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lang habe der Mann eknen Kampf um sein gutes Recht geführt und dafür nichts erhalten als eine Einsperrung ins Irrenhaus. Wenn es dem Berichterstatter gelang, den Fall llarzustellen, so hätte daS den Behörden erst recht gelingen müssen. Sein Grundstück kann die Kammer dem Manne nicht wieder- geben, auch die zehn Jahre nicht, die er im Jrrenhanse hat zubringen müssen. Der Regierung wurde aber in einem Antrage, der ein- stimmig zur Annahme gelangte, mit scharfen Worten gesagt, dag sie die moralische Pflicht habe, dem Unglücklichen eine angemessene Eilt- schädigung zu gewähren.__ uie»tmrg$ Verhaftung. Fürst Eulenburg ist gestern nachmittag als Unter- suchungsgefangener in die Berliner Charit� eingeliesert worden. Nach langen Erwägungen ist demnach die Staats- anwaltschaft doch zu der Ansicht gelangt, daß der Fürst Phili des Meineides verdächtig ist. Gewöhnliche Sterbliche haben diese Ansicht längst gewonnen; aber für die Staatsanwalt- fchaft gelten nicht die Gesetze der gewöhnlichen, sondern nur die der höheren juristisch-vaterländischen Logik, und überdies ist in Preußen bekanntlich die Staatsanwaltschaft so vor- sichtig, daß sie nie eine Untersuchung einleitet, bis sie nicht klare Schuldbewcise gesammelt hat. Auch diesmal ist der Haftbefehl erst erfolgt, nachdem sie vorgestern in Schloß Liebenberg die Münchener Zeugen Riedel und Ernst dem Fürsten Eulenburg gegenübergestellt hatte. Nachdem vorgestern vormittag die beiden Zeugen hier in Berlin vom Landgerichtsrat Schmidt vernommen worden waren, wurden sie nachmittags durch einen Kriminalbeamten nach dem Stettiner Bahnhof begleitet. Sie fuhren gemeinsam nach Liebenberg , nachdem inzwischen Fürst Eulenburg von der bevorstehenden Gegenüberstellung benachrichtigt worden war. Der Fürst hatte deshalb seinen ärztlichen Berater Sanitätsrat Dr. Gennerich kommen lassen, während der Untersuchungsrichter den Gerichtsarzt Medizinalrat Dr. Hoff- mann mitbrachte. Ueber die Aussagen der Zeugen und Eulenburgs fehlt natürlich jede authentische Nachricht, doch läßt sich aus den Mitteilungen, die Riedel und Ernst einigen Zeitungs-Bericht- erstattern machten, deutlich erkennen, daß es dem Fürsten Phili, dieser feinsten Blüte des preußischen Hochadels, be- liebte, die Komödie des ungerecht Verfolgten zu spielen und dreist alle Anschuldigungen mit der nonchalanten Miene des erhabenen Grandseigneurs abzuleugnen. Der Zeuge Riedel hat darüber einem Mitarbeiter des >,Verl . Lokal-Anzeigers" erzählt: Fürst Eulenburg leugne alles, was die beiden in München ausgesagt, was sie gestern und heute in aller Ausführ- lichkeit wioderholten. Fürst Eulenburg behauptete, die beiden Zeugen gar nicht zu kennen, sie nie gesehen zu haben. Riedel sagte:Aber, Herr Für st, ich kenne Sie doch so gut und habe das, was ich heute hier sagte, schon achtmal wiederholt, da ist doch nichts daran zu ändern! Ich kann dies doch nicht aus der Luft greifen!" Tarauf habe der Untersuchungsrichter dem Fürsten ebenfalls borgehalten, daß Riedel gestern und heute jedes- mal das gleiche gesagt habe und daß er ihm unbedingt Glauben schenken müsse. Riedel erzählte ferner, daß der Fürst wohl tm Bett« läge; ob er aber trank sei, könne er nicht sagen, daS müsse der Arzt wissen. Er halte alles aufrecht, tvas er in München beschworen habe." Aehnlich hat sich auch Ernst ausgesprochen. Er fühlte sich tief gekränkt, daß der Fürst Phili ihm einfach alles ad- stritt und rtindweg erklärte, er habe nie etwas mit ihm vor- gehabt. J«, der Fürst habe ihn sogar gefragt:Jakob, Jakob, hast T» denn Geld bekomuren, bist Du denn bestochen worden zu solcher Aussage?" Das könne doch kein Mensch glauben, daß er, der nie daran gedacht habe, den Fürsten bloßzustellen, sich habe bestechen lassen, daß er wider besseres Wissen Dinge bekunden werde, denen er sich in der Seele schämen müsse. Die Gegenüberstellung hatte zur Folge, daß noch vor- gestern abend ein Haftbefehl gegen den Fürsten Eulenburg erlassen und er gestern vom Kriminalkommissar Nasse in einem verdeckten Automobil nach Berlin abgeholt wurde, Das englische Budget. Vor einer erwartungsvollen Zuhörerschaft hielt Donnerstag der englische Premierminister seine Budgetrede. Es war das dritte und letzte Mal, daß ASquith als Schatz« kanzln- sprach und den Abgang, den er sich geschaffen hat, ist in der Tat ein guter. Er führte aus, daß der auswärtige Handel Englands nach Umfang und Wert im Jahre 1007 größer gewesen sei, als in irgend einem vorher- gehenden Jahre. Diese Ausdehnung sei Teilerscheinung einer inter - nationalen Bewegung und es seien überall Anzeichen dafür vor- handen. daß diese Bewegung Ende 1007 abzuebben begonnen habe. Der englische Handel habe indessen keinen ernsthasten Schlag erlitten und die jetzigen Anzeichen deuteten auf nichts weiter hin, als daß er an Expansionskraft einbüße. Der Ueberschuß für das der- flossene Finanzjahr habe 4 720 000 Pfund Sterling betragen, der nach gewissen Abzügen zur Verminderung der Staats- schuld verwendet werden würde. Die Staatsschuld sei im letzten Finanzjahre um annähernd 18 Millionen Pfund Sterling zurückgegangen. Während des laufenden Jahres würde die Schuld um nahezu IS Millionen noch weiter verringert werden und an, 21. März 1300 würde sie auf denselben Betrag reduziert sein, den sie vor zwanzig Jahren hatte.(Beifall.) Wenn andere Länder, von denen man annimmt, daß sie sich eine« besseren FinanzshstemS erfreuen als England, gezwungen seien. Jahr für Jahr Anleihen aufzunehmen, so sei eS keine un­befriedigende Erwägung für England, daß eS in drei Jahren im- stände sein werde, 40 bis 50 Millionen Pfund Sterling seiner Staatsschuld abzuzahlen. Jetzt sei die Zeit gekommen, wo man den Teil des Einkommens, der bisher zur Verminderung der Staatsschuld bestimmt wurde, einem anderen Zwecke zuführen könne. DaS Gesamtbudget sehe für daS Finanzjahr 1908/09 eine Ausgabe von 152 823 000 Pfund Sterling und der bestehenden Schätzungs- grundlage gemäß eine Einnahme von 157770000 Pfund Sterling vor, was einen Ueberschuß von 4 901 000 Pfund Sterling ergeben würde. Premierminister vsqnith ging im weiteren auf die Alters- pensionsfrage ein und führte auS, ein brauchbarer Entwurf niüßte zur Grundlage die Unterscheidung bezüglich deS Alters, der Bedürftigkeit, des Standes und der Würdigkeit haben. Die Regie- rung schlüge vor, eine wöchentliche Pension von fünf Schilling für über siebzig Jahre alte Personen in Aussicht zu nehmen, deren Einkommen zehn Schilling die Woche nicht iiöerichritte. Er glaube die Zahl der Peusionäre Ivürde 500000 nicht übersi-igen und die Kosten würden sich nicht höher stellen als 6 Millionen Pfund Sterling jährlich. Der Entwurf würde nicht oor dem 1. Januar 1309 in Kraft treten und die Kosten für das .aiifcnde Finanzjahr würden daher schätzungsweise sich nur auf 1200 000 Pfund Sterling belaufen. ASquith teilte ferner mit, daß der Zuckerzoll von 4 Schilling 2 Pence für das Hundredweight auf 1 Schilling 10 Pence herab- gesetzt werden würde. Die Herabsetzung der Zuckerstcuer soll, soweit Roh- und raffinierter. Zucker davon betroffen werden, vom 18. Mai ab in Wirftamleit treten, und vom 1. Juli ab, soweit Zuckerwaren in Betracht kommen. ASquith fügte hinzu, daß er die Steuer um diesen Betrag herabgesetzt habe, damit der Ber - ü r a u ch e r den größten Vorteil von der Herabsetzung haben könnte. Die Herabsetzung des Zuckerzolles würde eine Minder­einnahme von 3 400 000 Pfund Sterling mit sich bringen und, da die anderen Zölle fast unverändert blieben, so würde sich der Ueberschuß unter Berücksichtigung der Aufwendungen für die Alterspension auf annähernd 241 000 Pfund Sterling stellen. Die liberale Presie begrüßt das Budget mit Jubel. In der Tat wird es vornussichtlich die propagandistische Krast der Partei, die in letzter Zeit in raschem Verfall begriffen erschien, wieder heben. Die Herabsetzung des Z u ck e r z o l l S. der während de» Buren- krieges erhöht wu�de, ist ein alter Wunsch des englischen Volles, und die Ermäßigung um mehr als vier Mark für 100 Pfund be- deutend. Der Zuckerzoll beträgt jetzt nur mehr ungefähr 1,70 Mark. In der Frage der Altersversicherung wird zwar das Verlangen der Arbeiterpartei, die Alterspensionen vom 25. Jahre an forderte, nicht erfüllt. Aber die Alterspensionen werden vom Staate gezahlt ohne Beiträge derArbeiter. wie es die Konservativen verlangt hatten; die wöchentliche Pension von 5 M. ist dabei dunchschnittlich höher als in Deutschland . Dazukommt noch die starke Verminderung der Staatsschuld ganz im Gegensatz zu der gräßlichen Schulvenwirtschaft Deutschlands . Freihandel, Schulden- tilgung, Herabsetzung der indirekten Steuern. Sozialreform, daS sind die Kennzeichen des englischen liberalen Budget», das sich glänzend abhebt von dem deutschen Etat. Allerdings, die englische Demokratie zwingt die liberale Partei, gebührende Rücksicht zu nehmen ans die Arbeiter, und daS Dasein der unabhängigen Arbeiterpartei hat den Arbeiterforderungen den genügenden Nach- druck verschafft. In Deutschland aber existiert keine Demokratie; eine ungerechte WahlkreiSeinteilung im Reiche, die Vorherrschast Preußens mit seinem Dreiklassenwahlrecht, der Zusammenschluß der Befitzenden gegen die gerechtesten und bescheidensten Forderungen der Arbeiter hindert jede vernünftige Finanzreform, jeden sozial- politischen Fortschritt. Welcher Abstand zwischen dem deutschen Etat mit seinen indirekten Steuern und seinen alles auffressenden Militärausgaben und dem englischen Budget, in dem die Erb- schaftsstener über 380 Millionen, die Einkommen st euer über 243 Millionen Mark bringt, während die Wucherzölle un- bekannt sind! Bus dem(Öablkampf. Das Zentrum in Berlin . DaS Zentralwahlkomitee der Zentrumspartei für Berlin und die Provinz Brandenburg hat beschlossen: Die Zentrilmspartei Berlins und der Provinz Brandenburg tritt im allgemeinen nicht selbständig in die Landtags­wahlbewegung ein. Es können jedoch Wahlverständi- gungen mit anderen bürgerlichen Parteien ge- troffen werden." Die Betonung der bürgerlichen Parteien, die damit allgemein alSsürdaS Zentrum bündnisfähig anerkannt werden, entspricht vollkommen der Haltung des Zentrums in der WahlrechtSsrage. In Berlin hat das Zentrum keine Arbeitermaffen. auf die es nötig hätte. Rücksicht zu nehnten. Deshalb darf man cS auch riskieren, ganz offen für jene Parteien einzutreten, mit denen daS Zentrum im Reichstage in Fehde liegt.--- Noch ein konservativ-freisinniges Wahlbündnis. Im Wahlkreise Bromberg - Wirsitz haben die Ordnungsparteien" folgende Kandidaten aufgestellt: Mar- t i n i(k.), Schmidt(fk.) und Aronsohn(freisinuig). DieFreisinnige Zeitung" behauptet jetzt, dieses Ver- halten sei ihr aufgezwungen worden durch die sozial- demokratische Wahltakftk. Es sei auch keineswegs ein Vorrecht der Sozialdemokratie, den Konservativen Wahlhülfe angedeihen zu lassen. Das ist eine ganz faule Ausrede. Die Ab- ficht der Freisinnigen, unter allen Umständen zu verhüten, daß ein Sozialdemokrat in den Landtag gewählt werde. st a n d bereits fest, als die Grundzüge unserer Wahl- taktik veröffentlicht wurden. Außerdem ist es erlogen, daß wir die Konservativen unterstützten. DaS tut lediglich der Freisinn, der den Wahlkampf lediglich unter dem Gesichts- Winkel der Erschachcrung möglichst vieler Mandate führt und sich nicht einmal schämt, zu diesem Zwecke sich mit den offenen Gegnern einer vernünftigen Wahlrechtsreform zu ver- bünden!_ Schuljungen als konservative Zwangsagitatoren. Die liberal schillernde.Tilsiter Zeitung" veröffentlicht nachstehendes, an Lehrer gerichtetes Schreiben des Kreisschul- inspektors: Nach Mitteilung des königl. LandratSamtS sollen die Konfirmanden Ihrer Schule sich weigern, dieVollSfrcunde" von Herrn Pfarrer Stein mitzunehmen. Ich ersuche Sie daher, jedesmal selbst dasjenige Kind zu bestimmen, welches die.Volksfreunde" von Herrn Pfarrer Stein zu holen und Ihnen zu überbringen hat. Da damit absolut keine Mühewaltung verbunden ist, kann und muß es schon im Interesse der Erziehung von den Kindern verlangt werden, daß sie sich dienstfertig zeigen, sich gefällig erweisen. Doch bin ich auch nicht abgeneigt, solchen Kindern, welche die kleine Dienstleistung regel- mäßig auf sich nehmen, eine Anerkennung in Form eines Geschenkes zuteil werden zu lassen, und würde ich vor der Einsegnung Ihrem diesbezüglichen Vorschlage entgegensehen. Ergebenst Pastenaci." Der.VoltSsreund" ist ein Ableger der.Ostprenßischen Zeitung", deS bekannten Organs der ostclbischen Konservativen. Wahrlich ein echt ostelbisches Kulturbild l Der Land rat wendet sich an den Schulinspektor, dieser wieder an die Lehrer, weil die Schul- linder sich weigern, eine konservative Zeitung zu verbreiten, lieber den.Wert" der Zeitung sind die Kinder vermutlich von ihren Eltern unterrichtet worden. Würde man den Besuchern eines oft- elbischen Gymnasiums auch zumuten, für die Konservativen als ZeitungSboten tätig zu sein? Dieser Vorfall beweist wieder einmal, wie die Konservativen die Voltsschule bewertenl Er hat's erreicht! Die NationaMberalen im Wahlkreise Nordhausen - Hohen- stein haben beschlossen, einen eigenen Kandidaten nicht auf- zustellen, sondern sofort für Dr. W i e m e r einzutreten. ES würde auch furchtbar schwer halten, einen Unterschied zwischen W i e m e r und B a s s e r m a n n zu finden, nur daß letzterer doch wesentlich klüger ist. Die W i e m e r und M u g d a n sind die berufenen Konkursverwalter des Frei- sinns.. Zentrumsagitation am Niederrhek«. Der VerbandStag der katholischen Arbeiter- Vereins des Krefelder Bezirks nahm Stellung zum Landtags- Wahlrecht. In einer Resolution wird. die. Emsüh rung des für den Reichstag geltenden allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts in Preußen gefordert. Weiter erklärte sich die Konferenz gegen die Erhöhung der Tabak st euer und gegen das Branntweinmonopol. Das letztere wird auS prinzipiellen Gründen verworfen, weil Monopole nicht im Interesse des Volkes liegen. Durch die Erhöhung der Tabaksteuer würden die Industrie und die darin beschäftigten 230 000 Arbeiter sehr geschädigt. Gefordert wird eine Reich SerbschaftS st euer, eine beweg« liche Vermögenssteuer und die Beibehaltung der Matrikula �beitrüge. Die katholischen Arbeiter interpellierten auch den Landtag?- abgeordneten des Stadtkreises Krefeld , Dr. König, als er dieser Tage in seinem Kreise Bericht erstattete, über seine Stellung zur Wahlrechtsfrage. Gleichzeitig forderten sie Auskunst darüber. warum er den W a hlr e ch tS an trag deS Zentrums nicht unterschrieben habe. Dr. König erklärte, daß er die Einführung deS Reichstags- Wahlrechts für den preußischen Landtag fordere. Den Wahlrechts- antrag habe er nicht direkt unterschrieben, weil die Unter- schriften schon genügten.(!) denselben zur Verhandlung zu bringen, später habe er aber unterzeichnet. Dr. König wurde wieder als Kandidat ausgestellt. Wir vermuten stark, daß Dr. König kein besonders warmer Freund deS ReichstagSwahlrechts ist, wir nehmen vielmehr an, daß Rücksicht auf die zahlreiche katholische Arbeiterschaft in seinem Wahl- kreise die Veranlassung zu der verspäteten Unterschrift war!. DaS Zentrum ist am Niederrhein auf dem Beamten - fang, in allen größeren Städten werden Versammlungen arrangiert, in welchen ZemrumSabgeordnete über die vertagte Gehaltsauf- befferung der Beamten im Reich und in Preußen referieren. Daß die Vorlage zurückgestellt wurde, sei Schuld des Blocks, gegen den nicht schlecht loSgelegl wird. Wäre das Zentrum noch ausschlagend. dann hätten die Beamten schon längst ihre Gehaltserhöhung.(?) Bei den teueren Lebensverhältnissen sei die Erhöhung der Gehälter eine dringende Notwendigkeit. DaS sagen Vertreter der Partei, welche die Teuerung durch ihre Zoll- Politik verursachte._ politifcbe CUberficbt. Berlin , den 8. Mai 1303. Das Wahlrecht der drei Infamien. dessen Grundzüge wir bereits mitgeteilt haben, muß zu einer LilkS- cntrechtung schlimmster Art führen, wenn cS so Gesetz wird. Jede Bestimmung ist darauf berechnet, die unteren Volksschichten Sachsens , in er st er Linie die Ar- b e i t e r, recht- und einflußlos zu machen. Man will zwar den Arbeitern und andere» kleinen Leuten gnädigst eine Stimme gewähren, macht sie zugleich aber illusorisch. Mit reaktionärer Teufelskunst hat man es so ausgeklügelt, daß die Stimmen der breiten Wählermassen von denen der Besitzenden erdrückt werden müssen. Vor allem sucht man die Arbeiterstimmen dadurch zu reduzieren, daß ein zweijähriger Wohnsitz am Wahl- orte zur Voraussetzung des Stimmrechts gemacht wird. Dadurch gehen namentlich in den dicht beisammenlicgcnden Arbeitervorortcn großer Städte, wo ein Umziehen aus dem einen in den anderen Ort sehr häufig ist. viele Taufende von Arbeitern ihres Wahlrechts ver- lustig. Für die Altersstimme hat man die Altersgrenze von 40 aus 50 Jahre hinaufgerückt/ sicher deshalb weil man weiß, daß ver- hältnjsmäßig wenig Arbeiter dieses Alter erreichen. So wird der kapitalistische Arbeitermord zu einem Hebel.nationaler" Wahlen gemacht; die Altersstimme wird zu einer Waffe gegen die Arbeiterl Als man 40 Jahre als Altersgrenze festsetzen wollte, hatte die Rc- gierung berechnet, daß die Sozialdcmolratie durch die AlterSstimmc 6 7 P roz. ihres Einflusses einbüßen werde, bci 50 Jahren kann man wohl mit 10 P r o z. Verlust des sozial­demokratischen Stimmengewichts durch die Altcrsstimme rechne» I Eine Stimme will man der Ansässigkeit geben, schließt aber die Besitzer von Wohnhäusern mit weniger alS 75 Steuereinheiten aus! Davon wer- den alle Grundstücke, Häuser und Wirtschaften mit weniger als 8000 10 000 M. Wert betroffen! Der Zweck der Einschränkung ist, zu verhüten, daß die Häusler und kleinen Wirtschafts- be sitzer, die ja vielfach Arbeiter sind und von denen man be- hauptet, daß sie sozialdemokratisch wählen, keine Plural- stimme bekommen sollen! Die Selbständigkeit soll eill< Zuschlagsstimme erhalten, aber die kleinen Handwerksmeister die weniger als zwei Gehülfey beschäftigen, sind davon aus. geschlossen, dagegen sollen die Staats- und Kommunalbeamten mit mehr als 1800 M. Einkommen als selbständig betrachtet und einer Zuschlagsstimme teilhaftig werden. Worum das? Nun, weil man glaubt, daß die kleinen Handwerker sozialdemokratisch wählen und andererseits die besserbezahlten Beamten sichere konservative Gesolg- schast sind. Schließlich hat man die Steucrgrenze für die(dritte) Zuschlagsstimme auf Einkommen von 1900 bis 2200 M. herauf- gerückt, weil man so sicher alle Arbeiter davon auszuschließen glaubt! Dieses Wählrechtskompromiß ist eine Ausgeburt volksfeindlicher Reaktion unp engherzigsten ParteiegoiSmuS; ein Wahlsystem auf dieser Grundlage würde schlimmer sein als das jetzige Dreiklassenwahlrecht. eS würde eine Per- tretung der Arbeiterschaft dadurch ausgeschlossen. Statt einer Wahlrechtsreform bietet man dem sächsischen VSlke eine Wahl­rechtsverschlechterung! Eine Unklugheit. Wie ans Hamburg telegraphiert wird, sind die Abgesandten Mulay Hafids dort eingetroffen; zugleich wird offiziös gemeldet, daß die Herren Marokkaner in Berlin im Aus- wärtigen Amt empfangen werden, wenn auch nicht vom Staatssekretär v. Schoen selbst, doch von einem Rat, der ihr Anliegen entgegennehmen wird. Auch werden sie nicht als Beauftragte eines Souveräns, sondern als Privatleute behandelt werden. Von der Natur ihrer Eröffnungen wird es abhängen, ob darüber weiter der französischen Regierung berichtet werden wird. Damit wird ein heißes Verlangen unserer Kolonial- enthusiasten erfüllt, die sich, man weiß nicht recht was von diesem Empfang versprechen. Aber dieser Empfang steht in schroffstem Widerspruch nicht nur zu der einen Politik, die wir bisher in Marokko verfolgt haben, sondern auch zu der anderen. In Tanger hat bekanntlich Wilhelm II. in den stärksten Worten versichert. daß er nur Abdul A s i s als souveränen und legitimen Sultan betrachte. Ist es freundschaftlich. jetzt die Gesandten deS Gegen­sultans zu empfangen Aber auch die deutsche Regierung gibt damit ihren bisherigen korrekten und. was für uns das wichtigste ist. den Frieden fördernden Standpunkt