Nr. 40. 25. Jahrgang. 1. KeillM te Jorairts" Jittliiift Solliölilatt. Sonntag. 16. Feliruar 1908. Reichstag 102. Sitzung. Sonnabend, den IS, Februar, vormittags 11 Uhr. Am Bundesratstisch: Kraetke. Die zweite Beratung des Etats der Reichspost- und Telegraphen- Verwaltung wird'beim Titel:„Gehalt des Staatssekretärs, 44 000 Mark", fortgesetzt. Dazu liegen vor: 1. Die Resolution der Budgetkommission betr. Schliessung der Paketannahme um 6 Uhr an den Tagen vor den Sonn- und Feier- tagen. 2. Der Antrag v. Damm(Wirtsch. Vg.) und Genossen be- nesfs Herabsetzung des Portos im Orts- und Nachbarverkehr. 3. Der Antrag v. G a m p(Rp.) und Genossen auf Einsetzung von Ostmarkenzulagen in den Etat. Abg. Lattmann(Wirtsch. Vg.): Wir geben dem Staatssekretär darin Recht, daß ein Beamter niemals Sozialdemokrat sein darf. Wenn die Sozialdemokratie aber eine unwürdige Kriecherei darin erblickt, datz eine Beamtcnversammlung ein Telegramm an den Staatssekretär schickt, so ist das ein Faustschlag ins Gesicht der Beamten. Aber das Vertrauen der Beamten zu dem Staats- sekretär muh durch seine Behandlung der Audienzfrage stark sinken, der Staatssekretär scheint über die Mitzstimmung in den Kreisen der Be- amten nicht gut unterrichtet zu sein.— Wenn auch der Termin nicht genannt werden kann, wann die Beamtenbesoldungsvorlage uns zugehen wird, so sollkb doch wenigstens zugesichert werden, dass sie noch in dieser Tagung kommen wird. Rodner tritt des weiteren für grössere Sicherung des Lebens der Postbeamten ein, die die B a h n p o st begleiten.— Der Resolution auf Ermässigung des OrtsportoS stinrmen wir zu. Seit der Erhöhung des Ortsportos haben sich wieder eine grosse Reihe von Privatbeförderungsanstalten gebildet, wodurch enorme Summen der Post entgehen. Der langgehegte Wunsch nach Einführung des Einkilopakets sollte nicht so lange auf Erfüllung harren wie die Einführung einer deutschen Ein- heitsmarke. Ueber die noch ungeborene Telephonverteuerung will ich keine halbe Stunde reden. Jedenfalls erwarten wir. dass sich die Postverwaltung bei der Telephonreform vor allem nach den Interessen des tätigen Mittelstandes richtet. Abg. Kulerski(Pole): Ter Resolution der Budgetkommission über den früheren Schalterschluss für Pakete an den Vorabenden vor Sonn- und Feiertagen stimmen wir zu, ja wir wünschen im Interesse der Sonntagsruhe der Beamten, dass in noch ausge- dehnterem Masse ein früherer Schalterschluss eintritt. Auch sollte der erste Weihnachtsfeiertag und der Neujahrstag den Post- beamtcn freigegeben werden; dem Publikum kann es gleich sein, wenn die Neujahrsgratulationen auch erst am 2. Januar bestellt werden. Gegen den Antrag auf Ost markenzulage, seien sie widerruflich oder unwiderruflich, werden wir uns energisch st r ä u b e n, denn sie bildet eine PrämieaufGesinnungs- untüchtigkeit.(Sehr richtig! bei den Polen .) Die haka- tistische Seuche hat schon genug Verwüstungen angerichtet, sie hat die Kluft zwischen Schule und Haus geschaffen, die zu dem Schulstreik geführt hat, sie zieht Gesinnungslosigkeit und Charakterlosigkeit gross; die Ostmarkenzulage drückt das ethische Niveau derer herab, die mit ihr bedacht werden.(Lebhafte Ruftim- mung bei den Polen und den Sozialdemokraten.)— Ich wende mich nun zu unserer Affäre Schellenberg, die noch viel schlimmer liegt, als der Fall des wirklichen Dr. Schellenberg; es ist nämlich ein Briefbote entlassen worden, weil er für einen polnischen Kandidaten bei der Reichstagswahl gestimmt hat. Ich hoffe nicht, dass mir vom Regierungstisch geantwortet werden wird, dem Mamie sei Recht geschehen, denn er habe reichsfeindlich gehandelt. Das würden leere Phrasen sein. In einem Dorfe des Kreises Flatow waren zwei polnische Stimmzettel abgegeben. Man hatte den Briefträger im Verdacht, den einen abgegeben zu Haben. Er b« st r i t t dies anfänglich, aber man machte es möglich, ihm den Eid darüber zuzuschieben(HörtI hörtl bei den Rleines Feuilleton. Hat Wagner gesiegt? Unter den lärmenden Jubelchören, die bei der Wiederkehr von Wagners 2ö. Todestage, angestimmt wurden, kamen die Stimmen der Fragenden und Zweifelnden kaum zu Gehör. Aber doch ist von einsichtigen Musikern, die sich von dem Geschäfts- und Modclärm nicht täuschen liesse» und aus eigener Erfahrung wissen, wie herzlich wenig von Wagners weitausschauenden Plänen ver- wirklicht ist. festgestellt worden, was nicht geworden ist. Felix Weingartner , der Direktor der Wiener Hofoper, der durch seine Tätigkeit als Schaffender und als Dirigent sich in Musitsragen zweifellos kompetent erwiesen hat, schreibt in der„Wiener Freien Presse":„Wagners Musik ist in der ganzen Welt heimisch geworden. Die grosse Idee der Bühnenreform aber, bie er in Tat, Werk und Schrift zu verwirklichen suchte, ist unverstanden geblieben.... W>r müssen uns damit abfinden, dass Wagner heute wohl der beliebteste Bühnenkomponist ist. dass aber die künstlerische Kultur des Theaters, die herbeizuführen sein Lebenswerk sein sollte, nicht in die Erscheinung getreten ist." Weingartner gibt weiter offen zu, dass die künstlerische Grund- läge der Theater durch die Einverleibung der Wagnerschen Werke nicht gehoben, dass der ihnen entsprechende Stil der Wiedergabe nur in Ausnahmefällen zutage tritt, dass Bayreuth seit des Meisters Tode nichts Selbständiges von Wert geschaffen hat. Auch auf den Musik- betrieb und das Musikempfinden hat Wagner keineswegs hebend eingewirkt. Es ist vielmehr„eine bedauerliche Einseitigkeit und eine Verflachung des künstlerischen Empfindens im Theater" eingetreten. „Werke, die Grazie, harmonische Proporsion, feinen Humor be- sitzen, stehen in der allgemeinen Gunst abseits. Ich erinnere an die„Widerspänstige", den„Barbier von Bagdad ", den „Fallstaff". Die feine Spieloper ist durch eine frivole Abart der Operette, die Tragik durch bluttünstigen Verls- mus verdrängt. Selbst Mozart hat unter Teilnahmslosigkeit zu leiden und Gluck ist in deutschen Landen so gut wie ver- schollen. Schmerzlich aber ist es, sich gestehen zu müssen, dass die absteigende Linie des guten Geschmacks beim Theaterpublikum zum nicht geringen Teil mit Wagner zusammenhängt, mit ihm, der die Bühne idealiiieren wollte." Weingartner geht entschieden zu weit, die Schuld an diesen un- bestteitbaren Missständen Wagners Einfluss allein zuzuschreiben. Die Ursachen liegen ttefer, sie hängen mit der Psychologie der bürgerlichen Schichten zusammen, die unseren Kunstbettieb beherrschen. Volk und Kunst in lebendigen Zusammenhang zu bringen, hätte in der heuttgen Gesellschaft auch em noch so ideales Bayreuth nicht vermocht. Wie viel weniger aber das wirkliche Bayreuth , das eine Station der Genuhparasiten geworden ist, und der kapitalistische Theaterbetrieb, der Wagner ein Geschäft ist wie Sherlock Holmes . Theater. Friedrich Wilhelm st äd Li schcS Schauspiel- haus. M e i st e r I o s e f, Schauspiel von Eberhard Künig. (Die Buchausgabe erschien im Verlage von Egon Fleische! u. Co., Berlin .) In dem Programmheft des Theaterabends erläutert ein kleiner, gewiss von dem Verfasser selbst geschriebener Aufsatz die Absichten, die in dem Drama ihren Ausdruck finden sollten. Die Dichtung führe durch„die Niederungen menschlicher Verwahr- losung", um dann„der Wunder grösstes", die moralische Er- Hebung einer inmitten der allgemeinen Verderbnis selbst von Schuld umstrickten Seele darzustellen. Eine im neuen Pitaval Polen), und als er es nun unter seinem Eide zugab, wurde er entlassen. Ueberhaupt macht sich das Be- streben geltend, polnische Beamte, polnische Brief- träger aus den polnischen Landesteilen zu ent- fernen, sehr zum Schaden der Briefbestellungen, da die deutschen Beamten die Eigentümlichkeiten der polnischen Namen nicht kennen. — Im Interesse des Verkehrs wünschen wir eine Herabsetzung des Portos im Orts- und Nachbarvcrkehr und werden daher dem An- trage v. Damm zustimmen.(Bravol bei den Polen .) Abg. Werner(Ant.): Bei der Frag« der Ostmarkenzulage stehen wir auf dem entgegengesetzten Standpunkt als der Vorredner; sie gebührt den Postbeamten so gut, wie den preussischen Beamten. — Wenn die Beamten sich an den Reichstag wenden, so liegt darin keineswegs ein Mitztrauen gegen den Staatssekretär; denn der Reichstag hat ja bei der Besoldungsvorlage ebenfalls mitzuwirken. Wünschenswert ist, dass auch für die höheren Beamten etwas ge- schieht. Staatssekretär Kraetke stellt gegenüber einer Bemerkung der Vorredner fest, dass auch die Landbriefträger in gehobene Stellen kommen können, sie müssen nur vorher durch die schwierigeren städtischen Stellen hindurchgehen. Dass die gehobenen Unter- beamtenstellen erst durch den Reichstag geschaffen sind, ist nicht richtig; diese Stellen entsprangen der Initiative der Verwaltung.— Für die Bahnpostbeamten tue ich mein möglichstes. Die Fälle, wo der Postwagen im Schnellzug zugleich als Schutzwagen dient. sind zurückgegangen und werden hoffentlich immer weiter zurück- gehen.— Der Fall, den Herr Kulerski anführte, liegt doch etwas anders. Es ist nicht seitens der Po st Verwaltung ge- forscht worden nach der Stimmabgabe des Landbriefträgers. Es wurde vielmehr in einem Prozesse des Lehrers an jenem Orte gegen ein Blatt, das behauptet hatte, der Lehrer habe polnisch gestimmt, durch das eigene Zeugnis des Landbriefträgers festgestellt, dass er selbst es gewesen sei, der für den polnischen Kandidaten gestimmt hatte. Der Briefträger hat dann das Un- ehrenhafte seiner Handlungsweise selbst zugegeben und mit Rück- ficht auf sein hohes Alter— er ist 61 Jahre— unter Vorlegung eines ärztlichen Attestes um seine Pensionierung gebeten, die auch erfolgt ist. Abg. Dr. Struve(frs. Vg.): Die fortgeschrittenste Postver- waltung in Deutschland hat Württemberg . Wenn auch dort kein uniformierter Beamter am Schalter ist, so wird das Publikum doch besser bedient, als in Preussen. Eingehend beschäftigt sich der Redner dann mit den Wünschen der verschiedenen Beamtenkate- gorien. Manche wünschenswerten sozialen Verbesserungen würden sich auch ohne erhebliche Kosten durchführen lassen, jedenfalls tollten die Dienststunden wöchentlich nicht über 60 hinaufgehen. Wie sehr man den Stand der Postunterbeamten missachtet, zeigt ein Fall in Oldenburg , wo man ein junges Mädchen lediglich deswegen von der Beschäftigung im Fernsprechdienst zurückgewiesen hat, weil ihr Vater Postunterbeamter sei.(Hört! hört! links) Der Regierungspräsident von Hildesheim hat den Lehrern ver- boten, an die Po st Unterbeamten Fortbildungs- Unterricht zu erteilen.(Hört! hört! links.)— Zum Schluss möckte ich die Postverwaltung bitten, mit dem System der Po st Vertrauensärzte zu brechen. Die Neigung der Aerzte, mit der Postverwaltung in wirtschaftliche Beziehungen zu treten, wird nach der Erklärung des Staatssekretärs zum Falle Schellen- berg keine grosse sein.(Sehr richtig! bei den Freifinnigen.) Denn die Postverwaltung verlangt ja von den Vertrauensärzten geradezu das Unterzeichnen eines Reverses über ihre Abstimmung bei der Reichstagswahl. Wir verurteilen das Vorgehen der Postverwaltung auf das allerentschiedenste.(Lebhafte Zustimmung links.) Der Herr Staatssekretär sagte, Dr. Schellenberg sei nicht wegen seiner Stimmabgabe gekündigt worden. Das steht in striktestem Wider- spruch mit dem Bescheid, den Dr. Schellenberg auf seine Frage nach dem Grund der Kündigung von der Oberpostdirektion in Frank- surt a. M. erhalten hat.(Hört! hört! bei den Freisinnigen.) Im Kreise seiner Berufskollegen, die erzählten, dass sie für den National- liberalen gestimmt hätten, sagte Dr. Schellenberg, er habe das nicht tun können, er habe für den Sozialdemokraten als das kleinere Ilebel gestimmt. Die Kellnerin erzählte dies dem nationalliberalen Stammtisch in der Nähe, und von diesem sandte ein Postrat a. D. erzählte holländische Verbrcchergeschichte habe das Material ge- geben. Man sieht: Ein kühnes Programm, um so kühner, da es bereits in Tolstois„Macht der Finsternis" eine so unvergleichlich grossartige Erfüllung gefunden! Die Gemeinheit, die Qual der Reue und dgr Durchbruch zu befreiendem Bekenntnis wirkt in dem Schauspiele des Russen mit überzeugender Gewalt, gleich einem selbst Erlebten, aufwühlend und erschütternd. Beim „Meister Josef" aber würde man ohne die voraufgeschickte Er- klärung überhaupt nicht wissen, was der Verfasser gewollt hat. Er hat für alles mögliche Raum, nur nicht für die— Hauptsache. Der Bäckermeister Overblink, der auf Anstiften seiner bös- artigen Frau bei der Brotlieferung für die Kaserne betrügt, einem brutalen Kerl von Korporal, der ihm auf die Spur ge- kommen, im Zorn erschlägt und sich nach langem Aufschub frei- willig dem Gerichte stellt— er, der Träger der„Idee", bleibt ein im allgemeinsten Umrisse skizziertes, gleichgültiges Schemen. Der Meister ist ein hülfloser, an Intellekt und Energie dem Weibe unendlich nachstehender Mensch, von'ihr verachtet, ängstlich, aber jäh auffahrend, wenn er gereizt wird, mürb von dem ewigen häuslichen Zank. Fehlt nur das„geistige Band", das diese und andere Merkmale zu einem eindrucksvoll individuell lebenden Ganzen verknüpft, dessen EntWickelung das Gepräge verborgener Notwendigkeit aufweist. Nicht die Inferiorität und Einfalt des „Helden", die künstlerische Inferiorität ihrer Darstellung und die plump auseinanderfallende Struktur des Dramas lassen es zu keinem Interesse kommen. Die Frau, die starknervige Megäre, die geschickt die Spuren des Totschlags verwischt, Unschuldige verdächtigt und die Gewissensbisse ihres Mannes verhöhnt, der giftmischenden Alten in Tolstois„Macht der Finsternis" ver- wandt, ist ein gut Teil besser geraten. Sie schiebt sich in den Vordergrund. Aber man hat sie bereits im zweiten Akt so er- giebig kennen gelernt, dass alles weitere- an ihr ermüdet. Die Technik des Stückes wies Anzeichen des ungeübten Anfänger- tums auf. Bedeutend über das sonstige Niveau erhob sich die an Be- Ziehungen und Perspektiven reiche Szene des Schlussaktes, in der der Autor die Meisterin mit einer jungen, gleich harten und ge- dankenlosen Sünderin zusammenführt. Die Wirkung wurde hier durch das gute Spiel von Gertrud Korn und Marie M a l l i n g e r sehr glücklich unterstützt. Herr Lettinger ver- mochte der undankbaren Rolle des Bäckermeisters wenig ahzuge- Winnen. Julius Ehben lieh dem alten Isaak eine rassige Spitzbubenphysiognomie. ckt. Humor und Satire. --Boshaft.„... Als ich gestern abend nach der Vor- stellung das Theater verließ, hat mir das Publikum die Pferde aus- gespannt!"—„Ach! Und da mußten Sie bei dem abscheulichen Wetter heimlaufen I?" --Kindliche Folgerung. Graf(auf eine Ruine zeigend): „Schau, Otmar, hier haben einst unsere Ahnen gehaust I" Sohn: „Die müssen aber schön gehaust haben, Papa!" — D e r I u r i st. Referendar:.... Herr Amtsrichter, die Sache ist doch ganz klar l"— Amtsrichter:„Einem Juristen ist eine Sache nie ganz klar— merken Sie sich daSI" (»Fliegende Blätter "). — Humor des Auslandes.„Ist es wahr, dass die Ehren- haftigkeit mir auf der Stirn geschrieben steht?"—„Allerdings, aber leider mit verschiedenen Schreibfehlern."(„Caras y Caretas") die Anzeige an die Oberpostdirektion in Frankfurt. (Zurufe bei den Freisinnigen: Pfui und Lump!) Die Oberpostdirektion lehnte ein Eingehen darauf in korrekter Weise ab, aber der Postrat a. D. sandte die Denunziation an die Reichspostverwoltung. welche die Denunziation nicht in den Papierkorb warf sondern Ar. Schellen- berg amtlich vernehmen liess. Höflich, aber bestimmt, wie wir Aerzte immer sind, lehnte Dr. Schellcnberg jede amtliche Angabe über seine Stimmabgabe ab, dagegen iagte er privatim dem vernehmenden Beamten, er habe keinen Grund, zu verschweigen, dass er für den Sozialdemokraten gestimmt habe. Darauf wurde Dr. Schellenberg die Stellung, die er 14 Jahre inne gehabt, ge- kündigt(Zuruf bei den Freisinnigen: Unerhört!), und in der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung" wurde er als eifriger sozial- demokratischer Parteigänger bezeichnet, obwohl er das getan, was Bismarck durch das bekannte Telegramm gewünscht hat:„Fürst wünscht Sabor." Ich mutz auf das entschiedenste gegen das Ver- halten des Herrn Staatssekretärs Protest einlegen. Der Fall würde genau so kratz liegen, wenn Dr. Schellenberg B e- a m t e r wäre, was er nicht einmal ist. Wir können es uns nichtbietenlassen.dassdieWahlfreiheitderBe« amten eingeschränkt wird. Selbst Puttkamer hat gesagt, wer in diese Wahlfreiheit eingreife, mache sich nicht nur diszipli- »arisch, sondern darüber hinaus strafbar.(Hört! hört! links.) Das war in der A e r a P u t t k a m e r und jetzt leben wir in der l i b e. ralen Aera!(Grosse Heiterkeit bei den Sozialdemokraten.)� vikkicile est satiram non scribere.(Es ist schwer, keine Satire zu schreiben.)(Sehr richtig! links.) Nachdem die wirtschaftliche Vertretung der Aerzte Wiesbadens sich auf die Seite Dr. Schellenbergs gestellt und die Stelle gesperrt hat, hat der Minister durch den Oberpräsidenten an die Aerzte- kammer die Anfrage gestellt— man weiss ja. was solche Anfragen bedeuten— ob sie nicht Stellung nehmen wolle zu dem Fall.(Hört! hört! links.) Die Aerztekammer hat erklärt, sie habe keine Veranlassung, darauf zurückzukommen. Es handelt sich hier gar nicht um die Staatsfeindlichkeit der Sozial- demokratie, sondern darum, dass ein Mann deswegen gemassregclt ist, weil er das tat, was seine Pflicht ist, indem er seinen Stimm- zettel abgab.(Sehr richtig! links.) Ein ähnlicher Fall hat sich in Kiel ereignet. Dort hat der Oberpostdirektor einem Tele» graphensekretär auf seine Anfrage erklärt, er werde wohl nicht die Erlaubnis bekommen, sich als Stadtver» ordnetenkandidat aufstellen zu lassen.(Hörti hört!- links) Die Folge war, dass wegen der mangelhaften Beteiligung der Beamten bei der Wahl fünf Sozialdemokraten ge- wählt wurden.(Lachen rechts.) Würde die Postverwaltung in solchen Fällen eine andere Stellung einnehmen, so wäre es um ihr Ansehen besser bestellt.(Bravo ! links.) Staatssekretär Kraetke: Ich mutz ganz entschieden dagegen pro- testieren, dass Dr. Schellenberg gemassregelt ist.(Stürmisches Ge- lächter links.) Ich stehe auf dem Standpunkt, dass wenn man ein Amt übernimmt, man auch gewisse Rücksichten zu nehmen hat. Ich habe neulich ausdrücklich erklärt: es tut mir leid, dass die Aeutzerung des Dr. Schellenberg in die Oeffentlichkeit gekommen ist. Es ist nicht wegen seiner Wahl gegen ihn vor- gegangen, sondern weil in die K r e i s e d e r P o st b e a m t e n das Gerücht gedrungen war, Dr. Schellenberg habe f o z i a l d e m o- kratifch gewählt. Ich kann nicht jedem Unterbcamten sagen: Dr. Schellenberg hat zwar sozialdemokratisch gewählt, aber er ist kein Sozialdemokrat, es ist kein Makel an dem Herren.(Lachen bei den Sozialdemokraten.) Jeder hat das Recht der freien Wahl, aber wenn Dr. Schellenberg so unvorsichtig ist, darüber zu sprechen und das dringt in die Kreise der Unterbeamten, von denen ich nicht dulde, daß sie der Sozialdemokratie angehören. (große Unruhe links, Bravo ! rechts) so müssen dadurch Irrungen entstehen bei den Unterbeamten, die sich sagen: die höheren An- gestellten können tun, was sie wollen, und bei uns duldet es der Chef nicht. Deswegen habe ich mein Bedauern ausgesprochen, dass Herrn Dr. Schellenberg dies Pech passiert ist. Ich habe nicht be- hauptet, daß Dr. Schellenberg Sozialdemokrat ist.(Zuruf: Darauf kommt es gar nicht an. das ist ganz gleichgültig!) Das mag Ihnen „Doktor, wenn nun aber die Operatton nicht glücken sollte?"— „Mein lieber Herr, wenn sie nicht glückt, werden Sie das nie gewahr werden."_(„Tit Bits") Notizen. — Franz Held, der ungebärdigste der Literaturrebolutionäre aus den achtziger Jahren, ist am 4. Februar nach langem Leiden im 46. Lebensjahre gestorben. Sein Wesen war ganz Flamme ge- Wesen, seine Phantasie hatte keine Grenzen gekannt und sein Leben Ivar ein schäumender Sprudel, bis ihn mitten in den besten Jahren eine Geisteskrankheit packte. Seit Jahren hatten auch seine ehemaligen Gefährten nichts mehr von ihm gehört. Wenn von den tollen Zeiten die Rede war, da er noch in Berlin und München der tollste war und auf ihn die Rede kam, so wußte niemand mehr, was aus ihm geworden. Nun ist er aus dem irren, wirren Schattendasein geschieden. WaS von seinem„Realistischen Romancero", dem„Abenteuerlichen Pfaffen Don Juan ", von seiner nicht vollendeten Revo- lutionstrilogie(es erschien nur das Borspiel:„Das Fest auf der Bastille") oder' dem Drama„Manometer auf SS", dessen Titel zum Schlagwort geworden, sich halten wird, was kümmerts uns. Franz Held war jedenfalls ganz bei seiner Sache und ist nicht ins bürgerliche Lager zuriickgeschwenkt. wie so mancher andere. Von seinen leidenschafterfüllten Versen hat mancher im«Süd» deutschen Postillon" zündend gewirkt, wie ers sollte. Die Beisetzung der Asche findet Dienstag, den 18. Februar. vormittags 11 Uhr, in der Urnenhalle des städtischen Zeiitral-Fried- Hofes in Friedrichsfelde statt. — Theaterchronik. Als nächste Premiers der K�a m m e r- piele wird die„Lysistrata" von A r i st o p h a n e S in einer neuen Uebertragung von Leo Greiner am Dienstag, den 2S. Februar, in Szene gehen.— Haust Niese eröffnet ihr Gastspiel im Berliner Theater am 28. Februar in der Operette:„Die Fvrster-Christel". — Doppelte Zensur. Außer der hohen, amtliche». offiziellen kgl. preußischen Zensur, deren Taten die Welt kennt, er- reuen wir uns auch noch einer besonderen, niedlichen, offiziösen Zensur, die man als Zusage- oder Beigabezensur bezeichnen könnte. Besonders in der dem Kultusministerium untersteheirden Hochschule für Musik tritt sie sporadisch auf. Der„Intimen Bühne", die dort Aufführungen zu veranstalten pflegt, ist das Lokal für Sttindbergs Drama„Scheiterhaufen" verweigert worden. Die erhabene amtliche Zensur hat zwar das Sttick freigegeben, indes— besser ist besser. — Eine nationale T a r I Ein wie gut regiertes Land ist doch das Deutsche Reich. Um alles kümmern sich die hohen Re« gierungen, unerschöpflich ist ihre Fürsorge für das Wohlergehen ihrer Untertanen, Wie sie zu denken, glauben, wie sie zu schreiben haben, alles wird ihnen bis auf das Tüpfelchen über dem i, nein bis auf den Punkt hinter dem M. zur getreulichen Nachachtung und immer» währenden Befolgung vorgeschrieben. Möge jeder danach handeln. was die hohe Obrigkeit väterlich sorgend ihm auferlegt. Also hat der Bundesrat zum allgemeinen Besten beschlossen: In Aenderung des Beschlusses vom'?. November 1874 und in An- lehnung an den Beschluß vom 3. Oktober 1877 hat als amtliche ab- gekürzte Schreibweise von„Mark" wie bisher das liegende lateinisch« „M", jedoch ohne Hinzufügung eines Punktes zu gelten. Ja, was wollen denn die Leute noch mehr. Höchstens könnte man zur Besserung der Reichsfinauzen noch eine Strafe für alle die Aufsässigen einführen, die hinter dem M immer noch einen Punkt zu setzen sich erdreisten.
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