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Nr. 19.

Erscheint täglich außer Montags. Prets pränumerando: Viertel­jährlich 3,30 Mart, monatlich 1,10 mt, wöchentlich 28 Pfg frei in's Haus. Einzelne Nummer 5 Pfg. Sonntags- Nummer mit illuftr. Sonntags- Beilage Neue Belt" 10 Pig. Poft- Abonnement: 3,30 Mt.pro Quartal. Unter Kreuz­ band : Deutschland u. Defterreich Ungarn 2 Mt., für das übrige Ausland 3 Mt.pr.Monat. Eingetr. in der Post- Zeitungs- Preisliste für 1893 unter Nr. 6708.

Vorwürts

10. Jahrg.

Insertions- Gebühr beträgt für die fünfgespaltene Petitzeile oder deren Raum 40 Pfg., für Vereins- und Versammlungs- Anzeigen 20 fg Inserate für die nächste Nummer müssen bis 4 Uhr Nachmittags in der Expedition abgegeben werden. Die Expedition ist an Wochen­tagen bis 7 Uhr Abends, an Sonn­und Festtagen bis 9 Uhr Vor­mittags geöffnet.

Fernsprech- Anschluk Amt 1, Nr. 4186.

Berliner Bolksblatt.

Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands .

Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.

Ein Brief für Herrn v. Bötticher und Genossen.

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Sonntag, den 22. Januar 1893.

Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.

folgen, was hier und da, auch in dem Reichstag vorgeht. so lange man kann; nur Arbeit! das ist das, was wir

Da habe ich vor etlichen Tagen gelesen, wie uns ersehnen.

To gomifformabon

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ein Herr Staatssekretär, oder was er war, behauptet," Ich weiß wohl, daß unsere Familie nicht die einzige der Nothstand sei nicht da, er spüre ihn nicht oder sähe ihn ist, sondern tausend und aber tausend stehen so da. Wir Herr Staatssekretär v. Bötticher und Genossen sehen nicht. Letzteres glaube ich vollkommen. Deshalb, werther haben diesen Winter wenigstens Kohlen, welche uns ein bekanntlich keinen Rothstand ebensowenig wie weiland der Genosse, wollte ich Sie bitten, doch diesem Herrn den Vor- Bekannter auf Kredit verschaffte, und viele werden diese nicht Muster- Bürgermeister v. Fordenbeck, und sie blicken sogar schlag zu machen, ob er und seine Gemahlin nicht auf eine einmal haben. Und der Herr Staatssekretär weiß noch nicht, init hoffnungsfrohesten Blicken in die Zukunft. Ueberall turze Zeit, sage auf vier Wochen, mit unseren daß das so gerühmte freie deutsche Volk vor Noth schreit fehen sie Zeichen erwachenden Geschäftslebens und sprießender intünften und unserer Lebensweise tauschen und zum Theil stumpf geworden ist. Prosperität. Wir haben da wieder ein Fremdwort gebraucht, wollten; ich will denselben unsere Eintheilung, unsere So, geehrter Herr Redakteur, bitte ich Sie, diesem das Manchen wohl ärgern wird. Allein für Prosperität giebt Mahlzeiten und meine Kochrezepte zu wissen thun. Herrn dies vorzulegen, er wird sich bedanken und mit uns es kein deutsches Wort. Für das, was dieses Wort ausdrücken Wir sind fünf Personen, mein Mann, selbständiger tauschen wollen; ich wenn ich noch so arm bin und foll, ist die deutsche Sprache in Wirklichkeit zu ehrlich. Es Zimmermaler, ein Sohn Sohn von 18 Jahren, welchen darben und entbehren muß, ich möchte doch mit diesem bedeutet nämlich einen nationalen Glückszustand", der wir, als noch keine Noth war, eine Bürgerschule be- hohen Herrn nicht tauschen; ich denke, wenn die Vorsehung aber nicht durch das Glück" und Wohlergehen" der suchen ließen, und welcher sich dem sich dem Lehrerberuf mir wie diesem Rang und Reichthum gewährt hätte, und " Nation", der Maffen, sondern nur eines winzigen Theiles widmet, da doch der goldene Boden des Hand ich könnte derartige Reden führen, daß keine Noth da sei, der Bevölkerung sich bekundet. Und in diesem Zustand der werks längst verschwunden ist. Was dieser Was dieser Sohn ich denke, dann wäre ich Prosperität ist die kapitalistische Gesellschaft bei Lichte be- entbehren und darben muß, um sich durchzuschlagen, wie er Der Brief läßt an Deutlichkeit nichts zu wünschen sehen jeder Zeit, denn die, welche die genügende Kapital- oft mit halbleerem Magen und ein paar Pfennigen früh übrig, und an den Stellen, die durch Striche bezeichnet Traft" haben, befinden sich stets vortrefflich nur daß die fort muß und Abends zurückkommt, und wie ich an dessen sind, ist er vielleicht etwas zu deutlich. Der Herr Staats Zahl der verdienten" Hunderttausende und Millionen in Kleidung bürsten, umdrehen und wenden muß, das kennt sekretär v. Bötticher wird sich die Lücken wohl leicht aus­Zeiten der Krise" mitunter etwas geringer ist, als es der der Herr Staatssekretär gewiß aus seinen Studienjahren füllen können. Bourgeois- Bescheidenheit lieb. nicht. Solch ein junger Mensch wie unser Sohn, hat vor Und der Brief ist e ch t. Er tommt nicht blos aus Nun mit der Zukunft" wollen wir uns nicht be- solch einem hohen Herrn freilich schon einen Vorzug: er dem Bolf, er kommt aus dem Herzen des Volkes, aus schäftigen. Was aber die Gegenwart verlangt, so wollen kennt des Lebens Ernst, und würde auch in hoher Staats- und der Volksseele". wir den vornehmen Herren, die da nirgends außergewöhn- Lebensstellung nicht eine solche Aeußerung Und die Schreiberin ist mit den Ihrigen noch nicht lichen Nothstand, wohl aber überall aufteimende Prosperität thun, wie der Herr Staatssekretär. Wie die andren zwei auf die tiefste Stufe des Elends herabgedrückt. Es giebt sehen, einmal ein Bild aus der Gegenwart und der Wirt Kinder gehalten werden, das schneidet mir oft ins Herz, noch Hunderttausende in Deutschland , denen es schlimmer, lichkeit porführon. Mögen fie sil Ouverture - während der Arbeitszeit, das heißt während stügung, welche unser Soht zu Weihnacht bekam, gab er glauben nicht, daß der Herr Staatssekretär von der Arbeitszeit der Arbeitenden aus ihren wohlgeheizten die Hälfte, damit der Weihnachtsmann seine Schwestern Bötticher den sehr ernst gemeinten und sehr vernünftigen Zimmern oder Salons einen Blick auf die Straße hinaus nicht vergaß. Mein Mann, der sein Handwerk versteht, Vorschlag annehmen wird. Diese Art des persönlichen werfen und sich die frierenden fummervollen Gestalten an aber ein deutscher Michel ist, dachte in seinent ehrlichen Regiments ist nicht Mode geworden. Vier Wochen Pro­und Nothstand, nein Prosperität! sehen, die den Stempel der Arbeit auf der Stirn und an Sinn: die Bauunternehmer und Geldgeber sind auch letarierleben bitter. Und es ist ja auch den schwieligen Händen tragen, und die ausschauen nach ehrlich. Und so haben wir alles au solche Herren verloren, das wäre doch zu um die Wahrheit zu erfahren. irgend einen günftigen Zufall, der ihnen Arbeit verschaffe. und weil mein Mann nicht mit Winkelzügen, sondern ehrlich gar nicht nöthig, Diögen fie einmal nachdenken, wie es einem Manne zu war, so sagen diese Herren: er ist fein Geschäftsmann. Wenn die vornehmen Herren, die heute den Nothstand Muthe sein mag, der nicht weiß, woher das Wenn etwas Arbeit ist, so hat man erst immer zu zahlen. leugnen, weil für sie und in ihren Kreisen kein Nothstand Geld nehmen, um Frau und Kind an sich selbst Auch das wenige, was eine Frau verdient, muß mit zu besteht, nur einmal sich die Mühe geben wollten, unter das denkt ein Familienvater erst zuletzt mit der nöthigen gebüßt werden; Miethe ist jetzt ein Wort, vor dem man Bolf zu gehen", wie die Nihilisten sagen, oder zum Volke Nahrung zu versehen und das nöthige Heizmaterial zu zittert, weil oft keine Aussicht ist, wo diese hernehmen, und herabzusteigen", wie die Höflinge das nennen, dann würden schaffen, damit der Wolf Hunger und sein grimmer Gefährte, unsere Kost, es ist ein wahrer Hohn. Ob die Frau Staats- sie wohl eines anderen belehrt werden. Indeß auch das der granfame Frost, von dem Thor abgehalten werden. sekretär wohl auch mit 4 Pfd. Kaffee und für 10 Pf. wird nicht geschehen. Die Zeit der Harun Alraschide*) ist Und nach dieser Einleitung mögen die Herren nach Surrogat eine ganze Woche Kaffee focht für die ganze vorüber. Die Menschheit ist seitdem tausend Jahre älter stehenden Brief lesen, den wir aus vielen herausgesucht Familie, oder aus 2 Pfd. Fleisch zu 50 Pf. 4 Mahlzeiten geworden und hat gelernt. Die Menschheit lernt nämlich haben, weil er von einem Weibe aus dem Volt her focht? Und so könnte ich noch manches anführen, was den immer und vergißt nie; das Nichtslernen und Nichts­rührt: einer Gattin und Mutter, und weil er, wenn auch Herrn Staatssekretär verlocken würde, blos auf 4 Wochen vergessen überläßt sie der Zunft jener Auserwählten, die mehr an uns gerichtet, doch eigens für Herrn von Bötticher be- den oben erwähnten Tausch mit uns einzugehen. Dann würde der schwedische Reichskanzler Openstierna vor ftimmt ist. er gewiß nicht nöthig haben, die Noth zu suchen. als zweihundert Jahren in seinem berühmten Wort Das Sprichwort so schreibt das Weib aus dem Auch die Kleider und Wäsche gebe ich gern zur Durchsicht von der Summe des Verstandes, mit welchem die Welt Volke, eine Dresdenerin das Sprüchwort sagt, Frauen preis, ich sehe mit Sorge, wie alles zerreißt und unscheinbar regiert wird, nicht schmeichelhaft, aber wahrheitsmäßig sollen sich nicht um Politik kümmern, sondern ihren Beruf wird, und feine Aussicht, daß sie ersetzt werden kann. nur in ihrem Häuslichen suchen, aber da Frauen aus fast" Wir haben niemand in unsere Lage einblicken lassen,*) Des gleichzeitig mit Karl dem Großen lebenden Kalifen, allen Ständen jetzt mit ums Dasein ringen müssen, so denn nur nicht als Bedürftige oder als solche dastehen, der es liebte, in allerlei Verkleidungen sich unter das Volk zu ist es uns wohl erlaubt, auch in den Zeitungen zu verwelche sich an Vereine und dergl. wenden! Lieber darben, mischen.

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Feuilleton.

Nagbrua verboten.)

Haus Nuzingen.

Soziale Studie von H. de Balzac .

Deutsch von Curt Baake .

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Ja, unser sonst so wilder Freund ward nicht einmal eifersüchtig, als Desroches Malvinen eifrig den Hof machte. Er stellte sich verliebt, der rechtliche Anwalt: er hätte mit ihrer Mitgift, die er nicht unter fünfzigtausend Thaler schätzte, seine Advokatur gern schuldenfrei gemacht.

Zwar fühlte sich Malvine durch Ferdinand's Gleich giltigteit tief gedemüthigt, aber sie liebte ihn doch zu sehr, um ihm die Thür zu weisen. Bei diesem Mädchen, das ganz Seele, ganz Gefühl, ganz Leidenschaft war, wich bald der Stolz der Liebe, bald die Liebe dem Stolze.

beiden Liebhabern, einem Bankier und einem Advokaten anders. Allgemeine Regel: Heirathe nie als Sergeant, vorzustellen. wenn Du später Herzog von Danzig ) und Marschall von Sie möchten mir Ferdinand's wegen den Tert lesen, Frankreich werden kannst. Ihr wißt doch, wen Du Tillet sagte Malvine freimüthig, und gern wissen, welches Ge- schließlich geheirathet hat: eine Tochter des Grafen von heimniß zwischen uns besteht. Ihre Fragen sind vergeblich. Grandville aus einer der ältesten französischen Beamten­Nur so viel sage ich Ihnen: Weder Ferdinand's Herkunft, familien." noch seine Vergangenheit, noch fein Vermögen kommen hier­bei in Betracht; glauben Sie lieber, daß ein außergewöhn­licher Grund dazwischen liegt.

Desroches' Mutter," fuhr Bigiou fort, hatte eine Freundin, die Frau eines kleinen Kaufmanns, eines Dros guisten, der sich mit einem hübschen Vermögen von den Einige Tage später nahm aber Malvine doch noch Geschäften zurückgezogen hatte. Solche Droguisten haben einmal Beaudenord bei Seite und sagte zu ihm: Ich halte zuweilen recht ungereimte Einfälle: er wollte seiner Tochter Herrn Desroches für keinen Ehrenmann.( Was doch der eine gute Erziehung angedeihen lassen, da schickte er sie in Instinkt einer Verliebten thut!) Mich will er angeblich ein Pensionat!... Jest sab sich Matifat nach einer guten gern heirathen und dabei macht er einer Krämerstochter den Partie für sie um und hoffte auch kraft einer Mitgift von Hoj. Ich möchte gern bestimmt wissen, ob er mich blos zweimalhunderttausend Frants in gutem Gelde, das nicht für einen Nothnagel und die Heirath für eine Geld- nach Droguen roch, einen geeigneten Freier zu finden. frage hält.

Trotz seines Scharfsinns war Desroches aus Du Tillet nicht klug geworden und fürchtete beständig, daß jener ihm Malvine wegheirathen würde. Der Bursche hatte sich des Freund Du Tillet nahm ihre Liebe kalt und ruhig hin, halb einen Rückhalt gesichert. Seine Lage war unerträglich) und genoß sie mit dem stillen Behagen eines Tigers, der geworden; nach Abzug aller Kosten verdiente er kaum so das Blut leckt, das ihm den Rachen färbt. Immer neue viel, um die Zinsen seiner Schulden bezahlen zu können. Beweise ihrer Zuneigung wollte er haben und kam fast alle Die Frauen verstehen solche Situationen nicht. Bei ihnen zwei Tage nach dem Hause in der Rue Joubert. ist das Herz stets Millionär.

vinen geheirathet!" rief Finot. Worin bestand denn da das Geheimniß zwischen ihr und Ferdinand?"

Der Schuft besaß damals ein Vermögen von etwa Nun hat aber weder Desroches noch Du Tillet Mal­anderthalb Millionen Franks, er brauchte also eigentlich ihre Wlitgift gar nicht in Betracht zu ziehen. Und doch widerstand er nicht nur Malvinen, sondern auch Rastignac und Nuzingen, die ihren Scharfsinn täglich vergebens auf­boten, den Fuchs zu fangen.

Auch Godefroid konnte es nicht unterlassen, seiner zu fünftigen Schwägerin ihre lächerliche Stellung zwischen den

Das Geheimniß sollst Du erfahren," erwiderte Birion. Allgemeine Regel: Ein Mädchen, das einmal seinen Schuh verschenkt hat, wird, wenn es ihn auch zehn Jahre lang ver­weigert hätte, nie von dem geheirathet, welcher...

Unsinn!" fiel Blondet ein. Das Geheimniß lantet

Die Matifat's wohnten damals in der Rue du Cherches Midi, also in einem Viertel, das zu der Rue des Lombards, wo sie ihr Vermögen erworben hatten, am entgegengesetzten Ende von Paris lag.

Ich habe die Matifat's studirt!

im

Während meiner Galeerenzeit als Beamter Ministerium, wo ich acht Stunden täglich zu zweiunda zwanzigkarätigen Pinseln gesperrt war, habe ich Driginale kennen gelernt, die mich zu der Ueberzeugung brachten, daß der Schatten rauh ist und daß unter der größten Plattheit Engel stecken können. Ja, ja, liebe Jungen! Mancher Spießbürger verhält sich zu einent anderen, wie Raphael zu einem Pfuscher.

Die verwittwete Frau Desroches hatte schon seit langem *) Gemeint ist ein General Napoleons , Lefèvre.

Der Uebersetzer,