Der Glrafe des Absah 1§ 1S4 unterliegt derjenige, welcher aus Gerichtsverhandlungen ssür die wegen Gefährdung der Sitt- lichkeit die Oeffentlichkeit ausgeschlossen war, oder aus den diesen Verhandlungen zu Grunde liegenden amtlichen Schriftstücken öffentlich Mittheilungcn macht, welche geeignet sind, Aergerniß zu erregen. Nach diesen„unfläthigen und lüsternen" Bestimmungen wird folgende, der Absicht nach verständige von Zentrumsadgeordneten eingebrachte, von Bebel und Hausmann amendirte Bestimmung, welche weibliche Dienstbolen, Arbeiterinnen und Verkäuferinnen vor geschlechtlicher Ausbeutung schützen soll, mit ollen gegen die Stimmen der beiden nationalliberalen Kommissionsmitglieder an- genommen: § 1820. Arbeitgeber oder Dienstherren, sowie deren Vertreter, welche unter Mißbrauch des Arbeits- oder Dienstverhältnisses, insbesondere durch Androhung oder Verhängung von Lohnkürzungen oder von anderen mit dem Arbeitsverhältniß in Zusammenhang stehenden Nachtheilen oder durch Zusage oder Gewährung von Arbeit, von Lohnerhöhungen, von anderen aus dem Arbeitsverhältniß sich ergebenden Bor- theilen ihre Arbeiterinnen zur Duldung oder Verübung unzüchtiger Handlungen bestimmen, werden mit Gefängniß be st rast. Eine bessere Fassung wird für später vorbehalten. Abg. S t ö ck e r beantragt, nicht nur die Verführung un- bescholtener Mädchen unter 16, sondern auch solcher unter 18 Jahren mit der Strafe des§ 182 zu belegen. Sein Antrag wird mit 10 gegen 3 Stimmen angenommen. Zur Be- rathung gelangt sodann ein vom Zentrum auf Erhöhung der im tz 183 Str.-G.-B. normirten Strafe gerichteter, sowie der gestern bereits mitgetheilte, gleichfalls von Zenlrumsleulen gestellte An- trag, der die Theaterverhältnisse betrifft. Ist durch die heute angenommenen Anträge zu§ 184 und§ 184a der Richter zum Meuchelmörder freier Gedanken auf dem Gebiet« der Kunst, Literatur und Politik in einer Weise degradirt, die die altpreußischen und russischen Zensurverhälwisse in den Schatten stellt, so würden durch diese Bestimmung der darstellenden Kunst noch besondere Fesseln der schlimmsten, drückendsten Art auferlegt. Da dem preußischen Minister des Innern Gelegenheit gegeben werden soll, sich an der Debatte über dies in fein Ressort tief«inschneidende Thema zu betheiligen, so wird die Debatte vertagt und dem Minister anheimgestellt, sich in der Kommission vertreten zu lassen. Nächste Sitzung Sonnabend Vormittag 10 Uhr. IToftales. Achtung, Gewerbeaerichts-Kaudidate»! Sonutag Vormittag pünktlich 10 Uhr finden— laut Bs- schluß der letzten öffentlichen Kandidaten-Versammlung bei Boltz— Besprechungen der Kandidaten der einzelnen Wahlbezirke statt, zu welchen Einladungen mittels Packelsahrt-Karte erfolgen. In dieser Zusanlmenkunft soll, laut Beschluß jener Ver- sammlung, erörtert werden, in welcher geeigneten Weise die Kandidaten die Agitation für ihren Bezirk in die Hand zu nehmen haben. Außerdem werden zu diesen Besprechungen in allen Lokalen Kandidatenlisten ausliegen, die durch die Kandidaten an die Wähler zur Vertheilung gelangen sollen. Ferner soll nochmals hervorgehoben werden, daß die Kandidaten in ihren Bekanntenkreisen dahin zu wirken haben, daß die neun großen öffentlichen Gewcrbegerichts- Wähler- Versammlungen am Montag Abend recht zahlreich besucht werden. Diese Versammlungen finden in nachfolgenden Lokalen statt: Für den 1. Wahlkreis in Scheffer's Salon, Jnselstr. 10. „„ 2., in der Unionsbrauerei, Hasen- Haide 22/31. ». 2. m im Königshof, Bülowstr. 37. ,„ 3., bei Boltz, fr. Feuerstein, Alte Jakobstraße 75. »» 4.„(Osten) im Lokal Könrgsbank, Frank- furterstraße 117. * 0 4. 0(Süd-Ost) in der Urania, Wrangel- slraße 9/10. .» 0. 0 bei Philipp. Rosenthalerstr. 38. 0 0 6.„(Moabit ) in der Kronenbrauerei, Alt- Moabit. 0 0 L. 0(Wedding und Gesundbrunnen ) im Weddingpark, Weddrngplatz. Referenten und Tagesordnung werden durch Säulenanschlag am Montag und Inserat im.Vorwärts" am Sonnlag bekannt gemacht. Um viele Anftagen zu erledigen sei bemerkt, daß daS Orts« statut, betreffend das Gewerbegericht Berlin , bei Hayn's Erben („Jntelligenzblatt"), Zimmerstraße, zu haben ist. Der geschästSführende Ausschuß der Berliner Streik-Kontroll- Kommisston. I. A.: H. F a b e r, SO., Grünauerstr. 4. Bei den Delegirteuwahlen in der Allgemeinen Orts- Krankenkasse der gewerblichen Arbeiter und Arbeiterinnen, die am Sonntag stattfanden, siegten trotz der verschiedentlichen Gegenbemühungen des Vorstandes sämmtliche von der Kommission ausgestellten Kandidaten. Hingegegen wurden bei der am 3. d. M. in der Abth. V stattgehabten Wahl 25 vom Vorstand und 5 von der Kommission aufgestellte Delegirte gewählt. DaS Bekenntniß einer kapitalistische» Seele. Eine Kapuzinerpredigt gegen die undankbaren Arbeiter läßt das erz- kapitalistische Fachblatt„Der Konfektionär" vom Stapel und zwar unter dem vielsagenden Titel:„Was die Fabrikanten für ehre Arbeiter thun." Da„Der Konfektionär" dem ganzen Unter- nehmerthume sicher aus der kapitalistischen Seele gesprochen haben dürfte und die Arbeiterschaft gewiß begierig ist, zu er- fahren, was die Fabrikanten für„ihre" Arbeiter thun, so wollen wir ihnen den Ausdruck echt kapitalistischer Denkungsweise nicht vorenthalten.„Im Jahre 1392", so sagt„Der Konfektionär", „sind ausgegeben worden für die Krankenkassen 132 Millionen Mark, Unfallversicherung 63 Millionen Mark, Invalidität 103 Millionen Mark, zusammen 303 200 000 M. Diese Beträge sind zum weitaus größten Theile von den Arbeitgebern aus- gebracht worden. Trotz des vorigen schlechten Geschäftsjahres haben die Fabrikanten die Löhne fast überall aufrecht erhalten und sie nicht verkürzt. Hat sich durch diese ganz enormen Zu- Wendungen die sozialpolitische Lage gebessert? Der Arbeiter sieht heute noch in seinemArbcilgeber nicht etwa jemanden, der sie ernäbrt, der ihnen gutes zuwendet, der für sie in bester und väterlichster Weise sorgt, sondern nur jemanden, der sie bedrückt. Sie be- trachten die Arbeitgeber noch immer als ihre Feinde. Die Arbeiter möchten die Herren sein. Wir hoffen aber, daß die Zeit endlich vorbei ist, wo die Arbeitgeber sich von den Arbeitern Vorschriften machen lassen. Wir haben keine Anzeichen dafür gefunden, daß sich trotz aller dieser Wohlsahrlseinrichtungen, trotz der großen Opfer, die die Arbeitgeber bringen, diese das Herz der Arbeiter erobert haben. Die letzteren sind in ihrer Mehrzahl den Arbeitgebern noch immer fremd. Die Erhaltung des Staates und der Städte bezahlen die Arbeilgeber, aber trotz- dem möchten die Arbeiter regieren und herrschen. Von Seiten der Fabrikanten ist nunmehr genug geschehen für die Arbeiter; jetzt sollen die letzteren auch erst zeigen, daß ihnen daran gelegen ist, mit ihren Arbeitgebern in gutem Einverständniß zu leben, für die Blüthe und den Ausschwung der Fabriken zu arbeiten und nicht mehr auf leere Worte von sozialdemokratischen Agitatoren zu hören, die niemals fähig sein werden, die den Arbeitern gemachten Versprechungen einzulösen oder ihnen Wohl- thaten zu erweisen. Die Arbeitgeber aber haben ihr Wort Malten, sie haben den Arbeitern durch Kranken-, Unfall- und Jnvaliditäts- Versicherung ein Vermögen geschaffen, das Ende des Jahres 1892 sich auf 3�3 850 000 M. belaufen hat. Thatsachen und Ziffern beweisen mehr als leere Worte— der Arbeiterverhetzer."— Solchen Frechheiten gegenüber schweigt wirklich des Sängers Höflichkeit! Nun wissen die Arbeiter, was ihre„Ernährer" für sie thun, wie sie in„bester und väterlichster Weise" für sie sorgen. wie sie ihnen„Zuwendungen" machen, die braven Fabrikanten, denen die Arbeiter ihre Millionen mit saurem Schweiße erarbeiten müssen! Die Typhus - Erkrankungen in der Earde-Illanen- Kaserne scheinen noch immer Fortschritte zu machen. Es sollen noch täglich Neuerkrankungen vorkommen; erst gestern wieder sollen zwei Ulanen von der Seuche ergriffen worden sein. Die Transporte der erkrankten Soldaten nach dem Lazareth sollen zur Nachtzeit erfolgen. Bezüglich der Ursache der Seuche ist bis jetzt Bestimmtes noch nicht festgestellt, doch herrscht kaum noch ein Fweiiel darüber, daß das Brunnenwaffer der Kaserne den .rankheitserreger bildet. Die neuanaelegten Kanalisationsröhren der Kasernements führen zum Theil dicht an den Brunnenkcsseln vorbei und man nimmt an, daß die Kanalisationsleitung nicht hermetisch schließt und Typhuskeime in das Grundwasser gelangt sind. Einen schlimmen AuSgang nahm am Mittwoch Abend eine Segelschlittenfahrt, welche drei Schmöckwitzer Herren auf dem Seddinsee unternommen hatten. Da der Wind ziemlich scharf ging, irrten sie bei dem Nebel und der Dunkelheit plan- und ziellos auf dem Eise umher, bis sie schließlich bei Gosen ins offene Wasser geriethen. Erst nach verzweifelten Anstrengungen gelang es den Verunglückten, aus den kalten Finthen sich aufs Trockene zu retten. Um 1 Uhr Nachts endlich erreichten sie die Gastwirthschaft in Gosen, wo sie mit trockenen Kleidern versehen und erwärmt wurden. Ihren Segelschlitten haben die Unglücks- geführten im Stiche lassen müssen. Zur Geschichte der Schleppe. In einer wenig belebten Straße passirte gestern einer Dame das Malheur, beim Zuwerfen der Hausthür die Schleppe ihres Kleides einzuklemmen. Die Ver- suche, die Schleppe herauszuziehen oder die Portierglocke zu er- reichen, waren vergeblich und auf der Straße war vorerst kein Mensch zu sehen. Endlich kamen einige junge Leute vorüber, welche die Situation so komisch fanden, daß sie sich die Dame in ihrer fatalen Lage eine Weile betrachteten und dann, anstatt die Glocke zu ziehen, unter spöttelnden Bemerkungen weiter gingen. Die gefangene Dame rief, da sie die Hoffnung schwinden sah, ihre Freiheit ohne Schädigung des Schleppkleides zu erlangen, endlich um Hilfe, worauf sie von einem Hausbewohner durch Oeffnen der Thür befreit wurde. Marktpreise in Berlin am 9. Februar, nach Ermitte- lungen des Polizeipräsidiums. Weizen per 100 Kg. guter von 15,80—15,20 M., mittlerer von 15,10—14,60 M.. geringer von 14,50—14,00 M. Roggen per lOO Kg. guter von 13,70—13.30 M., mittlerer von 13,20—12,90 M., geringerer von 12,80—12,50 M. Gerste per 100 Kg. gute von 17,50—16,30 M., mittlere von 16,20— 15,10 M., geringe von 15,00—13,30 M. Hafer per 100 Kg guter von 15,80—15,10 M., mittlerer von 15,00—14,30 M. geringer von 14,20—13,50 M. Stroh, Richt- per 100 Kg. von — ,— Mark. Heu per 100 Kiloar. von— ,— Mark. Erbsen per 100 Kg. von 40,00—25,00 M. Speisebohnen, weiße per 100 Kg. von 50,00—20,00 M. Linsen per 100 Kg. von 80,00 bis 30.00 M. Kartoffeln per 100 Kg. von 7.00-4,50 M. Rind- fleisch von der Keule per I Kg. von 1,60—1,20 M. Bauchfleisch per I Kg. von 1,30—0,90 M. Schweinefleisch per 1 Kg. von 1,60—1,20 M. Kalbfleisch per I Kg. von 1,60—0,90 M. Hammel- fleisch per 1 Kq. von 1.50—0,30 M. Butler per 1 Kg. von 2,80 bis 1,80 M. Eier per 60 Stück von 8,00— 3,60 M. Fische per 1 Kg.: Karpfen von 2,40—1,20 M. Aale von 3,00—1,00 M. Zander von 2,40—1,00 M. Hechte von 1,30—1,00 M. Barsche von 1,80—0,70 M. Schleie von 2,40—1,00 M. Bleie von 1,40 bis 0,70 M. Krebse per 60 Stück von 10,00—3,00 M. Polizeibericht. Am 8. d. M. Abends und am darauf- folgenden Tage Nachmittags wurden vier Personen überfahren, aber nur leicht verletzt. Am 9. d. M. Abends fand vor dem Hause Friedrichstr. 105 ein Zusammenstoß zwischen einem Omnibus und einer Droschke statt, wobei der Droschkenkutscher vom Bocke geschleudert wurde und eine bedeutende Verletzung am Handgelenk erlitt. In, Laufe des Tages und am darauffolgenden Morgen fanden sechs kleine Brände statt. Gevirliks-Iteiluttg. Frau ValcSka Töpfer, das spiritistische Medium, welches am 13. Mai v: I. vom hiesigen Schöffengericht wegen vollendeten und versuchten Betruges zu zwei Jahren Gefängniß und fünfjährigem Ehrverlust verurtheilt worden ist, hatte gegen dieses Urlheil Berufung eingelegt. Gestern hatte sich die 5. Straf- kammer hiesigen Landgerichts l mit dieser Angelegenheit, welche die Kreise der gläubigen Spiritisten in gewaltige Anfreguna versetzt hat, zu beschäftigen. Den Vorsitz führte Landgerichtsdirektor Schenk, der Angeklagten stand wiederum Rechtsanwalt Wronker als Vertheidiger zur Seite. Die Angeklagte ist die Kaufmannsfrau Valesca Töpfer geb. Partolowska, 1842 in Torgau geboren, evangelisch, in Schmargendorf , Kreis Teltow, wohnhaft. Die Angeklagte giebl vor, im Besitze einer geheimnißvollcn Kraft zu sein, vermöge deren sie besähigt sein will, wenn sie in einen schlafähnlichcn, von den Spiritisten„trancs", von ihr selbst „Drangs" genannten Zustand verfällt, als Medium den Verkehr zwischen der Geislerwelt und den leiblichen Menschen zu vermitteln. Sie gilt als eins der begabtesten Medien und hat auf diesem Gebiete seit über zwanzig Jahren ge- wirkt. Sie will dieselbe von Kindheit an besessen haben und zuerst als 17 jähriges Mädchen durch einen Bergmann aus dieselbe aufmerksam gemacht sein, welcher ihr aus den Kopf zu- sagte,' daß sie sich im Besitze dieser Kraft befinde. An den Sitzungen, in welche» die Angeklagte die Geister rief, betheiligten sich stets 8—15 Personen, welche Beiträge in verschiedener Höhe zablten und Frau Valcska Töpfer, die für einen geisteskranken Mann und vier Kinder zu sorgen hat, heimste durchschnittlich für jede Sitzung 20 Mark und mehr ein. Das Schöffengericht hat ihre Behauptungen bezüglich des Verkehrs mit der Geisterwelt für Schwindeleien erachtet. Sie hat am 1. Februar 1887 einmal vor dein Landgericht in Dresden als Zeugin in einer Strafsache über ihre spiritistischen Künste unter ihrem Eide Aufschluß geben müssen. Danach hat sie ihre Geisler außer in Berlin auch in Reichenbrand , Leipzig , Dresden und in Wien in Gegenwart von zwei Erzherzögeu und drei Fürsten erscheinen lassen. Sie hat eidlich zugegeben, daß sie dabei den größten Humbug ausgeführt hat, indem sie selbst die Stimmen der Geister nachahmte oder in werße, nüt Phosphor betupfte Gaze gehüllt, in dem dunklen Raum als Geist debütirte. Auf diese Weise habe sie viele Leute getäuscht, in Leipzig unter anderem den Professor Zöllner. Im Somnier 1885 ist das Medium in Leipzig einmal entlarvt worden; man zerschnitt nämlich, während sie als Geist unter dem Publikum weilie, den Vorhang, hinter welchen das Medium zu schlüpsen pflegte, und sah nun hinter demselben das von ihr ausgezogene Kleid liegen. Man machte Licht und ent- deckte, daß die Angeklagte, mit Gazekleid und Gazeschleier ein- gehüllt, den Geist spielte. Seitdem ist sie nicht mehr als Geist aufgetreten. So hat sie unter ihrem Eide chren Geisterspu! selbst erklärt, behauptet aber, daß dies» Aussage«zwungea und falsch sei. Am 7. November 1891«un gab die Angeklagte in dem Komptoir der Brüder Cohn in der Klosterstr. 76 Hierselbst eine Sitzung. Sie wurde mittels eines Strickes an einen Stuhl ge- fesselt und demnächst durch einen Vorhang den Blicken entzogen. In dem Räume, in welchem sich die Angeklagte befand, hatte sich hinter einem Geldspinde Dr. Cohn verborgen und betrachtete die Angeklagte. Nach einigen Produktionen äußerte jemand den Wunsch, daß ein Geist den in einiger Entfernung von dem Stuhle des Mediums befindlichen Ofenvorsetzer umwerfe. Nun trat Dr. Cohn aus seinem Versteck hervor und stellte fest, daß dieAngeklagte die angeblichen Geisterthaten selbst ausgeführt habe.— Aehnliche Dinge hat die Angeklagte einem Zeugen Frankfurter vorzuspiegeln versucht, indem sie ihm erklärte: der Geist eines im Jahre 1791 verstorbenen französischen Tambours habe die Marseillaise und das Lied:„Ich halt' einen Kameraden"(!) getrommelt. Das Schöffengericht hat in diesem Treiben der Angeklagten die Kriterien des fortgesetzten versuchten und vollendeten Be- truges erblickt. Bezüglich der gewählten hohen Strafen heißt es in dem ersten Erkenntniß:„Strafschärfend fiel der große Umfang in's Gewicht, in welchem die Angeklagte ihr betrügerisches Ge- werbe betrieben, die erheblichen Summen, welche f- damit erworben, endlich die Erregung und Verwirrung weiter kreise des Publikums, welche die unsinnigen und abgeschmackten Schaustellungen für ein Eingreifen der Geisterwelt in die äußere Ordnung der Dinge ge- halten haben."— Als strafmildernd ist in dem Erkenntniß an- geiührt die bisherige llnbeschollenheit der Angeklagten, die That- fache, daß sie als Mutter von vier Kindern und Gattin eines erwerbsunfähigen Mannes eine nur sehr mäßige Erwerbsquelle hatte und endlich die Leichtgläubigkeit ihrer Klientel. Bei der Heuligen Verhandlung vertritt Assessor Dr. G ä s e l e r die Anllagebehörde. Der kleine Zuhörerraum des Sitzungssaales bietet nur Platz für eine geringe Anzahl von Personen. Als Zeugen sind von bekannten Spirittsten u.a. Dr. Egbert Müller, Dr. S p a tz i e r und Schriftsteller Blankenburg geladen. Landgerichtsdirektor Schenk betont im Voraus, daß es sich bei dieser Verhandlung nicht darum handele, das Zutreffende oder Unzutreffende des Spiritismus klar zu legen, sondern nur fest- zustellen, ob die Angeklagte als Medium Betrugshandluugen be- gangen hat. Ans die Frage des Präsidenten erklärt die Angeklagt«: Ich habe bis zum 14. Lebensjahre eine Bürgerschule besucht und dort auch etwas sranzösisch gelernt. Ich war zum ersten Male mit einem HolzbildhauerHeinze verheirathet gewesen, aber von demselben geschieden worden. Mein zweiler Mann, der Kaufmann Töpfer, ist neuerdings geschieden. Ich gab früher Unterricht in der Schnei- derei, die Sache ist aber durch den Spiritusmus aufgehoben worden.— Präs.: Wre sind Sie zu Ihrer neuen Beschäftigung gekommen? Ä n g e k l.: Mich hat'mal ein Bergmann auf die in mir wohnende Kraft aufmerksam gemacht Ich war zuerst nur Schreibmedium, dann aber kamen Spiritisten zu mir. und sagten, ich wäre noch mehr wie ein Schreibmedium.— Präs.: Sie sollen schon seit 20 Jahren den Spiritismus betreiben.— Angel l.: Zuerst habe ich nur für mich geschrieben und für meine Familie. Manchmal habe ich es aber auch ausgesetzt, wo ich keine Kraft hatte.— Präs.: Was leisten Sie denn in den sogenannlen physikalischen Sitzungen?— Angekl.: Da wurde geklopft, der Tisch gerückt und verschiedene Gegenstände bewegten sich.— Präs.: Und wie war die Thäligkeit des Geisterschreibens? Es wurde mit dem Psycho- graphen und mit freier Hand geschrieben.— Angekl.: Ich llecke das Blei in die Hand, dann bewegt sich, von unsichtbarer Kraft getrieben, meine Achsel, und nieine Hand schreibt unwill- kürlich etwas, von dem ich keine Vorstellung habe. Od es Geister sind, die mich antreiben, weiß ich nicht, ich glaube es aber.— Präs.: Wie ist Ihr Zustand, wenn Sie schreiben?'— Angeklagte: Ich bin ganz bei Bewußtsein und kann dabei sprechen. Präs.: Haben Sie auch mal versucht mit der linken Hand zu schreiben? Wie ist die Sache dann?— Angekl.: Dann sahen die Schriftzüge fast ebenso aus.— Präs.: Wenn Sie sich des Psychographen bedienen, wie ist dann Ihre Thäligkeit?— Angekl.: Dann geht die Hand von selbst über die Glasplatte mit den Buchstaben. — Präs.: Wissen Sie, was Sie für Antworten geben?— Angekl.: Nein.— Präs.: Sind Sie etwa dabei in dem Zustande des „tranoe"? Angekl.: Nein, aber ich muß ganz darauf bedacht sein, die Worte, die ich höre, zu verstehen.— Präs.: Wie tritt dieser Geisteseinfluß in Kraft?— A n g e k l.: Es genügt mein ernster Wunsch und Wille. — Präs.: Welche Leistungen ge- schehen, wenn Sie im Zustande des tranoo sich befinden?— Angeklagte: Das weiß ich nicht.— P r ä s.: Es soll oft ein Kindergeist Avila sich bemerklich machen, ebenso sollen Sie oft den Geist eines Schuhmachers Bernert aus Plauen zitiren, der sogar im sächsischen Dialekt spricht, ferner den Geist ves Doktor Achilles , der durch Ihren Mund Medikamente ver- schrieben hat. Im trancs sollen auch sogenannte Materiali- sationen, die Verkörperung von Geistern, stattfinden. So soll namentlich oft ein Name Andrea« erscheinen. Die Geister sollen oann ganz eigenthümliche Sachen machen, Stühle auf Ihre» Kopf stellen jc. ic.— Angekl.: Das weiß ich nicht.— Präs.: Warum wird aber bei den Sitzungen immer«in dunkler Raum hergestellt und dieser noch durch eine Gardine von den Zuschauern getrennt? Es ist nicht recht erfindlich, warum Geister erst solche Vorbereitungen treffen!— Angekl.: Die Geister haben geschrieben, daß es so sein müsse.Wa die Photographen in ihrer Dunkelkammer ja auch kein Licht haben.— Präs.: Wie gelangen sie in den Zustand des trancs?— Angekl.: Dazu genügt auch mein Wille. Ich erwache zuletzt auch von selbst.— Präs.: Es passtren dabei doch noch recht eigenthümliche Dinge: durch den festen Vorhang wandern Uhren und oberhalb des Vorhanges zeigen sich klauenarlige kleine Hände.— Angekl.: Davon weiß ich nichts.— In ihren weiteren Aussagen giebt die Angeklagte an, daß sie ihre Vor- stellungcn nie aus freien Stücken, sondern stets auf Auffordernng gegeben habe. Geld habe sie nie verlangt, es sei ihr vielmehr immer aufgedrängt worden. Die Angeklagte, deren jüngstes Kind 14 und.deren ällcstes 24 Jahre alt ist, bestreitet, daß sie in Dresden oeni Untersuchungsrichter Landgerichtsrath W e i n g a r t frei- willig einen Betrug eingestanden habe. Sie habe vielmehr ans Angst das gcaiilwortet, was der Untersuchungsrichter von ihr verlangte. Dersetbe habe ihr gedroht, sie dem Staatsanwalt wegen Meineides vorzuführen, wenn sie sich unterstehen sollte, eidlich zu erhärten, dhß sie wirklich mit Geistern in Verbindung stehe. Sie wisse auch nichts davon, daß, als sie angeblich in Dresden entlarvt worden sei und man sie in weißer Gaze utirapirt hatte, ihr Mann selbst gesagt habe:„Die Geister- erschemungen sind ja Schivindel, aber ein Schreibuledium ist meine Frau!"— Präs.: Sie bestreiten also, sich des Schwindels schuldig gemacht zu haben?— Angekl.: Nur einmal habe ich etwas Unrechtes gethan; da hat ein Geia geschrieben, daß ich ein Gazekleid anziehen solle, da meine Kraft z» schwach sei.— Präs.: Bei Ihrer Vorstellung bei den ivrüdern Cohn hal der Hr. msd. Cohn genau beobachtet, wel- che» Schwindel Sie treiben. Sie haben sich, anscheinend mit Hilfe eines verstellbaren Korsets, sehr geschickt aus Ihrer Schlinge befreit, sind an das Spind gegangen, haben Hüte dar- ans genommen und auf die Erde gesctzl, viel gepoltert, sich einen Stock in das Haar geflochten, nachdem Sie vorsichtiger Weise die Haarnadeln enlfernt hatten und schließlich haben Sie sich einen Stuhl, mit den Beinen nach oben, aus den Kopf gesetzt.— Angekl.: Ich weiß davon nichts. Ich habe d,e Geister nicht gerusen. sie sind selbst ge- kommen.— Präs.(mit erhobener Stimme): Können Sie wirklich glauben, daß unsterbliche Geister aus Veranlassung eines winzigen Sterblichen sich zu kindischen und einfältigen Spielereien gebrauchen lagen werden?— Daß die unsterblichen Geist«
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