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Daß das Geldeinkommen auch des Proletariats wächst, ksat kein Mensch jemals bestritten! Aber entspricht dieser Erhöhung des Nominal einkommens auch eine g e- steigerte Kaufkraft?! Jeder Proletarier wird diese Frage selbst am besten zu beantworten wissen! Zlber einige Zahlen mögen dem Bild der preußischen Einkommenslatistik erst die richtige Beleuchtung geben. Es besaßen im Jahre 1907 Zensiten Gesamteinkommen 4 826 000 mit 900-3000«vi. Einkommen.--- öSSI Mill. Stark ZS9 000 mit mehr als 3000 M..==5156 Die Zensiten mit einem Gesamteinkommen von 800 bis 3000 M. besaßen ein Durchschnittseinkommen von 1345 M.(1906: 1385 M.), die Zensiten mit mehr als 3000 M. Einkommen ein Durchschnittseinkommen von 9234 M.(1906: 9080 M.). Während die Steuerstufen bis 3000 M. sich uni 679 000 Personen und 1000 Millionen Mark Einkomnien ver- inehrten, vermehrte sich die Zahl der Zensiten mit mehr als 3000 M. nur um 33 000, das Einkommen dieser Steuerstufen dagegen um 416 Millionen! Am interessantesten aber ist die gewaltige Zunahme der Rieseneinkommen mit mehr als 100 000 M. Einkommen. Die Zahl dieser Zensiten ist von 3173 auf 3561 angewachsen! Auf den Kopf der 3173 Zensiten mit mehr als 100000 M. Einkommen entfiel 1906 ein Durchschnittseinkommen von 350 000 M.! Danach würden die 3561 Zensiten 1907 zu- fammen ein Einkommen von 890 Millionen Mark haben! Die 3561 Zensiten der obersten Steuerstufe besitzen danach so viel Einkommen wie 661 000 Zensiten der Stcuerstufen von 9003000 M. Einkommen! So gerecht ist das»Nationalvermögen' in Preußen ver- teilt! Li» ZOSiiBlein Kallergriße. Tie sozialdemokratische Presse ist bekanntlich die einzige, die keine Artikel zu Kaisers Geburtstag dringt. Unsere Leser haben das zwar bis jetzt noch nicht varmitzi, allein, dem eigenen Herzens- triebe folgend, wollen wir diesmal die Lücke wenigstens insofern ausfüllen, als wir nachträglich einiges zusammenstellen von dem. «0« die gutgesinnte Presse an diesem feierlichen Tage ihrem patriotischeil Geist« entlockt hatte. Wir ziehen einzelne Blumen. Knospen, Blüten aus dem großen GeburtötagSbukett der Zeitungeu Und fügen sie zu einem eigenen Sträußchen zusammen. Wir wollen nicht gerade behaupten, daß dies« Blumen in großer Farbenpracht prangen. Aber wir können nicht dafür. Besseres war nicht aufzutreiben. Die Farben sind fahl, die Blätter sind welk, nicht das sprießende Leben, sondern der von der Marktfrau gezogene Traht hält das Ganze zusammen; sie sind wie die Rosen und Veilchen der Berliner Rachtcafes. Sie haben auch keinen eigenen Geruch mehr, sondern die Spritzflasche gab ihnen ein patriotisches Odeur. So ist es nun einmal. Die Stimmung der Patrioten ist triste, mies, sehr katzcnjämmerlich. Ueberall die gleiche fatale Erkenntnis: der Geburtstag des vorigen Jahres stand im Zeichen der Riederstimviung der Sozialdemokratie und der Konsolidierung des BürzertuinS, in diesem Jahre steht er im Zeichen der sozialdemokratischen Straßenkundgebungen, eines faulen Friedens im Block und allerlei fauler Ding« außerhalb und innerhalb des Blocks. Es ist den Patrioten sehr übel zumute; wir können ihnen unser menschliches Beileid nicht versagen. DieDeutsche Tageszeitung" schreibt: In ernster Zeit feiert morgen unser Kaiser und König seinen Geburtstag....Man hat versucht, die Massen vor das Königsschloß zu lenken.... In solcher Zeit gilt es, das Banner, die Standarte des Königtums um so höher zu halten. Der Geburtstagsgruß und die Geburtötagöglückwünschc sind in solchen Tagen nicht nur ein schöner Brauch der Loyalität, sondern ein scharfer Protest gegen die Feinde der Krone, ein offenes Bc- teiiittniS zur Monarchie, ei» festes Gelöbnis unbeugsamer KönigStreue bis i» den Tod." Die fette Schrift gehört derDeutschen Tageszeitung". Ihr difenes Bekennini» war ihr noch nicht offen genug; sie mußte es hinausschreien. hinauZdrommeten; sie nimmt die Torpedopfeife in den Rund und begleitet ihr patriotisches Bekenntnis mit einem markerschütternden Geheul, alö wenn sich um die Rettung von Ertrinkenden handelte, und doch gewinnt sie nicht die Sicherheit, findet nicht den rechten Ton. Ach. das Ganze klingt viel mehr wie eine Bußpredigt, denn als Hosianna? Rii besonders ausgezeichnetem Takt und Geschmack und ebensoviel sprachlichem Verständnis schreibt diePost": «Die ersten Tage des morgen vollendeten(sie!!) Lebens- jahres deö Kaisers standen unter dem glänzenden Sterne der letzten nationalen Wahlen.... Es hat.sich leider längst nicht jede Erwartung erfüllt, die in jenen von nationalen Hoffnungen getragenen Tagen wach und rege geworden ist.... Unter den wenig erfreulichen Ereignissen war besonders widerwärtig, als die Verleumdung in scheußlichster Gestalt sich nicht scheute, bis in die nächst- Umgebung des Kaisers ihren Geifer zu spritzen. Aber es blieb nichts, auch nichts hängen von all dem törichten Geschwätze über Kamarilla, Ring, Grüppchen und Tafelrunde." Nein, nichtsauch nichts" gar nichts rein gar nichts mehr als nichts weniger als nichts, und wer es nicht glaubt, dem sagt diePost" nochmals: nichts! Die nicht minder patriotischeStaatSbürger-Zeitung" dagegen meint: Der vorige Geburistag brachte als schönste Gabe die Niederlage der Revolutionspartei. Dieser Geburtstag, der dem Tode Hinzpeters und der moralischen Verurteilung Hohenaus folgt, ist nicht so froh umrauscht." DerLokal-Anzeigcr" preist das beinahe patriarchalische, vorbildliche Familienleben am kaiserlichen Hofe, von dem gleichsam einZauber guter, alter, deutscher Sitte weit ins Land h i n a u s w i r k t und die Herzen des Volkes in seinen Bann schlägt." Dasselbe Blatt äußert sich über die Persönlichkeit des Kaisers: Analysierende Psychologen wollten wohl manchmal Schwan- kungen iu den Meinungs- und Anschauungsäußerungen des Mornarchen erblicken. Aber sicherlich zu Unrecht." DieNational-Zeitung" beruft sich auf die fremden Nationen: Vor allem beneiden sie uns um unseren Kaiser." Schließlich dieK r c u z- Z e i t u n g" singt mit kind­lichem Sinn: Horch, die Janitscharenmusik ertönt; die Wachtparade, klingenden Spiels, zieht auf. Hui!" Da geht ihr die Puste aus und sie muß auf der nächsten Zeile Atem holen. Tut nichts, Kleine? Reicht auch die Kraft nicht aus, so macht sich schon der Wille bezahlt. Das führende konservative Blatt kann sich mit dem schönen VerS trösten:Ich bin noch klein, mein Herz ist rein" usw. Nach alledem darf man wirklich zum Schluß komme:?, daß das monarchische Gefühl im Herzen des deutschen Volkes so fest nistet, daß es mit einem Gänsekiel gar nicht herausgekitzelt werden kann. Sie liisroßko-fsntei'pellatio» in der französischen Kammer. DieHumanitS" schreibt in ihrer Dienstagsnummer über die am Montag fortgesetzte Verhandlung der Jnter- pellation Jaurds:Die gestrige Sitzung hat Europa Ge- legenheit gegeben, sein nach der Rede Delcassös übereilt ge- fällteö Urteil zu rekrifizieren." ES hat sich bestätigt, was wir in unserer Besprechung der Delcassöschen Rede vom Freitag sagten, daß der all- seitigc starke Beifall, den sie fand, nicht das Bekenntnis der Kammer zu einer provozierenden, die Kriegsgefahr nichts- achtenden Politik war. sondern daß er einer momentanen Auf- Wallung entsprang, die mehr persönlichen als politischen Unter- grund hatte. Die Mehrheit der Kammer hat eine Rede des Ministers des Aeußern Pichon mit lautem Beifall aufgenommen, die eine scharfe Abweisung der Delcassöschen Ausführungen ivar. Der Minister des Aeußern hielt eine Friedensredc, fodaß bei einigen Stellen auch die Sozialisten applaudieren konnten. Aus den Ausführungen Pichons gegen Delcassö seien die folgenden Stellen wiedergegeben: Tie Entente mit England war schon lange vorbereitet. Sic war von uns stets in? Geiste deL Friedens und der Zivi- lisation aufgefaßt worden. Wir wollen niemand isolieren.(Stürmischer Beifall.) Die Konferenz von MgeciraS war keine Demütigung für Frankreich . Man mutz eS denjenigen zum Verdienst anrechnen, welche sich ge- weigert haben, für ein sehr unsicheres Ziel das kostbare Gut dos Friedens zu ge- fährden.(stürmischer Beifall bei den Radikalen und den Sozialisten, welch letztere sich demonstrativ gegen Delcassö wenden, der mit verschränkten Armen ans seinem Platze sitzt.) Wenn Frankreich an der Konferenz teil- nahm, um die höher stehenden Friedensprinzipien zu schützen, wenn es seine Rechte geltend machte, so werden wir nicht sagen, daß cS sich schwächte. Niemand hier erhob gegen die AigeciraS-Akte Einspruch. DaS Prinzip wurde mit Einstimmig- keit angenommen. Tie Konferenz gab uns eine neue Grund- läge für unsere Rechte." Ueber die gegen Marokko einzunehmende Haltung sagte Pichon u. a.: ... Die Instruktion des General Drude habe gelautet, in Casablanca und Umgebung die Ruhe herzustellen, ohne sich auf Abenteuer im Innern einzulassen. Auf Vorschlag DrudeS sei dieser zur Besetzung Mediuna ermächtigt worden. Drude verdiene hohe An- erkemimig für seine Ausdauer und Tapferkeit. (Lebhafter Beifall.) Die Mission Frankreichs in Casablanca sei??ur eine vorüber- gehende. Wir dachten schon daran, an Stelle unserer Truppen die scherifische Mahalla zu setzen.(Bewegung auf verschiedene» Seiten.) General d'Amade habe gleichlautende Instruktionen, den Frieden wieder herzustellen und dieZurückziehung der Truppen vorzubereiten. Jaurös treibe Scherz, wenn er die Affäre von Settat als eine Niederlage bezeichne. Der Minister verlas eine Depesche d'Amades, in welcher dieser mitteilte, er habe die Mahalla Mulah Raschids zurückgeworfen, ihr Lager zerstört und sei dann, wie er es geplant hatte, nach Breschid zurückgekehrt. Die Haltung der Truppen sei hervorragend gewesen. Der Feind habe bOO Tote verloren; das Vorgehen habe große»? Eindruck auf den ... Stamm gemacht und die französische Heeresmacht habe stch große Achtung verschafft. Pichon wiederholte, er wolle die Neutralität ausrecht erhalten ohne der Algecirasakte zu vei.'gessen. E r neig es ich mehr demSultanAbdul Azis zu. Frank- reich beabsichtige nicht, die Entscheidung zwischen beiden Sultanen zu geben. Aver Abdul Aziz sei der einzige aucriaimtc Sultan u?td_ sei der einzig würdige, gegenüber der An- archie l?och die Interessen Marokkos zu vertreten und dies in Uebereinstimmung mit der Algecirasakte zu tun. Mulay Hafid dagegen sei ein Gefangener der Gegner der Algecirasakte und der Teilnehmer an dem Heiligen Krieg. (Jaurüs unter. bricht den Redner: Wettet nicht auf ein Pferd, sondern besteiget eins der beiden!) Frankreich könne mit Mulaj� Hafid in betreff der Hafenpolizei nicht amtlich unterhandeln. Des- halb seien seine Vertreter nach Rabat gegangen, um mit Abdul Aziz zu reden, von dem die Anregung zur Reis« ausgegangen sei. Pichon fügte hinzu, von einer Anleihe sei keine Rede, er könne aber nicht sagen, daß sie künftig nicht abgeschlossen werden ivlirde.(I<? u r e s dazwischen­rufend: Frankreich wird sich IbO Millionen abnehmen lassen, um Gelegenheit zu haben, sie wiederzuholen.)(Lärm.) Dieser Teil der Rede zeugt von der Unsicherheit der fron - zösischen Regierung über die kommenden Dinge. Es geht ein Zwiespalt tmrch d?ese Ausführungen, der sich erklärt aus der Einengung der Maßnahmen Frankreichs durch die Algeciras- akte und dem Wunsche einer einflußreichen Strömung, durch die Ereignisse zur Durchbrechung der Aktegezwungen" zu werden. So hat das französische Proletariat allen Anlaß, auf der Wacht zu sein und der Regierung nötigenfalls den Nacken zu steifen gegen das Dräi?gen der Marokkointer- essenten. Ebenso wie das deutsche Proletariat eifrig darübec wachen??. daß diesseits deS Rheins nicht durch Säbel- rasseln die Franzosen gereizt und nervös gemacht werden. Die Verhandlung der Interpellation in der Kammer wurde an? Dienstag fortgesetzt und sollte zum Ende geführt werden. Soweit bis jetzt über den Verlauf berichtet ist, haben sich Delcassesche Töne in dieser Sitzung nicht bemerkbar ge- macht._ politische debersicbt. Berlin , den 28. Januar 1908. Jüstizfragcu vor dem preusiischc» Landtag . Das Abgeordnetenhaus begann an? Dienstag die zweite Be- ratung des Etats der I u st i z v e r w a l t u n g. Daß in der Rechts- pflege zahlreiche Mißstände vorhanden sind, die dringend der Ab- hülfe bedürfen, braucht nicht erst bewiesen zu werden. Es sei nur an die zahlreichen, dem Rechtsbewußtsein des Volkes hohnsprechenden Urteile gegen sozialdemokratische Zeitungen, an die unzähligen Richter- spräche bei Anklagen wegen Verstoßes gegen die Gewerbeordnung, an die regelmäßigen Freisprechungen oder doch sehr gelinden Be- strafungen von Unternehmern und im Gegensatz dazu an die harten Strafen erinnert, die gegen Angehörige der Arbeiterklasse verhängt werden. Ein Parlament, das eine wirkliche Volksvertretung ist, hätt'e also Stoff genug, Kritik an den inannigfachen unangenehmen Er- scheimmgen zu üben, die eine Folge davon find, daß die Richter ausschließlich herrschenden Klassen entstammen, also den Klassen, die, in ganz anderen Anschauungen aufgewachsen als die Arbeiterklasse. sich in das Denken und Fühlen des Volles nicht hineinzusetzen der- mögen. Auf diese und ähnliche Erscheinungen hinzuweisen und Mittel zur Abhülfe vorzuschlagen, war wie gesagt Pflicht der Volks- Vertretung. Da wir aber in Preußen bisher noch keine Volts- Vertretung haben, sondern nur eine Vertretung der Schlot- und Krautju??!er, so ist eS verständlich, daß daS Parlament sich um Fragen dieser Art nicht?nmert. Den herrschenden Klassen und ihren Sachlvaltem liegen ganz andere Dinge am Herzen. Verschiedene Prozesse der letzten Monate haben gezeigt, welch' ungeheurer Schmutz sich in den durch die Gesetzgebung bevor- zugten Kreisen angehäuft hat und wie hinter den äußerlich zur Schau getragene».g?tten Sitten" oft niederträchtigste Gesinrnmg und kaum glaubliche Gemeinheit sich verbürgt. Kein Wunder, daß diese Enthüllungen den Herrschaften recht unangenehm sind. Aber anstatt dem llebel selbst zu Leibe zu gehen, suchen sie eS zu ver- tuschen. Auf solche Vertuschungsversuche liefen im großen Ganzen die Vorschläge des Abgeordnetenhauses hinaus. Da wird strengerer Ausschluß der Oeffentlichkeit und bei BeleidigungL- Prozessen eine noch größere Einschränkung deS Wahr- heitsbewciseS gefordert! Nicht diejenigen. die Al?laß zu Prozessen wie der Mol?ke-Hardei?-Prozeß geben, sind schuld. wenn dadurch die Sittlichkeit gefährdet wird, sondern die Presse, die darüber berichiet!... Durch die Abschneidung des Wahrheits- beweises in Beleidigungsprozessen soll einiger Wandel geschaffen werde??. MS ob es nicht auch jetzt schon den Angeklagten nur zn oft unmöglich gemacht wird, den Beweis der Wahrheit anzutreten! Geht der Wunsch der Reaktionäre, dessen Erwäguirg der Justizminister übrigens zusagte, in Erfüllung, dann wird daS Mißtrauen gegen die NechiSpflege nur noch großer werden. Welch' reaktionärer Zug durch die ganzen Debatten zum Justiz- etat weht, dafür nur wenige Beispiele: Der konservative Abg. S t r o s s e r forderte eine schärfere Sühne für verletzte Ehre und die Einführung der Prügelstrafe für Roheitsverbrechet?! ES dürfte niemand geben, der die Roheiisverbreche». insbesondere Verbrechen an Kindern, schärfer verurteilt als wir, aber wer da glaubt, daß durch Prügelstrafen Wandel geschaffen werden kann, der zeigt damit nur, daß er sich niemals die Mühe gegeben hat, den Ursachen der Verbrechen auf den Grund zu gehen. Der Prügelstrafenrcde deö Herrn Strosser schloß sich die Siti- lichkeitSrede des Herm Roercn vom Zentrum würdig an. Herr Rocren will, daß die Reinheit deS Volkes erhalten bleibe, da dem Verfall der Sitten stets der Zusammenbruch der Staaten gefolgt sei. Um nun jenes erhabene Ziel zu erreichen, will er Front machen gegen Kunsterzeugnisse Aehnlich wie scinerzei: im Reichstage gelegentlich der Beratung der Lex Heinze wetterte er gegen die moderne Kunst. Er forderte allen Ernstes. daß darüber, ob ein Kunstprodukt sittlich anstößig sei. nicht die Künstler ihr Sachverständigenurteil abgeben sollen, sondern daß de: Gerichtshof selbst entscheide. Fehlte nur, daß er P s a f f e n als Kunstsachverständige enipfohlen hätte. So boten denn die Debatten ein überaus trauriges Bild, ein Bild von der vollständigen Unfähigkeit der herrschenden Klassen, die der Justizpflege anhaftenden Mängel zu beseitigen. Allerhöchste Zeit. daß in diese Moderkammer endlich ein moderner Geist, der Geis: der die Arbeiterklasse durchweht, seinen Einzug halte. Neuer Ordenssegen! Am 27. Januar ist ein neuer Ordeusscgcn über die StaatSerhaltenden niedergegangen. Der Gatte de: Tochter des K an oncnkönigs Krupp , Herr Krupp v. Bohlen und Halbach hat den Roten Adlerorden 3. Klaffe mit der Schleife erhalten Herr Wicmer mußte sich mi: dem Roten Adlerorden 4. Klaffe begnügen I Besonders bemerkenswert aber ist, daß auch der von der Polizeiattacke an der Friedrichsgracht her bekamst geworden Berliner P olizeihauptmann Stephan den Kronenorden 3. Klasse erhalten hat! Der liberal« Publizist Heinrich I lg e n st e i n schrieb bekanntlich kürzlich in seiner ZeitschriftDas Blaubuch": Herr Hauptmann Stephan legt feinen Nomen zu den HamburgerKtsiegern", die dem zehnjährigen Revolutionär vor mehr alö Jahresfrist derOrdnung halber" vier- Finger ab- hackten hat Heldcnblnt.Säbel heraus I Einhauen!" St o ch leb t altpreußische Tapferkeit. Die Attacke war blendend schöit.Alles niederreiten, was sich uns m den Weg stellt." Dem Sieger an der Gertraudten brücke winkt sicher ein Orden.. Herr Jlgenstein besitzt Talent zum Prophezeien!> Goethes unsittlicher Faust. Ueber ein neues Zeugnis klerikaler Eittlichkeitsbegriffe weiß die«Freie Bayr. Schulztg." zu berichten: Im Lehrerseminar Bamberg, " schreibt sie,war bisher die Lektüre desFaust" nicht verboten. Es ist mit Fug und Recht in Bamberg üblich gewesen, daß alle Lektüre, die in der Literatur- geschichte berührt wurde, in den Arbeitsstunden gelesen werden durfte. Am Sonntag, 15. Dezember, vormittags 9 Uhr, war für sämtliche Seminaristen Gottesdienst und Kommunion vor- geschrieben. Von 7 bis 8 Uhr war, wie üblich, Studicrzcit. Diese Zeit ist auch an Kommuniontagen nicht etwa zn Er- bauungszwccken, sondern zur Arbeit bestimmt. Während nun andere Mitschüler vor ihren Lehrbüchern brüteten, griff der Seminarist K. an diesem Sonntagmorgen ohne jedes Arg zu GoethesFaust". Der vorübergehende Scminarhülsslchrcr Feld- Hauer, ein junger Mann, ultramontan gesinnt, noch nicht lange alsLehrer-Erziehcr" ins Seminar berufen, der sich noch vor einigen Monaten vor Seminaristen gcbrüstct hatte, daß er GocthcSFaust" nicht gelesen habe und denFaust" nicht lesen wolle, weil cS ein unsittliches Buch sei, entdeckte das Ver- brechen und zeigte die Tat sofort dem geistlichen Präfektcn Zchiidcr an. Dieser ließ den zur Kommunion erschienenen Seminaristen in die Sakristei kommen und verbot ihm die Teil- nähme an der heiligen Handlung, weil er stch durch die Lektüre deöFaust" hierzu unwürdig gezeigt habe. In den fdlgenden Tagen fand ein Lchrerrat statt. Präfekt Zehnder soll dabei den Antrag gestellt haben, den Schüler mit der Eni- lassung aus der Anstalt zu bestrafen. Durch den Stichentschcid des Vorsitzenden, Seminardireitors Dr. Reber, soll dann nur die Androhung der Entlassung beschlossen worden sein. Der Schüler soll vorher nicht verhört worden sein. Bei der Mitteilung der Bestrafung wurde er gefragt, ob erFaust" als unsittliche Lektüre empfunden habe. Er antwortete mit einem bestimmtenNein!" Daraufhin soll Direktor Dr. Reber ge- äußert haben, dann wäre er schon tief gesunken____ Dem Schüler K. aber wurde ins WcihnachtszcugniS geschrieben: Wegen eines Vergehens am Kommuniontage erhielt derselbe die Androhung de: Entlassung." Wir können von unserem Standpunkte nur bedauern, daß der junge Seminarist nicht entlassen worden ist und ihm dadurch Ge- legenheit geboten wurde, einen anderen Beruf zu ergreifen, in dem er nicht unter dem Drucke klerikaler Stickluft steht. Jetzt steht er noch, wie seine Antwort beweist, auf einer höheren sitt- liehen Warte, wie der würdige Hülfslehrcr Feldhaucr und der geistliche Präfekt Zehnder; wer weiß aber, ob er dann, wenn er noch längere Zeit unter dem Einfluß des sittlichen Feingefühls dieser Pädagogen bleibt, nicht auf dasselbe sittliche Niveau hinab- sinkt. Tie Nervosität der Gewalthaber. Am Sonnabend erschienen in? Kölner Etadtanzeiger" Und im Kölner Tageblatt", zwei polizeifrommen Preßerzengiiissc?», kleine Lokalartikcl. die die Bürgerschaft gar eindringlich vor der Br- teiligung an Etraßendemonstrationen warnten und alle ordnungs- liebenden Bürger zum Fernbleiben mahnten. Für künftige