poUtilche CUbcrltcbt*Berlin, den 28. März 1908.Sozialpolitik im Reichstage.In der heutigen Sitzung wandte fich der Reichstag wieder ein-mal sozialen Einzelfragen zu, wie das gewohnheilsgemätz die dritteLesung des Etats des Reichsamts des Innern so mit sich bringt.Zunächst machte der Konservative Graf C a r m e r einen Vorstoszgegen die Ausdehnung der Sonntagsruhe in kleinen Städten und fanduatürlich bei dem für agrarisch-reaktionäre Wünsche äußerst empfäng-lichen Staatssekretär b. Bethmann-Hollweg ein geneigtes Ohr.Von den Zentrumsrednern Becker und GiesbertS wurdenbis zu einem gewissen Grade did in der zweiten Lesung von unserenParteigenossen gegen die Rente npolitik der Verufsgenossen-schaftcn erhobenen Klagen unterstützt!Schärfer ging dagegen Genosse Hoch vor, der sich besondersdie Seeberufsgenossenschaft zuin Gegenstand einer ein-gehenden Kritik auserkoren hatte. Au der Hand einiger gerichtlichfestgestellten Seeunfälle wies er nach, welchen unheilvollenEinfluß zuungunsten der Schiffsmannschaft die Reeder aufdie Sicherheitsmaßregeln im Schiffsbetrieb ausüben. Wiedie Trän' auf der herben Zwiebel folgte darauf naturgeniäß eineweinerliche Verteidigungsrede des Herrn Siegfried Heck scher,der sich nicht wenig darauf zugute tat, daß er verschiedene Malesich auf dem Meere habe schaukeln lassen. Auch damit renommierteer, daß er im öffentlichen Lxben Englands sich habe umherschaukelnlasten, lieferte aber derartige Beweise von Unkenntnis der englischenGewerkschaftsbewegung und der politischen Entwickelung der eng-lischen Arbeiter, daß man zu der Uebcrzeugung kam. er sei nie überdas Stadiinn der politischen Seekrankheit in England hinausgekommen.Genosse S e v e r i n g, der zum Reichsgesundheitsamt das Wortnahm, versuchte die Heckscherschen Irrtümer aufzuklären, hatte abermit beständigen Unterbrechungen des Vizepräsidenten P a a s ch e zukämpfen, bis er sich dem Nachweise der gesundheitsschädlichen Zu-stände in Hütten- und Walzwerken zuwandte. Zu deren Abstellungforderte er die Zuziehung der Arbeiterorganisationen und die An-stellung von Inspektoren aus den Reihen der Arbeiter.Die Genosten Zubeil und Lehmann brachten zahlreicheKlagen der Maler und Lackierer über die Nichtbeachtung derBundeSratSverordnung betreffend die Verwendung bleihaltigerFarben zur Sprache. Der Direktor Caspar meinte indes, daßkein Grund dazu vorliege. Von der Tatsache, daß die badischeRegierung bereits ein vollwertiges Ersatzmittel für dasgiftige Vleiw.ei.ß zur Anwendung bringt, hatte der Vertreterdes Bundesrats offenbar noch nie etwa« gehört, denn er bestritt.daß ei» solches Mittel bereits- erfunden fei.Nach achtstündiger Debatte wurde um 7 Uhr abends der Etatdes Innern zu Ende gebracht.Die preußische Teuerungszulage.Endlich ist dem. preußischen Abgeordnetenhause der Nachtrags-etat betreffend die Teuerungszulage an Beamte zugegangen. Erbestimmt, daß auS Kapitel 63 Titel 6 des Etats des Finanz-Ministeriums, der 77 Millionen zu Diensteinkommensverbesterungenfür Beamte, Geistliche und Volksschullehrer nach Maßgabe der be-sonderen GesetzcSvorlage fordert, gezahlt werden vor Festsetzung derGehaltsreformvorlage:.-a) den Unterbsamten 100 Mark.b) den Kanzlei bramten, Zeichnern und mittle-ren Beamten bis zu 4200 Marl JahresgehaltISO Mark.Die Zulage erhalten die am 1. April 1908 vorhandenen etatS-mäßig ange st eilten oder diätarisch beschäftigtenBeamten, insoweit sie nicht bereits durch die im StaatöhauShaltSetatfür 1907 Vorgesehenen Diensteinkommensverbesserungen eineErhöhung ihrer Diensteinkünste erfahren haben. Bleibt der JahreS-betrag dieser Erhöhung nach dem Stande vom 1. April 1906 hinterdenr Betrage der cinnialigen Zulage zurück, so ist der Unterschicds-betrag als Zulage zu gewähren. Die sämtlichen einmaligen Zulagensind demnächst auf die Diensteinkommensverbesterungen aufzurechnen,die auS der mit rückwirkender Kraft vom 1. April 1908 in Aussichtgenommenen Neuregelung der Beamtenbes oldungen sich ergeben.Ferner erhalten die am 1. April 1908 im preußischen Volksschul-dienst in Schulverbänden mit 25 oder weniger Schulstellen endgültigoder einstweilen angestellten Lehrer 150 M., Lehrerinnen100 M.. sofern sie eine Schulstelle bekleiden, welche mit einemGrundgehalt von nicht mehr als 1200 M., bei Lehrerinnen von nichtmehr als 900 M. ausgestattet ist. Bei den vereinigten Schul- undKirchenämtern ist das reine Lehrergrundgehalt maßgebend. Die AuS-zahlung erfolgt für Rechnung der Schulverbände aus der Staats-käste, die Beträge sind an den Schulvcrband zurückzuzahlen, sobalddas mit Rückwirkung auszustattende neue Lehrerbesoldungsgesetz inKraft getreten ist.AuS dem Fonds können außerdem mit Rücksicht auf die in Er-Wartung der allgemeinen Gehaltserhöhung vorgenommene KürzungKaltiirpollflfche Glossen.Parlamentarische Einbildung.Ein russischer Bauer stritt sich mit seinem Geistlichen.„Du bistein Faulenzer— sagte er— Du lebst bloß vom Brot der anderen.Was ist denn Deine Arbeit? Stellst Dich in der Kirche auf undplapperst mit der Zunge, eine Stunde oder eine halbe; dafür ver-langst Du. daß wir Dir die Säcke vollstopfen. Das könnte einjeder machen!"—„So?— erwiderte der_ schlaue Pope— Dumeinst, da? wäre keine Arbeit? Willst Du es vielleicht nachmachen?Komm' am Sonntag in die Kirche, und während ich die große Messelese, da sollst Du die ganze Zeit mit der Zunge plappern. Hältst Dusolange aus, wie ich, so kriegst Du es bezahlt; wenn nicht, so mußtDu zahlen." Der Bauer ging darauf ein. Am nächsten Sonntagbegann der Wettbewerb. Der Pope las gemächlich die Messe,der Bauer plapperte mit der Zunge. ES dauerte aber gar nicktlange, da ließ der letztere nach. Die Mundhöhle wurde ihm trocken.die Zunge erschien so schwer, als wäre sie auS Blei; eS kam ihmauf einmal zum Bewußtsein, was er sonst nie bemerkt hatte, daß dasZungenschwenken eine mühevolle Arbeit sei.Nicht viel anders wie diesem russischen Bauern muß eS manchemRcichstagSrcdner zumute gewesen sein, als die Berichterstattertribünestreikte. Das parlamentarische Reden erschien auf einmal zwecklos,deshalb langweilig und ermüdend. Ein echter Parlamentarier ver-steht zwar mich dann zu reden, wenn er nichts zu sagen hat. aberum so mehr braucht er den Widerhall der Oeffentlichkeit. Auch wenndie Rede einen Inhalt hat, braucht sie ein Publikum, aber ohne In-halt und ohne Publikum kann sie nicht bestehen. Wir haben eS jetzterkannt, vielleicht macht es sich ein zukünfligcr Staatsreformer Deutsch-landS zu Nutzen: man braucht nur die Journalisten- und Zuschauer-tribiine zu räumen, um das Parlament zum Verstummen zu bringen.Ein Parlament ohne Presse ist wie ein Glockenklöppel ohneGlocke— er schwirrt durch die Llift, erzeugt aber nicht eineneinzigen Ton.des Stellenzulagefonds der Eisenbahnverwaltung über die daselbstvorgesehenen Mittel hinaus Stellenzulagen bis zur Ge-samthöhe von 18 200000 M. gewährt werden, die bei derGehaltsvorlage ebenfalls zur Anrechnung kommen.—Die hierzu erforderlichen Mittel werden auf 33 620 000 MillionenMark berechnet.Die meisten Beamten werden sich über diese vorläufige kleineAbschlagszahlung auf die ihnen mit enormen Phrasenauswand ver-heißene Gehaltserhöhung schwerlich sonderlich befriedigt fühlen.Versprechen und halten ist eben zweierlei— auch bei einer hohenRegierung.—_Die Etatsberatung im Herrenhanfe.Die Beratung des Etats im Herrcnhause ist im Grunde ge-nommen nur eine Farce. Irgendwelche Aenderungen am Etatvorzunehmen, ist dem Hause durch die Verfassung verboten, essteht ihm nur frei, ihn im ganzen abzulehnen oder anzunehmen.Aus diesem Grunde sind die drei Tage, die das HauL für die Be-ratung vorgesehen hat, eigentlich schon zuviel.AM Sonnabend, dem ersten Tag der Debatte, wurde viel überdie schlechte Finanzlage in Preußen und im Reich gesprochen, vonallen Seiten forderte man die Rückkehr zur altpreußischen Spar.samkeit— eine widerwärtige Heuchelei angesichts der Tatsache, daßman Millionen für die Polcnpolitik und andere ähnliche Zweckezum Fenster hinauswirft.Wie alljährlich, so hielt auch diesmal wieder Graf Mirbachdie Etatörede für die Hochkonservativen, eine Rede, die wir min-Genossen!Zu gesteigerter politischer Arbeit ruft die Zeit!Es gilt, die Erkenntnis, daß schmählichen Verrat derFreisinn am Grundsatz des gleiche« Rechts, am Recht derNation auf die Muttersprache begeht, ins Volk zu tragen!Es gilt, zu rüsten für den Wahlkampf und Wahlrechts-kämpf in Preußen!Die Reaktion will das kämpfende Proletariat über-raschen und überrumpeln. Der nahe Wahltermin wird ge-heim gehalten.Aber die Arbeiterschaft Preußens muß bereit zumKampf, bereit seinam 4. Junimit der Wahlstimme zu protestierengegen die Dreiklassenschmach!Arbeit für seine Klasse, politische Tat, diejederver-richten kann, leistet der Proletarier, derAbonnenten wirbt für denVorwärts!Harter Kampf erfordert die Anspannung aller Kräfte!Tue jeder seine Pflicht!„Vorwärts".destens schon ein dutzendmal von ihm gehört haben. Immer dasalte Lied: Um Gottes willen keine Belastung der preußischenSteuerzahler, vor allem nicht der Großgrundbesitzer, durch neuedirekte Steuern! Dafür desto höhere indirekte Steuern zur Be-lastung der Bevölkerung im Reich! Kein allgemeines Wahlrechtin Preußen! Lieber eine Verschlechterung des ReichStagSwahl-rechts! In der Mirbachschen Etatsrede kommt daS Streben derJunker am klarsten zum Ausdruck: Alle Rechte für uns, alle Lastenfür daS Volk!Scharfe Kritik an dem preußischen Dreiklassenwahlsystcm übteProf. L o e n i n g aus Halle, der vor allem die Einführung dergeheimen Stimmabgabe forderte, sich aber aufs entschiedenste gegendie Uebertragung des ReichstagSwahlrechtS auf Preußen aussprach.Es scheint, als ob Herr Loening etwa auf dem Boden cincS pluto-kratischen Wahlsystems steht, wie eS die Nationalliberalen wünschen.— Anschauungen, die für ein Mitglied des Herrenhauses schonfast revolutionär sind.Eine verständige Anregung, die allerdings keine Aussicht aufVerwirklichung hat, gab der Posener Oberbürgermeister Dr.W i l m s. Er befürwortete eine Reichswertzuwachs st euer,vergaß aber, daß eben erst in der PetitionSkommission deS Ab-geordnetenhauses der Vertreter der Regierung sich gegen einestaatliche Wertzuwachssteuer unter der ausdrücklichen Motivierunggewandt hatte, daß diese Steuer den Gemeinden vorbehaltenbleiben müsse, die sie natürlich, solange das Hausbesitzerprivilegbesteht, auch nur ganz vereinzelt einführen.So manche Reichstagsabgeordneten mögen sich in jenen Tagenvorgekommen fein, als wenn man ihnen einen Sack vor den Mundgebunden hätte, in den sie hineinsprechen sollen. Die RäumedeS Reichstags, die sich früher vor ihrem Blick zueiner Welt erweiterten, zu einem politischen Universum, das Völker,Länder, Meere umfaßt, erschienen ihnen ans einmal in ihrer ganzenkarten Beschränktheit: die Decke mit ihrem schweren Stuckwerk be-drückte sie. die Mauern beengten sie; sie selbst erschienen sich wieein Häuflein ratloser Menschen auf einer im Ozean verlorenenInsel. Und die großen Politiker und Staatsmänner von gesternschrumpfteu klein zusammen, als ihr Schattenwurf verschwand.DaS war für unsere Parlamentarier eine günstige Gelegenheit,sich selbst in ihrer wirklichen Größe zu erkennen. Sie haben dieGelegenheit mibe nützt vorbeigehen lassen. Sie bilden sich vielmehrein. die Journalisten waren eS. die ihnen ihre Größe gestohlenhaben.ES ist eine seltsame Illusion, die sich bei jedem Parlamentariereinstellt und an der unfehlbar sein bißchen Verstand verloren geht,wenn er es nicht versteht, seine Tätigkeit, wie es in derSozialdemokratie als Vertreterin des orgauisiertfn Proletariatsder Fall ist, als einen winzigen Teil der Kollektivarbeiteiner Volksbewegung von vornherein relativ zu bewerten. Er gilt,nach dem Ergebnis der Addition und Subtraktion der Wahlstimmen,als Vollsvertreter. Währenddem er aber höchstens eine politischeRichtung zum Ausdruck bringen kann, die im Volke vertreten ist,und deshalb seiner Aufgabe am ehesten gerecht wird, wenn er dempolitischen Programm getreu bleibt, unter dem er ge-wählt wurde, bildet er sich ein, sein eigenes Denke»,Fühlen und Wollen sei das Denken, Fühlen und Wollendes Volkes, er sei gleichsam die Verkörperung des Volks-willens. Er unterstellt dadurch sich selbst dem Volke. AnStelle der 60 Millionen mit ihren geschichtlich gebildeten Jnter-essen, Kämpfen, Bestrebungen 397 Mann mit ihrer, mehr oderwcniger beschränkten Gehirntätigkeil und ihrem großen Mundwerk.und daS ist das Volk! Sie halten im Parlament Reden; am nächstenTag ttete» ihnen diese Reden in den Zeitungen entgegen: die RedeEinige Abwechselung in die Debatte brachte Herr vonKosciclski, der namens der polnischen Mitglieder des Hausesdie Ablehnung des Etats motivierte, um der Regierung ihr Miß-trauen auszudrücken, und im übrigen in fcin-sarkastischcr Weis-und mit beißender Ironie die Polenpolitik zerpflückte. Der':.�nister Frhr. v. Rhei nbaben war sachlich nicht imstande, cU;.zu erwidern, er beschränkte sich deshalb auf einige Phrasen, dftz e.im Ton deö Gardelcutnants hcrschnarrte.Am Montag geht das Gerede weiter.Die beleidigten Dreiklafsenmänner.Im Abgeordnetenhause spielte sich am Sonnabend einkleines Intermezzo ab, das charakteristisch ist für die Rückstchts-losigkeit, mit der die Regierung das Haus behandelt. Obwohldie laufende Session die letzte der Legislaturperiode ist undobwohl die Abgeordneten ein Recht darauf haben, über dieAbsichten unterrichtet zu werden, die die Regierung bezüglichdes S e s s i o n s s ch l u s s e s hegt, ist dem Hause bisher eineoffizielle Mitteilung darüber, ob das Haus noch vor Osterngeschlossen werden soll oder nicht, noch immer nicht geworden.Aus diesem Grunde gab Abg. H o b r e ch t(natl.) namensaller Parteien seinem Bedauern über das Verhalten der Regierung Ausdruck. Gleichzeitig entledigte er sich eines ihmgewordenen Auftrages und bat den Präsidenten, von derRegierung eine möglichst baldige und bestimmte Erklärung zuerwirken, lvann der Schluß der Session zu erwarten ist.Der Präsident v. Kröche r wird diesem Ersuchen nach-kommen.Ebenso wie die Abgeordneten hat auch das Volk ein Rechtdarauf, zu erfahren, wann die Session geschlossen wird, denndamit hängt aufs engste der Termin der Neuwahlen zusammen. Wenn die Regierung etwa glaubt, durch ihrVersteckspiel die Sozialdemokratie überrumpeln zu können, s,irrt sie. Wir sind gerüstet; das klassenbewußte Proletariawird den Wahlrechtsfeindcn seine Antwort erteilen, mag csnun im Mai, im Juni oder mag es erst im Herbst zwStimmabgabe aufgefordert werden.—In den Armen liegen sich beide...Die„N a t i o n a l- Z e i t u n g" hatte nach der Vccflüchtungdev cnglisch-russischen Nebels einige Zeit den Ehrgeiz gehabt,den NationallibcralismuS so etwas wie verjüngen zu wollen undwar den alten Herren der Partei dabei derart auf die Füße getretc::und auf die Nerven gefallen, daß sie vom Zcntralvcrbandder Ratio nalliberalen Partei einfach boykottiertwurde.Jetzt aber hat sie sich löblich unterworfen. DerAbonnentcnschwund war derartig groß geworden, daß nur eineEntscheidung blieb: die Opposition oder die Zeitung zuliquidieren. Selbstverständlich wurde das Prinzip geopfert,um Blatt und Stellung zu halten. Und so ist die reuige Sünderinwieder in Ehren aufgenommen worden: der Zentralvorstand derNationalliberalen Partei, der ihr bis vor kurzem noch selbst dieoffiziellen Aufrufe und Nachrichten der Partei sperrte, erläßt jetztfür sie einen Bettelbrief.In ihm heißt es in bezug auf die„National-Zcitung":„Miß-Helligkeiten und Mißverständnisse, die sich zwischen ihr und derFraktion in letzter Zeit eingeschlichen haben, müssen jetzt angesichtsdieses Ernstes der Zeit zurücktreten." Unter diesem„Erni-der Zeit" soll in dem Zuckular schamvoll— nicht etwa der epi-demischc Abonnentenschwund des Blattes— sondern die„Reugestaltung des Wahlrechts, die Reform der Volksschule und dÄOrganisation der Verwaltung" verstanden werden. Nur schade; d�i.dieser„Ernst der Zeit" gerade den Krach zwischen„National-Zeitung" und Zentralvorstand hervorgerufen hatte!Wie aber mag nach dieser Verhöhnung dem ehemaligen Eherder Zeitung zumute sein, der jetzt mit russischen Söldlingen einnebelhaftes Dasein führt?Die Arbeiterfrenndlichkelt der Zünftlerhat sich wieder einmal herrlich offenbart in der letzten Vollversammlung der Handwerkskammer in Dortmund, diezum Gesetzentwurf über die Sonntagsruhe Stellung nahm.Wie der Sekretär der Kammer mitteilte, hat der Vorstand zudem Gesetzentwurf keine Stellung genommen, sondern ein Rund-schreiben an die Innungen erlassen mit der Bitte, ihre Ansichtenüber die Aenderung der Sonntagsruhe bei der Kammer vorzu-bringen. Es kam eine Anzahl Schreiben der JnnungSausschüssezur Verlesung, die sich sämtlich gegencine weitere Ver-schärfung der Sonntagsruhe aussprachen. Janssen-Dortmund beantragte, die Kammer möge kurz erklären, daß sieunter keinen Umständen eine Ausdehnung derSon.ntagSruhe wolle. Der Zentrumsmann Möller-Dortmundbrachte einen Antrag ein, der sich im Prinzip für die Sonntags-ruhe erklärte, dann aber, ehe eine Aenderung des jetzigen Zustandcseintrete, forderte, daß der Hausierhandel aufgehoben,des Kollegen X. und die Gegenrede deS Kollegen I. unddie Zwischenrede des Kollegen Z.; und um dieseReden die Artikel, Notizen. Zwischensätze der Zeitung; wie in dieserZeitung, so in allen anderen; wie an diesem Ort. so an allenanderen. So tritt ihnen ihre eigene Meinung, vieltauscndmalwiederholt und glossiert, als die öffentliche Meinung ent-gegen. Schließlich kennen sie nur noch sich und ihre ideelle Wider-spiegelung in der Presse und glauben, das sei daS politische Lebender Nation.Wie in einem mit Spiegeln angefüllten Raum, sehen sie nursich selbst und immer sich selbst, in endlosen Wiederholungen, undobwohl ihrer nur etliche sind, erscheinen sie sich selbst und denanderen als vieltmisendköpfige Menge, als Volk ohne Zahl. Nunwenden ihnen die Spiegel ihren unansehnlichen Revers zu und bringenkein Gegenbild mehr— das Volk verschwindet, und eZ bleiben etlicheschreiende Mäuulein, die sich verdutzt anstarren.Weshalb sich die Spiegel ihrerseits noch lange nicht ein-zubilden brauchen, daß sie die öffentliche Meinung bilden. Derdeutsche Liberalismus bläht sich jetzt auf, wie ei» Truthahn, undkollert was von der Macht der Preffe, die sich darin gezeigthaben soll. daß die Zeitungen keine RcichStagSberichtegebracht haben. Aber wenn der deutsche Liberalismusim Parlament die perionifizirte Ohnmacht ist, so ist die deutsche libc-rale Presse nur ein Reflex dieser Obnmacht.Parlament und Presse sind nur politische AuSdruckmitteki«cwerden zu einer Macht erst dann, wenn sie eine Macht auSzudriWMihaben, die hinter ihnen steht. Eine solche Macht ist z. B. �dcrkapitalistische Besitz. Eine solche Macht ist auch die Regierung»ndderen Staatsapparat. Und eine solche Macht sind die Volksinassen,wenn sie selbst in Altion treten.Aber das Volk, der große, unbeholfene Lümmel, steht immernoch gaffend da und läßt sich von allerlei politischen Wundcrdokrorcuund Taschenspielern gut Wetter machen, sieht mit staunenden Augenzu. wie sie Schwerter schlucken und Feuer speien, ihm Eier aus derNase und den Beutel aus der Tasche ziehen.-----Pamui