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Bei dem alle Parteien darüber einig sind, daß da-Z Recht der Handlmrgsgehülfen llar vor Augen liegt, kommt in der Kommission ein Resultat nicht zu st an de, weil die Regierung nicht nachgeben will. Aber sollte die kleine Verbesserung wirtlich bewilligt werden, so werden die weiteren Fragen sich anschließen. Herr Dr. Naumann hat im vorigen �ahre vom Reichstage verlangt, er solle gegen das Großkapital Stellung nehmen. DaS kann er gar nicht, weil Sie alle auf dem Boden der heutigen Gesellschaft stehen, und auf dem Boden der heutigen Wirtschaftsordnung gegen die Aubeutung nicht austreten können. Deshalb müssen Sie das Vertrauen der Ausgebeuteten verlieren.(Lebhafte Zu- stimmung bei den Sozialdemokraten.) Wie die Syndikate, die Ringe und Kartelle nur der sozialistischen Produktionsweise vorarbeiten, so arbeiten auch Sie uns vor, Sie sorgen dafür, daß die Privat- Beamten, soweit sie noch nicht für uns sind, z u uns kommen. Ihre Sozialpolitik entspricht nicht denjenigen Anforderungen, welwe vom Standpunkt der Arbeiter zu stellen sind. Von jeher war es viel- mehr das Bestreben der Parteien und der Regierung, die Soziolpoliiik nicht zu fördern, sondern zu hemmen mrd zu hindern. Jeder Blick in die Berichte der Gewerbeinspektoren, jeder Blick auf die Gesetzgebung kann das beweisen. Freilich sagen die Herren zu uns: Geht Ihr doch voran, Ihr Sozialdemokraten? Nun. Herr v. Gamp sagte gestern, man dürfe nicht so schnell vorgehen, sonderu müsse zunächst über die einzelnen Fragen eine internationale Verständigung herbeiführen. Waren denn aber die Arbeiter nicht die ersten, die auf internationale Verständigung drängten?(Sehr richtig! bei den Soziald.) Waren die internationale» Konferenzen nicht die unmittelbare Folge des internationalen ArbeiterkongresseS in Paris ? Wenn wir mit internationalen Vereinbarungen nicht weiter gekommen find, so liegt die Schuld wahrlich nicht an den Arbeitern, sondern an der Regierung und den bürgerlichen Parteien.(Sehr wahrl bei den Sozial- demokradm.) In dieser Debatte haben verschiedene Redner abfällig darüber geurteilt, daß so viel sozialpolitische Resolutionen ein- gebracht sind, man meinte, man solle nur die spruchreisen Fragen herausnehmen. Welche von de» Fragen, die in den Resolutionen angeschnitten sind, ist aber nicht spruchreif? Wenn wir ge- zwungen sind, hier so viele Resolutionen zu beantagen, so liegt das daran, daß die Sozialpolitik nicht geleistet hat, was sie hat leisten solleu.(Sehr richtig I bei den Sozialdemokraten.) Die Großindustrie sagt, in den letzten 20 Jahren hat sich eine vollkonnnen neue Wirtschaftsform herausgebildet. Unsere Gewerbeordnung aber liegt zwanzig Jahre zurück. Die Ge- setzgebung halfen die Herren der neuen Wirrschaftsordnung nicht an- gepaßt, sie haben vielniehr imrner weiter die Mißstände heraus- bilden und bestehen lassen.(Zustimmung bei den Sozial­demokraten.) Herr v. Gamp hat gestern gegen meinen Freund Molkenbuhr behauptet, daß die große U n t a l l z i f f e r in der Landwirtschaft gegenüber der Unfallziffer in der Industrie daher rühre, daß auf dem Laude jeder kleine Unfall, zum Beispiel ein S ch n e i d e n mit dem Messer mitgezählt sei. DaS ist unrichtig; denn Molkenbuhr hat nur d i e Unfälle an- gegeben, die sick, bei Motoren und Transmissionen er- eigneten.(HörtI hört I bei den Sozialdemokraten.) Gestatten Sie einige Worte über die neuen Vorlagen, die eingebracht find. Noch jedesmal haben wir es erlebt, daß bei der Arbeiterjchutzgesctz- gebmtg ein großes Geschrei von den Interessenten erhoben wird, die Industrie geht zugrunde, wenn die Bestimmungen eingeführt werden. ES war mir sehr interessant, daß bei den neuen Vorlagen Herr Günther hier ein großes Loblied über die Vorzüge der Hennindiistrie in seiner Heimat erhoben hat. Vor einigen Jahren hat die Handels- und Gewerbekammer von Planen in einer Eingabe betont, daß in den Fabrikbetrieben Mißstände nicht existieren, daß eS dagegen sehr schlimm in der Heimindustrie stehe. DaS wurde damals gesagt, weil eS sich nicht um den Schutz der Heim- industrie handelte, fondem weil Schutzvorschristen in den Fabriken in Frage standen.(Sehr wahrl bei den Sozialdemokraten.) Mit einige» Worten will ich auf die angekündigte Krankenkassengcsetznovelle ein- gehen. ES ist sehr bezeichnend, daß Herr v. Gamp gesagt hat. die Industrie sei jetzt bereit, die Hälfte der Beiträge zu zahlen, und deswegen müsse die Novelle jetzt eingebracht werde». Gegenüber der Behanptnng. daß die Krankenkassen zu parteipoli- tische» Zwecke» mißbraucht würden, frage ich: wo sind die Beweise dafür? Sie können uns nichts anderes sagen, als daß die Arbeiter. die in den Krankenkassen etwas zu sagen haben, das Ver- brechen begangen haben. Sozialdemokraten anzustellen, Aber handeln Sie von Ihrem parteipolitischen Standpunkt auS nicht ebenso?(Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) Stellen etwadie Berussgenossenschaften Sozialdemokraten an? Oder stellt der Staat, der sich nicht scheut, doSGeld von Sozialdemokraten zu nehinen, etwa Sozial- demokraten an?(Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) Rein, der Staat geht noch viel weiter. Er maßregelt sofort einen Beamten, von dem er erfährt, daß er Sozialdemokrat ist. Sollen angesichts dieser Zustände die Arbeiter nicht das Recht haben. tuen» sie tüchtige Leute finden, sie anzustellen, auch wenn sie Sozial- demokraten find? Wenn die Arbeiter das tun, so ist das ihr gutes lliccht «nd lein Mensch auf der Welt sollte ihnen.daraus einen Vorwurf machen. Die Arbeiter haben genau so gut das Recht, Sozial­demokraten anzustellen, wie Sie das Recht haben, Nicht- fozialdemokratcn aiizlistellen. Geben Sie nur den Krankenkassen das uueingeschräuktr Vcrwaltungsrecht, die Arbeiter werden schon dafür sorgen, daß kein Mißbrauch damit getrieben wird.(Lachen rechts.) Nun hat vorgestern der Staats« fekretär erklärt, daß das HülfSkaffengesetz nicht zurückgezogen fei. da bestehende Mißstände nach Abhülfe verlangten. Ich gebe Ihnen zu, daß durch Schwindelkasse» viel Unheil angerichtet worden ist. In der Kommission, die zur Beratung des HülfskassengeseyeS eingesetzt wurde, verlangte die Regierung Material für die Be- urteilung'der Vorgänge, die sich in den Schwindelkasscn abgespielt haben. Dieses Material wurde ihr vorgelegt, und es ergab sich daraus, daß alle Mißstände auf zwei Ursachen zurückzuführen waren. Entweder hatten die Verwaltungsbehörden gegenüber den S ch w i n d e l k a f s e n von den Befugnissen, die sie hatten, nicht den richtigen Gebrauch gemacht oder das Selbstverwaltungsrecht der Arbeiter war nicht in genügendem Maße durchgeführt. Es besteht für mich auch aar kein Zweifel darüber, daß die Arbeiter durchaus fähig sind, selbst den Mißständen entgegenzutreten. DaS Gesetz, was Sie uns damals vorgelegt haben, war die voUrtändtgc Leseitigung der Selbstverwaltung der Krankenkassen, eine Entrechtung der Arbeiter.(Sehr wahr I bei den Sozialdemokraten.) Der Hülfskassengesetzentwurf atmete den- feroen Geist, wie der jetzige ArbeitSkammergesetzentwurf. Er war auch eine Maßnahme zur Förderung der gelben Gewerkschaften.(Zuslumnung bei den Sozialdemokraten.) Nun haben einige Interessenvertretungen der Unternehmer den Bor- schlag gemacht, man solle zu den Generalversammlungen der Kranken­ kassen Unternehmer und Arbeiter in gleicher Zahl zulassen. Der Borsitzende soll ein staatlicher Beamter sein. Es sollen also die Krankenkassen genau so organisiert werden wie die Betriebskaffen. Dem- gegenüber möchte ich doch in aller Kürze feststellen, daß in den Betriebs- kassen sich die allergrößten Mißstände herausgebildet haben und zwar nur deshalb, weil die Arbeiter bei ihnen nicht in der Lage find, ihre Interessen genügend wahrzunehmen. In den Berichten der Arbeitersekretäre können Sie Hunderte von Fällen finden, in denen Enffcheidungen der Aufsichtsbehörden darüber herbeigeführt wurden, daß erkrankten Arbeitern gegen die Absicht des Gesetzes ihr Krankengeld verweigert worden war.(HörtI hört! bei den Sozialdemokraten.) Und wie werden die Arbeiter erst vor den Berufsgenosfenschaftcn behandelt I Ich könnte Ihnen zahllose Einzelfälle mit Namen vorführen, aus denen hervorgeht, mit welcher Brutalität, Schinderei und Quälerei die Arbeiter behandelt worden sind.(Zurufe rechts.) Wenn Sie es wünschen, will ich Ihnen die Fälle namhaft machen, aber ich glaube mit Rücksicht auf die Zeil davon Abstand nehmen zu können. Wem, die Herren gewillt wären, der Wahrheit einigermaßen Rechnung zu tragen, so wäre ja schon längst vieles besser.' Die Be- russgenossenichasten ziehen, ehe sie die Reute feststellen, den Arbeiter Monate und Monate hin. Je später sie die Rente festsetzen, desto weiter könnte ja zu ihrem Vorteil der HeilungSprozeß vorgeschritten sein. Manche Berufsgenoffenschaften stellen dann den Arbeitern den Bescheid nicht nach ihrer Wohnung, sonderu nach ihrer Arbeitsstelle zu und lassen sie dann gleich mitten in der Arbeit einen Schein unterschreiben, daß sie mit der Renten- f e st s e tz u n g einverstanden sind.(Hört! hört I b. d. Soz.) In Braunlchweig ist das vielfach Sitte, und auch im Berichte de? Arbeitersekrelariats Brandenburg finden Sie solche Fälle aufgeführt. Einen Fall will ich Ihnen ganz kurz vortragen, um zu zeigen, in welcher Weise verunglückte Arbeiter behandelt werden, nicht von einer xbeliebigen Berufsgenossenschast, sondern von einem Kam« munalbeamtenverband mit einem Landeshaupt- mann an der Spitze, ein Fall, der zugleich zeigt. wie die Schiedsgerichte Recht sprechen. Am 23. November 1905 verunglückte ein Arbeiter in einem kommunalen Steinbruch. Der LandeSbauptinann wies seinen Rentenanspruch ab, weil nach seiner Anffaffung die anderen Arbeiter von einen, Betriebsunfall gar nichts gesehen hätten. Der Arbeiter wandte sich an das Schiedsgericht und stellte unter Beweis, daß seine Mitarbeiter Zeugen des Unfalls gewesen keien. Das SchiedS- gericht aber wies ohne jede weitere Beweiserhebung seine Klage ab. da nach den Zeugenaussagen eS kaum wahr- scheinlich sei. daß überhaupt ein Unfall vorläge. Unter Zeugenaussagen verstand also daS Schiedsgericht die Privatunterhaltungen eines Abgesandten des Landeshauptmanns mit den anderen Arbeitern. Erst daS Reichsversicherungsamt vernahm die Zeugen eidlich, und nun wurde sofort ein Betriebsunfall festgestellt und dem Manne am 23. Juni lSl)7 die Bollrente zugesprochen. Inzwischen ivaren aber fast zwei Jahre vergangen und der arme Teufel ins größte Elend ge­raten.(Hört! HörtI bei den Soziald.) Der Landeshauptmann zahlte übrigens für die Berufsgenossenschast die Rente erst am k». Oktober aus, nachdem der Arbeiter sich noch einmal hatte beim Reichsversicherungs- amt beschweren müssen.(Hört I Hört I bei den Soziald.) So rück- sichtölos und anmenschlich behandelt selbst eine Berufsgenossenschast, an deren Spitze ein hober Beamter steht, die Arbeiter, die um ihre Rente kämpfen. Unendlich aber ist die Quälerei und Schikaniererei der Arbeiter, die zwar eine Rente bekommen, bei denen aber die Berufsgenossenschast glaubt, sie herabsetzen zu können. Sie werden von Arzt zu Arzt gejagt, bis ihnen ein so- genannter Vertrauensarzt bescheinigt, daß sich der Zustand gebessert habe. Durch öffentliche Milteilmigen deS Pro­fessors Lennerhoss ist bekannt geworden, daß die Berussgenosse»- schaften den Aerzten dabei gleichzeitig Aussagen von Polizisten und Bürgermeistern mitschicken, daß der zu untersuchende Arbeiter jetzt mehr Lohn verdiene, waS sich natürlich gar nicht kontrollieren laßt. und daß eine weitgehende Gewöhnung an die Unfallfolgen eingetreten zu sein scheine. Darin liegt natürlich eine starke Beeinflussung deS Gutachters.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Aber selbst wenn der A r z r f e st st e l l e n muß, daß sich an dem Zustande nichts geändert hat, selbst dann teilt die BerufSgenossen- Ichaft dem Arbctter mit, daß sich nach dem Gutachren des Professors Soundso sein Zustand gebessert habe und seine Rente gekürzt werden müsse.(Lebhaftes Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) ES ist einfach skandalös. wie hier gutgläubige Arbeiter uui ihr Recht beschwindelt werden.(Sehr wahr I bei den Sozialdemokraten.) Wie kann da die angeblich unparteiische Regierung mit gutem Gewissen behaupten, daß bei den BerufSgeuossenschaften alles in bester Ordnung sei. Aber der Präsident des ReichsveisiwerungSamteS hält eS ja für angemessen, zu den Festessen der Berufs- genossenschaften umherzufahren und dort Reden zu halren über die Vortrefflichkeit der sozialen Fürsorge für die Arbeiter. (Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) So sagte er beim Fest- essen der Seeberufsgenossenschaft:.Der gute tat- kräftige Geist, der durch die Verwaltung der Seeberufs» ge nossenschaft zieht,(Der sogenannte freisinnige Abg. Heckscher ruft: Sehr w a h r 1) ist vom Reichsversicherungs- amt stets anerkannt worden.(Heckscher: Bravo !) In der Seeberufsgenossenschafl hat stets der richtige Mann am richtigen Fleck gestanden.(Mudgau und Hcckscher: Bravo ! Bravo!) De» Vorsitz führt ein temperamentvoller, weitblickender Unternehmer F. Ferdinand L e i s.*(Hört I hört! bei den Sozialdemokraten.) Aber Herr Hecklcher. warum rufen Sie denn jetzt nicht: Sehr richtig?(Abg. Heckichcr: Ich rufe eS ja I) Dann löuiien Sie mir vielleicht sagen, Herr Heckscher, ob zu diesen richtigen Männern am richtigen Fleck auch der Reeder Adolf Schiff aus Elbing gehörte, der im Jahre 1832 an einen seiner Kapitäne schrieb:Zwei meiner Schisse sind mir jetzt total verloren gegangen und ich freue mich, daß ich die Assckuranzgelder ein- geheimst habe. Leider ist dabei die Mannschaft gerettet worden. lStürmische Hört! hör,!-Rufe und lebhafte Bewegung bei den Sozial- demokraten. Abg. Hcckscher: Olle Kamellen!) Ich hätte keinen Grund gehab», diese ollen Kamellen wieder aufznrühren. wenn nicht Herr Dr. Kauffmann gerade Herrn F. Ferdinand Leis gefeiert hätte, der als Borsitzender der See- lierufsgeiiossenschaft am 8. Februar L896 schrieb:.Die Unfall- verbütungsvorschriften habe» weniger einen direkten fach- lichen Zweck, alsdaß sie dazu dienen, die Behörden und das Publikum zu beruhigen, wie vortrefflich in der Seeberufsgenossenschast alles geregett ist. Bon diesem Gcsichlopuuktr ans sollten wir jede auftauchende Frage durch eine UnfallverhütungS- Vorschrift zu lösen suchen, je harmloser, desto besser. AUindus vult decipl! (Die Welt will betrogen sein.)" lStürmische Hört I hört I- Rufe bei den Sozialdemokraten. -- Abg. Heckscher: Ach loa 5!) Eine solche'Aeußerung zeigt, daß gerade dieser Vorsitzende der Seeberufsgenossenschaft jeder Spur menschlichen Gefühls bar war (Abg. Heckscher: O h o!) und daß der Abg. Heckscher ihn der- teidigt und ihm huldigt, daS zeigt mir nur. daß derselbe Geist in bezng auf die Arbeiterfürsorge in den sogenannten liberalen Parteien herrscht.(Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten. Abg. Heckscher: Oho!) Die Haltung des Abg. Heckscher wir kennen ja den Blockjüngling auS demBerliner Tageblatt" wundert mich auch nicht, denn jeder betätigt sich eben für die Leute, die»hn bez..- na. Sie wissen j a.(Große Heiterkeit und lebhafter Beifall bei den Sozial- demokraten.) Ich will Ihnen aber doch mitteilen, wie die Verhältnisse bei der Sceberufsgenossenschaft sich von der Seite der Arbeiter auS ansehen. Wie die Dinge in Wahrheit liegen, mögen folgende Zahlen beweisen, die die Arbeiter über die Berhäll- nisse in der Seeberufsgeiiosseuschaft aufgestellt haben. Danach sind vom Jahre l8ng bis zum Jahre 130t in deutschen Schiffs» betrieben 380 190 Unfälle vorgekommen, darunter 23910 Ver- letzungen, 7150 Todesfälle und Selbstmorde. Auf das Jahr 1899 entfallen 1352 Unfälle, auf das Jahr 1991 3185 Unfälle. (Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Todesfälle kamen 1899 993 und 1904 2901 vor.(Hört! hört! bei den Sozial- demokraten.) Auf einem Kongreß der Arbeiter wurden diese Zahlen eine erschreckende Statistik genannt, die eine schwere An- klage gegen die Urheber dieses schandbaren Systems bedeute. Nun mit wenigen Worten zur Invalidenversicherung. Die Verwaltung der Jnbaiidenbersicherung hat sich als bollständig den Arbcstcr« interessen entgegengesetzt erwiesen. Es ist bezeichnend für sie, daß die Behandlung der Invaliden in dem Augenblick umschlug, in dem von oben herab dekretiert wurde: So geht es nicht weiter, wir haben zu viel Invaliden. Da auf einmal setzte eine andere Behandlung der Invaliden ein und die Zahl der Jnvalidcncmpfänger geht von Jahr zu Jahr zurück.(Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Was ergibt sich daraus? Entweder war die Praxis vorher oder nachher falsch. Entweder gewährte man vorher zu viel Renten oder man bewilligt jetzt zu wenig. Das Urteil aller Personen, die mit der Invaliden- Versicherung zu tun haben, geht nun dahin, daß die Renten- empfänger jetzt in einer geradezu unerhörten Weise behandelt werden. Selbst ein Arzt hat das zugeben müssen und erklärt, daß die Erlangung einer Rente auch bei wirklich Schwachen und Elenden heute allzu sehr erschwert sei.(Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Das Verfahren, wie eS heute beliebt wird, spottet in der Tat auch aller Beschreibung. Da werden eines schönen Tages 50 und noch mehr Rentenempfänger vorgeladen und engroS untersucht. Und dann bestimmt der Vertrauensarzt, daß so und so viel Leute nicht oder nicht mehr erwerbsunfähig sind. Das geschieht im Handumdrehen, trotzdem diese Abschätzung selbst nach Angaben von Aerzten außerordentlich schwierig ist. Ich möchte den Minister gelegentlich der bevorstehenden Reform unserer Arbeiterversichcrung dringend bitten, gerade diese schlimmsten Mißstände zu beseitigen und wenigstens den Aermsten einige Er- leichtcrungcn zu gewähren. Hier sollte die Reform einsetzen. Ich komme nun noch zur Acrztefrage, der wir eS ja zu ver- danken haben, daß die ganze Oeffentlichkeit gegen die Kranken- kassenvorftände scharf gemacht wurde. Dr. M u g d a n hat in der Sitzung vom 23. Januar 1998 hier ausgeführt, daß der Kampf mit den Aerzten daraus entstanden fei, weil meine Partei- genossen es absolut ablehnten, mit der Organisation der Aerzte zu verhandeln.(Sehr richtig I bei den Freisinnigen. Zuruf bei den Sozialdemokraten: Sehr unrichtig!) Dr. Mugdan sagte weiter, der Streit um die freie Acrztewahl sei nichts anderes als der Streit darum, ob die Krankenkasse mit dem einzelnen Arzt oder mit der Organisation Verträge abschließen sollte. Das hat Dr. Mugdan gesagt, obgleich er genau wußte, daß eS mit der Wahrheit nicht übereinstimmt. (Große Unruhe bei den Freisinnigen. Dr. Mugdan begibt sich unter der Heiterkeit des Hauses zum Vizepräsidenten Dr. Paafche und macht ihn auf die Aeußcrung aufmerksam. Dr. Paaschs macht jedoch eine abwehrende Handbewegung und lehnt ein Eingreifen ab. Dr. Mugdan begibt sich wieder auf seinen Platz. Stürmische Heiterkeit bei den Sozialdemokraten.) Ich will nicht bestreiten, daß einzelne Kassenvorftände eS abgelehnt haben mögen, mit Aerzten zu verhandeln. Aber weshalb? Weil die Kranken- kassenvorftände genau wußten, daß es sich bei den Verhandlungen mit den Aerzten oder besser mit der Aerzteorganisation nicht um einVerhandeln" dreht, nicht darum, einen Ausgleich zu finden, sondern daß die Aerzteorganisation einfach die Bedingungen fest seht. WeShalb sträuben sich nun die Krankenkassenvorstände gegen die freie Aerztewahl? ES wäre falsch, anzunehmen, daß die Arb>.iter prin- zipielle Gegner der freien Aerztewahl sind. Die Arbeiter haben sich vielmehr früher für die freie Aerztewahl ausgesprochen, und die Aerzte bei der Erfüllung dieser Forderung in jeder Weise unterstützt. WaS hat sich aber bei der Durchführung der freien Aerztewahl gezeigt? ES mögen Fehler hüben wie drüben vorgekommen sein, auch die Arbeiter mögen sich schwerer Fehler in bezug auf die Bezahlung und Behandlung der Aerzte schuldig gemacht haben. Ich halte es auch für ganz etwas Selbst- verständliches, daß die Aerzte sich zusammentun mutzten und eS nicht dem einzelnen überlassen konnten, die Verhandlungen mit den Krankenkassen zu führen. Aber die freie Arztwahl hat zu den allerschwersten Mißständen geführt. Zunächst wurden die Kosten sehr hoch, freilich stehe ich auf dem Standpunkt, daß eS unter allen Umständen Aufgabe der Krankenkassen ist, die für die Durchführung eines richtigen ArztfystemS notwendigen Kosten aufzubringen D i c Arztfrage darf keine Geldfrage sein. Die Kranken- kassen können und müssen so viele Aerzte anstellen, als sie brauchen. Wenn die Aerzte sich darüber einig sind, daß in einem bestimmten Falle etwa zehn Aerzte zu wenig sind, sondern daß es 12 oder 29 sein müssen, so ist das eine Frage, über die sich reden läßt. Ebenso läßt sich darüber reden, ob das Honorar für die einzelne Leistung zu erhöhen ist. Wenn aber einer Krankenkasse gesagt wird, du sollst nicht nur für die Aerzte sorgen, die du brauchst, du brauchst zwar yur 19 Aerzte, wir haben in der Stadt aber 39 Aerzte, und deswegen mutzt du 39 Aerzte bezahlen, so muß man doch fragen, da die Grenze sst. Mag man die Bezahlung der Einzelleistung auch noch so hoch schrauben, bei diesem System wird immer der Arzt, welcher nur wenige Kranke hat, dem Elend verfallen, wenn er sonst keine Einkünfte hat. Und deshalb gibt eS bei diesem System für die Kasse überhaupt keine finanzielle Grenze. Auch bei der Behandlung der Kranken haben sich bei der freien Arztwahl schwere Mißstände herausgestellt. Man denkt bei der freien Arzt- wähl immer, der Arbeiter könne jeden Arzt in Anspruch nehmen. DaS ist aber nicht der Fall. Man versteht darunter nur, daß eS jedem Arzt freistehen soll, zu behandeln, nicht aber dem Kranken, jeden Arzt in Anspruch zu nehmen. Auch von ärztlicher Seite ist darauf hingewiesen, daß bei diesem System einige Aerzte sehr viel, andere sehr wenig in Anspruch genommen werden, so daß der Arzt, der viel in Anspruch genommen wird, gar nicht imstande ist. die Patienten richtig zu behandeln. Aus allen diesen Gründen sind die Kassenvorftände dazu gekommen, nicht etwa die freie Arztwahl grundsätzlich abzulehnen, sondern sie stehen auf dem Standpunkt, daß die Frage von Fall zu Fall zu ent cheiden i st und sich nach den gegebenen Verhältnissen einer Kasse richten muß; sie hoben sich deshalb dagegen gewehrt, daß ihnen die Pistole auf die Brust gesetzt und gesagt wird, die freie Arztwahl muß unter allen Umständen durchgeführt werden. Ich hoffe, dah die Ver- Handlung zwischen den Kasscnvorständen und Aerzten, dte jetzt im Gange sind, zu einem guten Erfolge führen. Ich bin weit davon entfernt, die Stellung zwischen den Aerzten und Kassen mit der zwischen Arbeiter und Fabrikherr zu vergleichen. Die Arbeiter haben ein Interesse daran, die Aerzte nach jeder Seite hin zu befriedige u. einen Aerzte st and zu haben, der mit Freuden seinem Berufe nach- k o m m(Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) Mit zwei Worten will ich jetzt noch auf einige Aeutzerungen zurückkommen. die in der vorhergehenden Debatte gemacht sind. Ich wende mich zunächst an den Bundesratsvertreter von Elsaß-Lothringen , der sich bemüßigt fühlte, die Gewerbeinspektion in Elsaß-Lothringen zu rechtfertigen. Er hat uns die Zahl der Gewerbeaufsichtsbeamtcn cui- geführt und gezeigt, wie sie großer und größer geworden ist, und wie sie sich auS kleinen Anfängen entwickelt hat. Wäre er noch etwas weiter zurückgegangen, so wäre er auf eine Zeit gekommen, wo noch gar keine GcwcrbeaufsichtSbeamten vorhanden waren, und er hätte dann zeigen können, wie die Gewcrbcinfpektion aus dem Nichts entstanden ist.(Heiterkeit.) Er hat uns aber nicht gezeigt, was das Wichtigste ist, nämlich daS Verhältnis der Gewerbe» aufsichtsbeamten zu den Betrieben. Ich will das deshalb nachholen. In dem Bericht von 1992 wird angeführt, daß die Fabriken und die den Fabriken gleichgestellten Anlagen durch- schnittlich nur alle vier Jahre einmal besucht werden. Sollen auch die Handwerksbetriebe mit besucht werden, so wird jeder Betrieb durchschnittlich nur alle sechs Jahre einmal besucht. Diese seltenen Revisionen haben den Ucbelstand so sagt der Fabrikinspektor daß unsere Arbeit häufig ganz verloren geht. Wir finden bei der nächsten Revision neue Betriebsleiter vor, die von unseren Ab- machungen nichts wissen. Im Jahre 1993 sagte der Gewerbe- inspektor:Die Anzahl der Revisionen hat wie im Vorjahre eine merkliche Abnahme erfahre n." (Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Dies fällt um so mehr ins Gewicht, als die Zahl der Fabriken überhaupt abgenommen hat. Im Jahre 1904 wird mitgeteilt, daß nur 19.3 Proz. der re-