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SerstandniS gepflegt worden, um die hohen SpekulationS- preise für die Grundstücke zu erzielen. Angebote zu n o r- malen Bedingungen seien des öfteren abgelehnt worden. Aus der Korrespondenz der Carstanjenschen Verwal- tung mit Ulmer gehe hervor, daß gerade sie den Ulmer gedrängt habe, die schlechte st en Grund st ücke zu hohen Preisen an diejenigen Leute loszuschlagen, die an anderen Bauten Arbeiten übertragen haben wollten. In einem Briefe habe von der Gröben gesagt:Drücken Sie nur tüchtig aus ihn. daß er das große Grundstück nimmt, welches wir anderwärts nicht loskriegen können." Rechtsanwalt Dr. Broil erklärt, aus der Korrespondenz gehe unzweifelhaft hervor, daß das Baugeldersystem mit allem, was drum und dran hänge, in dem Kopfe von der Gröbens entstanden sei. Diese Korrespondenz wird in dem Prozesse gegen den Kölner .Lokalanzeiger" eine wichtige Rolle spielen. Aus der Beweisauf- nähme sei noch folgendes herausgegriffen: Als Herr von der Gröben als Legationsrat in das K o l o n i a l a m t eintrat, legte er die Verwaltungsgeschäfte der v. Carstanjenschen Erben nieder. Seine Frau, eine geborene v. Carstanjen, trat an seine Stelle. Sie spricht in mehreren ihrer Briefe an Ulmer von vermögenslosen Kaufliebhabern"; auch wird darin über die Aussichten und die Zweckmäßigkeit einer eventuellen S u b- h a st a t i o n gesprochen. Als Zeugin vernommen und um den Sinn von solchen Stellen ihrer Briefe gefragt, erklärte Frau von der Gröben, sie habe diese Briefe mechanisch nach dem Diktat ihres Mannes niedergeschrieben! Der Angeklagte Ulmer wurde von der Beschuldigung des Be- trugs freigesprochen. Wegen Untreue, begangen als Bevollmächtigter der Vermögensverwaltung der v. Carstanjenschen Erben, wurde er zu 6 Monaten Gefängnis und 3M> M. Geldstrafe verurteilt. Nshlrecht und Kulturfragcn. DieKölnische Zeitung ", die eifrigste Befürworterln der Blockpolitik, stimmt ein bewegliches Klagelied an über die E n t« täuschung, die der Liberalismus an demneuen Mann" im preußischen Kultusministerium habe er- fahren müssen. Innerhalb weniger Wochen sei es dem preußischen Liberalismus jetzt zum zweiten Male klar geworden, daß er um jeden Schritt vorwärts hart zu kämpfen habe, daß durch die liberal- konservative Kompromißpolitik im Reich das konsrrvativ-agrarische Regiment in Preußen nicht um Haaresbreite verrückt sei. Das habe man im Januar bei der Beantwortung der freisinnigen Wahlrechts- interpellation und jetzt m der dreitägigen Generaldebatte zum Kultus« etat erfahren müssen. Es waren drei Tage mit brüsken Absagen an die liberalen Auffassungen; wenn an ihnen etwas erfreulich war, dann war eS die Art, wie die nationalliberalen Abgeordneten Friedberg und Schiffer für ihren Liberalismus kämpften.... Wer geglaubt hatte, daß der Rücktritt des Ministers v. Studt die Einleitung besserer Tage für unser Schul- undGeisteSleben bedeuten würde, sieht sich jetzt bitter getäuscht. Es sind nicht so sehr die Schulfragen, die die alten Sorgen wach- halten. Wir wissen, daß sich eine Aenderung der Schul- Politik nicht von heute auf morgen durchführen läßt, und daß sich die Reformen, die unter dem Zwang der Einsicht schon unter dem Ministerium Studt eingeleitet worden sind, auch von den reaktionärsten Politikern nicht mehr unterdrücken lassen. Drückender lastet jetzt wieder auf dem liberalen Bürgertum Preußens die Gewißheit, daß der Geist der Unfreiheit und der Bevormundung auch unter Herrn Holle im. KultuSmini st erium herrscht. Die häß- lichen Fälle von Kunstbarbarei, wie aus jüngster Zeit die be- leidigende Behandlung des Bildhauers in Recklinghausen und das Verbot der Faustlektllre, werden nicht vereinzelt bleiben, wenn daS preußische Kultusministerium das Muckertum so offenkundig unter- stützt, wie es im Liegnitzer Fall jetzt geschehen ist. Dieser Fall ist für Preußen ein Olmütz im Kampf der Geister. Man wird noch lange von ihm sprechen, weil er die Zerfahrenheit be- weist, mit der gegenwärtig noch die preußische Verwaltung in den Fragen der Volkscrziehung handelt, und lveil der neue Kultus- minister in ihm die Partei der Gegner ergriffen hat." ES ist die Gewohnheit der Nationalliberalen, bei kleinen poli- tischen Schlechtigkeiten großartigen Lärm zu schlagen, die großen Schlechtigkeiten dagegen zu dulden oder gar mitzumachen. Sie ge- raten außer sich über den Streich eines schlesischen Re- gierungsrateS, nachdem sie kurz vorher der Reaktion in dem preußischen Schulgesetz geopfert haben; sie schelten die bureaukratischen Handlanger des Mucker- und Dunkelmännersystems, nachdem sie sich als die hervor- ragendsten Stützen und Förderer dieses Systems erwiesen haben. Selbstverständlich hüten sich die Nationnalliberalen, dem Urgrund des preußischen Uebels nachzugehen, aus dem die Reaktion ihre Kräfte schöpft: dem vermaledeieten Dreiklassenwahlrecht. Im Gegen- teil, sie setzen sich kühn über diese Frage hinweg und tun, als ob die Wahlrechtsfrage neben Vorgängen wie in Liegnitz und Reckling- hausen gar nicht für die Liberalen in Betracht käme. Die»Kölnische Zeitung " schreibt nämlich: Die Wahlrechtsfrage kann kein Prüfstein fein für liberale Gesinnung; denn in der Verwerfung des gegenwärtigen preußischen Wahlrechts sind sich zwar alle Liberalen einig, über den Weg der Reform aber gehen die Meinungen auseinander. Da die Gleichheit der Menschen nie ein liberaler Grundsatz ge- wesen ist, ist auch die Schwärmerei für daS gleiche Wahlrecht kein unerläßliches Kennzeichen für einen Liberalen. Aber es gibt ein Gebiet, wo es kein Nachgeben und kein Kompromisseln für Liberale geben darf: Das sind Kultur« und Schulfragen". Als ob nicht erste aller Kulturftagen das Wahlrecht wäre, als ob unter einem reaktionären Wahlsystem überhaupt von Kultur« und Schulfragen in fortschrittlichem, freiheitlichem Sinne die Rede sein könnte! Die Nationalliberalen haben nichts dawider, daß in Preußen ein Wahlrecht herrscht, das Junkern und Junkergenossen daS Heft in die Hände gibt, aber sie begehren auf, wenn unter einem solchen Wahlrecht ein Regierungsrat einen Schwabenstreich verübt, und wenn der Minister, als das Werkzeug dieses Systems, den Streich gutheißt. Und wenn dann ein paar nationalliberale Ab- geordnete im Dreillassenparlament bei dieser Gelegenheit schmetternde Reden halten, dann soll noch gar das Volk dankbar in die Knie sinken bor dem Liberalismus, der sich seiner Rechte so tapfer an- genommen hat. Nicht den Liegnitzer Schulrat, nicht den KulwS- minister Holle , sondern sich selber, die Feinde aller volkstümlichen Wahlreform, sollen die Nationalliberalen als die Schuldigen der preußischen Reaktion anklagen. Sie beleidigten Lendarmen. Am 3. September 1907 hielt der sozialdemokratische Wahlverein in Treptow eine Versammlung ab. In einer Nische, die durch einen vorgezogenen Strick als»Segment" ge- kennzeichnet war, saßen einige Frauen. Obgleich hiermit die Forderung des Vereinsgesetzes in bT«g auf die Anwesenheit von Frauen erfüllt war, gab das- Vorhanden- sein von Frauen imSegment" dem überwachenden Gendarmen Anlaß, die Versammlung aufzulösen. Die Teilnehmer der Ver- sammlung verließen den Saal, begaben sich aber, einer Einladung des Geschäftsführers der Restauration folgend, in einen Rebensaal,. wo sie sich beim Glase Bier niederließen und Lieder fangen. Die Türen des Restaurationssaales waren geschlossen, so daß die singenden und Bier trinkenden Personen, etwa 80 an der Zahl, unter sich waren. Die Gendarmen MuSka und E n g l e r, welche die Versammlung überwacht hatten, öffneten aber die Tür und setzten sich außerhalb derselben in dem leeren Versammlungssaal nieder. Sie wollten, wie sie sagten, beobachten, ob die Versamm- lung fortgesetzt werde. Nachdem im Restaurationssaale verschiedene Lieder gesungen worden waren, wurde auch das Lied angestimmt: Weißt du, wieviel Sterne stehen manchem Lumpen auf der Brust" usw. Die beiden Gendarmen, welche sich ohne Anlaß und ohne Berechtigung die Ueberwachung der Kneip-Gesellichaft angemaßt hatten, fühlten sich durch daS Lied beleidigt. Sie gingen mehrmals in das Restaurationszimmer und stellten fünf Personen fest, welche ihrer Meinung nach dasLied mitgesungen hatten. Gendarm Engler zeigte 2 von ihin Festgestellte an. Diese beiden sind vom Schöffen- gericht Rix d o rf zu je S0 M. verurteilt worden. Die übrigen drei Teilnehmer der Sangesrunde, welche Gendarm MuSka festgestellt und angezeigt hatte, wurden vom Rixdorfer Schöffengericht zu Gefängnisstrafen von zwei und drei Wochen ver- urteilt. Sie haben gegen das drakonische Urteil Berufung eingelegt, infolgedessen beschäftigte sich am Montag die 2. Straf­kammer des Landgerichtsllmitder Angelegenheit. Als Angeklagte erschienen Baumert, Windrath und R e i n i ck e. Ersterer ist vom Schöffengericht zu drei Wochen, die beiden anderen sind zu je zwei Wochen Gefängnis ver- urteilt. Alle drei beharrpten, daß sie das ftagliche Lied gar nicht mitgesungen haben. Baumert und Windralh kamrten den Text gar nicht. Reinicke aber sang nicht mit, weil er den Text kannte und eine Anzeige der Gendarmen fürchtete. Die als Zeugen vernommenen Gendarmen konnten auch nichts weiter an- geben, als daß sie aus den Lippenbewegungen der Angeklagten geschlossen haben, daß sich dieselben am Gesänge beteiligten. Eine Reihe anderer Zeugen, die unmittelbar neben den Angeklagten saßen, bekundeten auf das bestimmteste, daß die Angeklagten das betreffende Lied nicht mitgesungen haben. Der Verteidiger, Rechtsanwalt Dr. Halpert, beantragte die Freisprechung der Angeklagten. Für den Fall aber, daß das Gericht eine Teilnahme am Gesang und damit eine Beleidigung der Gendarmen für vorliegend erachten sollte, frage eS sich doch, ob die harmlose Beleidigung eine so dra- konische Strafe, wie sie das Schöffengericht verhängt habe, rechtfertige. Schon die Auflösung der Versammlung sei zu- unrecht erfolgt. ES sei aber auch unberechtigt gewesen, daß die Gendarmen die Tür des Saales öffneten, um die daselbst am Biertisch Sitzenden zu beobachten. Diese durchaus unzulässige Ueberwachung einer Privatgesellschaft trage einen provokatorischen Charakter. DaS Schöffengericht habe ja eine geradezu drakonische Strafe verhängt, die in gar keinem Verhältnis zu der Straf- tat steht. Das habe auch der Schöffenrichter gefühlt. Er habe des- halb in den Urteilsgründen zwei Momente angeführt, die die hohe Strafe rechtfertigen sollen. Der Vordcrrichter berufe sich auf die unbekannte Tatsache, daß Rowdies in Rixdorf bei anderen Gelegen- heiten Angriffe gegen Polizeibcamte unternommen haben sollen. Das würde wohl die harte Bestrafung von Rowdies, besonders in Rixdorf rechtfertigen, es könne aber nicht herangezogen werden, um Leute zu diskreditieren und zu bestrafen, die selbst nach der Feststellung des Vorderrichters nichts weiter taten, als daß sie in Treptow indirekt die Gendarmen beleidigten durch Absingen eines Liedes, das auf den Stand der Beamten im allgemeinen, nicht aber auf die Person der Gendarmen gemünzt war. Die Praxis des Lorderrichters stehe in schroffem Widerspruch zu den elementarsten Geboten der Gerechtigkeit, die verlangt, daß der Fall nach seiner individuellen Eigenart beurteilt werden soll. Der Vorderrichter stelle sich auch in schroffen Gegensatz zum Gesetzgeber, der selbst für eine Majestätsbcleidigung nur eine Woche Gefängnis aussetzt, falls die Ehrvcrlctzung nicht böswillig und mit Ueberlegung begangen ist. Der Ab st and zwischen der Maie st ät und einem Gen- darm sei doch so groß, daß es sich nicht rechtfertige, daß das Mitsingen eines aus politischen Zeitverhältnissen entstandenen Liedes mit 2 und 3 Wochen Gefängnis bestraft werde. Der Vorder. richter möge das Gefühl gehabt haben, daß eine Geldstrafe aus- reichend sein mühte, er habe aber, um sein drakonisches, auf Ge- sängnis lautendes Urteil zu begründen, die eigentümliche These aufgestellt, daß die Geldstrafeerfahrungsgemäß" nicht vom Ange- klagten getragen, sondernanderweitig" beschafft werde. Begründet habe der Vorderrichter diesen Satz nicht, der übrigens im vorliegen- den Falle gewiß nicht zutreffe. Der Harmlosigkeit des Falles habe der Vorderrichter Rechnung zu tragen geglaubt, indem er betonte, daß ernur" auf 2 und 3 Wochen Gefängnis erkannte, während dasselbe Schöffengericht, allerdings unter einem anderen Vor­sitzenden, für dasselbe Delikt, das andere Vereinsmitglicder bei derselben Gelegenheit, in derselben Art und gegenüber denselben Beamten begingen, auf eine Geldstrafe von bv M. erkannte. Weiter führte der Verteidiger aus, es sei nicht festgestellt, daß die Ange- klagten mitgesungen haben. Die Beobachtungen, welche bie Beamten aus größerer Entfernung gemacht haben, seien irrig und durch die Angaben anderer Zeugen widerlegt. Die Angeklagten müßten des- halb freigesprochen werden. Der Staatsanwalt beantragte die Verwerfung der Berufung und machte sich im allgemeinen die Begründung des Urteils erster Instanz zu eigen. Das Gericht hielt durch das Zeugnis der Gendarmen für festgestellt, daß Baumert und Reinicke das Spottlicd mit- gesungen haben. Es sei jedoch, wie der Vorsitzende in der Be- gründung des Urteils sagte, nach der ganzen Sachlage bedenklich, die Angeklagten mit Gefängnis zu bestrafen, da sie sich nicht be- sonders oppositionell gegen die Gendarmen verhalten und sich im übrigen anständig betragen haben. Ob eine Geldstrafe aus der Vereinskasse bezahlt wird, sei unerheblich, das Gericht glaube auch, daß das im vorliegenden Fall- nicht geschieht. Baumert wurde zu 75 Mark. Reinicke zu bv Mark verurteilt. Windrath wurde freigesprochen. Das Gericht hält seine Angabe, er habe gesungen:Weißt Du wieviel Sterne stehen, an dem blauen Himmelszelt" und dann abgebrochen, als er hörte, es wurde ein anderer Text gesungen, niöK für widerlegt. Politiscde vleberlickt. Berlin , den 18. Februar 1908 Arbeiterlöhne, Ostmarkenzulage«nd Justizreform. Der Etat der Postverwaltung wurde in der heutigen Reichstagssitzung nach kurzem Geplänkel zu Ende gebracht. Aus der Debatte ist hervorzuheben, daß die Genossen Z u b e i l und Lehmann-Wiesbaden einige Arbeiterbeschwerden vorbrachten. Auf die Frage Lehmanns, ob die Verwaltung nicht angesichts der Teuerung die Arbeiterlöhne ebenso zu erhöhen gedenke wie die Beamtengehälter, erwiderte der Geheimrat Neumann, eine solche Erhöhung sei bereits eingetreten und habe deshalb verschiedene Etatsüberschreitungen erforderlich gemacht. Lehmann erwiderte prompt, daß das nicht dem guten Willen der Verwaltung, sondern der Tat­sache zuzuschreiben gewesen sei, daß Arbeiter an ver- schiedenen Orten für die bisherigen Hungerlöhne nicht mehr zu haben gewesen seien. Einen krampfhaften Vorstoß zur Durchsetzung der Ost- markenzulage für die Postbeamten hatten die beiden konservativen Parteien durch Einbringung einer Resolution unternommen, die einen Rachtragsetat zu diesem edlen Zwecke provozieren sollte. Zu ihrer Begründung nahm Herr Schultz- Bromberg das Wort, erregte durch sein hülfloses Gestammel und die naive Bekundung seiner parlamentarischen Unerfahren- hett aber nur fortgesetzt die Heiterkeit des HauseS, die ihren Gipfel erreichte, als er in bezug auf Unterosfiziersznkagen in Elsaß-Lothringen die Redeblüte produzierte:Der Unter- offizier ist die Schwelle, an der sich das Deutschtum anklammert." Wenn dieser Schultz den hakatisüschen Durchschnittstypus darstellt, so begreift man es einigermaßen, weshalb die Leute so ängstlich nach demSchutz des Deutschtums in den Ostmarken" wimmem. Genosse Singer betonte kurz, daß wir, unseren früheren Darlegungen entsprechend, sachlich der Resolution nicht zu- stimmen könnten, weil die Zulage sich als eine Prämie zur Schikanierung der polnischsprechenden Bevölkerung darstell'', daß aber auch die Fassung des Antrages so ungeschickt sei, daß er aus Geschäftsordnungsgrüuden ein totgeborenes Kind bleiben müsse. Herr Gröber vervollständigte die Aus- führungen durch den Hinweis darauf, daß nach der bisherigen Praxis des Bundesrats die Resolution, selbst wenn sie an- genommen werden sollte, erst in ein paar Jahren eine Wirkung ausüben könnte. Der Etat der Justizverwaltung brachte zunächst drei Blockredner auf die Tribüne. Der konservative Abgeordnete Wagner- Freiberg hat in seiner landgerichtlichen Berufs- tätigtest von den schweren Mängeln der deutschen Rechts- pflege kaum einen Hauch verspürt. Dafür sächselte er dem Hause aber düstere Andeutungen vor über die Gefährdung der heranwachsenden Jugend durch eine Weltanschauung, die nichts Heiliges und Ideales anerkenne. In wohltuendem Gegensatz zu diesen Reichsverbands- traktätchen standen die Ausführungen des nastonalliberalcu Abgeordneten für Dresden , Dr. Heinze, der. auch ein sächsischer Richter, zwar die tiefliegenden Gruudübcl der deutschen Rechtspflege auch nicht zu erkennen vermag, der aber sich doch bemühte, an den Symptomen eine scharfe Kritik zu üben, wie man sie aus dem Munde seiner Fraktionskollcgen, des abgeglättet mittellinigen Mittelcuropäers Basscrmann oder gar des robusten Liebert-Handlangers Hagemann noch nicht zu hören bekommen hat. Er ging so weit, die Klagen über Klassenjustiz natürlich nurbis zu einem gewissen Grade" als 1, berechtigt anzuerkennen. Er versagte indes, sobald er auf die Mittel zur Abhülfe dieser Uebelstände zu sprechen kim. Da liefen seine Erörterungen im wesentlichen darauf hinaus, durch Aufklärung, und Ausbreitung sozialer Ethik unter den deutschen Richtern ein besseres Verständnis für die Rechte der Arbeiter zu schaffen. Besonders scharf ging er gegen die Methode des Staatsanwalts Jsenbiel im Harden-Prozeß vor, aus dessen Plaidoyer er einige auf Sensationshascherei an gelegte Stellen als Muster dafür vorlas, wie ein Staats­anwalt nicht plaidoyieren dürfe. Das ging den Staats- stützen auf der Rechten offenbar arg gegen den Strich. Dann sprach noch kurz der srcikonservastve Herr Brun st ermann. Morgen kommt Genosse Stadthagen zum Wort. Regelung der Schulpflicht in Preusten. Eine derjenigen Materien, die in Preußen immer noch ihrer gesetzlichen Regelung harren, ist die S ch u l p f l i ch t. In den ver- schiedenen Laudcsteilen bestehen darüber ganz verschiedene Be- stimmungen. In Schleswig-Holstein z. B. gilt noch die Schulord- nung vom Jahre 1314, die die Schulpflicht für Knaben mit dein 16., für Mädchen mit dem 15. Lebensjahre enden läßt, daneben aber während der Sommermonate für die ländlichen Bezirke die möglichste Befreiung vom Schulbesuch vorsieht. In den alten Pro- vinzen beginnt der Schulunterricht mst dem vollendeten 5. Lebens- jähr und endet, wenn der Seelsorger die Kentnisse des Kindes für ausreichend erklärt. In Wirklichkeit aber steht diese Bestimmung nur auf dem Papier, niemand richtet sich danach, die Kinder werden mit vollendetem 6. Lebensjahre in die Schule geschickt und verlassen sie mst vollendetem 14. Lebensjahre. Besondere Schwierigkeiten sind dadurch entstanden, daß nach der Rechtsprechung des Kammergerichts als Entlassungstermin der Geburtstag und nicht der Tag des Semesterschluffes gilt. Eine gesetzliche Regelung hat die Regierung sowohl in dem Mühlerschcn als auch in dem Zedlitzschen Volksschulgesetzentwurf versucht. Vor etwa 10 Jahren hat sie dem Landtage wiederum Grundzüge eines Entwurfs mitgeteilt, aber dabei ist eS auch ge- blieben. Höchstwahrscheinlich aus Furcht vor der agrarischen Oppo- sition ist der Entwurf überhaupt nicht an den Landtag gelangt. Dieser Mangel bewog nun die Parteien der Linken zur Ein- bringung eines Antrages, der am Dienstag im Abgeordneten- hause beraten wurde und der für den ganzen Umfang der Monarchie einen Gesetzentwurf über die Dauer der Schulpflicht nach einheitlichen Gesichtspunkten, jedoch unter Berücksichtigung be- rechtigter Sonderverhältniffe der einzelnen Landesteile sowie ein- heitliche Bestimmungen über die Folgen der ungerechtfertigten Schulversäumnis, die Voraussetzungen ihrer Strafbarkeit, den Kreis der verantwortlichen Personen, die Art ünd Höhe der Strafen und daS Strafverfahren verlangt. Mit zur Debatte stand ein frei- konservativer Antrag, der die spezifischen Verhältnisse von SchleL- Wig-Holstcin im Auge hat und für diese Provinz eine Verlängerung Är Schulpflicht unter gleichzeitiger Erweiterung der Möglichkeil fordert, die Kinder im Sommer unter Befreiung vom Schutbesuch zu landwirtschaftlichen Arbeiten zu verwenden. Beide Anträge wurden nach belangsosen Debatten der Unter- richtskommission überwiesen. Was aus den Beratungen heraus- kommen wird, läßt sich schon jetzt ahnen. Voraussichtlich wird der Antrag der Linken abgelehnt, aber den Agrariern einige Zuge- ständnisse in der Richtung des freikonservativen Antrages gemacht werden. Einstimmige Annahme fand ein Antrag v. Schenckendorff (natl.), die Regierung zu ersuchen, auf die Vermehrung der Pflicht- stunden zur Pflege der Leibesübungen in freier Lust, besonders in den städtischen Schulen. Bedacht zu nehmen. Hierauf setzte das HauS die Beratung des Kapitels E l e m e n- tar-Unterrichtswesen vom Kultusetat fort. Der national- liberale Abgeordnete Hackenberg nahm die Gelegenheit wahr, der Regierung eine Aenderung des Lehrplans an den Volksschulen im Sinne einer Erziehung der Kinder für das praktische Leben so- wie die völlige Beseitigung der Ortsschulaufficht zu empfehlen. So beherzigenswert auch manche dieser Anregungen sind, so wittern wir doch, wenn sie aus'dem Munde dieses sich liberal gebärdenden Pfaffen kommen, dahinter irgend eine Gefahr. Herr Hackcnberg hat eS sich selbst zuzuschreiben, wenn weite Kreise des Volkes nach seinen Bemühungen um das Zustandekommen des VerpfaffungS- gesetzes dps Vertrauen in feine politische Ehrlichkeit verloren haben. Am Mittwoch Wird die Beratung fortgesetzt. Die feinste Nummer der Galavorstellung. Boten früher, alS noch die Bündler gegen die Regierung revol- tierten, die alljährlich vom Bund der Landwirte veranstalteten rhetorisch-equilibristifchen Vorstellungen im Zirkus Busch durch die Urwüchsigkeit der Verhandlungen und die Schärfe der Ausfälle gegen die Minister manches Interessante, so sind sie, seitdem die Junker. pardon»Landwirte', ihre hauptsächlichsten Forderungen durch-