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ftn badilcben Candtag kam es am Mittwoch zu einer scharfen Auseinandersetzung zwischen dem Zentrumsführer Dr. Zehnter und dem StaatSministcr v. Dusch , dem Präsidenten des derzeitigen Ministeriums. Der ganze Groll des Zentrums über seinen Miherfolg bei den Land- tagsstichwahlen im Oktober 1905 entlud sich bei diesem Anlaß über dem Haupte des Mannes, dem die Schwarzen die Begünstigung jener Großblocktaktik unterschieben, die sie um den Preis ihrer langjährigen politischen Propaganda brachte: zunächst über dem verflossenen Polizeiminister Schenkel und dann über Herrn v. Bodman , dem Nachfolger Schenkels, der bei den jüngsten Kammerpräsidentenwahlen den allerdings mißlungenen Versuch gemacht hatte, die Konservativen für den liberalen Vor- schlag zu gewinnen und dadurch zu verhindern, daß erstmals seit dem Bestehen des badischen Parlaments ein Zentrumsmann Präsident der Zweiten badischen Kammer wird. Dem Herrn v. Dusch hat die Duldung des Großblocks ein für allemal das Zentrum zum Feind gemacht, und wem die Schwarzen einmal Rache geschworen haben, dem verzeihen sie erfahrungsgemäß nimmermehr. Das hätte sich auch der Herr StaatSministcr sagen und es deshalb vorziehen sollen, den Nacken gegenüber den klcri- kalen Angriffen steif zu halten, anstatt mit allerhand verbindlichen Versicherungen sozusagen um die Verzeihung des Zentrums zu bitten. Denn etwas anderes ist eS nicht, wenn er ihnen am Mittwoch klar zu machen suchte, über einen Minister fälle man nicht scfortnach einem einzelnen Vorgang" ein Urteil, sondernwarte erst seine Taten ab." Womit doch wohl schon gesagt sein sollte, daß Herr v. Dusch und sein Ministerium sich künftighin bemühen werden, den Wünschen des Zentrums nicht allzu energisch entgegen- zutreten. Von wenig Zuversicht dem schwarzen Ansturm gegenüber zeugte auch die Schlußwendung in v. Duschs Rede:Ich hänge nicht an meinem Amt, ich werde aber so lange im Dienste bleiben, als ich das Vertrauen des Landes Herrn besitze." Von Interesse für weitere Kreise ist die weitere Acußcrung des Staatsministers, der von der Regierung vor den Hotten. tottenblockwahlcn des Januar 1907 herausgegebene Erlaß an die Beamten zum Eintreten für die Blockkandidaten sei eine nationale Pflicht" gewesen, die um so gebotener erschien, als das Zentrum in jener Frageselbstsüchtige Politik" getrieben habe. Die schwarze Seite der Kammer reagierte auf diesen An- griff des Staatsministers mit dem entrüsteten Zwischenruf:Sind wir denn nicht auch national?" indes dievaterlandslosen Ge- sellen" auf der äußersten Linken diesem bürgerlichen Etreit um die Palme des Patentpatriotismus schmunzelnd zuhörten. Wenig Freude dürften an der Rede des ZcntrumsführerS Dr. Zehnter die Linksliberalen, Freisinn und Demokratie, erlebt haben, von denen jener mit einem Seitenblick nach der gegen- wältigen Situation auf dem preußischen Wahlrcchtskampffeld be- hauptete, sie hätten sich zu Heloten der B l o ck r c ch t e n herab- würdigen lassen, die ihre Grundsätze mehr oder weniger verleug- ncten. Den Bestrebungen einzelner liberaler Führer, in Baden vom Großblock loszukommen und eine ähnliche Parteigruppierung bei den nächsten Landtagswahlen herbeizuführen, wie sie bei den letzten Wahlen zum Reichstag vorhanden war, spricht der Zentrums- rcdner jeden Erfolg ab: bei den Wahlen im Spätjahr 1909 würden ihre Beauftragten voraussichtlich ebensogut den Weg. zum sozia- listischen Wahlkomitre finden, wie es im Oktober 1905 der Fall war. Darüber, ob sie dort auch wieder dieselbe Aufnahme finden werden wie vor zwei Jahren, hat sich Herr Zehnter offenbar keine Gedanken gemacht. Und doch liegt der Gedanke im gegenwärtigen Moment sehr nahe.__ Der Qeberfall auf das ülefallarbelter-lhaus. Ueber den Vorfall in der Charitöstraße geht uns folgende genaue Darstellung zu: Am 21. d. M., nachmittags 4 Uhr, flüchteten sich in das Haus deS Metallarbciterverbandes,"Charitefir. 3, plötzlich etwa 0 er- wachsen? Personen und 3 Kinder. Als dies der Portier des Hauses, Lachnicht, sab, schloß er den Torweg. Darauf komman- dierte der auf der Straße anwesende berittene Polizcioffizier: Zwei Mann abgesessen, die Halunken müssen alle rausl" Der Torweg wurde gewaltsam geöffnet, der Polizcioffizier drang ein und mit ihm eine Anzahl Schutzleute, von denen 6 mit gezogenem Säbel die zu den Bureaus führenden Treppen hmaufstürmten. Einer der Beamten stellte sich vor den rechten Eingang, der zu den Privat Wohnungen führt. Auf der hier befindlichen Treppe befand sich das Kind des Portiers Lachnicht. Frau Lachnicht, die um ihr Kind Angst hatte, macht« den Beamten darauf aufmerksam, daß niemand oben sei, wurde j'edoch mit den Worten angeherrscht:..M achen Sie, daß Sic wegkommen, dämliches Äcibl" Zwei Beamte postierten sich vor die Eingangstür des Hauses. Sie versetzten einem harmlos aus dem Hause kommenden nichts ahnenden Manne ohne jede Veranlassung einen Schlag mit flacher Klinge über den Rücken. Der Vertreter der Eigentümerin deS HauseS, der Firma Schlicke u. Co. in Stuttgart , Petzold, der den Lärm in seinem Bureau hörte und. um nach Ordnung zu sehen, auf den Hof hinausgehen wollte, wurde angefahren und nicht herausgelassen. Als die Schutzleute eindrangen, flüchteten zwei von den erschreckten Kindern über die Mauer, das dritte suchte Schutz hinter dem Müllkasten, von wo es von einem Schutzmann mit dem Säbel bcrvorgestochcrt wurde. Im dritten Stock stießen die eingedrungenen Beamten auf den Metallarbeiter Tomaschck. Dieser war nach langer Abwcsen- heit von Berlin soeben aus Posen zurückgekehrt. Er batte keiner. lei Ahnung von den Versammlungen und Demonstrationen. Er kam etwa um Vj4 Uhr zum Verband, um sich zurückzumelden und wartete mit einer Anzahl Frauen vor den noch verschlossenen Bureauräumen auf deren Eröffnung. Als die Polizcibeamten den ahnungslosen Tomaschck sahen, packte ihn ein Polizeibeamter an der Brust und forderte ihn auf, hinunter zu gehen. Tomaschck erwiderte:Ich muß hier hineingehen", worauf der Beamte ihn zweimal mit der flachen Klinge über die Schulter schlug. Zugleich wurde Tomaschck in die zweite Etage hinunter- befördert. Durch den Lärm aufgeschreckt, öffnete der in den Vcr- bandsräumen beschäftigte Gewerkschaftsbeamte Blume nthal die Tür und sah, wir Tomaschck gemitzhandelt wurde. Er erklärte den Beamten:ES ist unerhört, was Sie sich hier erlauben; wie kommen Sie dazu, unser Mitglied zuschlagen?" Blumenthal ging darauf zur zweiten Etage hinunter und sagte voller Erregung zu dem dort stehenden Polizei- Hauptmann:Das ist doch unerhört von den Beamten, auf einen Wehrlosen so einzuschlagen!" Aus die Aufforderung, sich zu ent- fernen, erwiderte Blumcnthal, daß er hier angestellt sei. .Hierauf faßte der Hauptmann Blumenthal am Kragen, riß ihm Jackett und Wesse auf, ordnete sein« Verhaftung an und schlug ihn mit dem Säbel übers Kreuz. Ebenso schlug eine Anzahl hinzu- kommender Schutzleute mit dem Säbel auf Blumenthal ei». Blumenthal wurde nunmehr zur Wache transportiert, wo er bis gegen 8 Uhr abends bleiben mußte. Ein besonderer Glückszufall war es, daß der die Kranken- antcrstützungcll auszahlende Gewerkschaftsbeamte einig« Minuten vor 4 Uhr, der offiziellen OeffnungSzcit der Kranken. kassc. auf dem Bureau erschienen war, so daß die Kranken um 4 Uhr, als die Polizei eindrang, sich nicht mehr auf der Treppe vefandcn. Diese, etwa an der Zahl, gerieten schon durch das bloße Hören des Lärms auf der Treppe in höchste Erregung und flehten den Gewcrkschaftsbcamten um Schutz au. Eine der Frauen wurde ohnmächtig. Bon der Leitung des Metallarbeitervcrbandes wird gegen die schuldigen Beamten Strafanzeige erstattet werden, der sich der gerade in Berlin anwesende Miteigentümer des Hauses, Werner aus Stuttgart , anschließen wird." Nicht nur die ordnungsliebende, nur aus Abwehr der Angriffe" bedachte Berliner Polizei, von der die verlogene anständige" Presse faselt, sondern die ganze preußische Kulturbcrrlichkeit erscheint hier in einem höchst glänzenden Licht. In einem der westeuropäischen Kulturstaaten wäre eine derartige Polizeileistung nicht möglich, ohne daß die bo- tdligten Beamten schwere Strafe träfe: im preußischen Polizeistaat wird wahrscheinlich die Strafanzeige ohne jeden Erfolg bleiben, vielleicht sogar noch der Polizei mit schönen Redewendungen bestätigt werden, daß sie nach preußischen Kulturbegriffen völlig korrekt gehandelt hat. Preußen marschiert eben in der Welt voran zwar nicht in bezug auf die Lösung kultureller StaatSaufgabcn, aber doch hinsichtlich der Qualität seines Polizeiregiments. politische Uchwücht. Berlin , den 23. Januar 1908 Tcheck-, Majestätsbeleidigungs- und Tierhalter- Gesetze. AuS dem Reichstag . Nach kurzer Debatte wurde das Schcckgosetz uuabgeändert auch in zweiter Lesung erledigt. Kaum mehr Zeit nahm die dritte Lesung des Majestätsbelcidigungsgesctzes in Anspruch. Der freisinnige Abgeordnete G y ß l i n g- Königsberg fühlte sich gedrungen, auf den Königsberger Prozeß zurückzukommen, indem er alle Vorwürfe wiederholte, die von Herrn Osann in der ersten Lesung gegen dieKönigSberger Volksztg." ge- schleudert worden waren. Er behauptete, daß in weitesten Kreisen des Volkes tiefe Empörung über den Denkmals- artikel empfunden wurde. Weshalb aber die Volksseele gerade in Herrn Gyßling aufkochte, erfuhr man durch sein Ein- gcständniS, daß er selbst dem Denkmalskomitee angehörte. Er hielt es indessen für nötig, ausdrücklich hinzuzufügen, daß er den Strafantrag nicht mit unterschrieben habe. Sonst suchte er noch die KönigSbergerHartungsche Zeitung" gegen den Vorwurf der Denunziation zu verteidigen,, den Genosse Seine gegen diesesfreisinnige" Blatt erhoben hatte. Herr yßling versicherte mit warmer Rührung, daß der Staats- anwalt dieHartungsche" gar nicht lese und deshalb zweifellos ganz aus eigener Initiative vorgegangen sei..... Genosse Frank verwies demgegenüber auf die auf- fällige Tatsache, daß der Staatsanwalt erst acht Tage nach Erscheinen des Denkmalsartikels an die Komiteemitgliedcr das freundliche Ersuchen richtete, sie möchten doch Strafantrag stellen! Was aber die kochende Volksseele anbetrifft, so gab er seiner tlebcrzcugung Ausdruck, daß weit mehr Menschen über das Urteil empört gewesen seien als über den Artikel. Weitere Redner ergriffen nicht das Wort, und so ivurde denn das Majestätsbeleidigungsgefetz in der Kom misstons fassung endgültig gegen die Stimmen der Sozialdemokraten angenommen. Die Abänderung des Z 833 des Bürgerlichen Gesetzbuchs , wodurch die Haftpflicht der Tierhalter eingeschränkt werden soll, führte in zweiter Lesung zu einer eingehenden Debatte. Genosse Stadt Hägen wies eingehend nach, wie einschneidend die geplante Aenderung zuungunsten der Ge- schädigten selbst oder gegen ihre Witwen und Waisen wirken müsse. Zur Illustration der agrarischen Skrupellostgkeit in der Ausnutzung ihrer Machtstellung berief er sich darauf, daß die Konservativen den Hasenschaden auf die kleinen Bauern abzuwälzen verstanden haben. Schon dies Beispiel zeige, wie windig die Behauptung der Agrarier sei, daß sie die Jnter- essen des Mittelstandes im Auge hätten. Der konservative Abg. v. Treuenfels erkletterte darauf die Tribüne, um gegen Ausführungen Molkenbuhrs in der ersten Lesung mit dem schweren Geschütz mecklen- burgischer Rhetorik zu Felde zu ziehen. Er bezeichnete es als Verleumdung, wenn sie Sozialdemokraten den Agrariern vor- werfen, daß sie den Armen das Brot verteuern wollten. Herr K a e m p f sah sich genötigt, wegen dieses Ausfalles seinem Block- genossen einen Ordnungsruf zu erteilen. Dann aber zeigte Herr v. TrcuenfelS erst die stärkste setner Künste: Nicht die Agrarier, sondern die Sozialdemokraten wollen den Armen das Brot nehmen. Zum Beweise dafür verlas er aus einem Bande von ReichslügenverbandSzitaten Beispiele von angeblichem GewerkschaftSterrorismus. Bei seinen Blockfreunden löste diese Leistung im Böhme-Stil wachsendes Unbehagen, bei den Sozial- demokraten wachsende Heiterkeit auS. Genosse Stolle tat den abgedroschenen TreuenfclS-Kniff kurzer Hand ab, um dann noch durch den Hinweis auf die Auiomobilschäden zu beweisen, daß die Regierung sowohl wie die Agrarier da einen ganz anderen Maßstab anlegen als bei den weit zahlreicheren Tierschäden. Schon die Rede Stadthagens hatte bei verschiedenen bürgerlichen Parteien die Ueberzeugung gezeitigt, daß cS ratsam sei, auf eine Kommissionsberatung einzugchen, waS sie bei der ersten Lesung abgelehnt hatten. Ein daraufhin von uns abermals eingebrachter Antrag: den Gesotzentwurf einer Kommission von 14 Mitgliedern zu überweisen, wurde denn auch angenommen. Aus dem Junkerparlament. Da? Dreiklassenhaus unterhielt sich am Donnerstag zunächst über die Frage des Bankdiskonts. Anlaß dazu gab eine Interpellation des Scharfmachers Kreth. Die BcgründungSrede. die der besagte Herr seiner Interpellation mit auf den Weg gab war so langweilig und nichtssagend wie möglich. Augenscheinlich fühlt sich Herr Kreth nur dann in seinem Element, wenn er unter junkerlichem Beisallsgcbrüll für die heilige Luise schwärmen und Zuchthausstrafen über politische Gegner herabrufen kann. Dazu bot aber der Bankdiskont keine Gelegenheit. Nichtssagend und inhaltsleer war auch die Erwiderung Rheinbabens. Für das Geistesniveau deS DreiklasscnhauseS ist es bezeichnend, daß die tiefsinnige Acußcrung von Miquels sei. Erben:Jeder trägt noch viel zu viel Bargeld mit sich herum" ein anhaltendes Gewieher weckte.~ Oed«, langweilig und nichtig war schließlich die DiS- kuffion. Der Natiynalliberale Jriedberg schien ein«, wenn auch nur leichte, bimetallistische Anwandlung zu haben. Bei den Blinden ist bekanntlich der Einäugige König, und so erschien in dieser Um- gebung die dürftige Gemeinplatzrede des freisinnigen Volks- parteilers Erüger als gediegene volkswirtschaftliche Abhandlung. Der ganze Zweck der Interpellation ist augenscheinlich der. in irgendeiner Form wieder eine agrarische Liebesgabe zu ergattern. Vorläufig scheint die Regierung allerdings noch etwas harthörig zu sein. Nach der Gepflogenheit des Junkerhauscs wurde rasch Schluß gemacht, worauf man sich der Beratung einer anderen. Jnter- pcllation zuwandte. Diese betrifft den Unfug der Auto- m o b i l i st e n. Die verschiedenen Redner brachten berechtigte Klagen vor. Es ist aber bezeichnend für die fröhliche Unver frorenheit der Junkersippen, daß sie in demselben Augen- blick im Landtage über die Automobilisten zeict», Ivo sie im Reichstage ein Ausnahmegesetz zugunsten der Pferdebesitzer durch- zudrücken sich nicht schämen! Die Debatte wurde auf unbestimmte Zeit vertagt. Darüber erboste sich nicht mit Unrecht der frühere Müller-Sagan, jetzige Müller-B e r l i n. Seine Richtdekorierung gab ihm sogar den Mut zu einer Anspielung, die, wenn sie von den Sozialdemokraten ausginge, sicher alsböswillig" bezeichnet werden würde... Am Freitag wird das Haus sich wieder in seinem ureigenster Elemente befinden: Der Etat der Gestütsverwaltunx steht auf der Tagesordnung. Gruft englischer Sozialisten an die preuftischcn Wahlrechtskämpfer. Der Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Englands (Sozialdemokratische Föderation) hat folgende Resolution be- schloffen: Die Sozialdemokratische Partei Großbritanniens sendet der Sozialdemokratie Berlin " ihre brüderlichen Grüße, bekundet ihre herzliche Sympathie mit ihrem Kampf um das gleiche Wahlrech: zum prerchischen Landtag und hofft zuversichtlich, daß die Aktion der Berliner Arbeiter gegen die despotische Haltung Blllows und der Regierung und ihre militärische Polizei Erfolg haben und dic ausbeutenden Klassen zwingen wird, die friedliche und konstituüo- nelle politische Reform zu bewilligen, die unsere preußischen Ge- Nossen fordern._ Polizeiaufgebote für den Reichstag . Auch gestern war der Reichstag von mehreren starken Ketten Polizeitruppen umgeben! Fürchtete man einen Sturm auf das zur Beratung gelangte Scheckgesctz? Oder welchen Zweck sollte denn das Aufgebot haben? Der Polizeieifer ging soweit, daß auch Ab- geordneten der gutritt zum Reichstag erschwert wurde. So wurde der Abgeordnete Bäckermeister Nieseberg (Mittelstandsvereinigung) nicht unbehindert durch die SchutzmannZkettc durchgelassen. Der hannlos und recht unschuldig dreinschauende Bote war darüber entsetzt, daß man einen Herrn unbeanstandet durchgehen ließ, der nicht Abgeordneter war. aber eine etwas teurere Kleidung als der Wanzlebcner Abgeordnete trug. Die feine Kleidung allein schützte aber auch nicht vor der polizeilichen Vermutung, daß der Passant ein Attentat auf den Reichstag vorhatte. So soll vorgestern auch der Minister von Rheinbaben nicht ohne weiteres die HelnisPitzenkette haben passieren können. Völlig anstandslos kamen nur die sozialdemokratischen Abgeordneten durch. Ein Zuschauer wollte sogar eine besonders stramm-höfliche Haltung der Schutz- mannSkette beim Nahen eines Sozialdemokraten wahrgenommen haben. Er irrte sich wohl: die freundliche Haltung war auf die Freude zurückzuführen, endlich mal bekannte Gesichter zu erblicken Wie lange soll eigentlich diese Zennerung des Reichstages noch dauern? Und welcher Zweck liegt in der Aufftellnug der Polizei- truppe um den Reichstag?_ Polizisten als Bauarbeiter. Ein höchst seltsames Vorkommnis wird uns gemeldet. Am 21. Januar, am Tage dcr Poltzetattackcn auf die Arbeitslosen, wurde um 12 Uhr mittags in dem bekannten Geschäft von Rudolph Hertzog angefragt, ob in dessen Räumlichkeiten 4050 Schutzleute unter­gebracht werden könnten. Die Antwort war bejahend. Darauf erschienen gegen 2 Uhr die Schutzleute, bei denen sich auch eine Anzahl von Leuten befand, die infolge ihrer Kleidung weiße Hose, Arbcitsjackott, Mütze. Halstücher den Eindruck von Bauarbeitern machten. DieseBauarbeiter", die man aber für maskierte Schutzleute hielt, verließen später wieder das Geschäft..... Nach dem, was Genosse Fischer im Reichstage über das Treiben von Kriminalbeamten im Zuge bei Demonstranten berichten konnte, ist es keineswegs aus- geschloffen, daß dieseBauarbeiter" dazu bestimmt waren. als, sagen wir einmal Statisten bei den erwarteten De- monstrationen am 21. Januar mitzuwirken! Vielleicht gibt die Polizeibehörde bekannt, WaS diese Bauarbeiter" nach dem Verlassen des Hertzogschen Hause? getrieben haben!_ Das Neichstagsvotum. Wenn auch die schlechte Geschäftsordnung des Reichstag? gestern eine Abstimmung unmöglich gemacht hat, so hat doch die Debatte über dic sozialdemokratische Jnterpella- t i o n gezeigt, daß die Majorität des Reichstags für dic Ucber- tragung des RcichötagSwahlrecht» auf Preuße i: eintritt. Dic Erklärung des Grafen Hompesch war sicherlich etwas kühl, aber sie wär doch deutlich. Ebenso haben die Freisinnigen dic Einführung des RcichStagswahlrcchtS verlangt und haben dic jämmerliche Ausflucht derVoff. Ztg.", die noch vor der Erklärung BülowS den dummen Kompetenzcinwand der Unzuständigkeit des Reichstags verteidigt hat, sich nicht angeeignet. Damit steht aber dic Majorität des deutschen Reichstag», die Majorität des deutschen Volkes hinter der For- derung der Rechtlosen in Preußen. In der wichtigsten politischen Frage ist also Fürst Bülow im Reichstag in der Minorität. Wir wollen sicher die Bedeutung dieser Abstimmung nicht über­schätzen. Gerade das Verhalten deS Freisinns und besonders der freisinnigen Volkspartei zeigt, daß auch die wahlrechtsfreundlichen bürgerlichen Parteien ihre eigene Forderung vorläufig nur sehr platonisch vertreten. Trotzdem ist die Bedeutung der gestrigen Verhandlungen nicht gering. Zeigt sie doch deutlich, wie isoliert die Privilegierten, die unumschränkten Herrscher deS preußischen Landtags in Wirklichkeit sind. Kann eine aufreizendere Tatsache geben, als daß in Preußen unabänder- lich das Recht bleiben soll, was im deutschen Reichstag von der großen Majorität als schreiendes Unrecht stigmatisiert wird? Zeigt aber nicht zugleich gerade wieder dic Tatsache, daß die Meinung der Vertretung des deutschen Volkes von den Macht- habern Preußens hohnlachend beiseite geschoben wird, die Not- wendigkcit der Erringung deS gleichen Wahlrechts in Preußen mit größter Deutlichkeit? Der deutsche Reichstag bleibt solange ahn- mächtig, der Wille deS gleichen Wahlrechts solange bedeutungslos, als in Preußen der Landtag des Dreiklassenwahlrcchts regiert. An seinem Ausschuß, an der preußischen Regierung, die den Bundesrat beherrscht, brechen sich alle Forderungen des Reichstage». Erst wenn der Reichstag die Kraft und den Mut findet, das, was er als richtig erkannt hat, auch durchzusetzen, wenn er mit dem Volke, daL ihn gewählt hat, für das Recht des Volkes in allen