Einzelbild herunterladen
 

Die Verwirrung war eine allgemeine� Der Tod des Königs trat sofort ein, der Kronprinz lebte noch fünf Minuten. Die Leichen wurden auf die ärztliche Station des Marinearsenals gebracht. Hier stellten die Aerzte fest, das-, der König zwei Kugeln erhalten hatte, von denen eine die Wirbelsäule getroffen hatte. Beim Kronprinzen war die eine Kugel durch die rechte Wange in die Nase gegangen, während die andere, die das Brustbein getroffen hatte, die Lunge durchbohrt hatte. Inzwischen befanden sich die Königin und der leicht verwundete Infant Manuel, dem ein Verband angelegt wurde, in einem anderen Räume des Arsenals, wo sie erst den Tod des Königs und des Könia-Zprinzen erfuhren. Auch die Königin-Mutter Pia war dort eingetroffen. Die Ursache des Attentats. PariS. iZ. Februar. Das Ministerium de? Aeußern erhielt folgende Depesche vom heutigen Tage: Minister Franca halte gestern den König das Dekret unterzeichnen lasten, durch welches neue Straibestimmungen angeordnet lverden und die Exekutivgewalt mit der Anwendung derselben betraut wurde. Diese Matznahmen seien c-Z vielleicht, welche die Revolutionäre zum äußersten gereizt und zur Ausführung des Attentats veranlatzt haben. Verhaftungen. Lissabon , 3. Februar. In Lissabon wurden die unabhängigen Zeitungen unterdrückt. Es herrscht Panik, zahlreiche Familie» ver- lassen die Stadt. Mehrere Hundert Verhaftungen wurden voi- genommen. Die Berichte über die Attentäter lauten widersprechend. Einer der Königsmörder ist Portugiese, hcitzt Manuel Bucia: er ist M Jahre alt, war früher Sergeant im 7. Kavallerieregiment, dann Schullehrer in VinhacS und seit acht Jahren Schullehrer in Lissabon . Die beiden anderen sollen ebenfalls Portugiesen und HandlungS- gehülfcn sein. Ein englisches Geschwader in Lissabon . Bigo, I. Februar. DaS englische atlantische Geschwader wird ljeute nach Portugal in See gehen, um die Eutwickelung der Er- eignisse zu beobachten. Doch war die Entsendung bereits bor den blutigen Ereignissen in Lissabon festgesetzt. Eine Beileidöknndgebungen. Budapest , S. Februar. Eine vom Präsidium des ungari- s che n Abgeordnetenhauses geplante T rauerkuudgebuug rmlätzlich der Ereignisse in Portugal mutzte infolge Betreibens mehrerer Mitglieder der Knssuth-Parlei im letzten Augenblick unter- bleiben. Bor Beginn der Sitzung erschien eine Deputation von Abgeordneten bei dem Vizepräsidenten, dem sie erklärte, daß sie einen eventuell beabsichtigten Nachruf für den portugiesischen König und den Kronprinzen oder eine Beileidskundgebung nicht ohne Widerspruch lassen könnte, da der König von Portugal ver- fassungswidrig regiert und sogar die Verfassung f« s« p e n d i e r t habe. Um etwaige peinliche Zwischenfälle zu vermeiden, unterblieb sodann die BeileidSkundgebung. Paris , 8. Februar. In der heutigen Kammersitzung gab die Erklärung über die Lisiaboner Tragödie Anlatz zu einem Zwischenfall. Der Minister des Auswärtigen Pichon hatte zu einer Beileidskundgebung das Wort ergriffen, als plötzlich der so z i a- l i st i s ch e Abgeordnete S e m b a t den Minister mit den Worten unterbrach, das Attentat ist durch die Diktatur veranlatzt. Diese Worte ernteten zunächst den Beifall der äutzersten Linken, riefen aber auf den übrigen Bänke» scharfe Mitzbilligung hervor. Der Minister des Auswärligen Pichon fuhr fort, indem er erklärte, es sei notwendig, datz die Kammer darin übereinstimme, daS Lissaboner Attentat zu verdammen. Hierauf verlangte Sembat das Wort, was ihm von den, Kammerpräsidenten abgeschlagen wurde. Der Präsident erklärte sehr erregt, eS sei unzulässig«n Verbrechen zu verherrlichen. Die Kammer applaudierte stürmisch, während ein Sozialist ruft: es war nur ein Berussunfall. DaS verhalten der Sozialisten wird in den Wandelgängen der Kammer sehr lebhaft diskutiert. Live frelstlwlgt Vahlmhttaiition. Die freisinnigen Bkockbrüder hätten keinen Mut und keine Energie? Schnöde Verleumdung I Am Sonntagmittag haben sie bei Buggen- Hägen am Moritzplatz einen leuchtenden Beweis freisinnigen Helden- muteS geliefert. Tie waren ganz unter sich; nur wer sich durch eine besondere Eintrittskarte als waschecht freisinnig legitimieren konnte, wurde der Teilnahme an dieser WahlrechtSdemonftration gewürdigt. Und in dieser erlauchten Gemeinschaft vollzog sich daS Wunderbare: ein junger Mann erlaubte sich den Zwischenrufkonservativ-liberale Paarung 1�, und das leichtsinnigerwcise gerade in dem Augenblicke, als Herr Eaffel in seinem öligen Börsenjargon und mit den tristigen Gründen eines gewiegten Advokaten die innere Unmöglichkeit eines Zusammengehens zwischen Freisinn und Sozialdemokraten heraus- kalkulierte. Hei, wie da der Zwischenruf die freisinnige Volksseele zum Ueberkochen brachte I Wie ein Mann erhob sich die Versammlung und unterstützte durch wüstes Gebrüll die tatkräftige Wahl- rechtSaktion eines Herrn Schöler und einiger Helfershelfer, die mit ganz unleugbarem HauSknechtSgeschick den frechen Zwlschenrufer zum Tempel hinauslvarfen. Nicht einmal soviel Zeit ließ man dem unbotinätzigen Störenfried der freisinnigen Morgenandacht, datz er Mantel und Hut mitnehmen konnte. Hinaus mit jedem m die winterliche Kälte, der an der Güte der im Treib- hause der Blockbrüderschast gezüchteten Früchte freisinniger Re- gierungsbuhlschaft freventlich Zweifel zu erheben wagtl Umsomehr Recht hatten die freisinnigen WahlrechtSkämpfer, die Bullenkalb, Schimmlig, Schwächlich, Warze, Schatte und Konsorten, zu diesem elementaren Ausbruch ihrer männlichen Empörung, als vor Cassel schon Fischbeck man denke I und Kopsch man staune! und sogar der kühne Herr Müller, der aus Meiningen , geredet hatten, so datz für einen freisinnigen Mann doch gar kein Zweifel mehr an der Unfehlbarkeit der freisinnigen Blockparlamen- tarier bestehen konnte. Zu allem Ueberfluh hatte Herr Cassel noch ausdrücklich seine höchste Verwunderung darüber ausgesprochen, datz nach den Ausführungen des freisinnigen Rektors überbaupt noch je- mand den schülerhaften Trotz einer abweichenden Meinung in der Frage der WahlrechtStaktik haben könne. Und trotzdem der leicht- fertige Zwischenruf I Allerdings wie allen liberalen Räuschen folgte auch dieser be- geisternden Tat deS HinauSwurfS der Katzeujamme auf dem Futze. Schon beim Hinausgehen sagte ein FreisinnSmann zu einem anderen:Dumme Geschichte mit dem Kerl dal Wie uns das wieder schaden wird l" Datz die Freifinnigen doch niemals den Mut haben, sich laut und freudig zu ihren Heldentaten zu bekennen! So gings auch mit der Versammlung im übrigen. Es verlohnt sich nicht, über die schamhaft unter AuSichlutz der Oeffentlichleit und unter AuSschlutz der fteien Diskussion gehaltenen Reden der pro- minenten freisinnigen Blockstrategen eine Zeile zu berichten. Einer der Helden berief sich auf die Autorität des anderen, Kopsch zitierte Fischbcck, Cassel berief sich auf Kopsch, Müller auf Fischbeck ui:d Kopsch was wunder, datz da Einmütigkeit herrschte und jeder Versuch einer freien Diskussion im zarten Keime erstickt wurde I Ein blauer Faden von rot darf man bei der Notscheu der Freisinnigen selbst in diesem Zusammenhange nicht reden- lief durch daS ganze block- Uberale Geseire: man wagte nicht ein offenes, unzweideutiges Be­kenntnis zum Block und seinem Hohenpriester Bülow, man erlaubte sich sogar gelegentlich eine schüchterne Despekticrlick>keit gegen beide; aber nachdem man mit diesem Sand die Augen der liberalen Wähler genügend geblendet zu haben glaubte, umklammerte man um so be- gieriger und krampfhafter den einen Finger, den die Blllow- rcgierung der freisinnigen Falstaffgarde in vorübergehender Herab- lassung hinhält. Herrn Fischbeck kann der ganze Block gestohlen bleiben und Herr Bülow ist ihm ganz gleichgültig, wenn den Freisinnigen zugemutet würde, ihre Wablrechtsforderung aufzugeben. Die freisinnigen Wähler bei Buggenhagen jubelten über diese trotzige Heraus- forderung. Ja, wenn es nur eine wäre! Als ob Bülow etwas dagegen hätte, datz die Freisinnigen diese Forderung aufstellen! Das mögen sie immer tun, solange sie eS bei der Bescheidenheit und Gleichgültigkeit einer liberalen Forderung belassen, im übrigen aber gehorsam die wahlrechtSfeindliche Blockpolitik mitmachen. Datz sie das aber wollen, das haben sie alle, einer wie der andere, nachdrücklich be- tont. Herr Fischbeck will nicht so ein lächerlicher Politiker, so ein wildgewordener Stier" sein, der überall Opposition macht, nur weil die Regierung in der Wahlrechtsfrage kein Entgegenkommen zeige; Herr Kopsch will nicht rütteln am Wahlrecht, weil es doch nickt hilft; nach Müller- Meiningen wären die Freisinnigen Schafs- köpfe, wenn sie die jetzige günstige Situation nicht benützten; und Herr Cassel will ebenfalls mitnehmen, waS die Verhält­nisse gestatten. Und solchen pfisfigen Bundesbrüdem sollte Bülow nicht mit zwinkernden Augen gestatten, datz sie vor der Oeffentlichleit gelegentlich ein wenig nach Lölvenart brüllen und ihm die grimmigen Tatzen zeigen? Und noch eine zweite Einmütigkeit, die die Redner beherrschte, gab der freisinnigen Matinee ein wirkungsvolles Gepräge. Jedes- mal dann gerieten sie in Feuer, und jedesmal dann griffen sie mit besonderem Schwung in die Saiten ihrer reichsverbändlerisch ab- gestimmten Beredsamkeit, wenn sie auf die Sozialdemokratie, auf die einzige wirkliche und ernsthafte Bekämpferin der Dreiklassenschmach zu sprechen kamen. Und diese nie versagende Möglichkeit, den stürmischen Beifall des HauscS zu wecken, ließ sich keiner der Redner entgehen. Wie geile Kater im Baldrian so wälzten sich die weit- blickenden, erlauchten Führer desfreisinnigen Bürgertums" in den geistvollen Gemeinplätzen undjottvollen" Witzen, mit denen der deutsche Liberalismus von Eugen Richters Gnaden feit Jahrzehnten die Sozialdemokratie vernichtet. Herr Kopsch verhedderte sich bei diesem Bemühen derart in die unvorhergesehenen Schwierigkeiten eines altlestamentarischen Bildes, datz die Bersammlung ordentlich erleichtert aufatmete, als er sich schließlich doch noch mit heilen Gliedern auf dieZwingburg" des DreiklassenivahlrechtS gerettet hatte. DieseZwingburg" wollen die Steifleinenen des Freisinns erobern! Indem sie den Beherrschern dieser Zwingburg die Steigbügel halten, ihren wirklichen Bekämpfern aber Stinktöpfe in de» Weg werfen! Hinweg mit diesem feilen, gleisnerischen Pack, auf datz das arbeilende Volk den offenen Wahlrechtsfeinden Aug' in Auge die Schlacht bieten kann! Von dem so echt freisinnig hinausbeförderten Zwischenrufer erhalten wir folgende Zuschrift: AlS Herr Cassel scharfe Scheidungslinien zwischen Sozialdemo- kratie und Liberalismus zog. erlaubte ich mir den ganz parla- mentarischen Zwischenruf:Konservativ und liberal!" Nun war'S um mich geschehen. Man forderte mich auf, den Saal zu verlassen. Ich schickte mich denn auch an, hinauszugehen. Aber ehe ich dazu kam, hatte mich bereits eine HauSlnechtSgestalt umfaßt und hinaus- getragen. Wie konnte ich eS auch wagen, den Freisinn an seine Handlangerdienste für die Reaktion zu eriimern. Natürlich haben die bravenLiberalen " dafür gesorgt, datz mir draußen die Polizei Spalier bildete. Im Saale selbst fehlte sie natürlich. Doch ich ging nicht allein. Etiva fünfzehn liberale Männer verließen, durch diesdemokratische" Be« baren angewidert, mit mir zusammen den Saal. Von diesen Leuten erfuhr ich auch, datz die HauLtnechlsgestalt, die mich hinaustrug, der .Schriftstellcr' Schöler aus Charlottenburg gewesen sei. Wie diese Art, sich unbequemer Gegner zu entledigen, der freisinnigen Volkspartei nur Schaden bringt, erfuhr ich durch die Aeutzrrung eines Hirsch-Dunckerschen Arbeiters, der mit mir hinaus- gegangen war. Er meinte:DaS ist ja schrecklich I Solch eine Ver- gewaltigung gegnerischer Meinungen. Und dabei tut man nichts für die Gleichberechtigung der Arbeiter und redet höchstens vom Mittelstand. Ich pfeife jetzt auf die Freisinnige VollSpartei!' Und daS war ei» Mitglied der Volkspartei. Während drinnen im Saale noch eine halbe Stunde ge w i e m e r t wird, trete ich den Heimweg an. Er führt mich am Waldeck-Denkmal vorüber. Am Standbitd desselben Mannes, der, als man den vereinigten Landtag auSein- anderjagen wollte, ihn gegen die Schergen der Reaktion mit seinem Leibe scbützte. Man braucht wahrlich nicht die alten Fortschrittsleute zu verhimmeln, aber das darf man wohl sagen: solche Epigonen haben sie nicht verdient I"_ Zwei lliann über Bord! Me bereits telegraphisch gemeldet, hat das Marine- kriegsgericht in Kiel am Freitag wieder einmal ein Urteil gefällt, bei dem jedem menschlich Empfindenden, einerlei welcher politischen Parteirichtung er angehört, das Blut in den Adern erstarren mutz. Wegen einiger, in der Bierlaune ver- übter Unbesonnenheiten, die von einem zivilen Gericht mit ein paar Mark Geldstrafe geWitz für hinreichendgesühnt" erachtet worden wären, haben die Richter in Uniform über zwei Matrosen die qualifizierte Todesstrafe verhängt. In der Tat. viel schlimmeres als den Tod durch das Blei oder das Beil langsames, aber unabwendbares Siechtum und die sichere geistige und moralische Vernichtung bedeuten diese mehr als fünf Jahre Zuchthaus, durch die,� mit einem Prankenschlag des modernen MolochS, zwei junge Menschen aus den Reihen der Lebendigen getilgt werden. Um auch jeden Schein der Parteilichkeit zu vermeiden und allen Einwendungen dieser Art von vornherein die Spitze abzubrechen, geben wir den Bericht über die Verhandlung nicht nach der Darstellung unseres Kieler Parteiblattes wieder, sondern wir drucken wörtlich den Verhandlungsbericht der Kieler Neuesten Nachrichten" ab, eines Blattes, das nicht nurgut bürgerlich" bis auf die Knochen und staatserhaltend" in jeder Zeile, das vielmehr in Marine- fachen mit dem Flottcnverein durch dick und dünn geht, häufig zu offiziösen Mitteilungen des Marineamts benutzt wird und seine Begeisterung fürunsere herrliche Kriegsflotte" schon durch die Architektur seines Geschäftshauses, dessen Dach der ragende Gefechtsmast eines Panzerschiffes krönt, weithin proklamiert. DieKieler Neueste Nachrichten" veröffentlichen in ihrer SonntagSnummer folgenden Gerichtsbericht: In der Nacht zum 1k. November besuchten die Heizer W.. Je., St. und Jo. und der Maschinistenanwärter B. von S. M. S. yorck" ein Cafe in der Wik . Als der Heizer I c. zum Austreten ning, rempelte er einen im Hinterzimmcr sitzenden Torpedo- bootSmannsmaatcn an. Der Maat stellte ihn zur Rede, ließ ihn aber scklkßlich laufen, obwobl Je. recht unangenehm wurde. Je. tuschelte dann mit seinen Kameraden, so datz es so aus, ah, als ob sie sich berabredeken, den Maaten zu ärgern. Nach einiger Zeit traten St. und Jo. aus und gingen so dicht wie möglich an dem Vorgesetzten ent- lang. St. warf dabei einen Kasten mit Eseupflanzen um. Der Maat befahl ihm, den Kasten wieder aufzurichten. St. ent- gcgnete, im Lokal habe der Maat ihm überhaupt nichts zu sagen. In die nun folgende Auseinandersetzung mischte sich W. mit den auf den Maaten bezüglichen Worten:Was will der?" Der Torpcdobootsmannsmaat fragte W. verschiedentlich ohne Er- folg, was er wolle und wie er heiße und faßte ihn schließ- lich an dem Acrmel. Sosort fand W. die Sprache wieder und rief, indem er eine drohende Haltung einnahm:Nicht anfassen, sonst...!" Ter Maat stich ihn zurück. Der Wirt forderte nun die Heizer vier- oder fünfmal auf, sein Lokal zu verlassen, doch niemand rührte sich. Da W. und der gleich- falls hinzugekommene Je. ihre Namen nicht nennen woll.cn, nahm der Vorgesetzte ihnen die Mützen weg. W. machte sich von hinten an den Vorgesetzren heran und ent- ritz ihm die Mützen, die dabei auf die Erde fielen. In demselben Augenblick, als ider Maat sich nach den Mützen bückte, fielen W., Je. und ein. Dritter, wahrscheinlich St., über ihn her und schlugen ihn. Ter Maat wehrte sich nach Kräften, woraus der dritte Angreifer einen Augenblick verschwand. Plötzlich hob St. einen Stuhl zum Schlage hoch und zertrümmerte dabei den Kronleuchter. Als er den Stuhl zum zweitenmal hoch- hob, trat ein Militärinvalide ihm entgegen und fing den Schlag auf. Mit Hülfe dieses Mannes, des Wirtes und eines anderen Gastes wurden die Heizer hinausgeworfen. Gleich darauf kam von außen her ein halbes BicrglaS durch die Tür- verglasung geflogen. Bei der Verfolgung der gefährlichen Burschen gelang es, St. zu ergreifen. Der angegriffene Boots mannsmaat meldete den Vorfall nicht und bekundete vor Gericht weniger als die anderen Zeugen. Er wurde nicht vereidigt. Bezüglich W. und Je. war der militärische Aufruhr(das bewußte und gewollte Zusammen- wirken bei einem Angriff auf einen Vorgesetzten) erwiesen. Bei St. war nach Ansicht des Gerichts die Teilnahme an dem Aufruhr zweifelhaft... Der Bericht des freiwillig marineoffiziösen Organs gibt unverkennbar den für die Marinejustiz günstig- st e n Tatsachenbestand wieder. Es werden ausschließlich die die Verurteilten belastenden Momente der Beweiserhebung, im Sinne der Anklage, zusammengetragen: die Verurteilten selber und ihre Verteidiger kommen überhaupt nicht zum Wort. Evident geht trotzdem auS dieser Darstellung deS Marineblattcs hervor, daß es sich um eine Wi r t s h a u s- s z c n e handelt, wie sie in vorgerückter nächtlicher Stunde, zumal in einer Gegend, die, wie die Kieler Vorstadt Wik, die Marine als ihre Domäne betrachtet, der l a n d c s ü b- liche Abschluß alkoholischer Exzesse zu sein pflegt. Die schlimmste Episode, der Angriff mit dem er- hobcnen Stuhl, die Zertrümmerung des Kronleuchters, kommt dazu noch nicht einmal einem der zuZuchthausVeruteilten aufs Konto! Bei der Schlägerei wurden Waffen oder gefährliche Werkzeuge nicht benutzt, der angefallene Maat ist nicht im gc- ringsten verletzt worden, wie denn überhaupt der absolut un- gefährliche Zustand der Angreifer am drastischsten daraus er- hellt, daß der Maat sich ihrer aller drei zu envehren wußte. Weiter ergibt die Tarstellung, daß sich die Leute offenbar dadurch gereizt gefühlt haben, daß der Maat ihnen die Mützen wegnahm. Wäre der Vorgesetzte� den Angetrunkenen aus dem Wege gegangen und hätte er, wie eS für einen besonnenen, die Situation beherrschenden Menschen doch das einzig Ver- nünftige gewesen, den Schauplatz verlassen, so wäre der ganze Auftritt vermieden worden. Wie wenig tragisch aber auch so noch der an der Kneiperei Hauptleidtragende die Sache auf­faßte, geht daraus hervor, daß er noch nicht einmal der Mühe für wert hielt, den Vorfall zur An- zeige zu bringen I Der wesentliche Gesichtspunkt aber, unter dem der ganze Tatbestand beurteilt werden mutz, ist folgender: Notori- scher maßen ist bei der Marine daS diszipli- narische Verhältnis zwischen Mannschaften und Unteroffizieren viel lockerer als beim Landhecr. Das intime Zusammenleben an Bord bringt es naturgemäß mit sich, daß die Matrosen im Maaten weniger ihren Vorgesetzten als ihren Kameraden erblicken, wir sie denn meistens auch auf dem Duzfuße mit ihm stehen. Das trifft noch im erhöhten Maße auf daS Maschinen- personal zu, dessen Angehörige sich überhaupt kaum als Militär fühlen. Wie kann man nun verlangen, daß ein Dis- ziplinverhältnis. das an Bord und im Dienst den Bc- tciligten. weder den Vorgesetzten noch den Untergebenen, kaum zum Bewußtsein kommt, außerhalb des Dien st es. an Lattd, dazu noch unter dem Einfluß des spezifischen Gehirn- gistes, des Alkohols, nun plötzlich so streng respektiert werde:: soll, daß seine geringste Verletzung die furchtbarste Ahndung nach sich zieht! Das ist eine unsinnige Forderung, und die Marinebehörden haben so lange nicht das Recht, sie zu er- beben, als sie den Unteroffizieren nickt auf das strengste ver- bieten, Lokale zu besuchen, in denen Matrosen verkehren. So lange ein solches Verbot nicht existiert, werden Szenen, wie die geschilderte, geradezu provoziert, und tatsächlich ist denn auch die überwiegende Mehrzahl der Fälle solcher drakonischen Militärjustiz, bei denen sich jedem vernünftig denkenden Menschen die Haare sträuben, auf Zusammenstöße von Ma- trosen und Maaten nach vorangegangener Knei- perei in demselben Lokal zurückzuführen. Will die Marinebehörde also unter allen Umständen die peinlichste Dis- ziplin hochgehalten wissen, so soll sie zunächst einmal jedem Anlaß, wo' sie verletzt werden kann, vorbeugen...... Aber auch noch nicht einmal vom formal-jurlstlscheu Standpunkt deS Militärstrafgesetzes ist das furchtbare Urteil auch nur im entferntesten zu rechtfertigen. Das Tatbestands- merkmal deS militärischen Aufruhrs ist die V e r a b r e d u n g. Das planmäßig vorbereitete, auf einen mehr oder minder langen Zeitraum im voraus festgelegte Komplott soll getroffen werden. Es ist offenbar eine reine Karikatur dieses Tatbestandsmerkmals, mit der man sich begnügt, wenn, wie im Bericht des Marineblattes heißt. daST u s ch e I n". welchesso aussah"(!), als ob sie sich verabredeten, den Maaten zu ärgern(!)". zur Konstruierung solcher kom- plottmäßigen Verabredung verwendet wird! poUtifebe öcber fleht. Lerlin. den 8. Februar 1908. Stehendes Heer oder Miliz? Aus dem Reichstage. In der heutigen Debatte über den Militärctat fehlte bedauerlicherweise der Kriegs- minister v. E i n e m, der sich entschuldigen ließ, weil er auS Gesundheitsrücksichten plötzlich nach dem Süden abfahren mußte. Sein Gegner auö dem Duell wegen der Stamnigüst- der Potsdamer Adlervilla thronte dagegen hoch auf dem Vize- präsidentcnsitz. Ohne Herrn v. Einem war'S aber, als ob WallensteinS Lager ohne den Wachtmeister aufgeführt wurde. Es fehlte bei den anderen Herren im bunten Rock doch mi