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unsere Genossen mit Ausnahme des durch borussische Festungsmauern festgehaltenen Genossen Liebknecht und des durch dringende Geschäfte verhinderten Ge- nassen Hirsch. Unsere Fraktion trat sofort in Aktion, und ehe eine Viertelstunde verflossen, zeigte es sich, daß selbst wenige Hechte genügen, um die satte Ruhe des Karpfen- sumpfes zu stören. Zwei Anträge wurden unterbreitet, deren erster die Haftentlassung Liebknechts während der Dauer der Session, deren zweiter die Einstellung eines Strafverfahrens gegen Leinert fordert. Der Junkerschriftführer v. Bockelberg verliest die Anträge. Er will witzeln. Borgmann und 15Genossen", sagt er mit spöttisch sein sollender Betonung. Wir nehmen den Junkcrwitz als gutes Vorzeichen an. Die 15 Unterschristen sind durch freisinnige Hilfe erreicht. Fischbeck hält es für nötig, zu recht- fertigen, daß die Freisinnigen einmal anständig waren, freilich nicht, ohne allerhand Ausstellungen am Wortlaut des Antrages in Sachen Liebknecht zu machen. Der Chorus der Rechten schäumt vor Wut, weil seine Freisinnsvasallen einmal einen lichten Augenblick gehabt haben. Hobrecht schlägt Termin und Tagesordnung der nächsten Sitzung vor, die am Sonn- abend vor sich gehen soll: Wahl des Bureaus, die Pfarrers- Vorlage in erster und zweiter Lesung. Prompt ist Genosse Borgmann zur Stelle, erhebt Widerspruch und protestiert gegen die Durchpeitschung. Aber zum Widerspruch gehören 15 Mit- glieder. Mit der Unterstützung der oben genannten Anträge ist des Freisinns denlvkratische Kraft er- schöpft und wieder einmal Versagt er. Auch bei den Polen scheinen die Skorpionen noch nicht genügend gewirkt zu haben, mit denen die Aera Bülow sie züchsigt. Nur Korfanty und zwei, drei seiner Fraktionsgenossen erheben sich. Die Unterstiitzung reicht, nicht aus. Den Junkern, die Borgmanns kurze Rede durch lautes Schreien unterbrochen haben, schwillt der Kamm. Der kleine Heydebrand will den Parlaments- bonaparte spielen und beantragt, auch die dritte Lesung daraufzusetzen. Da werden auch die engelsgeduldigen Frei- sinnigen rebellisch und es bleibt bei des alten Hobrechts Bor- schlag. Die Hechte haben sich schon bemerkbar gemacht... Ein halbes Stündchen später versammelt sich das Herren- haus. Manteuffel bringt das dritte Hoch des Tages aus. Gemäß allgemeinem Brauch, der den Journalisten die Tellnahme an den Kundgebungen des Hauses verbietet, bleiben iauch zahlreiche bürgerliche Mitglieder der Journalistentribüne sitzen. Manteuffel macht eine schnarrende Bemerkung und läßt sich darauf zum Präsidenten wieder wählen. Auch der Kölnische Becker und der zweite Vizepräsident Landsberg werden wiedergewählt. Damit ist die erste Sitzung des Herrenhauses in dieser Session beendet. Eine halbe Stunde darauf versammeln sich die Erlauchten and Edlen zum zweiten Male, lassen sich vom Minister Holle and vom alten Breslauer Professor Hillebrandt Belang- loses über die 5lirchensteuervorlage erzählen, nehmen sie ein- ltimmig an und vertagen sich dann auf unbestimmte Zeit. Die Hamburger Caguug. Hamburg » 26, Juni. Der Kongreß erledigte am Freitag früh eine Anzahl von Tagesordnungspunkten, aus denen sich keine Differenzen ergaben. Zuerst wurde die von Molkenbuhr vorgelegte Resolution zur EntWickelung der modernen Gesetzgebung einstimmig angenommen. Ebenso eine von der Genossin Ihrer begründete Resolution, welche fordert, daß in jedem Gesetzentwurf über eine gesetzliche Vertretung der Arbeiter- klasse das gleiche Recht für Arbeiter und Ar- beiterinnen zur Geltung komme. Weil das bei dem Ge» setzentwurf über die Llrbeitslammern nicht der Fall ist, verwirft die Resolution diesen Entwurf nicht nur wegen seiner grundlegenden Bestimmungen, sondern auch, weil er den Hunderttausenden gewerblicher Arbeite« ginnen das aktive und passive Wahlrecht nimmt. Alsdann referierte Lange- Hamburg über die staatliche Ver- sicherung der Privatangestellten. Auch seine Resolution wurde angenommen. Mit wenigen Abänderungen nahm man auch die ResMtion P o e tz s ch zur gewerblichen Stellenvermittelung an. ... Hamburg , 26. Juni, 6,45 Uhr nachm. »(Privatdepesche desVorwärt s".)! M Der Punkt Boykott als gewerkschaftliches Kampfmittel erweckte noch einmal das ganze Interesse des Kongresses. Das Referat hatte der Genosse A l l m a n n» Ham- jurg übernommen. Er begründete eingehend eine Resolution, velche die Voraussetzungen für die nutzbringende Anwendung des Boykotts im Gewerkschaftskampfe festlegt. Genau wie bei den Grenzstreitigkeiten bestritten in der Hauptsache einige wenige Ge. werkschaften die Kosten der Diskussion; es waren das namentlich Bäcker, Barbiere, Schlächter, Musiker und Brauer. Umgekehrt aber wie bei den Grenzstreitigkeiten überließen die Delegierten oen Beteiligten das Kongreßfeld nicht allein, sondern alles blieb am Platze, um den Verhandlungen mit gespannter Aufmerksamkeit zu folgen. Beim Boykott müssen ja unter Umständen auch die Fernstehendsten mit eingreifen, um zum Gelingen des Kampfes beizutragen. Da wollen sie auch mitreden und mitbcschließen. Die Debatte zog sich bis in die späte Nachmittagsstunde hin. Inzwischen hatte sich im Publikum allmählich eine kleine Ver- Lnderung der Zusammensetzung bemerkbar gemacht. Man er» wartete, daß Robert Schmidt noch das Wort zu seinem Re« ferat über die Jugendorganisation erhalten werde. Des- halb begannen die Angehörigen der Hamburger sozialdemokrati- schen Jugend sich in den Vorräumen und aus der Galerie des Kongreßlokales einzufinden. Sie wollten den Verhandlungen bei- wohnen, die eventuell für das Schicksal ihrer Organisation mit entscheidend sein können. Auch von den Jugendorganisations- vorständen Leipzig» war eine Resolution eingelaufen, in der die Hoffnung ausgesprochen wurde, der Kongreß werde die Selbst. ständigkeit der Jugendorganisationen nicht antasten, sondern im Gegenteil ihnen seine Unterstützung angedeihen lassen. Aber es kam nicht mehr zur Verhandlung über diesen Punkt. Die Debatten über den Boykott zogen sich bis in die sechste Stunde hin, so daß man den schon erschöpften und übermüdeten Kongreßteilnehmern das Anhören und aufmerksame Verfolgen eines umfangreichen und wichtigen Referates nicht mehr zu- muten konnte. Der Kongreß wurde deswegen etwa 20 Minuten vor der sonst üblichen Schlußstunde geschlossen und die Delegierten besichtigten in der so gewonnenen Zeit noch die Räumlichkeiten derProduktion". Am Sonnabend dürste der Kongreß bei guter Zeit sein Ende erreichen. ..- In dem telegraphisch übermittelten Stimmungsbild unserer Mitwochs ummer heißt es an einer Stelle; «Als Cohen- Berlin feststellte, daß von den Metallarbeitern allein Di ß m a n n- Frankfurt und Leber-Jena einen bissen- tierenden, d. h. der Arbeitsruhe am 1. Mni geneigten Stand­punkt einnähmen, stellte der Metallarbeiterdelegierte Garbe- Kiel unter Zustimmung aus den Reihen seiner Kollegen fest, daß Dißmann und Leber nicht allein ständen." Dieser Satz ist bei der telegraphischen Uebermittelung ver- stümmelt worden. Es muß heißen: ....... stellte der Metallarbeiterdelegierte Garbe-Kiel unter Zustimmung aus den Reihen seiner Kollegen durch Zwischen- ruf fest......" Genosse Garbe machte am Freitag bei Beginn der Sitzung diese von uns nicht gewollte Verstümmelung unseres Berichtes zum Gegenstand einer Erklärung. Er habe nicht das Wort genommen, sondern nur einen Zwischenruf gemacht. Das ist richtig. Genosse Garbe hätte aber loyalerweise hinzufügen sollen, daß unser Ver- treter auf dem Gewerkschaftskongreß der erste war, der ihn auf diesen unverschuldeten Fehler bei der Berichterstattung aufmerk- sam machte und ihn fragte, ob er Wert aus eine Richtigstellung lege. Genosse Garbe hielt am Donnerstagmorgen die Sache für uner- heblich, bis zum Freitagmorgen hatte er sich von seinen Kollegen überzeugen lassen, daß sie eine öffentliche Erklärung notwendig mache. Wir sind nach wie bor der Meinung des Genossen Garbe vom Donnerstag früh, nicht der des Garbe vom Freitag. ES kam uns daraus an festzustellen, daß in irgend einer bestimmten Frage unter den Metallarbeitern nicht völlige Einheitlichkeit herrsche. Daran wird nichts geändert, ob nun die Garbesche Aeußerung als Rede oder als Zwischenruf das Licht der Welt erblickte. Wären wir der Ueberzeugung, daß nicht der Inhalt sondern die Form das Wesentliche der Erklärung ausmachte, so hätten wir natürlich sofort auch trotz G a r b« s Verzicht noch ausdrücklich festgestellt, daß sie als Zwischenruf fiel._ poUtilcbc deberlicdt. Berlin , den 26. Juni 1963. Nieberding bedauert. Genosse Karl Liebknecht hatte nach Empfang der ablehnenden Antwort des Oberreichsanwalts Zweigert auf sein Gesuch, zur Tagung des Landtags beurlaubt zu werden, eine telegraphische Beschwerde an den Reichskanzler gerichtet. Am Donnerstag nachmittag erhielt er folgenden telegraphischen Entscheid: «Zur Aenderung des vom Oberreichsanwalt erteilten Be- scheides hat Reichskanzler keinen Anlaß. Der Anspruch, behufs Teil- nähme an den Landwgsverhandlungen Unterbrechung einer Strafhast gewährt zu erhalten, ist durch gesetzliche Vorschrift nicht zu be- gründen. Aus Billigkeitsrückstchten wird grundsätzlich Urlaub nur bewilligt, wenn durch die Fortsetzung der Hast dem Verurteilten oder seiner Familie erhebliche außerhalb des Strafzwecks liegende Nachteile erwachsen würden. Ihrem Wunsche bedauere ich, deshalb nicht entsprechen zu können. gez. Reichskanzler. In Vertretung: Nieberding. Der Reichskanzler erachtet also einen Urlaub nur für geboten, wenn andernfalls dem Gefangenen oder seiner Familie erhebliche Nachteile erwachsen könnten. Die Nachteile, die den Wählern des 11. Landtagswahlkreises erwachsen, indem ihr Abgeordneter von der Tagung des Landtages ferngehalten wird, zählen für ihn nicht. Der Entscheid zeigt kraß, wie gering das Amt des Volksvertreters an Regierungsstelle eingeschätzt wird. Uebrigens verdient bemerkt zu werden, daß Herr Nieberding einen besseren Ton pflegt als der Oberreichsanwalt Zweigert. Genosse Karl Liebknecht wird also zur Ausübung des Landtags- Mandats nicht aus der Festungshaft beurlaubt. Formell ist die Straf- Vollstreckungsbehörde dabei im Recht. Die Strafprozeßordnung regelt zwar die Bedingungen eines Strafaufschubs, von einer seltenen Aus- nähme abgesehen, aber nicht die Bedingungen einer Strafunter- brechung. Infolgedessen ist hier dem Ermessen der Straf« Vollstreckungsbehörde, d. h. zunächst dem Oberreichsanwalt, ein weiter Spielraum gelassen. Bei Festungshaft pflegt sonst aus ganz geringfügigen Ursachen ein weitläufiger Urlaub sehr liberal erteilt zu werden. Als aber der Genosse Liebknecht im April d. I. zur Vorbereitung seiner Ehrengerichtssache und zur Wahrnehmung deS Ehrengerichtstermins vom 29. April d. I. um 14 Tage Urlaub einkam, wurden ihm statt 14 Tagen fünf Tage gewährt, einschließlch Hin- und Rückfahrt, auf die je ein Tag zu berechnen ist, sodaß für Berlin drei Tage blieben. Wie subaltern und lleinlich-feindselig diese Beengung des Urlaubs war, ermißt man, wenn man bedenkt, daß fichs bei dieser Ehren­gerichtssache um nicht weniger als die materielle Existenz des Genossen Liebknecht und seiner Familie handelt, und daß es kein anderer als eben der Oberreichsanwalt ist, der dieses Ehrengerichts- verfahren zur Vernichtung der Liebknechtschen Existenz auszunutzen sucht, derselbe Oberreichsanwalt, der als Strafvollstreckungsorgan durch jene Urlaubsbeschneidung dem Genossen Liebknecht die Ver- teidigung mindestens nicht erleichtert hat. Und jetzt zum zweitenmal diese rigorose Behandlung eines Urlaubsgesuches des Genossen Liebknecht , das nichts anderes be- zweckte, als dem Genossen Liebknecht die Ausübung seines Amte» als Landtagsabgeordneter, als Volksvertreter zu ermöglichen. Taute Voh kontra freisinnige Landtagsfraktion. DieVossische Zeitung" bemerkt in ihrer Nummer vom Freitagabend zur Ablehnung des Urlaubsgesuches unseres Genossen Karl Liebknecht : «Daß die LandtagSeröffnung in der Tat kein hinreichender Grund war. das Gesuch des Dr. Liebknecht um Unterbrechung der Strafvollstreckung zu bewilligen, beweist die Tatsache, daß die übrigen sechs sozialdemokratischen Landtagsabgeordneten der heu­tigen gemeinsamen Eröffnungssitzung beider Häuser nicht bei- gewohnt haben... Das freisinnige Blatt sollte wissen, daß Genosse Liebknecht nicht wegen der gleichgültigen Eröffnungssitzung des Landtags. sondern zur Teilnahme an der Tagung des Abgeordneten- Hauses um Urlaub nachgesucht hat. Daß an dieser Tagung die sozialdemokrattschen Abgeordneten teilgenommen haben, hätte sie mühelos aus dem Bericht ersehen können, den sie selbst in derselben Nummer gab. Dem freisinnigen Blatt ist die Frage, ob das Volk Anspruch darauf hat, daß seine Vertreter ihr Mandat un- gehindert ausüben können, so nebensächlich, daß sie zu der Angelegenheit nichts Wetter als eine dumme Bemerkung zu machen hat» die wahrscheinlich einen Witz vorstellen sollte. Das Organ des Blockfreisinns müßte eigentlich wissen, daß der Freisinn einst zu Anfang der /Oer Jahre im Reichstage Anträge auf Abänderung der Reichsverfassung gestellt hatte, die die Entlassung eines inhaftterten Ab- geordneten aus der Strafhast während der Tagung des Parlaments zur zwingenden Rechtsvorschrift machen wollten. Sie hat das längst vergessen und so mußte es ihr passieren, daß sie mit ihrer eigenen Landtagsstaktton in Widerspruch geriet, die bekanntlich den sozialdemokrattschen Antrag auf Entlassung Liebknechts aus der Hast während der Tagung des Landtags unterstützt hat. Ein durchfichtiger Wahlprotest. Wie UNS von Vertrauensmännern des 12. Berliner Landtags- mMmliä gMetMt ÖftrJ'j'ij uisuiauiejo iL Wlsrs Vsrtei bot» elnM Bohkottflügblatt oder-Plakat irgend etwas bekannt, noch ist ein solches verbreitet worden: Sollte am Ende ein findiger freisinniger Kopf für einengeeigneten Protest" Sorge getragen haben?, Eine ebensolche Tartarennychricht ist die Behauptung, es hätten ausgerechnet die 7 Wahlmänner, die an der Majorität fehlten, vor 7 Uhr nicht mehr ins Wahllokal gelangen können, weil sozialdemokratische Zettelverteilcr sie gewaltsam daran hinderten, und dies in Anwesenheit eines Polizeihauptmanns, eines Polizeileutnants und eines großen Aufgebotes von Schub- leutenl Wer das glaubt, zahlt drei Mark in die ausgepumpte freisinnige Parteikasse. Die freisinnigenbetrübten Lohgerber" haben aber überhaupt Pech mit ihrem Wahlprotest, dem letzten Strohhalm, an den sie sich klammern, denn es war der Genosse Landtagsabgeordncter und Stadtverordneter Borg mann, der zehn Minuten ver 7 Uhr das Publikum und die Zettelverteilcr beider Parteien bat, den Mittelgang des Gartens frei zu halten, damit nachher von keiner Seite behauptet werden könne, es hätten Wahl- männer nicht hinein gekonnt. Ein freisinniger Stadtrat war Zeuge dieser Aufforderung und er sah auch, daß sie sofort in der weitgehendsten Weise befolgt wurde; abgesehen dadon, daß der große, breite Garten Platz für ein ganzes Regiment Wahl- männer geboten hätte, um ins Wahllokal zu gelangen, wenn sie nur«angetreten" wären. Sollten die fehlenden 7 Sckiwabcn nicht am Ende von den übereifrigen Autos des Stadtverordneten Bamberg und des Stadtrats Jacobi totgefahren worden sein??- Behördlicher sozialer Kannibalismus. In dem Detaillisten-Fachblatt«Deutsche Konfektion", 10. Jahr- gang. Heft 356 vom 24. Mai 1908, lesen wir in einem Artikel Der Kaufmann und die Politik, Landrat und Detaillist": .... Ein größerer Detaillist in einer Stadt Hinterpommeruö klagte uns vor einiger Zeit sein Leid, daß er seine politische Ueberzeugung vollkommen der des Landrats unterordnen müsse. Käme es heraus, daß er nicht in jeder Hinsicht die politische Meinung des Herrn Landrat teile, s o würde auf einen Wink von oben derBohkott über ihn verhängt und keine Offiziers- oder Beamienstau würde künftig für einen Pfennig bei ihm kaufen. Auf diese Weise macl t die hohe Behörde der betreffenden pommerschen Kreisstadt die Detaillisten sich gefügig." Die ehrenwerte«Nordd. Allg. Ztg." wird natürlich nicht ver- fehlen, sich über diesen landrätlichen sozialen Kannibalismus ge- bührend zu entrüsten._ Der schneidige Kriegsminister. Herr v. Einem sollte als Chef der Kriegsverwaltung den Ver- suchen beiwohnen, die Graf Zeppelin neuerdings mit seinem Luftschiff unternommen hat. Bekanntlich wurden diese etwas ver- zögert. Aber was ein rechter preußischer Offizier ist, verlangt auch vom Genie richtiges Einschwenken; geschieht'S nicht, dann wird cr ungemütlich. Und Herr v. Einem ist ein richtiger preußischer Offizier, während Graf Zeppelin zwar auch General ist. aber außerdem noch ein Genie. Jedoch Herr v. Einem ist Vor- gesetzter des Genies und daS ist eben nach militärischen Be- griffen offenbar noch mehr. Vorgesetzte darf man aber nicht warten lassen, sonst werden sie ungeduldig. Darüber erzählt der Vertreter derWürttemberger Zeitung" folgendes nette Ge- schichtchen: «Die Unterredung wurde am Ufer mitten zwischen dem eng geschalten Publikum geführt, und ich hätte auf beiden Ohren taub sein müssen, wenn ich eS nicht gehört hätte; ich hatte auch keinen Grund, mich diskret zurückzuziehen. Es war nicht meine Sache, sondern die deS Herrn v. Einem, dafür zu sorgen, das; niemand Zeuge fein mußte, wie er-den hochverdienten Grew. der schon als junger Leutnant berühmter war, als cS wenn nicht noch etwas Uiworherzusehendes geschieht Herr v. Einem wohl jemals werden wird, wie er diesem weltberühmten Manne in dem Augenblick, der den Kulminationspunkt seines LebenS und der Brennpunkt furchtbarster Erregung bedeutete. wie er ihn ich finde nicht gleich ein Wort, das präzise genug ist. und mich doch vor Ungelegenhciten sichert nun sagen wie einmal: darüber belehrte, daß man auch als Kamerad und als Genie und in Momenten höchster psychischer Spannung einem preußischen Kriegsminister gegenüber seine Worte auf die Goldwage legen mutz. Es verrät meine» ErachtenS einen Mangel an Augenmaß, wenn Herr v. Einem dem Grafen Zeppelin durch fein gewiß nicht gerade angenehmes Warten ein großes Opfer zu bringen vermeint; ich meine, der preußische Kriegsministcr sollte sich bewußt sein, daß seine An- Wesenheit bei dem Erstaufstieg schon ein kleines Opfer wert ist. da sie ihm vergönnt, sich im Lichte eines historischen Augen- blickes zu sehen..." Aber die Entrüstung mancher Blätter über Herrn v. Einem können wir durchaus nicht teilen. Er wollte eben nur nach d e r ihm allein möglichen Art zur Beschleunigung des Flugproblems beitragen und kann doch sicher nichts dafür, wenn der einzige Rat, den er dem Genie zu geben hat, lautet; Lauf- schritt, marsch.! marsch! Gegen die bayerischen Scharfmacher. Die sozialdemokratische Fraktton der Zweiten bayerischen Kammer hat im Landtag den Antrag ein- gebracht, die Staatsregierung zu ersuchen, bei Begebung staatlicher Arbeiten und Lieferungen solche Unter- nehmer auszuschließen, die auf irgend eine Weise die Arbeiter in der Ausübung ihres Koalitionsrechts zu verhindern oder sie zu einem Verzicht auf das Koalition�- recht zu nötigen versuchen. Im Münchener Gemeindckollegium haben die demokratischen Gemeindebevollmächtigten Dr. Ouidde, Scholl und Krüche den An- trag eingebracht, daS Kollegium möge den Magistrat ersuchen, bei Begebung gemeindlicher Lieferungen Unter- nehmer auszuschließen, welche die Ange st eilten oder Arbeiter zum Verzicht aus das gesetzlich gewähr- leisteteKoalitionSrechtzunötigensuchen. Die sozialdemokratische Fraktion des bayrischen Land- tags zur Reichsfinanzreform. Die sozialdemokratische Fraktion der zweiten bayrischen Kammer bc- antragt im Landtag, die Staatsregierung zu ersuchen, mit aller Energie etwaige Pläne des ReichsschatzsekretärS Sydow auf Einführung einer Abgabe auf Elektrizität und Gas entgegenzutreten und die Verwirklichung dieser die Eni- Wickelung der bayerischen Volkswirtschaft auf das empfindlichsie schädigeaden Maßnahmen mit aller Kraft zu verhindern. Die Volksstimine über Peters. Vor dem Schöffengericht in K ö l n stand am Donnerstag der Verpacker Karl W., weil er im Januar d. I. gelegentlich des Bc- leidlgungsprozesseS Dr. PeterS gegen den Gouverneur Dr. V Bennigsen und den Redakteur Brüggemann von der«Kölnischen Zeitung " den Dr. Peters durch das WortMörder" beleidigt habe. Bei den Zeugenaussagen über die barbarische SuSpeitschung der Jagodja und über ihre und des Mabruk Hinrichtung hatte sich des den großen Gerichtssaal füllenden Publikums eine furchtbare Er- regung bemächtigt, die noch fortdauerte, als PeterS mit seinen Freunden daS GerrchtSgebäude verließ. Auf der Straße sammelte sich eine große Menschenmenge, man stieß Ruf-