Literarisches.
Bollalliancen und Zollunionen, in ihrer Bedeutung für die Handelspolitik der Vergangenheit und Zukunft von Dr. L. Bose. Aus dem Französischen übersetzt von Dr. S. Schilder, Sekretär des österreichischen Handelsmuseums in Wien . Verlag von Elwin Staude, Berlin .
Der Wortführer der NationaПliberalen, Dr. Paasche, hat das Werk mit einem Begleitwort bersehen. Das mutet seltsam genug an! Denn der Bevorworter hat bei den lehten deutschen Zolltariffämpfen gar wader mitgewirkt, die deutschen Zollmauern zu erhöhen und zu verstärken, war bisher für jede imperialistische und protektionistische Maßnahme des deutschen Industrie- und Agrartapitalismus ohne Einschränkung zu haben. Und nun redet er auf einmal einer europäischen Zollverständigung das Wort? Bollallianz und Zollvereinspläne, die der Verfasser in seiner Arbeit behandelt, sind seit dem Zustandekommen des ehemaligen Deutschen Zollvereins nichts Neues mehr. Schon Friedrich List hat 3. 28. 1841 auf die einstige Notwendigkeit eines europäischen Zoll vereins gegenüber Amerika hingewiesen, also zu einer Zeit, wo die Weltmarktspositionen der europäischen Handelsstaaten noch nicht durch die industrielle Expansion Nordamerikas sowie das Auftauchen eines neuen Weltmarktskonkurrenten in Gestalt Japans eingeengt und bedroht wurden. Seit Friedrich List ist die Idee eines europä ischen Zollvereins in den verschiedensten Staaten immer wieder diskutiert worden. Alle möglichen Kombinationen sind da im Laufe der Zeit aufgetaucht, die der Verfasser im Anschluß über das Werden und Wesen des Deutschen Zollvereins in wirtschaftlicher und staatsrechtlicher Beziehung registriert und erörtert.
In dieser zusammenfassenden Darstellung des Bollvereinsproblems in Bergangenheit und Gegenwart liegt der Wert, den das Wert in seiner Gesamtheit beanspruchen darf. Jm einzelnen erscheint dem Verfasser gar manches in der Beleuchtung oder in Rüdstrahlung auf die Zollvereinsidee als wichtig und aktuell, das im wirklichen Ausmaße der Verhältnisse zu einer herzlich nichtssagenden und unbedeutenden Aktion zusammenschrumpft. In der Hauptsache beschränkt sich der Verfasser bei seinen Ausführungen auf das rein wirfschaftliche Gebiet der Frage. Jedes Festlegen auf irgend einen prinzipiellen Standpunkt vermeidet er dabei, sucht vielmehr zwischen den wirtschaftspolitischen Gegensäßen soviel wie möglich zu vermitteln. Sein Jdeal ist der" defensive" Zollverein, der Freihändler und Schutzöllner unter Wahrung jeder politischen und nationalen Selbständigkeit zur Abwehr der drohenden Konkurrenz der Weltreiche( der Vereinigten Staaten von Amerika ) sowie der Macht der für das alte Europa gefährlichen amerikanischen Trusts" vereinigen soll. Das ist natürlich leichter gesagt wie getan!
Sonntag, 14. Juni 1908.
Brasilien z. B. den Vereinigten Staaten einen 20 prozentigen Vor- erschöpft sich in der Erreichung Kleiner Gelegenheitsvorteile für ihre Jugszoll einräumte, so war dies keine von wirtschaftlichen Rücksichten Anhängerschaft. Solch unsichere Kantonisten fönnen natürlich die bittierte Maßnahme, sondern eine politische Rückversicherung für Idee eines mitteleuropäischen Zollvereins nicht in ersprießlicher den Fall etwaiger politischer Konflikte zwischen Argentinien und Weise vorwärts bringen. Uruguay .
Ist die egoistische Richtung in der Handelspolitik der euroWenn heute in fast allen Handelsstaaten die Agrarier päischen Staaten, die allüberall von den Agrariern inauguriert und dominieren, in ihrem Sinne und zu ihren Gunsten die Bahnen mit brutaler Bähigkeit festgehalten wird, einmal überwunden, so ist der wirtschaftlichen Entwickelung beeinflussen, so tun sie dies eben- der Haupthinderungsgrund eines gemeinsamen Wirtschaftsverfalls nicht auf Grund der Summe der agrarischen Interessen, die bandes befreundeter oder gar verbündeter Staaten ganz von selbst sie vertreten, sondern auf Grund ihres politischen Einflusses, den hinweggeräumt. Hätte die deutsche Regierung 8. 2. die Richtlinie fie überall, weit über ihre wirtschaftliche Berechtigung hinaus, der Handelspolitik, die sie 1891 unter Caprivi einzuschlagen gewillt geltend machen. Auch bei der drohenden Möglichkeit, daß England war, stetig weiter verfolgt, so würden wir sicher heute in greifbarer in das schutzöllnerische Lager überschwenkt, würde eine Gefahr Nähe eines gemeinsamen mitteleuropäischen Wirtschaftsverbandes Leider siegte weniger in wirtschaftlichen als in politischen Ursachen liegen. Die stehen. die reaktionäre Wirtschaftspolitik des Situation auf dem englischen Wirtschaftsmartte bietet gar keine Agrariertums und verhalf dadurch auch in den Nachbarländern den Veranlassung zu einer Aenderung der bestehenden Verhältnisse. Agrariern und jener unsinnigen Zollpolitik zum Siege, die, das Die schußzöllnerische Agitation hat ja seit dem Ausscheiden Joe Inland durch preissteigernde Bollmauern absperrend, auf dem Chamberlains auch ganz merklich nachgelassen. Wohl aber die all- Weltmarkte mehr und mehr zum wirtschaftlichen Kampfe auer gemeine politische Lage. Fährt Deutschland z. B. in seiner un- gegen alle führt. sinnigen Flottentreiberei fort, so fönnte England eines schönen Tages, um sein Uebergewicht zur See gegen Deutschland zu behaupten, zu gleichen Mitteln greifen, die jenem sein marinistisches Vorgehen ermöglichen, d. h. zu ausgiebigem Schutz und Finanzzöllen.
In die Augen springend ist dieser Fehlschluß bei zu einseitiger wirtschaftlicher Betrachtung der vorliegenden Materie auch bei der Würdigung der Stellung, die Deutschland zu der mitteleuropäischen Bollvereinsfrage in den Augen des französischen Verfassers einnimmt oder vielmehr einnehmen soll. Er behauptet, Deutschland sei, von allen Ländern Europas dasjenige, in dem die Zollvereinsfrage am lebhaftesten und mit dem größten Eifer erörtert würde. Wenn das wahr ist, so hat die Angelegenheit in anderen Ländern ganz außerordentlich schwache Wellen geschlagen. An akademischen Abhandlungen von seiten der Alldeutschen( deren Auslassungen der Verfasser über die Maßen hinaus wichtig und ernst nimmt), einzelner Minister und Parlamentarier, von Professoren( Frande, Brentano, Wagner, Schmoller) sowie einer Anzahl Handelskammersekretäre, an platonischer Zustimmung einzelner industrieller Verbände, wie z. B. diejenige des Bundes derselben im Oktober 1900 zu Berlin usw. hat es allerdings nicht gefehlt. Für die Praxis beweist dies alles aber gar nichts. Das vorliegende Werk ist in der Ursprache 1904 erschienen. Schon die Haltung der gleichen Industriellen, die im Jahre 1900 die Zollvereinsidee für beachtenswert erklärten, bei den Zolltarifberatungen im Jahre 1902, hätte den Verfasser in seiner Annahme schwankend machen sollen. Hand in Hand mit den Agrariern beschlossen die Industriellen damals unter Führung Paasches die unsinnigsten Tarifpofitionen. Jene Kreise wären heute 3. B. für einen Zollvereinsvertrag mit Desterreich, Italien , Holland , die Schweiz oder sonst einem Staate nur unter der Bedingung zu haben, daß der bisherige deutsche Bolltarif auf rechterhalten und dazu nur noch ein zweiter gemeinsamer, mit noch höheren Bollfäßen gegen die überseeische Konkurrenz geschaffen würde. Darüber ist sich der Verfasser selbst auch vollständig flar. Unter solchen Umständen wird natürlich eine jede Zollvereinsbestre. bung zur reinen Farce.
Um die Materie durch das Hineintragen politischer Momente nicht zu verwickeln, läßt der Verfasser denn auch diese soviel wie irgend möglich aus dem Spiele. Diese absichtliche Beschränkung feiner Ausführungen auf die rein wirtschaftliche Seite der Zollhereinspläne und die Ausschaltung aller politischen Kombinationen hat jedoch bedenkliche Begleiterscheinungen zur Folge. Politik und Wirtschaftsleben stehen heute in so engen Wechselbeziehungen, daß In Wirklichkeit hat denn auch die ganze Angelegenheit zurzeit sich ohne Gefahr nicht eines der beiden aus der Betrachtungslinie im deutschen Volke durchaus keinen breiten Resonanzboden. Bei entfernen läßt. Daß dies geschieht, daß dem Einfluß der Politik der Aussicht, den hohen europäischen Gegenwartszöllen höchftens auf den Gang der wirtschaftlichen Entwidelung zu wenig Rechnung noch höhere überseeische Kampfzölle hinzuzufügen, hat z. B. die getragen wird, führt nicht selten zu anfechtbaren Schlußfolgerungen. Sozialdemokratie nicht die geringste Ursache, sich für den BollAllerdings springt der Ueberfeber des öfteren zur rechten Beit in bereinsgedanken irgendwie propagandistisch ins Zeug zu legen. die Breschen, die das Werk selbst in dieser Beziehung bietet. Jener Der mitteleuropäische Zollverein ist für uns nur dann diskutabel, weist z. B. auf den politischen Charakter der Common wealth of wenn er die gegenseitigen Zollschranken der Vertragsstaaten nieder Australia hin, auf den tanadischen Zollverein, auf die südafrikanische legt und teine Kampfspike gegen Amerika oder England erhält. Bollunion, die ihre panbritische Gestaltung( Vorzugszölle zugunsten Auf Grund ihres Freihandelsprinzips tämen als Vorfechter des britischer Waren) einem rein politischen Motive verdankt. Auch das mitteleuropäischen Zollvereins in Deutschland dann nur noch die politische Motiv in einzelnen Vorkommnissen auf dem Gebiete der freifinnigen Handelsvereinler in Betracht. Denen fehlt aber jedes panamerikanischen Bestrebungen darf nicht übersehen werden. Wenn feste Ziel in Fragen der Wirtschaftspolitik und ihr ganzes Streben
Wie die Dinge heute liegen, ist durch die zustande gekommenen Handelsverträge bis 1918 jeder Zollverständigung der Weg gesperrt. und die Vereinigten Staaten von Europa " haben vollends gute Wege!
An diesen Verhältnissen wird auch die„ amerikanische Gefahr" nichts ändern, die als Pressionsmittel in den Gedankenreihen des Verfassers eine überaus wichtige Rolle spielt. Der Ruf„ Hannibal ante portas" fonnte den Römern keinen größeren Schreck einjagen, als die Ueberschwemmung des Weltmarktes mit amerikanischen Gangfabrikaten und die steigende amerikanische Handelsbilanz dies bei dem Verfasser tut. Schon sieht dieser Europa wirtschaftlich be fiegt zu den Füßen des amerikanischen Industrieriesen liegen. Er hört daher durch ganz Europa den Sturmesruf: Krieg gegen den Emporfömmling Amerika " brausen. Für Deutschland stempelf cr z. B. Wilhelm II. zum Heerrufer im Streite als den überzeug teften Befürworter des unvermeidlichen Widerstandes gegen die Vereinigten Staaten . Liegt nicht die Idee eines europäischen Zoll. bereines jenen so berühmt gewordenen Worten zugrunde: Völker Europas , wahret eure heiligsten Güter", so frägt er, eine Ansicht, die schon der Ueberseber mit einem berechtigten Fragezeichen be gleitet. In Wirklichkeit ist von einer lodernden Kampfstimmung gegen Amerika bei uns natürlich keine Rede. Was da vom Verfaffer als folche alles registriert wird, sind nichts als papierne Drohungen. Im übrigen zeigt ja die herrschende Krise, daß auch in Amerika die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Mit dem amerikanischen Gespenst gehen nur die extremen Agrarier krebsen, die durch einen Zollkrieg à tout prix die amerikanische Lebens. mittelzufuhr nach Deutschland vollständig ausschalten wollen. Ein intereffantes Kapitel ist neben den Grörterungen der pan. britischen und panamerikanischen Zollvereinsbestrebungen das jenige, in welchem der Verfasser von dem Kampfe gegen die pri baten Exportprämien der Trusts und Syndikate mit Hülfe zollpolitischer Abmachungen spricht. Er verweist da ausdrücklich auf die Unterbilanz dieser Prämien durch die Brüsseler Buderkonven tion. Und in der Tat verdiente dieses Vorgehen Nachahmung, allerdings nicht nur einseitig in Beziehung auf die amerikanischen Trustprämien für den Außenhandel, wie er dies will. Das Vorgehen des deutschen Kohlensyndikates, das den Inlandmarkt auswuchert, um dadurch im Auslande Breisschleuderei treiben zu tönnen, ist mindestens genau so gemeingefährlich wie dasjenige irgend eines amerikanischen Trusts. Auf alle Fälle würden daDurch für viele Artikel die Inlandpreise im gleichen Maße gesenkt werden, wie das bei den Buderpreisen der Fall war. Bisher hat nur Canada ( bon der Brüsseler Budertonvention abgesehen), im nennenswerten Umfange Ausgleichszölle gegen Exportprämien der Kartelle eingehoben. Das Treiben der Trust- und Shudikatz magnaten in Amerika sowohl wie in Europa ist jedoch ein so offen bar gemeinschädliches, daß ein Vorgehen im Sinne des Verfaffers nur eine Frage der Zeit ist.
a. a.
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