Nr. 87. 25. Jahrgang. 3. Stilnjt Ks Lormck" firrlititt Bullislilnlt. Soavabtad. 11. Apnl 1908. 8. Kerbaudstag der Stkinarbeiter Deutschlands . Kassel , 8. April 1S08. Vierter VerhandlungStag.(Vormittagssitzung.) Bevor in die weitere Tebattc über Streiks und Tarifwcsen eingetreten wird, erhälr S ch u r i g- Schweiz das Wort zur Bc- grützung; er erklärt, daß er aus dem Lande der Freiheit komme. Die Schweizer selbst wüßten allerdings wenig von Freiheit der Beloegung zu berichten; denn auch dort seien Hindernisse aller Art vorhanden, wodurch die Agitation riesig erschwert wird, und dock seien in der letzten Zeit auch dort ungeheure kulturelle Fort- schritte der Stcinarbeiter zu verzeichne», Die Diskussionsredner beschäftigten sich fast ausnahmslos mit den gestellten Anträgen, die zum größten Teil erhöhte Streikunter- stützung oder die Unterstützung der Familien abgereister Mitglieder verlangen. Die Debatte ist auch heute noch äußerst rege; es sprachen zu diesem Punkt insgesamt 37 Delegierte. Nach dem Schlußwort des Referenten �Genossen Staud ingcr wird eine teilweise Al'änderung des Streikrcglements vorgenommen. Die Streikunterstützung selbst soll vom vierten Tage an gewährt werden, und bei einem Wochenbeitrag von 45 Pf. S M., bei 50 Pf. 10,50 M. und bei einem solchen von 55 Pf, 12 M. und für jedes Kind unter 14 Jahren in allen Klassen 1 M. pro Woche betragen. Falls bei Streiks verheiratete Mitglieder das Streikgebiet verlassen, so soll den Familien die Hälfte der Streikunterstützung so lange gewährt werden, wie die Arbeitslosigkeit infolge des Streiks dauert. Auch soll den fremdsprachlichen Arbeitern bei Streiks eine einmalige Abreiseunterstützung, deren Höhe Vorstand und Gauleiter be- stimmen, gezahlt werden. Ein Antrag der Zahlstellen Berlins , der besagt, daß die Kollegen, die durch Streiks oder Aussperrungen anderer Berufe arbeitslos werden, die statutarischen Unterstützungen erhalten sollen, wird abgelehnt, weil hierüber bereits im Leitfaden der Steinarbeiter Bestimmungen getroffen sind. Ueber Agitation referiert B i e w i g- Hannover , der der Meinung Ausdruck gibt, daß die Agitation unter den Steinarbeitern einen der wichtigsten und schwierigsten Beratungspunkte bildet, da die Steinarbeitcr nach der geologischen Beschaffenheit der Erde in den entlegensten Gegen- den, bis hoch zum Brocken und Feldberg, wie in den verstecktesten Tälern und Schluchten aufzusuchen sind, wo sie stundenweit von den Verkehrswegen entfernt in Wind und Wetter unter stund- licher Gefahr ihres Lebens in der fluchwürdigen Akkordarbeit schuften und schanzen im Interesse des Geldsacks, Tausende Prole- tarier der Steininduftrie gehen jährlich infolge der wahnwitzigen Produktionsmcthode und weil die Arbeitgeber auf die Gesetze pfeifen, zu Grunde. Bei den berufsstatistischen Erhebungen wurden 899 Frauen ermittelt, die unter großen körperlichen Anstrengungen in der Steinindustrie, ja sogar ü b e r die Hälfte entgegen den gesetzlichen Be st immungen, beschäftigt werden. Dit Bundcsratsbestimmungen werden hier vollständig außer acht ge- lassen. Doch diesen Erscheinungen steht eine große Anzahl der Steinarbeiter stumpf und gleichgültig gegenüber, so daß durch den Unverstand der eigenen Berufsangehörigen die Agitation ungeheuer erschwert wird. Auch bildet die heilige Dreieinigkeit: Geldsack, Polizei und Geistlichkeit einen großen Hinderungsgrund für die Agitation. Rednei betont, daß bei der Agitation weder Leitsätze noch Theorien festgelegt werden können, denn nach Thesen kann die Agitation nie und nimmer betrieben werden, die Art derselben muß vielmehr dem Taktgefühl der Agitatoren überlassen bleiben. Die Agitation muß von Mund zu Mund auf den Arbeitsplätzen, auf den Wegen von und zu der Arbeit betrieben werden. Durch dies« Kleinarbeit kann sehr viel, unter Umständen mehr als durch Versammlungen, erreicht werden. Auch sollten die Zahlstellen viel mehr Aufmerksamkeit auf die Errichtung von Bibliotheken richten, um den Kollegen durch Broschüren sozialpolitischen Inhalts den Blick zu weiten und Interesse für derartige Fragen zu wecken. Die Aufklärungsarbeit unter den Frauen hält Redner für dringend notwendig im Interesse des kulturellen Aufstiegs der Steinarbeiter im allgemeinen und für die gesunde EntWickelung der jungen Generation im besonderen. Redner schließt seine Ausführungen mit den Worten: Kollegen, scheuen Sie keinen Undank, keine Strapazen und keine Enttäuschungen Art, werben und agitieren Sie, bis auch der letzte daß sie sich in den Nachbargebietcn als Lohndrücker gebrauchen lassen. Weit über zweitausend Steinarbeiter sind hier zu gewinnen, so daß die Anstellung eines Bezirksführers für dieses Gebiet sich wohl lohnen würde. Gauleiter Braun äußert sich zur Agitation unter den fremdsprachlichen Arbeitern und betont, daß diese nun- mehr nach Annahme des§ 7 des neuen Vereinsgesetzes sich Haupt- sächlich in schriftlichen Bahnen bewegen müsse, um die dem deutschen Organisationsgebildc vollständig fremd gegenüberstehenden Kollegen mit unserer Organisationsform bekannt zu machen, damit sie nicht zum Schaden der gesamten Arbeiterschaft sich als Lohndrücker ge- brauchen lassen. In verschiedenen Anträgen wird die Anstellung von mehr be- soldetcn Gauleitern oder Bezirksführern gefordert. Der Vorsitzende Starke äußert sich hierzu und betont, daß der Zentralvorstand gewillt ist, für den bayerischen Gau einen besoldeten Bczirksführer anzustellen. Kollege H e r m a n schildert die Lohndrückerei der belgischen Steinarbciter, die ins Rheinland kommen, weil sie ihre Arbeits- kraft in ihrer Heimat nicht mehr verwenden können, da durch den hohen deutschen Zolltarif die Ausfuhr des belgischen Marmors erschwert ist. Dies hat natürlich verminderte Arbeits- gelegenheit zur Folge und die brachliegenden Arbeitskräfte über- schwemmen die Grenzgebiete. Ebenfalls schildert Redner einen Trick, den die Unternehmer anwenden, um Arbeitslöhne zu er- sparen; derselbe besteht darin, daß Steine an der Grenze von Luxemburg auf deutschem Gebiet gebrochen werden und dann zur Bearbeitung über die Grenze geschafft werden. Aus dem einfachen Grunde, weil dort noch der dreizehnstündigc Arbeitstag herrscht und keine Bundesratsbestimmungen Geltung haben, und damit der Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft Tür und Tor geöffnet ist. Betreffs der Unterrichtskurse in Berlin macht Stauding er noch einige Ausführungen, weil von einigen Kollegen der Meinung Ausdruck gegeben ist, dieselben haben nicht die Früchte getragen, die man erwartet habe. Redner ist der Ansicht, daß sie voll und ganz ihren Zweck erfüllt haben. Es werden Vorschläge aller Art gemacht, wie die Kollegen herangebildet werden können zu brauchbaren Mitgliedern der modernen Arbeiterbewegung. In kraftvoller Weise wird den Be- strebungen der Steinarbeiter nach Bildung, Freiheit und Brot Ausdruck gegeben und die Errichtung von Bibliotheken, der Ver- trieb von Broschüren und das Studium von Fach- und Partei- zeitungen empfohlen. Nachdem zirka 29 Delegierte aller Branchen der Steinindustrie zum Wort gekommen sind, wird die Debatte durch Schlußantrag beendet. Im Schlußwort betont der Referent, daß ihn die Kritik seines Referats recht freut, legt sie doch Zeugnis von der regen Mitarbeit der Kollegen ab. Zu den Antrögen übergehend, warnt Redner davor, den Wünschen der bayerischen Delegierten nachzu- geben, da dadurch gar zu leicht eine Gaugrafschaft Bayern ent- stehen könne. Ein Bureau für ganz Bayern sei aber nicht praktisch für die EntWickelung des Verbandes. Auch der Frauenaufklärung widmet Redner noch einige Worte, feuert die Kollegen an, in Zu- kunft dieselbe mit in die Versammlungen zu bringen, damit sie sich über den Zweck und Nutzen der Gewerkschaftsbewegung über- zeugen. Wenn so der Unverstand der Massen bekämpft wird, dann wird es möglich sein die zirka 125 Tausend Steinarbeiter in der Organisation zu vereinen. Beschlossen wird durch namentliche Abstimmung mit 44 gegen 23 Stimmen, einen weiteren Gauleiter für Bayern anzustellen, Ferner soll für die Pflastersteinbranche die Agitation intensiver etrieben werden als wie bisher. Weiter wird dem Vorstand anHeim gegeben, in Anbetracht des Fehlens von agitatorischen Steinarbeiter für uns gewonnen ist. Unser Wahlspruch muß lauten: Freie Männer— keine Knechte, für die Arbeit alle Rechte. In der Debatte Iber den Punkt Agitation eröffnet K a l b s«t ß» Dürkheim den Neigen mit Schilderung der Verhältnisse, die in der Hinterpfalz die Agitation hindern. Die Steinarbeiter sind dort so rückständig, Kräften befähigte, auch nicht angestellte Kollegen, in vermehrtem Maße zu dem gewerkschaftlichen Unterrichtskurses in Berlin zu entsenden. Den Kollegen in Oesterreich soll eine einmalige Summe von 300 M. als Agitationsbeihülfe gewährt werden. Damit ist dieser Punkt erledigt. Soziales. Die vielumstrittene Gültigkeit der KenzeffieaSstener unterlag am 9. April der Nachprüfung des preußischen Ober« Verwaltung» gerichtS. DaS Kreis- und Provinzial-Abgaben- esetz vom 28. April ISO« gibt durch§ 6 Ziffer 2 den Kreistagen die fugniS, durch Steuerordnung indirekte Steuern zu legen auf.Er« langung der Erlaubnis zum ständigen Betrieb« der Gastwirtschaft, Schankwirtschast oder de« Kleinhandels mit Branntwein oder Spiritus (Z 88 der Gewerbeordnung)". Bon dieser Befugnis hat außer vielen anderen Kreistagen auch der oeS Kreise» W« st Havelland Gebrauch gemacht, indem er am 18. Juli 1906 eine entsprechende Steuerordnung für den Bezirk des Kreises erließ. Danach werden bei Erlangung der Kon- I Zession für derartige Gewerbebetriebe, wenn sie schon bestanden, 300 Mark, 500 Mark, 700 Mark oder 900 Mark erhoben, je nachdem sie der 4,, 3,, 2. oder 1. Gewerbesteuerklasse angehören. Diese Sätze erhöhen sich um das Doppelte, wenn es sich um einen neu zu begründenden Gewerbebetrieb handelt. Der R e st a u r a t e u r Hesse in Rathenow , der seit 1904 die beschränkte Schankkonzession hatte, erstritt nach dem Jnkikaft- treten der Kreis- Steuerordnung vom 18. Juli 1906 die volle Konzession im Verwaltungsstreit. Er wurde daraufhin, da es sich um einen schon vorhandenen Betrieb der 4, GewerbesteuerNaffe handelte, mit 300 M, zur Konzessionssteuer herangezogen. Er klagte im Ver- waltungsstreitverfahren und bestritt hauptsächlich(neben einem anderen Einwände) die Gültigkeit und Zulässigkeit der Konzessions- steuer überhaupt. Der Bezirksausschuß zu Potsdam wies ihn jedoch ab und erklärte die Steuerordnung für gültig und das preußische Gesetz vom 28, April 1906 für rechtswirksnm. Unter anderem wurde ausgeführt: Der Kläger folgere die Ungültigkeit der hier niaßgebenden preußischen Gesetzesvorschrift aus§ 7 Ziffer 6 der Gewerbeordnung, weil dadurch, vorbehaltlich der an den Staat oder die Gemeinde zu entrichtenden Gewerbesteuer, aufgehoben seien.alle Abgaben, welche für den Betrieb eines Gewerbes entrichtet werden, sowie die Berechtigung, dergleichen Abgaben aufzuerlegen". Die Folgerung des Klägers sei aber ver- fehlt. Demi die Konzessionssteuer sei nicht(wie Kläger meine) eine Abgabe„für den Betrieb des Schankgewerbes, da ja die Kon- zessionserteilung nur nach dem durch§ 33 der Gewerbeordnung geregelten Verfahren erfolge. Wenn die durch die Gewerbeordnung in der Beziehung vorgeschriebenen oder zugelassenen Bedingungen erfüllt werden, dann müsse die Konzession erteilt werden. Unier dieser Boraussetzung müsse die Konzessionserteilung auch dann erfolgen, wenn die Konzessionsbehörde Wüßte, daß der Bewerber nicht imstande wäre, die Konzessionssteuer demnächst zu entrichten. Damit erledige sich jener Einwand des Klägers und auch der, daß die Konzessionssteuer gegen die Gewerbefreiheit verstoße. Aus dem angeführten Grunde würde eine auch noch so Hohe Konzessionssteuer niemals gegen die Gewerbefrciheir ver- stoßen. Der 7. Senat des Oberverwaltungsgerichts verwarf am 9. April die gegen das Urteil ein- gelegte Revision des Klägers: Der Haüpteinwand des Klägers sei, daß Z 6 Ziffer 2 des preußischen Kreis- und Provinzialabgabengesetzes mit dem Reichsgesetz(der Gewerbeordnung) in Widerspruch stehe. Zunächst solle er gegen die Gewerbefreiheu verstoßen. Das sei von vornherein zu verneinen.§ 1 der Gewerbeordnung betreffe nur die Zulassung zum Gewerbe. Die Regulierung im einzelnen und die Besteuerung sei der Landes- gesetzgebung, soweit es nicht direlt verboten, nicht verschränkt.— Wie verhalte es sich nun'mit§ 7 Ziffer 6 der Gewerbeordnung? Da sei dem Kläger zuzugeben, daß es sich nicht um eine Gewerbesteuer handle. Es komme darum alles darauf an, ob, was nach Z 7 Ziffer 6 der Gewerbeordnung verboten wäre, die Konzcfstoussteuer„für den Betrieb eines Gewerbes" erhoben werde. Das sei zu verneinen. Wesentlich sei, ob die Zahlung der Abgabe gewissermaßen ein Preis für die Erlangung derKonzcssion sei, ob eine Wechselwirkung dieser Art stattfinde. Das sei nicht der Fall. Die Konzession werde er st erteilt, und dann werde nur a u S Anlaß dieser Erteilung nach dem preußischen Gesetz die Abgabe erhoben, nicht aber„für den Betrieb". Ein Widerstreit zwischen dem preußischen Gesetz und der Gewerbeordnung sei mithin nicht anzuerkennen, und die Steuer deshalb gültig. WasierstandS-Nachrichte» ver LandeSanstalt für Gewässerkunde, mitgeteilt vom Berlwer Wetterbureau. seit 8. 4. ein1) +18 —2 —1 ±1 —21 +2 +2 —3 +80 +8 o+ bedeutet Such«,— Fall,—•) llnterpegel—•) heut« um 6 morgen« 676 cm—') höchster Wasserstand: 829 cm am 8. um 6 Uhr mittags. HERMANN UETZ Unser Haus am Alexanderplatz bleibt Sonntags den 12. April gfeschlossen. Montag 81 Uhr des S-
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