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Nr. 79. 25. Zchrgang. 2. WM des Joiutts" Kttlim Dovaerstag. 2. Apck 1908. An unsere Korrespondenten und Mitarbeiter, ob staudige oder gelegentliche, möchten wir das Ersuchen richten, alle für die Redaktion bestimmte Sendungen und Zuschriften ausschließlich:An die Redaktion" zu adressieren und nicht an die persönliche Adresse eines bestimmten Redakteurs. Es ist das dringend nötig, sollen unliebsame Verzögerungen vermieden werden. Lia Opfer des Polizcilchutzcs für sandorf kst der Lithograph Haberkern geworden. Ueber die Waren- Häuser der Firma Jandorf hatte, wie noch in frischer Erinnerung ist, die Arbeiterbevölkerung Berlins im Herbst den Boykott verhängt. Die s�irma rief die Polizei zu Hülfe, diese stellte sich bereitwilligst zur Verfügung wie immer, wenn es gegen die Arbeiterklasse geht, die einen Streik oder einen Boykott durchfechten mich und so gab es denn vor Jandorfs Warenhäusern bald auch die üblichen Menschenansammlungen, die überall zustande kommen, wo Polizei umhersteht. Noch am Abend des S. November, als be- reits die Verhandlungen über die Beilegung des Streites zum Ab- schhch gelangt waren, führte vor dem Jandorfschen Warenhause an der Brunnen- und Veieranenstrasie sowie in den benachbarten Strichen der ,ZerstreuungS"-Eifer der Polizei zu stürmischen Szenen. Einer derjenigen, die bei dieser Gelegenheit festgenommen wurden, war Haberkern. Am Mittwoch hatte er vor der 133. Schöffen- abteilung des Amtsgerichts Berlin-Mitte sich zu verantworten unter der A n k l a g e. am 9. November abends um �/«11 an der Kreuzung der Veteranen- und Fehrbelliner Straße trotz der dreimaligen Aufforderung, die von einem Polizeihauptmann an die Menge gerichtet worden fei. sich nicht entfernt zu haben.(Vergehen gegen Straf« gesetzbuch ß 316 Abs. 1). Die Vernehmung des Angeklagten ergab, daß er an dem- selben Abend schon einmal, etwa um 3/49, den Polizeieifer zu spüren f ekriegt hatte. An der Ecke der Brunnen- und der Veteranenstraße ollte er der Aufforderung eines Schutzmanns zum Weitergehen nicht Folge geleistet haben, daher wurde er festgenommen und in einen Keller des Jandorfschen Warenhauses gesteckt, den die Firma für diesen Zweck hergegeben hatte. Als H. wieder entlassen wurde, ging er in ein Bierlokal der Brunnen - striche. Er versichert, er sei dort bis nach VzU geblieben und habe dann mit einem Begleiter durch die Veteranenstraße, die bereits menschenleer war und daS normale Bild bot, nach seiner in der Schönhauser Allee gelegenen Wohnung gehen wollen. An der Ecke der Veteranen- und der Fehrbelliner Straße habe er noch eine kleine Menschenansanunlung bemerkt. Er wisse nichts davon, daß hier ein Polizeihauplmann dreimal aufgefordert habe, sich zu entfernen. Er habe nur mit angehört, wie ein Polizei- Hauptmann einem Angetrunkenen riet, sich weiter zu trollen. Mit Bezug hierauf habe er, der Angeklagte, zu seinem Begleiter gesagt, so anständig" solle die Polizei immer ver- fahren. Schon wollte H. gehen, da hörte er hinter sich kommandieren:Den Mann hier nehmen Sie festl" und im nächsten Augenblick wurde er verhaftet. Anders wurde der Hergang von dem Polizeihauptmann Paul Schmidt dargestellt, der als Zeuge geladen war. Schmidt sagte ans, gerade H. sei von ihm längere Zeit in der Menge beobachtet worden, er müsse auch alle drei Aufforderungen gehört haben. H. habe gestikuliert, anscheinend habe er kritisierende Bemerkungen über die Polizei gemacht. Er selber, der Herr Hauptmann, habe nach jeder Auf- forderungmehrere Minuten" gewartet, auch nach der drittennoch einige Minuten", dann erst habe er H. herausgreifen lassen. Er habe ihn genau wiedererkannt. Als der Verteidiger Rechts- anwalt Dr. Theodor Liebknecht durch eingehende Be- fragung festzustellen suchte, daß auch ein Polizeihauptmanu irren kann, regte Herr Schmidt sich gewaltig auf. Liebknecht erinnerte daran, daß die Sache schon einmal verhandelt, aber vertagt worden ist, weil zur weiteren Aufklärung noch Zeugen gebraucht wurden. Damals habe der Herr Hauptmann gesagt, er wisse nicht genau, ob H. der richtige sei, heute aber erkläre er. daß er eS genau wisse. Der Vorsitzende �stellte aus dem Protokoll fest, daß Schmidt damals gesagt hat:Ich glaube, den Täter wiederzuerkennen." Zeuge Schutzmann Pohle, der H. auf den Befehl des Hauptmanns festgenommen hatte, wußte selber nicht, ob der Hauptmann die Menge aufgefordert habe, sich zu entfernen. Er habe nur gehört, daß Hauptmann Schmidtzur Menge etwas sagte". Haberkerns Begleiter Höhne be- kündete, daß auch er keine Aufforderungen gehört habe, und er unterstützte H.S Angabe, daß der gar nicht iu einer Menge gewesen sei. Auch ein anderer Zeuge sagte ganz ähnlich aus. Als ver- sucht wurde, noch einmal die Länge der Pausen festzustellen, die zwischen den Aufforderungen vergangen seien, erklärte jetzt der Hauptmann, es könnten 5 Minuten oder auch 10 Minuten gewesen sein. Der Hinweis aus die Unsicherheit seiner Angaben führte aufs neue zu einem er­regten Auftritt. Trotz allen Widersprüchen der ZengenauSsagen hielt der Staatsanwalt den Angeklagten für überführt. H. habe fich gegen die öffentliche Ordnung vergangen, daS Ansehen der Schutzmannschaft müsse geschirmt werden, er ver- diene 100 Mark Geldstrafe. Noch einmal wurden jetzt die besonders in Frage kommenden Zeugen vorgerufen, noch einmal wurde H.S Begleiter auf die Folgen eines Meineids hingewiesen. Er blieb dabei, H. fei nicht in der Menge ge- Wesen; und wieder stimmte der andere Zivilzeuge bei. Und auch der Polizeihauptmann blieb dabei, H. sei doch in der Menge gewesen. Rechtsanwalt Liebknecht betonte die Unvereinbarkeit der Widersprüche. Der Polizeihauptmann stehe allein da, auch durch seine Beamten werde seine Aussage nicht unterstützt. Er könne sich irren, auch habe er in der ersten Verhandlung sich»veniger bestiinmt geäußert. Glauben verdiene nicht die Aussage deS Polizeihauptmanns; er gehöre zu jenen Zeugen, die man gerade deshalb mit Vorsicht aufnehmen müsse, weil sie die Möglich- teit eines Irrtums für ganz ausgeschlossen halten. Glauben verdiene die Aussage der beiden Zivilzengen. H. könne bei so kurzem Verweilen nicht drei Aufforderungen gehört haben, die durch Pausen von fünf bis zehn Minuten getrennt waren. Er fei freizusprechen. Das Gericht kam zu einem Schuldigspruch. Daß Auf- forderungen ergangen waren, habe H. wissen müssen. Warum? Nach eigener Angabe habe er die Menge lärmen gehört, da habe er sich sagen müssen, daß die Menge allemal dann lärmt und johlt, wenn sie aufgefordert wird, sich zu entfernen. Auf Grund dieser Logik wurde Haberkern ver» urteilt zu 60 Mark Geldstrafe(oder 10 Tage Haft). lernfreudig" gemacht werde. Diese unabweisbare Pflicht hätten Staat und Gemeinde bis jetztedlen Menschenfreunden und Wohl- tättgkeitsvercinen" überlassen, was, wie Herr Ernst wörtlich sagt,zwar bequem und billig sei", aber auf einer völligen Verkeimung der Wichtigkeit des vorschillpflichtigen Alters für die ganze spätere Entwickelung des Menschen beruhe. Im Gegensatz zu seinen liberalen Freunden im Berliner Rathaus ist Herr Ernst der Ansicht, daß die in Berlin vorhandenen Kinderfürsorgeanstalten dem vorhandenen Be- dürfnis nicht entsprechen, und wiederum im Gegensatz zu seinen liberalen Freunden meint er, daß namentlich der großarttge" Aufschwung der Industrie es der Arbeiterfrau unmöglich macht, ihren Mutterberuf zu erfüllen. Nur wenige Wochen sind es her, daß der Berliner Rathaus- freisinn den Antrag unserer Fraktton, städtische Krippen und Kindergärten zu errichten, abgelehnt hat. weil die Annahme eines solchen Antragsdie Zerstörung des Familienlebens zur Folge hätte". Meinte doch sogar einer der freistningen Herreu: Es sei zwar traurig, daß manchmal die Mutter auch auf Arbeit gehen müsse, häufig liege aber dazu gar keine Nottvendigkeit vor, sondern nur die Sucht, etwas mehr Geld für Genuß- zwecke zu erwerben". Ernst erwähnt freilich die ganze Berliner RathauSverhandlung mit keinem Worte, mit keiner noch so leisen Andeutung. Ja, er be- zeichnet den für Berlin schändlich geringen Zuschuß von 30 000 M., den die Stadt einigen wohltätigen Kindergarten-Bereinen gewährt, alsgewiß dankenswert". Dieses verfehlte Kompliment ändert nichts an der Tatsache, daß ein Schulfachmann, selbst wenn er freisinnig ist. die Freisinnigen iin Berliner Rathause wegen ihrer sozialen Rückstäudigkeit an den Pranger stellen und unserem Anttage das Wort reden muß I Die Verletzung des Briefgeheimnisses. Ueber diesen Gegenstand wird uns geschrieben:Die letzt- tägigen Debatten im Reichstage zwischen den Herren Staatssekretär Krätke und Abgeordneten Bebel über die Verletzung des Brief- geheimnisses geben mir Veranlassung, auf einen Uebelstand in dem Bereiche der Postverwaltung hinzuweisen, der nicht dazu beitragen kann, daS Briefgeheimnis voll und ganz zu wahren, ja. der sogar die Gefahr in sich birgt, daß Briefschaften für den Adressaten über. Haupt verloren gehen können. Wenngleich ich auch in diesem Falle nicht von einer Pflichtverletzung unserer Postbeamten reden will, so ist es doch eine postalische Einrichtung, die hier das Verletzen des Briefgeheimnisses durch andere Personen begünstigt. Diese Ein- richtung betrifft unsere Briefkästen, und zwar die Ein- Wurfsöffnung derselben. Solange der Kasten nur bis zur Hälfte mit Postsachen angefüllt ist, mag sich die Art der Einwurfs öffnung noch bewähren, sobald aber die Briefkästen bis über die Hälfte gefüllt sind, ist es eine Leichtigkeit, mit der Hand einen Brief nach dem anderen- aus dem Kasten herauszunehmen Schreiber dieses hat, um sich von der Tatsache des Vorgesagten zu überzeugen, kürzlich 2 3 Briefe ohne Schwierigkeit den gefüllten Briefkästen entnommen und es hätten noch mehr herausgenommen werden können. Natürlich wurden die Postsachen dem Kasten sofort wieder übergeben. Gewiß, ein großer Prozentsatz der nicht bestellten Postsachen mag auf diese Weise verloren gehen, sei es durch Markenräuber oder durch Leute, die die Neugierde zur Herausnahme der Brief- schaften aus den Kästen treibt. Die Einwurfsöffnung an unseren jetzigen Briefkästen ist, vom Standpunkte der Sicherheit aus be- trachtet, eben einfach unpraktisch und könnte bedeutend sicherer ein- gerichtet werden. Mir entsprechenden Vorschlägen würde Ein- sender dieser Zeilen der Postverwaltung gern an die Hand gehen Solange wir jedoch keine sicheren Postkästen aufzuweisen hvbcn, ist es ratsam, um sich vor Verlust seiner Briefe usw. zu schützen; Postsachen nicht in einen bereits stark gefüllten Briefkasten zu werfen, sondern sich lieber der kleinen Mühe zu unterziehen, einen etwas weiter abgelegenen, weniger angefüllten Kasten zu benutzen. Berliner J�acbrichten* Ein freisinniger Schulmann gegen den Berliner RathanS-Freisinn. ImBerliner Tageblatt' vom 1. April 1908 bespricht der freisinnige Landtagsabgeordnete und Schulrektor A. Ernst die Fürsorge für die noch nicht schulpflichtigen Kinder. Zu seinem Be- dauern künunern sich Staat und Gemeinde, obwohl sie daS Kind mit vollendetem sechsten Lebensjahr zum Schulbesuch zwingen, Vicht darum, daß dies kleine Wesen vorher schon«lernfähig und Die Versenbuna mehrerer Pakete mittels einer Postpaket- adresse ist für die Zeit vom 12. bis einschl. 19. April weder im inneren deutschen Verkehr noch im Verkehr mit dem Ausland ausgenommen Argentinien gestattet. Nach Argentinien können auch in dieser Zeit mehrere, jedoch höchstens drei Pakete, mit einer Postpaketadresse versandt werden. WaS ist ein Schnellzug? In der Bezeichnung der schnell- fahrenden Züge herrscht zum Teil immer noch eine gewisse Ver- »virrung. In den Fahrplänen und im Betrieb der Eisenbahnen »vird zwar jetzt allgemein und deutlich zwischen Schnellzügen und Eilzügen unterschieden, die sich eben dadurch von einander unter scheiden, daß sie Zuschlag haben oder nicht. Der Reichskanzler unterscheidet aber jetzt in einer Aenderung der Militär-Transport- Ordnung für Eisenbahnen wiederzuschlagpflichtige Schnellzüge einschließlich der O-Züge und zuschlagfreie Schnellzüge(Eilzüge)". Er nennt also beide Gattungen Schnellzüge. Im Gegensatz dazu unterscheidet wiederum der preußische Kriegsminister zwischen Eil- zügen und Schnellzügen. In einein neuen Muster zu Urlaubs scheinen für Militärpersonen vom Feldwebel abwärts ist die Rede von der Benutzung von Eilzügen und von allen Schnellzügen. Davon unterscheidet aber wieder die preußische Militärverwaltung tarifarisch die O-Züge. Auf der Rückseite des Scheines heißt es: Bei Benutzung von O-(Durchgangs-) Zügen sind Schnellzugs- zuschlagskarten zu lösen. Militärpcrsoncn müssen demnach in Schnellzügen, die noch nicht in O-Züge umgewandelt sind, keinen Zuschlag bezahlen, wohl aber in O-Zügen. Die alte Platzgebühr erlebt also hier wieder ihre Auferstehung. Wenn in etwa zwei Jahren alle Schnellzüge in O-Züge umgewandelt sind, werden somit die Militärpersonen von allen Schnellzügen ausgeschlossen sein, vorausgefetzt, daß nicht inzwischen wieder ein neues Muster für Urlaubsscheine eingeführt wird.| Eine Klage über die Kriminalpolizei wurde uns dieser Tage übermittelt, die entschieden ein öffentliches Jittereffe besitzt. Borige Woche durcheilte die Stadt Schöneberg und Berlin die Nachricht der Auffindung von Leicheitteileu einer Frauens­person aus Schöneberg . Bald gelang es festzustellen, daß ein Mord vorliege und der Verdacht lenkte sich aus einen gewissen Wagner, der der Zuhälter der Ermordeten gewesen sein soll. Die Kriminal- Polizei setzte daraufhin alle Hebel in Bewegung, diesen Wagner zu ermitteln. Sie stellte fest, daß W. in der letzten Zeit in der Brunnenstraße 13 a bei einer Frau K. gewohnt habe und begab sich dahin. W. hatte sich aber hier seit etwa 1t Tagen nicht sehen lassen und nun galt eS, den W. irgendwo aufzufinden. Frau K. wurde aufgefordert, der Kriminalpolizei sofort zu folgen, um W. zu suchen. Man ließ der Frau K. gar nicht erst Zeit, sich entsprechend anzukleiden. Wie Frau K. ging und stand mußte sie mit. Zunächst ging eS per Droschke nach dem Leipziger Platz, aber hier war W., der handelte, nicht-zu sehen. Dann ging es zu Fuß durch die Leipziger Straße und die Friedrich- straße entlang bis zur Kranzler-Ecke. Auf diesem Wege, so be« hauptet Frau K., hätten die Beamten sie ständig vor sich her ge- stoßen. An der Kranzler-Ecke sei sie des Wagner ansichtig ge­worden und habe ihn den Beainten gezeigt, worauf die Festnahme W.'s erfolgt sei. Diese ganze Prozedur habe von l/s7 Uhr abends bis 1 Uhr nachts gedauert. Zum Schluß, so behauptet Frau K.. habe sie den Kommissar gebeten, ihr 10 Pf. zu geben, damit sie nach Hause fahren könne. Dieses Gesuch sei in schroffem, barschein Ton abgelehnt worden, wobei dem Sinne nach die Worte gefallen sein sollen, ob denn Frau K. denke, der Geldbeutel des Kommissar? sei so sehr groß. Es liegt kein ersichtlicher Grund bor , an den Angaben der Frau K. zu zweifeln. Ist dem aber so, dann muß daSVerfahren derKriminal» Polizei entschieden scharf getadelt werden. Mehr noch. Die Kriminal» Polizei kann bei allen Kapitalverbrechen der Mithülfe der Oeffcnt» kichkeit und des Publikums nicht enttaten; sie selbst fordert sogar in ihren öffentlichen Bekamitmachungen das Publikum zur Mithülfe auf. Im vorliegenden Falle hat die Polizei den W. auch nur fassen kännen, Iveil eine Privatperson ihr behülflich war. Die Art aber, wie die Polizei daS Publikum zu behandeln scheint, das mit ihr in Beziehung tritt, ist sicher nicht geeignet, andere Personen zu ver» anlassen, der Polizei auf Entdeckung von Kapitalverbrechen bezügliche Mitteilungen zu machen. In diesem Umgange mit dem Publikum scheint unsere? Er» achtens auch der Schlüssel zu liegen, wieso die Polizei trotz aller schönen Versprechungen auf Belohnung usw. immer mehr die Hülfe des Publikums entbehren muß und viele Verbrechen leider uuauf- gehellt bleiben._ Mörder Zirkus. Die TodeSfahrt".der Sturz aus dem siebenten Stock",das Automobil in der Luft" und ähnliche sensationelle, itervenspannende Nummern sind beliebte Reklamemittel des Zirkus geworden. Alle niedrigen Triebe des Menschen aufzupeitschen, mit unheimlichen Wirkungen, die auf Leben und Tod gehen, Bestien- geschmack großzuftitten,, scheint der Zweck dieser grausigen Ex- perimente zu sein. Außer der allergemeinsten Spänuung bieten sie nicht das geringste Interesse, und diese Spannung konzentriert fich darauf, ob einer das Genick bricht oder nicht. Meistens geht'S gut. Aber häufig genug fällt ein Opfer auf dem Altar dieser Epe- kulatton. Der geringste Zufall, der außerhalb des Macht- bereiches menschlicher Geschicklichkeit und Berechnung liegt, genügt und ein Zerschmetterter wird hinausgetragen. Das Publikum wird beruhigt, am nächsten Tage liest man eine dürftige Notiz und die Sache ist erledigt. Im Zirkus Busch ist der Fall wieder aktuell geworden. Ein französischer Artist, der hier ohne Verwandte und Bekannte ist, hat die verrückte Sensationsmanie mit dem Leben büßen müssen. Vorläufig ist die halsbrecherische Nmnmer vom Repertoire gesetzt. Aber schon sollen sich andere Männer arme Teufel, durch die Not zum Aeußersten getriebene oder waghalsige Toren müssen es sein gemeldet haben, bereit, dem Publikum für angemessene Bezahlung denselben Kitzel zu bieten und ihr Leben für eiite Nummer aufs Spiel zu setzen, die weiter nichts als ein frevel- hafter Wahnsinn ist. Wenn wir gegen diese und ähnliche Ausflüsse vom Geschäfts- interesse geborener, verrückter Sensationen protestieren, so geschieht das sowohl im Interesse der Opfer wie des Publikums. Wie das Leben der in gewerblichen Berufen tättgen Arbeiter zu schützen ist, so auch das von Artisten und angeblichen Artisten und das Publikum inuß geschlitzt werden vor solchen verrohenden und jedes feinere Em« pfinden verletzenden Darbietungen. Di« militärischen Berkehrsstörungea am WeinbergSweg. welche infolge unserer neulichen Beschwerde hierüber eine Weile ausgesetzt hatten, haben schon wieder begonnen. Dabei ist die Straße infolge der dort vorgenommenen Kanalisationsarbeiten derart beengt, daß sie stellenweise nur mit Lebeiiögesahr passiert werden kann. Sobald sich durch den Engpaß jetzt noch Militär windet, müssen die nur auf einem Gleise verkehrenden Straßenbahnzüge minutenlang halten, und das Publikum, welches ebenfalls nur auf den Fahrdamm an- gewiesen ist, wird rücksichtslos beiseite gestoßen. Fürchtet sich die tapfere Berliner Polizei, dem Militär die Benutzung des gesperrten Weges zu untersage»? Sonst müßte man verlangen, daß die Sperr- tafeln am Ende des WeinbergSwegeS die Worte tragen:»Auch für Militär gesperrt I" Eine volnminSf« Großtat mit lautem Krach erzielte ein Rollkutscher vorgestern abend dadurch, daß er mit seinem voll- gepackten Möbelwagen die eiserne Anschlagsäule bei der Admiral- brücke, Ecke Kottbuser Ufer, aus Versehen anfuhr und in ihre Bestandteile zerlegte. Sockel, Schaft und Kranz mit rost- zerfressenem Deckel waren die Trümmer der gefallenen Pflaster- große, welche die Bordkante des Bürgersteiges in der Admiral- straße wie Teile eines riesigen Kanalisationsrohres bedeckten. Die Interna der Straßengröße waren bubenhaften Blicken enthüllt und gewährten Einblick in bedenkliche Rostzustände, so daß den maß- gebenden Faktoren der öffentlichen Arbeiten der Stadt Berlin eine Berücksichtigung der Erhöhung der leichten Standfestigkeit gegen Zerstörung durch Feuchtigkeit für die Zukunft auch dann empfohlen werden kann, wenn die Ausstellung der Anschlag- faulen Sache der Unternehmer ist. Rost schien auch die Ursache des Reißens der Verankerungen gewesen zu sein, durch welches daS Umfallen der Säule ermöglicht wurde. Ein aufregender Unglücksfall hat sich vorgestern auf dem Ge- sundbrunnen zugetragen. Der 1b Jahre alte Laufbursche Ernst Hock aus der Liebcnwalder Straße 30 hatte, auf einem Zweirade sitzend, eine Last auf dem Rücken fortschaffen wollen. Als er mit dem Rade von der Bad- in die Grünthalerstraße einbiegen wollte, geriet er zwischen einen Straßenbahnwagen und ein Lastfuhrwerk, und zlvar so unglücklich, daß er von der Deichsel des Lastioagcns vor die Brust gestoßen und gegen den Straßenbahnwagen ge- schleudert wurde. In bewußtlosem Zustande schafften Passanten den Verunglückten nach dem Lazarus-Krankcnhause, wo bei ihm eine schwere Gehirnerschütterung und innere Verletzungen fest­gestellt wurden. Der Zustand des jungen Menschen ist recht be- denklich. Die Arbeitslosigkeit. Eine traurige Aufklärung hat das Ver- schwinden des 50 Jahre alten Mechanikers Friedrich Gutschneidcr aus der Hennigsdorfcrstraße gefunden. G. ist als Leiche aus dein Nordhafen gelandet worden. Als Motiv zu dem Selbstmord wird dauernde Arbeitslosigkeit angegeben. Eine Schießaffäre hat sich gestern vormittag in der Flieder- straße 1 zugetragen. Dort feuerte der erst dieser Tage mit keiner jungen Ehefrau nach Berlin zu Besuch gekommene Steward Arthur Satz auf seine Frau, welche, an der Stirn getroffen, blutüberströmt zusammenbrach. Darauf richtete S. die Waffe gegen sich selbst und verletzte sich schwer. Ehemann und Ehcftau wurden nach dem Krankenhause Am Friedrichshain gebracht. Streitigkeiten sollen die Ursache der Tat sein. In ernste Gefahr gerieten gestern morgen Passanten in der Univcrsitätsstraße. Von dem obersten Stockwerk des am Neubau der Königlichen Bibliothek errichteten hohen Gerüstes löste sich plötzlich ein schwerer Balken und sauste mit großer Wucht auf die Straße hinab, wo er sich quer über Bürgersteig und Fahrdamm legte. Der Zufall fügte es, daß ein die Stelle passierender Rad- fahrer glücklicherweise die Gefahr rechtzeitig bemerkte und durch Zuruf die um diese Zeit dort zahlreich passierenden Menschen veranlassen konnte, sich in Sicherheit zu bringen. So ging die Sache noch glimpflich ab. Der Vorfall mahnt jedoch zu großer Vorsicht