Gerschnni starb in der Blüte seiner Kraft, nur 37 Jahre Kit. Die furchtbaren Qualen, denen die Zarenregierung diesen ihren hervorragenden Feind unterwarf, untergrub die Gesundheit dieses außerordentlich starken, ausdauernden Mannes und führten ihn vor der Zeit ins frühe Grab. Gerschuni entstammte einer wohlhabenden Kaufmanns- familie. Schon als Student der Kiewer Universität nahm er regen Anteil an öffentlichen Angelegenheiten. Nach Ab- folvicrung seiner Studien siedelte er nach Minsk über, wo er sich der öffentlichen Tätigkeit mit Leib und Seele hingab. Hier trat er auf dem Gebiete der kulturellen Tätigkeit sofort in den Bordergrund: in kurzer Zeit schuf er unentgeltliche Volksschulen, Bolksvorlesungen, eine Gesellschaft zur Ver- breitung der Bildung usw. Allein eben diese Tätigkeit lenkte die Aufmerksamkeit der russischen Gendarmerie auf ihn. und er wurde auf Befehl des berüchtigten Moskauer Oberspions Subatow in Haft genommen. Die fehlgeschlagenen Versuche, eine rein kulturelle Tätigkeit in umfassendem Maßstabe zu entfalten, überzeugten Gerschuni sehr bald, daß die Zeit für eine solche Tätigkeit noch nicht angebrochen war und daß man erst vor allem die Zarenregierung, die dieser Tätigkeit im Wege stand, beseitigen mußte. In allem konsequent und sich selber treu, gab er seine bisherige Existenz auf, brach alle per fönlichen Beziehungen ab und ging, nachdem er sich der sozial revolutionären Partei angeschlossen hatte, im Jahre 189st zur illegalen Tätigkeit über. Nach kurzer Zeit wurde er vom Zentralkomitee der sozial-revolutionären Partei mtt be- sonderen Vollmachten für die organisatorische Tätigkeit in Rußland ausgerüstet. Hier bewährte er sich als glänzender Organisator. Unermüdlich arbeitete er an der Organisation neuer Gruppen; eine Reihe gut funktionierender Geheim- druckereien wurden von ihm eingerichtet; er war es auch hauptsächlich, der den Transport der in der Schweiz heraus- gegebenen revolutionären Literatur über die russische Grenze organisierte. Die Zeit seiner Tätigkeit fällt zusammen mit einer energischen Kampftätigkeit der Partei. Damals wurden die Attentate auf den Minister des Innern, Sipjagin. den Gouverneur von Ufa, Bogdanowitsch, gegen Pobjedonoszew und den Fürsten Obolensky organisiert. Gerschuni nahm auch regen Anteil an der literarischen Tätigkeit der Partei und gehörte zu den hervorragendsten Mitarbeitern des Parteiorgans„Revoluzionnaja Rossija". Keine Ruhe bei Tag und Nacht kennend, bereiste dieser „stählerne Mann", wie ihn die Gendarmen nannten, jähre- lang die entlegensten Gegenden des ungeheuren Reiches. stützte durch Wort und Tat die erstehende Organisation, schuf neue Organisationen, vertiefte und verbreitete die revo lutionäre Tätigkeit der sozialrevolutionären Partei. Im Mai 1303 deckte ein unglücklicher Zufall seinen Aufenthalts- ort für die Polizei auf. Man ergriff ihn. schlug ihn in Ketten und brachte ihn nach der Peter-Pauls-Festung . Vor Gericht hielt er sich so mutig und würdevoll, daß selbst russischen Richtern der Ausruf entfuhr:»Das ist ein Mann!" Das hinderte natürlich nicht, diesen„Mann" zum Tode zu verurteilen. Drei Wochen erwartete er stündlich die Voll- streckung des Todesurteils, allein die russische Revolution stand schon vor den Toren und die Regierung wagte nicht, Gerschuni zu ermorden. Sie„begnadigte" ihn und brachte ihn nach der berühmten Schlüsselburger Festung. Nach dem ersten Sieg der Revolution wurde er Ende 1905 nochmals «begnadigt" und nach der„Katorga" in Akatny in Sibirien geschafft. Von hier flüchtete er Ende 1906. Die Einzel- heiten dieser berühmten Flucht sind von ihm selbst geschildert worden. Zur Freiheit gelangt, besuchte Gerschuni alle russischen Kolonien in Amerika und sammelte eine bedeutende Summe zur Unterstützung der revolutionären Bewegung in Rußland . Von dort zurückgekehrt, wohnte er dem 2. Kongreß der sozial- revolutionären Partei bei, wo er einstimmig in das Zentral- komitee gewählt wurde und wieder an die Spitze der revo- lutionären Tätigkeit seiner Partei trat. Allein seine physischen Kräfte waren schon gebrochen. Im Oktober vorigen Jahres wurden Gerüchte laut, daß er ernst erkrankt sei. Er lehnte jedoch den Vorschlag seiner Freunde ab, sich einer ernstlichen Kur zu unterwerfen und nahm ihn erst dann an, als er sich nicht mehr halten konnte. Im De- zember gelang es, ihn nach der Schweiz zu schaffen, wo er am 16. März im Züricher Hospital, fern von Freunden und Ver- wandten, seinen Leiden erlag... Das war das Leben Gerschunis, eines Helden des Geistes und Titanen des Willens. Sein Leben war kurz, aber schön! Sein Name ist mit unauslöschbaren Zügen in der Geschichte des russischen Freiheitskampfes verzeichnet und wird leben neben den Namen der Helden, die für die Ideale der Freiheit, kür die Ideale des Sozialismus gekämpft haben.. Das Begräbnis. Paris » 20. März. lPrivatdcPcsche dcS„VorwäriS".) Gerschuni ist auf dem Friedhofe von Moni Parnaß an der Seite Peter Lawroffs beigesetzt worden, der Mann der Tat. der russischen Revolution, neben ihrem tiefen Denker. ES war eine machtvolle sozialistische Traucrkundgebung von internationalem Charakter. Der Leichenzug begann auf Anord- nung der Polizei um 11 Uhr vorinittagS. Clcmenccau hatte sogar die Absicht gehabt, die aus der Schweiz übergeführte Leiche auszuweisen! Mindestens 8000 Personen marschierten im Zuge, zum großen Teil Russen aller revolutionären Richtungen. Die Kränze zählten nach vielen Hunderten. Genosse HuySman überbrachte den Kranz des internationale sozia- listischen Bureaus. Die belgische Partei war durch Genossen Macs vertreten. Die Genossen Ulianow und Onipko repräsentierten die Abgeordneten der ersten Duma. Die meisten sozialistischen Parteien hatten, ebenso wie die deutsche Sozialdemokratie, Beileidsschreiben geschickt. Am Grabe sprachen hervorragende russische, polnische und französische Gc- nassen. Unter den Klängen der Internationale wurde die Leiche in die Gruft gesenk'_ politilche öeber ficht. Berlin , den 30. März 1908. Parlamentarische Aufräumungsarbeit. Heute soll im Reichstage die dritte Lesung de? Etats zu Ende gebracht werden, damit am 31. März der Bundesrat sein Siegel unter die Reichstagsbeschlüsse drücken und sonnt der Etat noch am letzten Tage vor Beginn des Etatsjahres verabschiedet werden kann. Bei dieser'parlamentarischen SufräumlMgSarbeit mutz natürlich der Kehrbesen mit unheimlicher Hast arbeiten. Militäretat. Marine- etat, Postetat, Kolonialetat— alle? das harrte noch der Erledigung, als die Sitzuug begann. Den Löwenanteil der verfügbaren Zeit fraß natürlich der Militarismus auf. Eine Fülle Einzel- befchwerden wurden im Galopp vorgeritten. Unsererseits übte Genosse S ü d e k u m zunächst Kritik an der unheilvollen Stellung des Militärkabinetts und erwähnte dann im Anschluß an eine Bemerkung des Herrn Erzberger über die Be- günstigung der Firma Krupp , daß ein im Jahre 1871 dieser Kanonenfirma gegebenes Darlehen auS dem preußischen Kran- fideikommiß nicht zurückgezahlt, sondern als werbendes Kapital der Firma belassen worden sei. Der General S i x t v. Arnim regte sich darüber bis zu unparlamentarischen Ausdrücken ans, die er später dahin erläuterte, daß sie nicht auf irgend einen Abgeordneten gemünzt gewesen seien. Genosse Scheidemann brachte die vielen Unfälle bei den letzten Kaisermanövern im Paderbornschen zur Sprache und leuchtete dem meckleichnrgischen Patrioten v. Treuenfels heim. der so ungeschickt gewesen war, die Stellung eines Offiziers mit der eines sozialdemokratischen Parteiangestellten in Parallele zu setzen. Scheidemann zog daraus mit Recht den Schluß, daß nach junkerlicher Auffassung der Offizier nur ein uniformierter An- gestellter der konservativen Partei zu sein hat. Herr Gröber brachte den praktischen Antisemitismus des Offizierkorps zur Sprache, was dem Kirchenmaler Bindewald den Anstoß gab. dem Hause ein heiteres Biertelstündchen durch eine Galavorstellung aus dem Jdeenschatze des.indogermanischen" Rassen antisemitismus zu bereiten. Den Etat der Justizverwaltung nahm Herr Müller- Meiningen zum Lorwand, um— ausgesucht in dieser Zeit- bcdrängniS— dem Hause seine persönlichen Kümmernisse vor- zustöhnen. Er hielt eS aber doch für ratsam, den zweifelnden Hörern die feierliche Versicherung zu geben, daß er nicht aus persönlicher Eitelkeit— beileibe nicht!— darüber klage, daß seine Dichterehre schnöde angetastet sei durch Herrn Roeren und daß die böse Presse ihm— dem geschaftlhubernden Müller aus Meiningen — seine Zwischenträgerei im Pressestreik mit schnödem Undank und geflissentlicher Nichtachtung lohne, Und seine Tränen fließen, Wie Bächlein über Wiesen. Der Wehmut und Ergriffenheit deS HauseS gab Herr Roeren den passenden Ausdruck, indem er um 6 Uhr beantragte, das Haus möge sich nunmehr bis 8 Uhr vertagen, um mittlerweile seines Mitgefühls mit den Schmerzen des gekränkten Dichters Herr zu werden. Das ward denn auch beschlossen und um 8 Uhr trat dag Haus wieder zusammen, um nunmehr, währe eS auch bis nach Mitternacht , den Etat zu Ende zu bringen.— Das Börsengesetz-Kompromih. Die Freisinnigen erhalten ihre Belohnung für den von ihnen beim Reichsvereinsgesetz getriebenen Verrat. Die Bemühungen nationalliberaler Abgeordneter, zwischen den freisinnigen und den konservativen Fraktionen eine Verständigung über die Börsengesetz- Novelle zustande zu bringen, haben Erfolg gehabt. Die Konserva- tiven l)aben sich bereitfinden lassen, trotz ihres Widerwillens und ihres stetigen RäsonnementS gegen das„jüdische Börsen- tum", den Freisinnigen für die geleisteten reaktionären Dienste eine Abschlagsgratifikation zu gewähren. Die vereinbarten Anträge ür die morgen in die zweite Lesung eintretende Börsengesctz- kommission liegen bereits gedruckt vor. Möglich, daß an einigen dieser Anträge noch etwas geändert werden wird, im wesentlichen aber dürften sie in der Kommission Annahme finden. Die wesentlichen Zugeständnisse der Konservativen find fol- gende: Die im§ 54 der Vorlage von der Regierung vorgeschlagene Beseitigung deS BörsenregistcrS und seine Ersetzung durch das Handelsregister war in der ersten Lesung der Kommission abgelehnt worden. Jetzt wird die ursprüngliche Fassung der RegierungS- Vorlage wieder hergestellt, und zugleich den Kleingewerbetreibenden und Handwerkern, die in das Handelsregister eingetragen sind, ge- tattet, Börsentcrmingeschäfte abzuschließen. Ferner wird das Rück- orderungSrecht für bestellte Sicherheiten und der Diffcrenzeinwand beseitig!, sowie das Termingeschäft in Jndustrieaktien freigegeben, öweit nicht der Bundesrat eine Einschränkung für notwendig halten sollte. DaZ Termingeschäft in Getreide und Mehl bleibt dagegen formell verboten; doch wird das sogenannte Handelsrecht- lichc Lieferungsgeschäft auf Zeit(das Termingeschäft auf Umwegen) gestattet— aber nur innerhalb eines bestimmten engen Personen- kreiseS, nämlich zwischen Landwirten, Getreide- und Mehlhandlern, Müllern und Bäckern. Und zugleich wird im§ 08 bestimmt, daß für ein Geschäft, daS„in der Absicht geschlossen ist, der Unterschied zwischen dem vereinbarten Preise und dem Börsen- oder Markt- preise der Lieferungszeit solle von dem verlierenden Teile an den gewinnenden bezahlt werden", die Rechtssicherheit beseitigt wird, o daß also hier das Rückforderungsrecht wie bei verbotenen Termingeschäften in Getreide und Mehl im vollsten Maße Platz greift. Die Freisinnigen erlangen also keineswegs alles, waS sie im Auftrage der Börse forderten, aber doch eine ansehnliche Abschlags- Zahlung. ES bleibt ihnen die Gunst der Börse im kommenden Wahlkampf erhalten. Und diese Gunst wiegt nach der Ansicht der Mugdan-Wiemer-Müller die Preisgabe der Volksrechte reichlich auf. Die Spartaner des Herrenhauses. Das Haus der prcußisck?en Lords unterhielt � sich am Montag über den Etat— eine Beschäftigung, die so er- chöpfend wirkte, daß bei Sitzungsschluß nur noch etwa 20 Pairs zur Stelle waren. Die Debatten bewegten sich bei» nahe auf der Höhe des Dreiklassenhauses. Am interessantesten war noch, was über den Grunewald gesagt wurde, wobei sich zeigte, daß die geborenen Gesetzgeber doch nicht ganz so vom blinden Haß gegen Berlin verblödet sind, wie die Erkorenen lies Dreiklassenwahlunrechts. Es wurde sogar ein Antrag des Herzogs von Trachenberg — der im Reichstage als Fürst Hatzfeld geführt wird— angenommen, der so etwas wie eine Phantasiezügelung gegen die Berwiistung des Grüne- Walds sein soll. Eine hervorragende Rolle in der Sitzung spielte einer von den vielen Schulcnburg im Herrenhause — die Sippe Schulenburg ist daselbst fast so zahlreich vertreten, wie die ohnas und die Eulenburger von Botho bis Phili. Der besagte S ch u l e n b u r g, zur Vermeidung von Ver- Wechselungen mit den anderen Schulenburgern als Schulenburg- G r ü n t h al geführt, zeterte darüber, daß i)ie Gestütsverwaltung durch luxuriöse Dienstwoksnungen hre Beamten zu sträflichem Luxus verführe. Als gegen diese Junkerkapuzinade selbst der blockfromme Bender- Breslau aufzumucken und an gewisse nicht gerade rugale Gepflogenheiten des Korpslebens zu erinnern wagte, sprang Graf Mirbach der Sorquitter in die Bresche und stellte sich als moderner Spartaner vor, der all- täglich seine Frühstiickssuppe an einfach gehobelten Tischen auslöffele— nämlich bei Habel, Unter den Linden . Weil nun nach den Forschungen der Gelehrten Schweinefleisch die Hauptrolle bei der schwarzen Spartanersuppe gespielt hat, lag es nahe, daß der Staatsstreichgraf auch die Schweine- preise in den Kreis seiner Betrachtung zog.. Merdings als Produzent, nicht als Konsument. Graf Mirbach verlangte— Maßregeln gegen die„billigen" Schweine- preise! Der eben erwähnte Graf Schulenburg zeigte sich in der Montagssitzung nicht bloß als Spartaner, sondern auch als eifriger Verehrer der Legende vom Klapperstorch, der in höchster Besorgnis um die Sittlichkeit, insbesondere aue- ländischer Studentinnen, diese vom Besuch aller Vorlesungen, in denen von geschlechtlichen Dingen die Rede ist, aus- schließen will. Am Dienstag geht es weiter. Konsterniert— aber schnell gefaßt! In einer Versammlung in Stettin erzählte Herr K o p s ch über den O r d e n s s e g e n, der wegen der Verdienste um die Bülow- Politik über die bekannten„freisinnigen" Blockhandlanger nieder- gegangen war, folgendes Geschichtchen: Als man seinerzeit im Reichstage auf den Plätzen die Einladungen zum Ordensfeste vorgefunden, sei„man" ganz„konsterniert" gewesen. Die Freifinnigen seien zu einer Beratung zusammengetreten, mid man habe jemand abgesandt mit der Frage, ob die Absicht der Dekorierung nicht rückgängig zu machen sei. DaS wäre verneint worden. In weiterer Beratung habe man dann festgestellt, daß auch frühere verdiente Freisinnige: Forckenbcck, Mommsen, Birchow usw. Orden erhalten und angenommen hätten, und es eine Beleidigung dieser Männer noch im Grabe sei,- wenn man jetzt die Orden ablehne. Die zu Ordensrittern auSersehenen Freisinnshelden waren also anfangs selbst„konsterniert". Daß dem Verrat der freisinnigen Prinzipien der Lohn in Gestalt einer OrdenSanSzeichnung so un- mittelbar auf dem Fuße folgte, wurde selbst von den Fischbeck und Memer alS zu blamabel empfunden. Deshalb suchte man die offizielle Brandmarkung zu verhüten. Als daS aber nicht gelang. besann man sich rechtzeittg darauf, daß ja auch die Forckenbeck, Mommsen und Virchow Orden erhalten und angenommen hatten. Allerdings, nur trugen„damals die Ordensverleihungen einen weniger odiösen Charakter. Daß Forckenbeck als Ober bürger- meister von Berlin bei Ordensfesten nicht übergangen werden konnte, verstand sich ebenso von selbst, wie die Ordens- auszeichnung so bedeutender Gelehrter wie Mommsen und Virchoiv, eine Auszeichnung die diesen Männern zuteil wurde, trotzdem sie Freisinnige waren. Die neuen freisinnigen Ordensritter haben aber nicht den geringsten wissenschaftlichen Ruhmestitel aufzuweisen; sie erhalten ihren Roten Adlerorden IV. Klasse ausschließlich wegen ihrer Handlangerdienste für die Politik des agrarischen Kanzlers! Und dieweilen die Leutchen daS selbst ganz genau wußten, waren sie anfangs„konsterniert". Die alberne Ausrede von der G r a b s ch ä n d u n g ist ihnen erst später eingefallen. AlS ob eS nicht eine Grabschändung ohne gleichen wäre, daß die F i s ch b e ck, Wremer und M u g d a n fich mit Leuten wie Mommsen und Virchow zu ver- gleichen wagen, die zwar auch nur sehr mittelmäßige Politiker, aber sonst doch ganz andere Kerle waren I— Der Fall' Hill. Unsere Offiziösen haben sich krampfhaft bemüht, über die Affäre des amerikanischen Botschafterwechsels noch mehr Dunkel zu ver- breiten. Allein eS scheint, daß dieies Bemühen ziemlich vergebens ist, weil es bei der amerikanischen Regierung aus wenig Gegenliebe stößt. Jedenfalls steht fest, daß der Kaiser, nachdem«hm die Ab- berufung Towers bekannt war, Aeußerungcn gemacht hat, die sei» lebhaftes Bedauern über dieses Ereignis zum Ausdruck brachten. Dieses Bedauern soll damit im Zusammenhang stehen, daß Herr Tower ein sehr großes HauS führt, während Herr Hill, der kein größeres Privatvermögen besitzt, an eine einfachere Lebensweise gewöhnt ist. In Washington scheint man aber die Sache nicht ganz so leicht zu nehmen, wie die deutschen Offiziösen und ihr Meister ie genommen wissen wollen. ES heißt nicht nur, daß der Wunsch deS deutschen Kaisers, Herrn Tower in Berlin zu behalten, unerfüllt bleiben wird, sondern die Regierung in Washington scheint auch die Absicht zu haben, sehr auffällig gegen allzu große Liebenswürdigkeiten zu demonstrieren,«ic will den Posten eines Botschafters eine Zeitlang unbesetzt und die Geschäfte von einem Botschaftsrat versehen lassen. Nachdem die so sehr gerühmte politische vornehme Zurückhaltung, die sich die Engländer in der Kritik des Kaiserbriefcs auferlegt hatten, keinen Erfolg erzielt zu haben scheinen, scheinen die ungeschlachteren Amerikaner zu deutlicheren Ermahnungen greifen zu wollen._ Geistige Waffe» des Zentrums. In einer Versammlung des Volksvereins der Pfarre St. Maria in Aachen hat nach den in der Presse� er» schienenen Berichten ein K a p l a n V o v e n t e r sich in dieser geistvollen Weise über die Sozialdemokratie vernehmen lassen: „Das Natur- und Sittengesetz kommt von Goti. Selbst dw Heiden haben es geachtet. Jedoch bei den S> o z i a l d e m o- k raten gibt eS kein Sittengesetz, kein Gewissen, noch Jdealis- mus. Für sie ist nur der Materialismus da; sie kennen keinen Gott, keine Kirche und keine göttlichen und kirchlichen Gesetze. Wie derHund stirbt und in einer Ecke verendet. so hört auch, nach den roten Genossen, jedcS Leben nach dem Tode des Menschen aus. Wenn sie kein Seelenleben kennen, so kann es auch keine Moral für sie geben. Die Sozialdemokratie gibt alles preis, selb st der Dieb st ahl ist nach ihr erlaubt und das Gestohlene bleibt Eigentum des Stehlers. Man sieht, es handelt sich also um eine vollständige Ilmwälzuna der gesellschaftlichen Ordnung. Dieses kann aber nicht friedlich geschehen, sondern nur auf dem Wege der Revolution. Der Gc- banT- einer blutigen Revolution kommt auf fast allen Partei- tagen zur Geltung. Tie Sozialdemokratie ist also in der Tat eine Umsturzpartei und somit ist ein Kampf gegen sie e i n Kulturkampf. Wer nicht Gott über alles liebt, wird den Nächsten auch niemals lieben.. Man denke nicht, daß dieser„Kultnrkämpfer" ein besonders wüster Hetzer wäre: Dieser Kaplan Boventer ist der Typus des zentrümlicheu Dutzendagi- t a t o r s, wie er in den internen Versammlungen der Klerikalen in Stadt und Land auftritt. Wundern muß man ich nur, daß er gerade in Aachen in dieser Weise dem zolltischen Gegner die Moral abzusprechen wagt, in dem näm- ichen Aachen , wo eine ganze Reihe Zentrumsgrößen in den letzten Jähren, zum Teil gerichtlich, als Kassen- räuber im großen, als Ehebrecher, Maitressenhalter u. dergl. entlarvt worden sind._ Sächsische Justiz. Ein ungeheuerliches Urteil hat das S ch ö f f e n g e r i ch t zu Chemnitz gegen die Genossen H a u b o l d und R c i ch e l t er- lassen. Sie sollten bei der im November 1907 vorgenommenen Ver- treterwahlen der Ortskrankenkasse den„nationalen" Wahlleiter, Schneider K r ö n e r, gemeinschaftlich in einer daS Leben ge- fährdenden Weise mißhandelt, bedroht und dadurch genötigt haben, seinen Posten zu verlassen. Haubold gab zu. dem Kröner, der ihn in den Rücken gestoßen, eine Ohrfeige gegeben zu haben, sonst sei nichts geschehen. Wie schon bei den Erörterungen des Rates über die angeblich von der gewerkschaftlich organi-
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