Belegstücken ist nach«Ivist'S Tode eine Abschrift inHände gekomnre», die man gewöhnlich als unbefugte bezeichnet,und daraus ist denn der Panamino, der kleine Panama, wie dieItaliener ihn nennen, entsprungen.Damals legte das Ministerium Crispi den Bericht still-schweigend zu den Akten. Alvisi erwähnte die Sache ein paarMal im Senat, drohte mit Skandalgeschichten, ließ sich aberimmer zum Schweigen bringen. Er schwieg auch, als der Mi»nister Miceli, der die Untersuchung befohlen, bei der nächstenJahresverlängerung des Bankgesetzes einen gewaltig schönfärben-den Bericht über die Banca Nomana in der Kammerkommissionerstattete, und seinen Freund Alvisi inständig bat, ihn und denKredit des Landes nicht durch �Enthüllungen zu kompromittiren.CriSpi stürzte, Riidini ersetzte ihn; Rudini siel, ihm folgte das,etzt herrschende Ministerium Giolitti. Das definitive Bankgesetz,das die Banken reorganisiren und ihr Privilegium aus 6 Jahreverlängern sollte, schwebte noch immer in der Luft. Keinerwollte an diesen gefährlichen kiöder anbeißen. Wie„Fünkchenlebt noch", der Glemmspahn im Kinderspiel, ging es von Handzu Hand, bis endlich am 21. Dezember das letzte Fünkchen un-befugter Weise grausam zerdrückt wurde.Noch am 6. Dezember 1692 hatte Giolitti einen Gesetzentwurf zur Verlängerung des Bankprivilegiums auf sechsJahre einbringen lassen. Aber infolge der fatalen Gerüchte,die unbefugter Weise umliefen über grobe Unregelmäßigkeiten inden Bankverwallungen verlangte Giolitti schon am 21. Dezembernur eine Galgenfrist von drei Monaten— bis 31. März.Während der Debatte trat der Teputirte Colajanni auf und verlaszur allgemeinen Ueberraschung verschiedene Stellen ans AlvisisGeneralbericht über die Banca Roinana und aus Biaginis Spezial-bericht über die von ihm geprüften Bücher und Bestände. Dakamen schöne Dinge an den Tag! 9 Millionen Franken ungesetz-lich im Uebermaß ausgegebene Banknoten, eine für Bank-gouverneur und Kassirer äußerst angenehme statutenwidrige Bcr-Mischung von Banktasse und Goldreserve, ein Portefeuille volluneinlösbarer Reitwechsel, von den Fonds der Bank73 Millionen vorgeschossen an 179 bevorzugte Personen, davon33'/e Millionen an nur 19 Personen; unter den Schuldnernder Bank figurirten der Bankgouverneur Tanlongo über einerMillion und der Präsident des Aussichtsraths, Fürst GiulioTorlonia, mit 4 Millionen re. jc. Im übrigen nannte Colajannikeine Namen, gab aber zu verstehen, daß er mehr wisse als er sage.und verlaugte eine parlamentarische Untersuchung über dieBanken.Ein anderer Deputirter, Gavozzi, las dann eine fernere Stelledes Berichtes vor, wonach starke Vorschüsse von der BancaRomana an Advokaten, Journalisten und politische Charakteregemacht worden seien, und solche Spezialkunden Gelder erhallenhätten bis zu 12 Millionen, die in den veröffentlichten Bilanzennicht figurirten.Auf sprang Miceli, der Exminister, der unter Crispi dieUntersnchnna befohlen hatte. Auf sprangen Giolitti, Crispi,Rudini, die drei betheiligten Ministerpräsidenten, einer nach demandern, um diese Enthüllungen für Fabeln zu erklären.Und mit welcher Gewaltsamkeit der sittlichen Entrüstungtraten sie auf! Ein deutscher Handlungsreisender, dem man dieauf gute Muster hin bestellten und in schlechter Qualität ge-lieferten Waaren vorgehalten, hätte keinen edleren Zorn ent-wickelt.Am selben Tag« wechselten die Deputirten an der Kammer-lasse für über öOiXX) Franken Noten der Banca Romana um,und die Aktien(zum Nominalbetrag von 1990 Fr.) fielen um199 Franken. Aber nach den heroischen Ministerreden waren dieBörfenleute schon am Abend wieder obenauf. Man glaubte denSkandal erstickt und begraben.VolikiMo TtevevNMk.Berlin, den 31. Januar.Im Reichstage führte gestern die auf der Tagesordnungstehende Berathung des Etats des Reichsamts des Innernzu einer Fortsetzung der Nothstandsdebatte. Der AbgeordneteScipio(natl.) hatte nämlich die unglückliche Idee, dem HerrnStaatssekretär v. Bätticher bei dieser Gelegenheit eine ArtZustimmungserklärung zu dessen neulichen rosafarbenen Aus-lassungen gegenüber der Liebknecht'schen Interpellation darzu-bringen, selbstredend benutzten unsere Genossen Schmidt undBebel diesen Umstand, um das ihnen vor allem in bezug aufSachsen in reichlicher Fülle zu Gebote stehende Beweis-Material für daS Vorhandensein des außerordentlichenNolhstandes den Gegnern vor Augen zu führen. Als esden letzteren unter der drückenden Last der angeführtenThat achen gar zu unheimlich ward, griffen sie,wie schon oft bei solchen Anlässen, nach der letzten schwerenWaffe, dem Zukunftsstaat. Die Sozialdemokraten möchtenHefe tranken. Mit verschränkten Armen hatte er dem kalt-blütigen Hinmorden der Besten unter ihnen aus der Fernezugesehen. Die ersten Angriffe der Revolution waren mitungeheuren Verlusten niedergeschlagen worden. Eine tiefeEntmuthigung hatte die Klassen ergriffen, welche dasHanptkomiugent zur revolutionären Bewegung stellten. Diezerstreuten Ueberbleibsel einer ungeheuren Macht kämpftenihrem Banner treu bis zum letzten Athemzuge.� Sehrwenige verließen ihr Vaterland, um auswärts eine Zufluchtsstätte zu suchen. Sie starben, Männer und Frauen,zu Dutzenden, zu Hunderten ans ihren Posten.Hatte er eigentlich noch ein Recht, zu leben?Wie oft schon hatte er sich, von Schmerz überwältigt,diese Frage selbst vorgelegt.Andrej hatte sich auf den Stuhl vor seinem Schreib-tische niedergelaffen und drückte Stirn und Augen in dieflache Hand. Eine schreckliche Vision tauchte plötzlich vorihm auf.Es ist Nacht. Eine trüb erleuchtete Zelle in einemder sttdrussischcn Gefängnisse. Ihr Bewohner— ein jungerStudent— liegt auf einer Strohmatratze ausgestreckt,?ände und Füße sest mit Stricken zusammengebunden,ops und Körper mit Striemen bedeckt. Soeben ist er vomKerkermeister schmachvoll geschlagen worden, weil er sichrncht unterwürfig genug gezeigt hatte. Unter der brutalenBehandlung leidend, denkt er über die ihm einzig gelasseneRache—' die eines schrecklichen Selbstmordes— nach.Feuer soll das Werkzeug sein. In der Todtcnstille derNacht erhebt er sich mit Anstrengung von seinemLager. Mit dem Munde nimmt er den heißenLampen- Zylinder ab, welcher seine Lippen verbrennt; mit den Zähnen schraubt er den Brennerab und schüttet das Oel ans die Matratze. AlSdas Stroh gesättigt war, entzündete er mit dem brennendenDochte die Matratze und streckt sich dann wieder aus dasFenerbett. Hier liegt er ohue Stöhnen, während das Feueran seinem Fleische leckt und brennt. Als die Kerkermeister,durch den Ranch herbeigezogen, in die Zelle eilen, findensie ihn kalb verkohlt und sterbend.doch endlich einmal ein« Darstellung ihres Reiche? gebenund den Beweis liefern, daß es sich dorr besser leben lasse,als unter der heutigen göttlichen Weltordnuna. Die parla-mentarischen Stützen der besten aller Welten handeltenjedoch recht inkonsequent, als es am Schluß der Sitzungzur Abstimmung über die Vertagung der Diskussionkam. Mittels Hammelsprung wurde die Anwesenheit vonnur 147 Abgeordneten festgestellt, von denen K8 für und79 gegen die Vertagung stimmten. Die Sitzung mußte des-halb abgebrochen werden und wird die Debatte, da morgenSchwerinstag und am Donnerstag katholischer Feiertag ist,also keine Sitzung stattfindet, am Freitag fortgesetzt.Herr von Caprivi wird von dem boshaften Schicksalverfolgt, daß er das Gegentheil alleS dessen thun muß, waser zu thun sich vorgenommen. Als reinlicher Mann hatteer einen erklärlichen Abscheu vor dem Reptilienschmntz—er verschwor feierlich die Reptilienpreffe. Und siehe da,heute hat er einen ebenso großen und wohlgefülltenZoologischen Garten mit Reptilien in allen Farben undGrößen, wie sein Herr Vorgänger ihn nur jemals besessen.Des wetteren hat Herr von Caprivi sich weiland auf'skräftigste gegen die Wauwautaktik und die Züchtung desBeunruhigungs-Bazillus ausgesprochen. Und heute? Esgiebt in ganz Europa keine so riesige Reinkulturvon Beunruhigungs- Bazillen jeder Art, als in derdeutschen Reichskanzlei und den zu ihr gehörigenStellen. Tie neue Militärvorlage mit ihrem Krieg nachzwei Fronten, das düstere Orakelwort: die Existenz Deutsch-lands hänge von der Annahme der Militärvorlage ab, derwilde Chorus der militärischen Reptilien, die Deutschlandverloren sehen, wenn es nicht in den sauren Apfel derMilitärvorlage beißt, die„immer dichteren und dichterenKriegswolken", die sich im Gürzenich um den SchädeldeS Generals von Schkupp(oder von Schkopp— derName wird verschieden geschrieben) zusammenballen— wirwüßten nicht, wie die Züchtung des BeunruhtgnngS-bazillus systematischer und rn größerem Maßstab betriebenwerden könnte. Nur ein Gutes ist an dieser unheimlichenGeschichte: eS glaubt kein vernünftiger Mensch an die Gc-fährlichkeit der Caprivi- Bazillen— Niemand nimmt dieCaprivi'sche Reinkultur ernst, und wenn es demnächst zuNeuwahlen kommen sollte, würde alle Makulatur der mili-tärischcn Reptilien nur eine karnevaliftische Wirkung hervor-bringen. Wir sind zwar noch in dem alten Kurs, derunter Bismarck � im Februar 1887 seinen letzten Siegfeierte, allein solche Siege lassen sich nicht zwei Malerfechten.—Für die Militarvorlage erlassen jetzt auch GeneralePromrnziamento'S(Kundgebungen) in Wort und Schrift.Die Generale Gras Waldersee, v. Schkopp, v. Leszynski,v. Levinski n. A. sind vorangegangen und andere werdenfolgen. Daß den Generalen die Erhöhungen des Militär-bestandes und des Militäretats willkommen sind, haben wirnie bezweifelt; nur haben wir sie nie als Vorbilder politi-scher Weisheit erachtet. Woher sollten sie diese auch erlangthaben? In Gehorsam und Disziplin sind sie aufgewachsen;nie haben sie gegen die Befehle der Vorgesetzten Kritik übendürfen; als Stolz der Armee wurde gerade dieser Gehorsambezeichnet, ohne welchen die ganze Disziplin zum Teufelgehen sollte. Und jetzt, wo der oberste Kriegsherr eineVorlage bringt, was ist natürlicher, als daß sie voll undganz für dieselbe eintreten, zumal ihre ganze Erziehung siealle Dinge vom militärischen Standpunkt aus betrachtenlehrt. Was bedeuten da alle Kundgebungen sämmtlicherGenerale, sämmtlicher Offiziere? Nicht ein Gran mehrGewicht legen sie dem Willen dcs obersten Kriegsherrn bei,und sie können höchstens den Geist des Militarismus schwächen,indem sie die Diskusston ermuntern. Der Militarismus aberverträgt am wenigsten die Diskussion.—Petitionen an den Reichstag. Das fünfte Ver-zeichniß der beim Reichstage eingegangenen Pctttioncn umfaßt die Nummern 11172— 16 811. Eine ganze Anzahldieser Petitionen mit etwa einer Viertelmillion Unter-schriften, meistens von lutherischen Pfaffen und national-liberalen„Patrioten" ausgehend, verlangt die Beibehaltungde? Jesuitengesetzes. Die Beseitigung des Impfzwangeswird wieder in einer Masse Petitionen gefordert. EineReihe Petitionen bezieht sich aus die Militär- und dieDas war kein Phantasiegebilde, daS war schrecklicheWahrheit. Monate lang hatte die quälende Vision Andrejverfolgt, und jetzt peinigte sie ihn von neuem, als ob er sieerst gestern gesehen hätte.Und was that er, während derartig Schreckliches inseinem eigenen Lande vor sich ging? Er verharrte inSicherheit, studirte gelehrte Bücher, bewunderte die Schön-Hessen der Natur und die der Kunst. Und sein Gewijsen,der strenge unerbittliche Richter, flüsterte ihm peinigend insOhr: Hält dich außer den Gründen deiner Freunde nichtshier zurück? Bist du am Ende nicht doch in Furcht, deineSicherheit auszugeben und deinen Hals nochmals in dieSchlinge zu stecken? Oder dein Zimmer mit einer unter-irdischen Zelle in den Kasematten des Zaren zu ver-tauschen? �.Nicht immer gelang es ihm, diesen schrecklichen Richterzum Schweigen zu bringen. Er kannte die Angst des Zweifelsund die Qualen der Selbswerdammung. Es gab Momente,wo er seinen früheren revolutionären Eifer als Aufwallungder Jugend und Neigung zu heftigen Empfindungen verdammte, wo er sein Leben als eine große Berirrnng undsich selbst nur als einen Zwerg in einer Riesenrüstung betrachtete.— Aber jetzt war Alles vorüber, in Vergessenheit,in Nichts versunken, wie häßliche Traum- und Trugbilderder Nacht vor dem hereinbrechenden Aiorgen. Nein, dielangen Jahre entnervender Unthätigkeit hatten keineSpuren in seiner Seele hinterlassen. Er erhob sichund ging zum Fenster, das Rouleaux rn die Höhe zu ziehen.Der Mond war untergegangen, ein matter Lichtschein kamvon der Laterne der Straße herauf. Stolz und Freudeblitzte in Andrej's dunkeln Augen, da er im Geiste m dieZukunft blickte. Er sehnte sich, an seinen Posten zu kommen.Das berauschende Bewußtsein unleugbarer Kraft, die nichtGefahr, nicht Leiden, nichts, überhaupt nichts auf Erdenabhalten kann, auch nur um Haaresbreite von dem einmalbeschrittenen Wege abzuweichen. Er wußte, daß er einenguten und treuen Soldaten in der Schaar, welche für d,eSache ihres Landes kämpfte, abgeben werde. Solches Selbst-bewnßtsein verleiht dem Manne die Kraft über Andere,verleiht ihm die Kraft der Ueberzengung, die Fähigkeit einesSteuervorlagen, sowie die dem Reichstage»or liegende» Ge-setzentwürfe und Anträge.—Der Provinzial- Ausschuß der Rheinprovinz hates für gut gesunden, eine Kundgebung für die Militär-vorläge abzugeben. Die Herren des Provinzial-Ausschuffeshaben freilich hierzu kein anderes Recht, als daß sie wissen,hiermit oben nicht anzustoßen. Nichtsdefloweniger bleibt esvon ihnen eine Anmaßung, sich in dieser Sache als Ver-treter der Rheinprovinz aufzuspielen, wo sie nicht die ge-ringste Wurzel im Volke haben. Sie sind die Gewähltender Notabeln, der Pluto- und Bureaukratie der Provinz,und können höchstens als Stimme dieser Kreise gelten. Unowas die Herren Stumm, Baare, Krupp und deren Organewollen, wissen wir; sie werden für den Militarismus jeder-zeit eintreten, so lange man nicht ihren Geldbeutel oder ihrPrivileg auf Ausbeutung des Volkes antastet.—Die Haltung des„Freisinns" zur Militärvorlageist nicht so sest, wie Herr Eugen Richter sie darstellenmöchte. Die„Kölnische Volks-Zeitung' schreibt über siefolgendes:„Es sind gerade freisinnige Blätter und Parlamentarier,welche sich vom Zentrum die Kastanien aus deniFeuer holen lassen wollen, um vor dem gefürchtetenKonflikt vorbeizukommen, auf welchen Eugen Richter mitmulhigen Schlägen losrudert. Diese Herren in Lackstiefelnwollen den ertrinkenden Reichskanzler retten, aber nicht selbstins Wasser springen; ein« wohlausgebildete Gänsehaut ziert sievom Kopf bis zu den Zehen, wenn sie vom Konflikt sprechenhören, und zugleich vergehen sie in Begierde nach dem in derMilitärvorlage kredenzten steifen Grog, welchen andere trinkensollen, damit sie das unbehagliche Gefühl los werden. Woherdie Bänglichkeit der Herren m Lackstieseln? Manchem würdeeben das Tanzen vergehen, wenn der Reichstag aufgelöstwürde, nicht well die Opposition im ganzen zusammen-schmölze, sondern well Bebel ausspielte. Die Sozial-deiuokraten würden eifrig Umschau halten in deutsche»Landen und manchen freisinnigen Wahlkreis reif finden,um ihn einzuheimsen; in anderen Wahlkreisen ist der anti-semitische Weizen trotz später Ackerbestellung üppig in die Halmegeschossen und verspricht für die„Sozialdemokratie der dummenKerle" ebenfalls reichliche Ernte; der Rest verblieb« den Frei-sinnigen mit den Wasserstiefeln. Wird dagegen der Reichstagnicht aufgelöst, so hat man mindestens die Gnadenfrist bis zuden nächsten ordentlichen Wahlen, vielleicht aber noch mehr.Ks kann auch dann regnen oder schneien, es kann aber auchschönes Wetter kür die Freisinnigen sein, und still im gerettetenKahn triebe in den Hasen der Greis. Aus derlei nützlichenBetrachtungen ergiebt sich für die Freisinnigen der angedeutetenRichtung der folgerichtige Entschluß, muthig abzuwarten,bis ein Retter sich findet, der m den Grund taucht, nicht»im Caprivi, sondern um st« zu retten. Bis jetzt habensie vergeblich gewartet, und sie dürften auch im weiterenVerlaus sich überzeugen, daß die Dummen wirklich alle ge-worden sind."Ob aber das über den„Freisinn" Gesagte nicht auchganz gut auf das Zentrum paßt? Ob die Neigung zumKompromiffeln nicht hier ebenso stark ist wie dort?Die akademische Lehrfreihelt sieht Herr v. Treitschkedarin, daß man aus dem Katheder allen möglichen Unsinnsagen darf, ohne daß die Presse davon Kenntniß nimmt.Er gab in einer seiner letzten Vorlesungen dem Unwillen.Ausdruck, daß man seine jüngste Faselei in der Presse mit-getheilt habe. Er verwahrte sich gegen den„Unsinn", gesagtzu haben, Luther wäre kein Revolutionär gewesen. Ecführte aus, daß es einen Unterschied gebe zwischen Re-volutionär und Revolutionär, daß gewisse Revolutionen be-rechtigt sein können.„Aber, fuhr er wörtlich fort, derKultus der Revolution, das Reden ins Blauehinein von guten Revolutionären, das istzu verwerfen!"Also wenn Treitschke etwas sagt, dann ist er weise.wenn Virchow dasselbe sagt, ist eS ins Blaue hineingesprochen, ist es Faselei. Nun, wir haben keinen Anlaß,uns für Virchow ins Zeug zu legen, besonders wo er vonpolitischen und sozialen Dingen spricht. Aber Virchow hatwenigstens auf anderen wissenschaftlichen Gebieten etwas g e-leistet. Was aber hat Herr von Treitschke geleistet?Die Geschichte hat er im Dienste der Macht gefälscht undentstellt, und sein ganzer Ruhm steht und fällt mit derHurrah-Kanaille.—Die Frage der KammerauflSsung ist in F r a n k-reich ganz in den Hintergrund getreten. AlS daS Mini-agitatorischen Genies, die menschliche Seele zu beeinflussenund umzubilden.Inzwischen war eS völlig dunkel geworden und erst inzwei oder drei Stunden konnte die Sonne heraufkommen. Esdrang bereits eine frische, dünne Morgenluft durch dieRitzen dcs Fensterverschlusses. Große bleierne Wolken zogenhintereinander über den Himmelsbogcn, die weißen Pünktchender Milchstraße verschwanden mehr und mehr.Andrej beschloß, zu Bette zu gehen. Er mußte früh-zeitig wieder aufstehen. Lena würde sicherlich nach Beendi-gung ihrer Unterrichtsstunden wieder bei ihm vorsprechen.Auch hatte er noch vieles in Ordnung zu bringen, um ohneAufschub abreisen zu können.Er entkleidete sich, legte die Uhr neben sich, und alssein Haupt die Kissen berührte, schlief er sofort den Schlafdes Gerechten.II. Kapitel.A n der Grenze.Samuel Süsser, vertraulich der rothe Schmul genannt,der Hauptschmuggler und Schankwirth zu Jschky, einemDorfe an der litthauischen Grenze, bediente seine Kundenmit der gewöhnlichen Behendigkeit. Sein lebhaftes Augeerfaßte immer den richtigen Moment, wenn einer von ihnendurstig war, und seine geübte Hand goß nie einen über-flüssigen Tropfen aus, so daß das GtaS nachgerade gefülltschien. Diesen Moment aber war sein thäriger Geist ander-weitig in Anspruch genommen; er folgte dem Schnellzuge,welcher gerade die letzten Meilen zwischen St. Petersburgund der Grenze durchschnitt.Heute Morgen hatte er ein Telegramm von DavidStirn, einem Studenten jüdischer Herkunft, erhalten, der sichmit den rebellischen„Gojims"(Christen) gegen die Obrig-keit verbunden hatte, und jetzt für sie„die Grenze hütete."In verabredeten Ausdrücken hatte David seine Ankunftmit dem Adeiidzuge, in Begleitung von drei Gefährten.welche über die Grenze geschmuggelt werden mußten, mit-getheilt.Drei Personen zu zehn Rubel per Kops ist keinschlechtes Geschäft für einen Tag. Eigentlich hoffte aber derrothe Schmul etwas mehr als diese Summe für seine Mühe