgezogene Fell(Heiterkeit). Sie hat es bisher ver- standen, sich ihrer Verpflichtung, an den Lasten der Gesammtheit mitzutragen, zu entziehen. Sie muß gerade angesichts de» Militärvorlage kräftig angefaßt werden. Hätte man von vorn- herein bei der Lancirung der Militärvorlage gesagt, die Börse trägt die Hauptlast, die Vorlage wäre viel stärkeren Sympathieen begegnet, als es jetzt der Fall ist. Es ist dazu noch nicht zu- spät, aber es ist die höchste Zeit. Die Börse hat 1870 die Kriegs- anleihe im Stiche gelassen, sie hat noch in neuerer Zeit preußische Konsuls nicht gezeichnet, aber sich für russische Paprere stark interessirt. Sieht das nicht fast wie eine Drohung aus? Will man deutsches Geld für russische und französische Rüstungen ins Ausland schicken? Die Börse darf über ihren internatlonalen Verpflichtungen ihre Pflichte» gegen das Vaterland nicht ver- gessen!(Beifall rechts.) Abg. Singer(Soz.): Durch die kolossalen Summen, welche Herr Mehnert aus der Steuer auf Differenzgeschäfte heraus- rechnet, hat er sich die Antwartschast auf den Posten des Schatz- sekretärs unzweifelhaft erworben, und man muß der Reichs- regierung kondoliren, daß sie diese Kapazität nicht zur Seite ge- habt hat, als sie nach der Deckung für die Heeresausgabe suchte. Er hat die Börsensteuer zu einer patriotischen That gestempelt, im Gegensatz zu der etwas nüchternen Auffassung der Reichs- regierung, welche die Frage verständiger Weise als rein finanzielle ansieht. Mit ihm mache ich der Börse den Vorwurf, daß sie 1870 die Kriegsanleihe im Stiche ließ. Damals reichte der Patriotismus der Börse nur bis an den Geldbeutel, nicht bis in denselben, aber das ist allen kapitalistischen Parteien, zu denen auch die des Herrn Mehnert gehört, gemeinsam. Auch der grün- weiße Patriotismus hat sich 1866 stellenweise ganz ähnlich be- nommen, wie der preußische 1870.(Sehr richtig!) Wenn sich Herr Mehnert aus den Professor Cohn in Marburg beruft, so variirt er damit nur den Äoethe'schen Spruch: Den Juden mag ich nicht leiden, doch seine Gutachten habe ich gern. Wir verwerfen die Börsensteuer, weil wir die Militärvorlage ver- werfen, die wir für eminent kulturfeindlich und gefährlich halten: Diesem Militärsystem keinen Groschen! Herr Mehnert hat die Vorgänge, wie sie sich an der Börse abspielen, mit einer durch Sachkenntniß absolut nicht getrübten Unbefangenheit dargestellt; in dieser Beziehung steht Herr Siemens geradezu eiffelthurmartig erhaben über Herrn Mehnert.(Heiterkeit.) Die konservative Partei, auch das Zentrum, in der letzten Zeit auch die Nationalliberalen triefen von sittlicher Entrüstung über die Börse. Aber durch das Geschrei und Beschimpf auf die Börse soll nichts weiter erreicht werden, als die Aufmerksamkeit des deutschen Volkes abzulenken von dem schamlosen Kornwucher, den die Agrarier zum Schaden des Volkes treiben.(Unruhe rechts.) Die Börse ist gerade fi» ein Zubehör der heutigen Gesellschaftsordnung, wie die Schienen- flickerei und das Zuhälterthum.(Sehr richtig! links.) Wir sind keine Freunde der Jobberei, aber die warm empfohlene Börsen- steuer trifft den Kern der Sache in keiner Weise. Der Vorredner weiß sehr gut, daß die Börsensteuer schließlich abgewälzt wird auf das Publikum, auf die Kommittenten. Die Bankiers, die baut« finance hat nicht den geringsten Nachtheil von der Börsen- steuer. Wovor geschützt werden muß, sind die Magnaten der Börse, jene modernen Raubritter, welche das Publikum ausbeuten durch fallende oder steigende Kurse. Wer die heutige Gesellschaft, die Herrschast des schrankenlosen Individualismus als noch- wendig und richtig anerkennt und sie nicht durch die sozialistische Wirthschaflsordnung ersetzen will, hat kein Recht, aus die Börse zu raisonniren. Die Axt muß an die Wurzel des Uebels gelegt werden. Das geschieht nicht mit der Verdoppelung der Börsen- steuer. Die Börse ist nur ein Spiegelbild der heutigen Wirch- fchastsordnung. Herr v. Kardorff wird wahrscheinlich heute wieder die Silberwährung als Heilmittel vorführen. Die Börsen« enquete, welche infolge der vorjährigen Anträge aus der Mitte des Reichstages veranstaltet wird, muß in diesem Rahmen auch gestreift werden. Die erwähnten Anträge wären beinahe komisch zu nennen. Sie olle verlangten von der Regierung Abhilfe gegen die Auswüchse des Börsenhandels. Dabei sitzt in der national- liberalen Partei Herr Hammacher, der in bezug auf Sach- Verständigkeit bei Gründungen nicht übertroffen werden kann; da ist auch noch Herr Oechelhäuser, ein vielfacher Auf- sichtsrath, Herr v. Kardorff soll in Termingeschäften in Spiritus nicht unbewandert sein, und es ist nur schade, daß Herr Kenne- mann nicht dem Hause angehört, denn er ist eine ganz besonders sachverständige Kraft auf diesem Gebiete. Herr v. Freege hat bei der Etatberathung sich sehr unfreundlich über die Juden geäußert. Sein Staminhaus Freege u. Komp. in Leipzig hat diesen Stand- punkt nicht getheilt, es hat von den polnischen Juden hauptsäch- lich seine Reichthümer erworben. War also der Wahlspruch der Firma:Non olet", so muß ich bezweifeln, daß die Devise des Herrn v. Freege in seinem Wappenschild, nach seinen unfreund- lrchen Aeußerungen gegen mich:Noblesse oblige" ist. Und da es in dieser bösen Welt, in der wir leben, überall menschlich zugeht, so wird die sittliche Entrüstung der Herren Konservattven nicht hindern, daß ruhig weiter gejobbert wird. Im Deutsche» Reich eifert man mit moralischer Entrüstung gegen das Lotteriespiel; die preußische Regierung aber vermehrt gerade jetzt die preußischen Lotterieloose um 30 000, um den Etat etwas günstiger zu gestalten! Wer denkt nicht auch an die Schloß- freiheit-Lotterie! Die Regierung hatte ein Bankkonsortium als Schlepper gemiethet und ihm 6 Millionen Mark als Proviston bewilligt, um die Sache populär zu machen. Auch eine Antisklaverei-Lotterie hat die Regierung genehmigt. Vielleicht bekommen wir nächstens eine Antinothstands-Lotterie. Es würde das nur der alten Auffassung entsprechen, daß Tanzen und Lotteriespielen die besten Abhilfeinittel gegen jeden Roth- stand sind. Die Börsensteuer bietet also keinen Schutz gegen die Auswüchse des Börscnspiels; de» Giftbaum muß man abhauen und den Boden umpflügen, nicht aber kommt man ihm durch solche Palliativmittclchen bei. Diesen Augiasstall zu reinige», sind eiserne Besen nöthig. Das Verbot des Termin- Handels verlangen Sie doch hauptsächlich darum, um den Preis für Getreide und Spiritus unter sich feststellen zu können. Das und nichts anderes ist der Zweck dieser agrarischen Forderung. Die Börse verhindert bis jetzt gerade diese Ringbildung, welche den unteren Bolksklassen die Ernährung unerträglich vertheuern würde. Gegen die Schäden des Ternnnhandels sind wir nicht blind, das zügellose Spiel mit Differenzen muß unterbunden werden. Ich schlage vor, einfach die Reportgeschäfte zu verbieten. Solche wahnsinnigen Spekulationen, wie die der Firma Ritter und Blumenfeld wären nicht möglich gewesen, wenn nicht In- stitute und Banken sich gefunden hätten, die den Spekulanten die nöthigen Summen vorschössen, um die Geschäfte von einem Monat zum anderen zu schieben. Mit der Beseitigung der Reportgeschäste thun Sie einen guten Schritt vorwärts in der Eindämnmng der Auswüchse der Börse. Müssen alle Käufe oder Verkäufe gegen Geld abgenommen oder geliefert werden, dann bleiben die bloßen Spieler der Börse fern, die ihre riesigen Käufe und Verkäufe gar nicht realisiren können, sondern nur die Differenz ausgleichen. Dann würden neun Zehntel aller Be- denken gegen das Börsengeschäft verschwinden. Ferner muß den Bankiers die einseitige Festsetzung der Geschäftsbedingungen zwischen Bankier und Publikum entzogen werden. Der Bankier darf nicht als Selbstkontrahent austreten, keinen Antheil an den Tagesschwankungen des Kurses haben und davon nichts profitiren. Die Makler müssen sozusagen verstaatlich das heißt angestellt« Beamte werden und dürfen«ichl