status quo tm Mittelmeer abgeschlossen haben. Für den Fall ernster. die LcbenSinteressen der beteiligten Mächte betreffende Streitigleiten sind selbstverständlich diese Abmachungen, wie alle theoretischen Garantieerklärungen wertlos. Denn im Kriegsfalle ent- scheidet einfach die Macht der Paffen. Handelt es sich aber um ge- ringere Zwistigkeiten, so hat die Bestimmung entschieden ihren Wert, daß die bedrohte Macht sich an die übrigen Signatarmächte wenden kann, und diese darauf zunächst in Unterhandlungen miteinander eintreten zu haben, um sich über die nötigen Maßnahmen zu der« ständigen. Besonders für die kleinen Mächte, die im Streit mit den Großmächten ihren Argumenten nicht durch den Hinweis auf die bereitstehenden Armeen und Panzergeschwader den nötigen Nachdruck zu verleihen vennögen, bedeuten die beiden Abkommen eine Per- besserung ihrer bisherigen Position. Bielleicht wichtiger noch als diese Verminderung der Kriegs- gefahr ist jedoch die Tatsache, daß das Nordsee -Abkommen, zu dem die Verhandlnngen von deutscher Seite ausgegangen sind, wieder Deutschland und England einander näher bringt. Jahrelang hat das gegenseitige Mißtrauen die politischen Beziehungan beider Mächte zu einander getrübt, und wenn auch dieses Mißtrauen noch keineswegs ganz gewichen ist, so sind doch nun die Ansätze zu einer wirklichen Entente vorhanden, wie sie England mit Frankreich ver- bindet. Und noch in anderer Hinsicht bedeutet das Abkommen eine Verbeffmmg der bisherigen gedrückten politischen Lage, näm- lich insofern, als dadurch die in den Niederlanden verbreiteten Ge- rüchte zurückgedrängt werden, das deutsche Reich trachte nach einer Angliederung Hollands . Weniger Bedeutung hat, wenigstens für Deutschland , der Ostsee - bertrag. Er berührt in erster Linie die Interessen Dänemarks und Rußlands , das, wenn auch direkt in dem Abkommen die Alands- Inseln nicht erwähnt werden, doch indirekt, durch den Satz, der jedem Staat die„freie Ausübung der Hoheitsrechte auf seinem Gebiet garantiert", die Berechtigung erhält die Alandsinseln zu befestigen— wenn es auch vorläufig kaum von diesem neuerlangten Recht Ge« brauch machen dürfte._______ lack wie yoie! Herr D ob e fühlt sich gedrungen. im„Berl. Tageblatt" zu erklären, daß ihm zu Unrecht die Mitvaterschaft an jenem sog.„Antrage Dove-Mommsen" zugeschrieben worden sei, in dem es echt nationalliberal hieß:„es muß auch auf geeignete Verbrauchssteuern zurückgegriffen werden." Dieser Antrag stamme vom Abg. Mommsen allein. Erst an der zweiten Resolution, die an die Stelle der zurückgezogenen ersten getreten sei, habe er mitgearbeitet. Wenn die Erklärung Dovcs einen Sinn haben soll, so kann es nur der sein, daß er nicht gleich seinen Fraktions- genossen Mommsen und H e ck s ch e r den Mut hatte, sich ehrlich zu den unausbleiblichen Konsequenzen der von ihm vertretenen Blockpolitik zu bekennen. Denn Herr Dove muß als Syndikus einer Handelskammer immer- hin soviel vom Ziehen einer Bilanz gelernt haben, um zu wissen, daß das Reichsdefizit aus t>Ov Millionen besteht und unmöglich durch ein paar Dutzend Millionen neuer direkter Steuern beseitigt werden kann! Daß es sich bei den direkten Steuern aber nur um eine dekorative Beschönigung der enormen indirekten Steuer- schröpfung handeln kann, weiß Herr Dove nur zu genau! Er kann sich gar nicht einbilden, daß der zu fünf Sechsteln aus Konservativen und Nationalliberalen bestehende Negierungsblock eine halbe Milliarde direkter Reichsstenern bewilligen wird! Die neue Resolution, die jetzt auch rechtmäßig der Name Doves ziert, ist zudem im Grunde nur die alte Resolution, denn die heuchlerische Forderung einer„ausreichenden Heranziehung der vermögenden Klassen" durch Ein- kommens-, Vermögens- und Erbschaftssteuern findet sich auch bereits in der alten Resolution. Auch die abgeschmackt-verlogene Forderung größerer„Sparsam- k e i t„insbesondere durch Herabsetzung der finanziellen Lasten der deutschen Wehrmacht" fehlte ja in der alten Resolution nicht. Als ob die famosen Sparpolitiker des Freisinns nicht allen Heeres-, Marine- und Kolonialforderungen mit Hurra z u st i m m t e n, als ob sie nicht erst vor einigen Wochen— trotz eines vorhandenen Defizits von 800 Millionen und trotz aller Steuern öte!— die neue Marine- Vorlage bewilligt hätten I Und als ob nicht die Erhöhung der Löhnung der Mannschaften und Unteroffiziere— ganz zu ge- schweigen von der Erhöhung der Osfiziersgehälter— eine weitere Erhöhung des Militärctats notwendig machte! Wie gesagt: all' die trügerischen Flausen der neuen Resolution standen bereits in der alten Resolution. Die einzige Aenderung besteht lediglich in der Ausnierzung Robert Schweicheis flusweifung aus Berlin 185S. Heute vor einem Jahre schied Robert Schweichel auS dem Leben. Unzählige Kränze mit roten wallenden Schleifen habe» wir dann seinem �.arge nachgetragen. Und mit Recht: denn er war unser seit vierzig Jahren! Schon 1848 saß der preußische Referendar nicht mehr am Tische der heiligen Göttin Justitia . Dafür hatte er die Sache der Arbeiter- schaft zu der seinigen gemacht. Die gerade auch in der„Stadt der reinen Vernunft" so unvernünftig als möglich wütende Reaktion fegte ihn vom Heimatsboden hinweg. Schwarz- Gold war ver- blichen! Rot war geblieben! Ungebeugten Hauptes ging der Dreiunddreißigjährige ins schweizerische Exil! DaS war 18S4 im �n�L a usanne am Genfer See siedelte er sich an. Rührte die Feder und lehrte an Instituten und an der Akademie. Ein knappes Jahr später war er Mitdirektor einer„Ecole pratique". die mit einem Pensionat verbunden war. Nun konnte er seine Braut heim- führen. Schon am 15. September reiste er nach seiner Heimatsstadt Königsberg . Nichts störte die schönen Tage seines Verwellens in der alten Pregelstadt: und wohlgemut trat er fast unmittelbar nach der Hochzeit mit seiner jungen Frau die Rückreise nach Lausanne an. Selbstverständlich führte sie über Berlin . Die Zeit verging während der Fahrt im Fluge. Am nächsten Morgen, als es tagte, winkte dies erste Rastziel verlockend näher und näher.... Und jetzt hat Schweichel das Wort! „Wir waren in Berlin, " erzählte er mir.„Aber eZ gab nur einen einzigen Ausgang von dem Bahnsteig; alle anderen Türen »oaren verschloslen. Bor dieser allein offenen Türe, durch welche der Strom der Reisenden langsam, gleichsam in Tropfen, abfloß, stand wie der Engel vor dem Paradiese in Helm und Schwert ein Polizist. „Paß 1"— Als er den meinigen durchgesehen hatte, murrte er mit einer Nrmbewegung:„Beiseite treten r Meine Frau warf mir einen betroffenen Blick zu. Ich drückte ihr beruhigend die Hand und hielt diese in der meinigen fest, bis wir uns mit dem modernen Erzengel allein auf dem Perron befanden. Daraus drückte er sich seinen Helm fester und erklärte, daß ich ver- haftet sei. der Forderung«euer indirekter Steuern. Also in der u n- ehrlichenVerschweigung der Tatsache, daß eine durch den Block zu schaffende Reichsfinanzreform dem Volke eine neue indirekte Steuerbelastung in Höhe von mehreren hundert Millionen bringen muß und bringen wird! Sachlich ist es also„Jacke wie Hose", ob Herr Dove der alten oder der neuen Resolution zugestimmt hat.£>crm Doves Erklärung besagt lediglich, daß er nicht den Mut der Ehrlichkeit besessen hat! Die Kontrakfklavercl der Ausländer in(Preußen. Seit dem 1. Februar müssen bekanntlich die ausländischen ländlichen Arbeiter in Preußen sich mit einer Legitimations- karte versehen, die von der Deutschen Fekdarbeiterzentrale aus- gestellt wird. Die Karte lautet auf einen bestimmten Unter- nehmer, und man weiß, daß sie das Mittel sein soll, die aus- ländischen Arbeiter völlig zu vcrstlaven. Der Unternehmer be- hält die Legitimationskartc, und der Arbeiter, der ohne Zu- stimmung des Unternehmers seine Stelle verläßt, wird dann von den Behörden ausgewiesen, da er nicht im Besitze einer Legiti- mationSkarte ist. Dieser Legitimierungszwang ist im größten Umfange tat- sächlich ausgeführt worden. Bis Anfang April wurden nach einer offiziösen Meldung in den 31 Grenzämtern und Abfertigungsstcllen der Deutschen Feldarbeiterzentrale im ganzen rund L30000 Arbeiter, also mehr alö eine viertel Million, legitimiert. Die Regierung trägt sich sogar mit der Absicht, die Legitimierung auf sämtliche Ausländer auszudehnen und zu diesem Zwecke noch neue Grenzämter einzurichten. Den preußischen Maßnahmen haben sich bis jetzt acht deutsche Bundesstaaten angeschlosien. Mit den übrigen Bundes- staaten wird noch verhandelt. Aber mit der Versklavung der Landarbeiter scheinen sich die regierenden Borussen noch nicht zufrieden zu geben. Wie unser Frankfurter Parteiorgan berichtet, sind ihm auS groß- städtischen Fabriken und Werkstätten in den letzten Wochen zahl- reiche Mitteilungen darüber geworden, daß dcutschsprechende und seit langem angesiedelte, mit den heimischen Verhältnissen eng verwachsene Industriearbeiter, die bereits vor Jahren aus Oesterreich eingewandert waren, sich die Legitimationskarten der—„Deutschen Feldarbeiterzentrale" beschaffen mußten, deren „Abfertigungsstelle" für Westpreußen sich in Essen befindet! Die Arbeiter mußten für diese Legitimationen zwei Mark bezahlen, und verloren außerdem auf dem Polizeipräsidium ihre Zeit, wofür sie natürlich nicht entschädigt wurden! DaS Ungeheuerlichste folgt jedoch noch. Den Leuten, die An- fang Februar immer in Partien zu 5 bis 6 Mann auf dem Frank- fnrter Polizeipräsidium anzutreten hatten, wurde, wie die„Volks- stimme" mitteilt, von dem sie abfertigenden Beamten beinahe wörtlich, jedenfalls aber dem Sinne nach laut und im befehlenden Tone erklärt: „Wenn Sie Lohnstreitigkeiten mit Ihrem Prinzipal be- kommen, wird Ihne« die Karte entzogen und erfolgt sofortige Ausweisung." „Wir haben für diese borussische Polizeierklärung an moderne Industriearbeiter Westdeutschlands." schreibt die Frankfurter „V o l k s st i m m c".„eine ganze Reihe einwandfreier Zeugen. Sie kann von den betreffenden Beamten des Frankfurter Polizei- Präsidiums nicht bestritten werden. Sie bedeutet aber einen ungesetzlichen Eingriff ärgster Art in die völlige Arbeitsfreiheit, die auch ausländischen In- dustriearbeitern in Preußen durch die Gewerbegesetzgebung ge- währleistet ist. Bekanntlich sind in Preußen seit 18S9 durch die Gewerbeordnung alle Strafbestimmungen gegen Lohnvcrabredungcn aufgehoben. Und selbst der neue agrarische Regierungserlaß vom 21. Dezember IV07 sieht vor, daß jeder ungarische Feldarbeiter den Unternehmer wechseln kann, wenn er seine Legitimationskartc von der Polizei nach eventueller landrätlicher Untersuchung und Entscheidung umgeschrieben erhalten hat. Und für diese landrät- liche Entscheidung ist vorgeschrieben, daß sie„sowohl die Rechte der Arbeitgeber, als auch diejenigen der Arbeiter in objektiver und ausgleichender Weise gegeneinander abwägen, und berück- sichtigen" soll. Es ist also schon für die in Preußen rechtlosen Feldarbeiter vorgesehen, daß sie Lohnstreitigkciten mit ihren Unternehmern bekommen und daß dann, weit entfernt davon, daß Ausweisung eintritt, die Untersuchung und Entscheidung durch den Landrat eintritt. Wieviel mehr muß dasselbe für die gesetzlich in ihrer Koalitions- und ArbeitLfreiheit geschützten Industrie- arbeitcr zutreffen. Und da haben sich Frankfurter Polizeibeamte erlaubt, alle gesetzlichen Vorschriften und Instanzen aus eigener Machtvollkommenheit zu überspringen und österreichischen Fabrik- .Auch meine Frau?" Er sah diese mit einem halb erstaunten, halb mitleidigen Blick an und versetzte:„Nein, dazu bab ich keinen Befehl." .Sie darf also in ein Hotel fahren?" Er bejahte und schickte den Kellner deS Wartezimmers, vor dem wir imS befanden, nach einer Droschke. Meine Frau war tödlich blaß geworden, aber sie war rasch gefaßt als ich sie in die Droschke hob, nachdem ich dem Kutscher das Hotel genannt, wohin er fahren sollte. Der Polizeimann hatte uns bisher treu behütet. Jetzt verlangte er meinen Gepäckschein und ließ durch einen Packträger unsere Koffer in da» Polizeibureau des Bahnhofs schaffen. Der Beamte deutete ans einen der Stühle. .Danke!— ES wäre mir erwünschter, zu erfahren, weshalb ich verhaktet bin.".. .Glaub ich wohl. Wer ich kenne den Grund selbst nicht. Führe nur die Befehle auS, die mir von der vorgesetzten Behörde auf- getragen werden." Hiermit trat er an den Telegraphenapparat und begann darauf zu klappern. „Was ich Sie fragen wollte", wandte er sich wieder zu mir. .Wir haben Sie schon seit einiger Zeit hier erwartet. Sw sind doch über Berlin nach Königsberg gereist?" Ich glaubte ihm nicht, daß meine Reise von Lausanne an die preußische Polizei denunziert sein sollte und antwortete ihm nur kurz:.Allerdings, und ich habe damals hier in einem Hotel ge- nächtigt." .Wimderbar l" Er schüttelte den Kopf und schaute nachdenklich auf die beiden Koffer und eine Kiste, woraus mein Reisegepäck be- stand.»Also, Sie sind in Königsberg geboren und wohnen am Genfer See: Dann müssen Sie ja auch Ihren Landsmann Dr. A l b e r t D u l k kennen, der bei Montreux am See wohnt?" „Den kenne ich allerdings sehr gut." „Ich auch", rief er lebhast.„Bon seiner Reise durch Aegypten werden Sie ja wissen; ich bin damals sein Reisebegleiter gewesen und zurück nach Neapel und durch Italien . Man hat ja nicht immer in dieser Uniform gesteckt, wissen Sie. DaS war eine schöne, schöne Zeit, und der Doktor so ein prächtiger Mensch I' Seine Augen leuchteten, und er schloß mit einem Seufzer. Er hatte mich mißtrauisch gemacht und ich blieb«S. Möglich, daß er mich nur über Dulk ausholen wollte? Mochte es nun damit beschaffen sein, wie es wollte, mein preußischer Schutzgelst fuhr noch eine Weile fort, von der Rilfahrt zu schwärmen; dann sprang er von seinem Stuhl mit den Worten auf:»Aber jetzt zum Geschäft: arbeitcrn anzudrohen, schon bei bloßen Lohnstreitigkeitett tüti ihrem Prinzipal drohe ihnen Ausweisung! Der Frankfurter Polizeipräsident wird nicht umhin können, sofort eine Untersuchung und strenge Ahndung dieser Uebergrisfe eintreten zu lassen." Wir können uns diesen treffenden Ausführungen nur am schließen. Gegen diese Ungeheuerlichkeiten, die eine schwere Bedrohung des Koalitionsrechtes bedeuten, muß auf das energischste Front gemacht werden. Immer deutlicher tritt die Arbeiterfcindlichkeit Preußens hervor. Die politische Entrechtung der Arbeiterklasse Hai die preußische Rc- gierung offenbar in den Wahn gewiegt, daß sie sich gegen die Ar- beiter auch schon alles herausnehmen darf. Die Ausnahme- bestimmungen im Vereinsgesetz gegen die polnischsprechendeu Arbeiter und gegen die Jugendlichen, die Kontraktstlaverei der Ausländer— sie dienen alle demselben Zweck, das Koalitionsrecht der Arbeiter möglichst wirkungslos zu machen! Am 3. Juni muß der preußischen Regierung eine deutliche Antwort gegeben werden: Eine machtvolle Demonstration bei den Wahlen muß sie lehren, daß die Geduld der Arbeiter ihre Grenze erreicht hat! Wirksamen Widerstand aber wird der maßlosen Arbeiter- feindlichkcit der preußischen Regierung erst entgegengesetzt werde» können, wenn die Arbeiter in Preußen sich das gleiche Recht und eine mächtige Vertretung im Landtag geschaffen haben werden! Huö dem Cdahlkampf. Freisinnig! Breslau , 24. April. (Privatdepesche deS„Vorwärts".) Die Freisinnigen lehnten es ab, gegen sozialdemokrattsche Unter- stützung der freisinnigen Kandidaten ein LandtagSmandat an die Sozialdemokratie abzutreten. Der Freisinn stellt drei Beamte als Kandidaten auf. Vom verblockten Freisinn war ja etwa? anderes nicht zu erwarten. Er teilt lieber mit den nattonalliberalen Feinden dc: allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts!--- Eine zeitgemäße Erinnerung. Da die Freisinnigen aller Schattterungen uns fortgesetzt einzureden versuchen, daß die Reform des Preußen- Wahlrechts am besten durch eine Vermehrung der liberalen Landtagsabgeordneten erreicht werde, so kann nicht nachdrüci lich genug darauf hingewiesen werden, wie die Liberalen sich in der Praxis noch stets und überall gegenüber der Wahlrechtsfrage verhalten haben. Nach den bekannten Verschlechterungen des Wahlrechts in Kiel , Lübeck . Hamburg usw. war im April vorigen Jahres Rostock an der Reihe. In Rostock herrschte schon vorher weder das allgemeine, noch das gleiche Wahlrecht zur Bürgervertretung. Vielmehr waren nur diejenigen Einwohner über 25 Jahre wahlberechtigt, die sich das Bürgerrecht für 15 M. gekauft hatten. Und diese wählten keineswegs gleichmäßig, sondern in drei Klassen nach dem Ein- kommen: wer mehr als 4000 M. im Jahre einnahm, gc- hörte zur ersten Klasse, mit 1301 bis 4000 M. Jahres- einkommen gehörte man zur zweiten Klasse, mit weniger zur dritten, und jede Klasse wählte 20 Bürgervertreter auf je sechs Jahre. Auf diese Weise war das Wahlrecht der Armen arg eingeschränkt. Von mehr als 10000 Einwohnern, deren jährliches Einkommen weniger als 1300 M. betnlg. hatten nur 712 Mann das Bürgerrecht kaufen können. Damit waren die liberalen Herren recht zufrieden, bis es trotz alledem gelang, drei Sozialdemokraten in die Bürgcrvertrcwng hinein zubekommen. Flugs arbeitete der Rat ein neues Wahlgesci; aus mit der ausdrücklichen Begründung, die dritte Wählerklasse vor der„Auslieferung au die Sozialdemokratie" bewahren zu ivollen. Es wurde das Einkommen der ersten Klasse aus 6000 M., das der zweiten auf 2500— OYOO M. erhöht, so daß nunmehr alle, deren Einkommen unter 2500 M. bleibt, zur dritten Klasse gehören. Und diesem Gesetz stimmte die liberale Bürgervertretuug ohne weiteres z«! Wer bürgt uns dafür, daß eine verstärkte liberale Frakttou im preußischen Abgeordnetenhause nicht auch, falls ein paar Sozialdemokraten hineinkominen, freudig für Maßregeln zu haben ist. um das Parlament„vor der Auslieferung an die Sozialdemokratie zu bewahren"? Vom Zentrum aufgedeckter Zentrums-Wahlschwindel! Das Zentrum entpuppte sich als Feind und Hemmschuh einer demokratischen Wahlreform, als eS die Wahlparole aus gab. die Konservativen, diese ärgsten Gegner jeder Wahl reform, nach Kräften zu unterstützen. Unsere Brand- markung dieser schamlosen Vcrrätcrtaktik sucht die Zentrums presse mit den lendenlahmsten Ausreden zu parieren. So schreibt heute die„Köln . V o l k s- Z t g.": Ich habe den Befehl, Ihr Reisegepäck zu durchsuchen— nach gefährlichen Briefen und Schriftstücken." „Hier sind die Schlüssel I— Wer glauben Sie denn, das; jemand, der mit seiner nur eben angetrauten Frau nach Hause reisi. wirklich so borniert sein kann, seine Koffer mit staalSgefährliche». Papieren vollzustopfen?" „So borniert oder so schlau", murmelte er und betrachtete sinnend das Gepäck.„Na. wissen Sie was? Ihre Frau würde gewiß sehr ärgerlich sein, wenn sie entdeckte, daß einer ihre sauber gepackten Sachen wüst durchwühlt hat. Geben Sie mir also Ihr Ehrenwort, daß nichts Verdächtiges drinnen ist. so Millich nicht nachsuchen. Aber ich mache Sie daraus aufmerksam, daß auf dem Polizei- Präsidium, wohin ich Sie von hier schicken muß, Ihre Sachen noch- mal« visitiert werden könnten. Fände man etwas, so käme ich in deS Teufels Küche, und Ihnen Ware nicht geholfen." gab ihm mein Ehrenwort mit Handschlag und er schien froh zu fem. daß ihm die Arbeit der Visitauon erspart blieb. „Uebrigens kann ich Ihnen im Verlrauen sagen, daß Sie ein ganz hübsche« Verzeichnis von Sünden auf sich haben," fubr er fort und schlug da« dicke Buch auf dem Pult auf.„Da sehen Siel" Zwei Folioseiten waren mit meinem Sündenregister angefüllt. Olle Kamellen! Interessant aber war die Ueberschrift, an« der her- vorging, daß das Ganze eine telegraphische Depesche des Polizei- Präsidiums in Königsberg war.... Mir wurde daraus klar, warum man mich dort nicht belästigt hatte. Man wollte meine Papiere in die Hände bekommen, und das geschah am sichersten und voll- ständigsten, wenn ich in Berlin festgehalten und mein Gepäck mit Beschlog delegt wurde.... Inzwischen klingelte der Telegraph. „Vom Polizeipräsidium I— Ihre Frau soll auch mitkommen. Na, holen wir sie also auf dem Weg zum Molkenmarkt ab I" Eine Droschke wurde geholt, das Gepäck obenauf geladen, und wir fuhren nach dem Hotel, neben mir der Polizeimann mit herunter- gelassener Schuppenkelte seiner Pickelhaube..._ In dem Hotel blieb er in der Vorhalle, während ich nach dem Zimmer hinaufsprang. Als ich meiner Frau mitteilte, daß sie mich zu dem Schlußakt begleiten müßre, war sie ganz gefaßt, nickte nur und beeilte ihre Toilette. Der Polizeibeamte. der uns im Wagen gegenüber saß, erregte auf der Fahrt durch die belebten Straßen manche unliebsame Neu- gierde. Er scherzte:„So werden Sie wenigstens ein Reiseabenteuer erlebt haben, gnädige Frau!" Und diese versetzte ernst:»DaS aber nur sllr den Unbetelligten unterhaltend ist."—
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