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rationen und ständiger Erforschung des Geldmarktes. Ein dank- mäßiger Betrieb sei ebenso wenig erforderlich wie ein großes Grund« kapital. Die beitretenden Städte würden gewisse Barleistungen zu machen und auch eine gewisse Haftung zu ubernehmen haben, so lange nicht die Reserven ausreichen. Die Reserven würden Vorzugs« weise gewonnen werden durch mäßige Abzüge zu Lasten der jetzt weniger günstig gestellten Städte, die von der Gründung der Zentrale den größten Nutzen haben. Man habe früher an eine große, nicht von den Gemeinden gegründete Aktiengesellschaft, an einen weitverzweigten Bankbetrieb, an eine Hypothekenbank, an die Beteiligung der Großbanken gedacht. Das alles erscheine nicht .rforderlich. Es genüge ein gutgeleitetcr, von einem Aufsichtsrat der Städte verwalteter Verein deutscher Städte. Seine Gründung würde beim Beitritt von Städten mit einer Einwohnerzahl von etwa fünf Millionen gewahrt werden können. Die Unterstützung der /iegicrungen würde zu erwarten sein, denn die Besserung des Geld- Marktes durch Aufhören der einander drängenden Einzelanleihen sei auch dem Staate nützlich. Die höhere Wertschätzung der Papiere .verde jeder Stadt zugute kommen. Nachteile seien der guter Leitung nicht zu befürchten. Der Redner schloß mit dem Wünsche, daß im Jahr der Säkularfeier der Steinschen Reformen ein Weg gefunden nerden möchte, der der Selbsthilfe der Städte und ihrer Größe die Buhnen ebne.(Lebhafter Beifall.) In der Diskussion wurden Bedenken dagegen laut, ob der angeregte Städteverein mit Solidarhaft aller Städte sich werde ermöglichen lassen. Schließlich wurde der vom Oberbürgermeister Ehlers« Danzig   gestellte Antrag:Der deutsche Städtetag wolle beschließen, die Leitsätze und Referate dem neuen Vorstand zur Prüfung und weiteren Bearbeitung zu überlassen', einstimmig an- genommen. Am Dienstag werden die Verhandlungen fortgesetzt. euleitburg vor den Geschworenen. Die Verhandlungen wurden Montag vormittag wieder auf genommen. Bis jetzt find erst 10 Zeugen vernommen worden, und da noch etwa 40 Zeugen zu vernehmen find, so dürfte der Prozeß mindestens noch bis Ende nächster Wocke dauern. Wie man hört, wollen die Aerzte in der Charits eS für aus geschlossen erklären. daß der A n g e k l a g t e fernerhin sechs VerhandlungStage hintereinander� aushalten kann, und auf Freilassung eines Tages in der Woche dringen. Schon am Sonnabend ist der medizinische Sachverständige vom Vorsitzenden befragt worden, ob dieSpazierfahrten' des Angeklagten, über die sich ein Teil der Presse sehr aufgeregt habe, wünschenswert seien. Medizinalrat Dr. Hoffmann er« klärte, die Fahrten seien nicht nur wünschenswert, fondern direkt notwendig zur Erhaltung der Gesundheit und Ver Handlungsfähigkeit des Angeklagten; jeder Gefangene gehe täglich eine halbe Stunde im Freien spazieren, und da der Fürst wegen seines Leidens nicht gehen könne, müsse er eben fahren. Zu Beginn der heutigen Sitzung meldete sich zunächst Justiz- rat Bernstein   noch einmal zu einer kurzen Bemerkung. Von den Zeugen sollen heute nur sieben vernommen werden, und zwar Oberhofmarschall Graf Eulenburg  . Milchhändler Georg Riedel. Oekonom Bernhard B eutler-Bieling, Polizeikommissar Seuffert« München  . Vizewachtmeister R o g a t i- Tutzing  . Gendarmeriewaöht- meister Schöpf- München   und Kriminalschutzmann T i e tz e« Berlin  . Der zunächst aufgerufene Zeuge August Graf zu Eulenburg, ein Verwandter des Angeklagten, ist Ober-Hof- und Hausmarschall des Kaisers und Oberzeremonienmeister. Seine Vernehmung dauerte etwa eine halbe Stunde. Alsdann wird der Zeuge Riedel in den Saal gerufen. Er ist neben dem Zeugen Emst, der noch nicht vemommen wird, bekanntlich der wichtigste Zeuge, von dem das Schicksal des Fürsten Eulenburg hauptsächlich abhängen wird. Georg Riedel ist 4« Jahre alt, katholischer Religion, verheiratet und Vater von fünf Kindem. Er stammt aus Feldafing  . wo sein Vater Fischer war. Er selbst war früher Fischerknecht und ist seit geraumer Zeit Milchhändler in München  . Er hat eine Reihe von Vorstrafen, darunter zumeist wegen Beleidigung, Gewalttätig« leiten u. dgl. Er hat im Alter von neunzehn Jahren Herrschaften auf dem Stamberger See gefahren und ist dabei mit dem da« maligen Grafen Eulenburg bekannt geworden. Was er in dieser Hauptverhandlung aussagen wird, ist natürlich nicht vorher zu sagen. es dürfte zur Orientierung der Leser aber dienen, darauf hinzu- weisen, über welche Dinge dieser Zeuge vemommen wird und was er bei seiner Vernehmung im München   er Städele-Prozrß ausgesagt hat. Danach hat er den Angeklagten wiederholt auf den See hinausgemdert und derfeine Herr' hat sich recht jovial mit ihm unterhalten und sich nach seinen Familienverhältnissen usw. er- kundigt, geftagt, ob er schon ein Liebchen habe, ob er schon intim mit fernem Mädel verkehrt habe und den strammen Fischerknecht mit glänzendem Trinkgeld bedacht. Auf einer derartigen Wasserfahrt habe dann der Graf Eulenburg von seiner eigenen Militärzeit er- zählt und dem Riedel gesagt, er habe einen Offizier bei dm Leib- kürafsieren in Breslau   zum Freund und wolle Riedel, wenn dieser werde dienen müssen, dort>n Breslau   anbringen. Dann fei der Graf immer liebenswürdiger geworden, habe sich höchst kordial über allerlei sexuelle Dinge mit ihm unterhalten und schließlich habe er bei Leutstetten   mit ihm sich im Walde gelagert und eine Flasche Wein mit ihm geleert. Bei dieser Gelegenheit habe dann der Angeklagte an ihm einen Akt perverser Natur vorgenommen, der nicht unter Z 178 Str.-G.-B. fällt. Riedel hat weiter erzählt, daß er dann den Angeklagten etwa noch achtmal gefahren habe. Als er zum Militär ausgehoben wurde, habe er vor der Musterung den Grafen   auf dessen Einladung in München  , Promenadenplatz 21, im zweiten Stock, besucht. Dabei habe ihm der Graf die ganze feine Wohnung gezeigt und ihm zehn Mark geschenkt. Auf seinen Wunsch habe er sich bei der zweiten Musterung zur Kavallerie gemeldet und sei auch richtig zu den Vierten ChevaulegerS gekommm. Nach Riedels Behauptung hat er wiederholt recht nette Summen vom Grafen bekommen, er will aber niemals dabei irgendwelche Drohungen gegen den Grafen ausgestoßen haben. Im ganzen habe er wohl 1500 Marl   von ihm erhalten. Einmal habe er in seiner schönen Uniform den Grafen in München   besucht und in der Wohnung am Promenadenplatz außer dem Grafen noch einen anderen jungen Herrn getroffen. Der Graf habe ihm dann, nachdem sie zusammen gut gegefsen, 10 M. gegeben, habe sich entfernt und ihn mit dem fremden Herrn alleingelassen. Diefer habe mit ihm dann unzüchtige Handlungen vorgenommen und ihm 10 M. geschenkt. Nachher will Riedel noch mehrere Male an den Grafen geschrieben, aber nun keine Antwort und auch kein Geld mehr erhallen haben. Dies ist in großen Zügen der Inhalt der Aussage Riedels vor dem Münchener   Schöffengericht. �Er hat sie beeidet. Ob er jetzt bei seiner damaligen Aussage bleiben wird, wird mit ausschlaggebend für den Ausgang des Prozesses. Daß er auf Herz und Nieren geprüft wird, zeigt die Tatsache, daß seine Vernehmung bis zur Mittagspause noch nicht zu Ende war. Während Riedel vernommen wurde, mußte Justizrat Bernstein den Saal verlassen. Hofmarschall Graf August zu Eulenbnrg soll dem Vernehmen nach bekundet haben, daß er niemals auch nur gerüchtweise von homosexuellen Neigungen des Angeklagten, mit dem er nur entfernt verwandt ist, den er aber von Kindheit an kennt, das geringste gehört habe. Er hat auch niemals etwas darüber vernonlinen, daß der Angeklagte zu seiner München  « Zeit außer seiner Hauptwohnung noch mehrere Zimmer zu seiner Benutzung ge- mietet gehgbt habe, wie behauptet zu sein scheint. ES soll dann auch noch kurz die Affäre Lecomte gestreist worden sein. Der Zeuge soll auf eine Frage erklärt haben, baß der Angeklagte nicht die Einladungen zur kaiserlichen Hostafel besorgt und auch keinnlei Einwirkungen auf solche Einladungen, wie z. B. des Herrn Lecomte. gehabt habe. Diese Einladungen werden vom Hofmarschallamt erledigt. DaS Familienverhältnis in der Familie deS Angeklagten sei stets das innigste und freundlichste ge- wesen. Es soll dann zur Sprache gekommen sein, daß der Zeuge Riedel wieder einen Drohbrief erhalten habe. Ueber die Vernehmung deS Zeugen Riedel hören wir, baß dieser bei seiner früheren Aussage geblieben ist und seine Darstellung von seiner Bekannt- schast mit dem jetzigen Fürsten Eulenburg und dem weiteren Verlauf der Dinge ganz mit derjenigen übereinstimmt, die er vor dem Schöffengericht in München   gegeben hat. Ins- besondere soll er genau die Szene geschildert haben, wie der An- geklagte eines Tages mit ihm das Boot verlassen hat. in ein Gehölz gegangen ist und ihm dort aus einer mitgebrachten Flasche feurigen Wein zu trinken gegeben habe. Dabei babe er, Zeuge, sich dann etwas beschwipst, uird auf Aufforderung des Angeklagten fei eS zu einer Schmutzerei gekommen. Auch seine übrigen Begegnungen mit Eulenburg in München   schilderte der Zeuge, wie wir hören, übereinstimmend mit seinen früheren Aussagen; er soll wiederum alle Einzelheiten dem Gerichte vorgeführt haben. Ueber die Dar- stellungsart dieses Zeugen hieß es in dem Urteil des Mün« chener Schöffengerichts:Riedels ganze Erzählung, mit einer Unmenge von Einzelheiten, wie sie der raffinierteste Lügner kaum ersinnen und der gewandteste Betrüger nicht mit solcher Fertigkeit, Sicherheit und WiderspruchSlosigkeit zum Vortrag bringen könnte, machte den Eindruck unbedingter Glaubwürdigkeit.' Riedel soll auch gestern die Szene mit dem fremden jungen Herrn in der Wohnung des Angeklagten ebenso geschildert habe, wie seiner- zeit in München  . Dieser fremde junge Herr, der den Versuch gemacht habe, eine Handlung im Sinne des Z 175 an ihm vorzunehmen, sei von dem Angeklagten auchHerr Graf' an- gesprochen worden. Der Zeuge soll, so hören wir weiter, auf wiederholte eindringliche Vorhaltungen des Land- gerichtsdirektorS K a n z o w versichert haben, daß das, was er hier ausgesagt, die reine Wahrheit sei und er nicht anders aussagen könne. Den Umstand, daß er nach 24 Jahren auf diese Geschichten zurückgekommen sei, soll der Zeuge dahin erläutert haben: Als er im Herbst vorigen JahreS die Photographie des Fürsten Eulenburg gesehen, habe er ihn sofort wieder erkannt und einem Bekannten erzählt, was ihm seinerzeit mit demselben Manne passiert sei. Als ihm später gesagt wurde, daß der Fürst beschworen habe, daß er nie mit einem Manne häßliche Dinge gemacht, habe ihm ein Bekannter gesagt, er solle doch seine Erlebnisse dem Justizrat Bernstein mit« teilen, denn der Fürst müsse ja einen Meineid geleistet haben. Dem Justizrat Bern st ein habe er alles freiwillig erzählt. Der Justizrat habe ihn nach seinen etwaigen Bor st rasen gefragt und als er erfahren, daß Vorstrafen wegen Beleidigung, Körper- Verletzung und groben Unfug vorlagen, habe er ihn wiederholt befragt, ob da? auch alles wirNich wahr sei und habe ihm vorgehalten, daß eS eine große Sünde wäre, einen Nebenmenschen fälschlich zu beschuldigen. Er sei dann später aus die Polizei geladen worden und plötzlich habe alles in den Zeitungen gestanden. In großer Erregung klagte der Zeuge darüber, welches Ungemach er zu erdulden gehabt habe: Sein Name habe überall gestanden, sein Geschäft sei zurück- gegangen und jeder habe auf ihn gezeigt. Beemflußt sei er nimmermehr worden, ihm sei vielmehr immer ans Herz gelegt worden, nichts als die reine Wahrheit zu sagen. Dem Zeugen wurden vom Vorsitzenden einige kleine Unrichtigkeiten in seiner Aus- sage vorgehalten, er blieb aber im großen und ganzen bei seinen Bekundungen. Er erkenne den Fürsten   auch bestimmt wieder. Wie wir hören, soll der Zeuge stets gesagt haben, der Mann, mit dem er damals zu tun gehabt, habe schwarze Haare ge- habt, während Fürst Eulenburg   betonte, daß er immer blonde Haare und blonden Bart gehabt habe. WaS den Fürsten Eulenburg betrifft, so soll er auf eine Frage deS Präsidenten geantwortet haben: « erkenne den Riedel jetzt mied«. Als er ihm das erste Mal vorgestellt worden, habe er gesagt. erkönne sichseiner nicht mehr erinnern. Ergebe zu, ihn von der damaligen Zeit her zu kennen. eS lei ihm aber ganz unverständlich, wie Riedel so etwas erzählen könne. Der Zeuge mußte den Angeklagten immer wieder genau ansehen, auch eine Photographie deS Fürsten   auS damaliger Zeit und blieb dabei, daß er sich in derPerson nichtirre. Auch die örtlichen Verhältnisse der Umgegend deS Starnberger Sees   sollen sehr sorgfältig erörtert worden sein, und Riedel soll recht genau die Lage des Gehölzes beschrieben haben, in welchem die Szene mit der ihm von dem Angeklagten gespendeten Weinflasche und die daran sich knüpfenden Vorkommnisse sich entwickelt haben sollen. Die Glaubwürdigkeit des Zeugen wurde des weiteren in einem Kreuz- verhör, dem dieser unterworfen wurde, geprüft, der Zeuge soll aber mit aller Bestimmtheit bei sein« Aussage geblieben sein. Auf der anderen Seite verblieb aber der Angeklagte dabei, daß eS ihm unerfindlich sei. wie der Zeuge ihm solche Schmutzereien, die ihm selbst höchst widerwärtig seien, nach- sagen könne. Der Zeuge müsse irgend etwas verwechseln und sich später eingeredet haben, daß er(der Angeklagte) derjenige sei, mit dem er damals so etwas gemacht habe. Zur Beurteilung der Glaubwürdigkett des Zeugen sind die sämtlichen Strafakten Riedels eingefordert worden. ES sollen auch die sämtlichen Militärakten deS Riedel herbeigeschafft werden. Um 3 Uhr mußte die Sitzung abgebrochen werden, da der An- geklagte erklärte den Vorgängen nichr mehr folgen zu können. Bei der Mitteilung von dem neuen Drohbriefe, den der Zeuge Riedel erhalten, soll äußerem Vernehmen nach der Vorsitzende nochmals an die Geschworenen die dringende Mahnung gerichtet haben, sich durch nichts, was sich außerhalb dieses Saales abspielt, durch keine Meinungsäußerungen für oder gegen den Angeklagten sich beeinflussen zu lassen, sondem lediglich die Dmge, die sich hier im Saale   abspielen. zur Grundlage ihrer Beurteilung zu machen. Ein Ersatzgeschworener, der ein mit schwerer Krankheit begründetes Gesuch eingereicht hatte. mußte entlassen werden. Außerdem sollen noch mehrere Geschworene, die sich gleichfalls krank fühlen, den Wunsch geäußert haben, entlassen zu werden. Land- gerichtSrat Kanzow soll aber die dringende Bitte an die Ge- schworenen gerichtet haben, im Interesse der Sache alle Kräfte zusammen zu nehmen, damit nicht der Prozeß schließlich noch ver- tagt werden müsse. Die Verhandlung soll heute 11 Uhr fortgesetzt werden. 16. Verbaudstag des Zentralmbandes der Kraverei- llrbeiter und vemllndtev Kerufsgeuossell Dtutschlands. M ü n ch e n. 0. Juli 1008. Im Arzberger Keller zu München   beginnen Dienstag die auf vier Tage berechneten Verhandlungen des 10. VerbandStageS des Brauereiarbeiterverbandes. Auf der umfangreichen Tagesordnung steht u. a. die Gründung eineSJndustrie-Verbandes für die Nahrungsmittelindustrie. Ter Geschäftsbericht beS Hauptvorstandes liegt den Delegierten gedruckt vor. Er erstreckt sich auf die letzten zwei Jahre und gedenkt eingangs des schmerzlichen Verlustes, den die Organisation durch den Tod des Hauptvorsitzenden Bauer, der seinen letzten LekenSnexv der Größe und dem Wohle des Ver- Bandes widmete, erlitten hak. Mit See vorläufigen Fortführung der Geschäfte des Verbandsvorsitzenden hat eine kombinierte Sitzung 'des VerbandSvorstandes und des Ausschusses Etzel betraut. Kurz vor dem Tode des Hauptvorsitzenden Bauer wurde der Beschluß gefaßt, wegen seiner häufigen 5h:ankheit und der nicht mehr zu bewältigenden Arbeit einen zweiten Vorsitzenden anzustellen; aber Bauer sollte die Anstellung nicht mehr erleben. Bald wurde dem Hauptvorstande klar, daß mit der Anstellung eines einzigen Beamten die Geschäfte nicht ordnungsgemäß erledigt werden konnten und eine durchgreifende Aenderung vorgenommen werden müsse. Nicht allein der Haupworsitzende, sondern auch der Redakteur und der Hauptkassierer mußten entmstet werden. Die Diffe- renzen und Lohnbewegungen haben einen erheblichen Teil der Tätigkeit des Verbandsvorsitzenden in Anspruch genommen. Aus den Kämpfen mit dein Unternehmertum habe die Organisation einen ungeahnten moralischen Nutzen gezogen, der die finanziellen Opfer ausivicgt. Die erfreuliche Zunahme der Mitglieder- zahl, die günstige Entwicklung der Kassenverhältnisse und vor allem das innige Verwachsen der Braucreiarbeiter mit ihrem Ver- band, deren Treue und Begeisterung für ihn so leicht kein Stoß mehr erschüttern kann, seien beredte Zeugen dafür, wie die Kämpfe dazu beigetragen haben, die Organisation zu kräftigen. Angriff st reiks fanden in den letzten zwei Jahren in 60 Orten 73 statt; in 52 Orten sind 57 Abwehr st reiks und 14 Aussperrungen zu verzeichnen. Im Jahre 1006 waren an den Kämpfen insgesamt 706 männliche und 5t) weibliche, im Jahre 1007 aber 2373 männliche und nur 18 weibliche Mitglieder beteiligt. Die Dauer der Streiks betrug in den zwei Jahren ins- gesamt 4253 Tage und verursachten insgesamt 168 333 M. Aus- gaben. Wenn auch schwere Opfer gebracht werden mußten, so wurde dem Unternehmertum doch die Erkenntnis beigebracht, daß es ein gefährliches und nußloseS Unterfangen ist, den Brauerei- arbeiterverband vernichten zu wollen. Die Vorgänge beim Augs- b u r g e r Kampf und die Stellungnahme des Boykottschutz- Verbandes haben die Verbandsleitung gezwungen zu einer neuen Waffe für den Kampf mit dem Unternehmertum zu greifen, nämlich zum Ankauf und Betrieb einer eigenen Brauerei. Mit dem Erfolg, den dieser Schritt für die Organi- sation gebracht hat, könne man vollauf zufrieden sei. Die zahl- reichen und kostspieligen Kämpfe machten die Erhebung von Extra- beitrügen notwendig und macht der Bericht die lobende Erwähnung, daß die übergroße Zahl der Mitglieder bei Entrichtung der Extra- beitrüge ihre Solidarität und Disziplin im schönsten Lichte gezeigt haben. Der Bericht konstatiert ferner, daß in einer Reihe von Fällen die Kollegen unter Außerachtlassung der Disziplin in Streiks Sreten sind, ohne sich mit dem Haupworstand in Verbindung zu en oder dessen Genehmigung eingeholt zu haben. DaS sei um so verwerflicher, als die Bezahlung der hohen Boykottentschädigung unrentable Brauereien geradezu anreizt, Konflikte heraufzu- beschwören, um in den Genuß der Entschädigung zu genügen. Mit «nd ohne Streiks wurden in den beiden Jahren für 16 010 Arbeiter zusammen 77 554 Stunden Arbeitszeitverkürzung und für 31 740 Arbeiter zusammen 81 033 M. Lohnerhöhung pro Woche erzielt, was bei den einzelnen im Durchschnitt 2,55 M. Lohnerhöhung und 4,84 Stunden Arbeitszeitverkürzung ausmacht. Im Jahre 1006 wurden 107 Tarifverträge für 14 450 Personen und 1007 184 Tarif­verträge für 17 447 Personen abgeschlossen. Der Mitglieder- stand betrug im Jahre 1006 28 501, im Jahre 1007 33 255 Mit- glieder. Der Bericht klagt über große Fluktuation. Bei 28 163 Neuaufnahmen innerhalb 2 Jahre beträgt die Mitgliederzunahme 0835. Doch wurden nicht weniger als 18 328 65 Proz. der auf- genommenen Mitglieder wieder fahnenflüchtig. Die größte Fluk- tuation weist der Bezirk Breslau   auf. ihm folgt Karlsruhe   und Berlin.   Für 220 Sterbefälle wurden insgesamt 14 183 M. Sterbe- Unterstützung bezahlt; Rechtsschutz wurde 215 Kollegen gewährt und beliefen sich die hierfür ausgegebenen Kosten auf 16 587,59 M. Der Kassenbericht schließt im Jahre 1006 mit einer Einnahme von 511 328 M und einer Ausgabe von 375 117,57 M. ab, was eine Mehre innahme v on 117 737,01 M. ergibt. Das Jahr 1907 schließt mit einer Einnahme von 665 147,44 Mk., einer Ausgabe von 542 803.60 M. ab, was eine Mehreinnahme von 122 283,78 M. ergibt. Die Auflage des VerbandSorganSBrauereiarbeiter- zeitung" betrug im Durchschnitt 32 688 Exemplare. Soziales. Wie ein konservativer GutSschmied Sozialdemokrat tvurbe, lehrt nachstehender an die Redaktion des.Landboten  ' in Königs­ berg   gerichteter Brief eines ehemaligen Gutsschmiedes vom 20. Juni d. I. Derselbe lautet wörtlich: Ich bitte hiermit um Zustellung desLandboten  ' und bezahle ihn auch gleich für daS ganze Jahr. Ich habe jetzt das zweite Mal meiner Heimat Ostpreußen   den Rücken gekehrt. Aber das erste Mal, als ich meine Heimat verließ, nahm ich den.Landboten  ' noch nicht in die Ferne mit; denn früher war ich christlich-konservativ und wäre dieser Richtung auch treu geblieben bis an den Tod, wenn mich nicht mein Weg noch einmal nach der Heimat zurück- geführt hätte. Da habe ich nämlich erst am eigenen Leibe die barbarischen Zustände in Ostpreußen  , meiner Heimat, kennen ge- leiden hat. Jeder wahre Patriot, der sein Volk und sein Vater- leiden hat. Jeder wahre aPtriot, der sein Volk und sein Vater- land lieb hat, muß solche Zustände verfluchen. Dieses Ausnahme- gesetzen entsprungene ländliche Elend ist nebst Gott   nur den Sozial- demokraten zu klagen; denn von anderen werden die Klagen nicht gehört. Als der konservative, christlich sein wollendeVollSfreund' sich anfangs dieses Jahrhunderts für das Kontraktbruchgesetz ins Zeug legte, da machte ich ihn von Thüringen   auS, wo ich damals wohnte, aufmerksam, daß es so schon schlecht genug mit der länd- lichen Arbeiterbevölkerung stünde und es keiner Verschlechterung mehr bedarf. DerVolksfreund' teilte darin meine Meinung, aber er tröstete mich, daß es besser werden würde. Nun. diese Besserung habe ich jetzt gründlich kennen gelernt in den paar Jahren, die ich nun wieder in der Heimat verlebt habe. Wohl hatte ich zur Rückkehr keine Not. Aber ich dachte, in der Heimat schläft sich? besser, wenn auch auf hartem Lager. Ich wußte aber nicht, daß der Landarbeiter heute in Ostpreußen   keine Heimat mehr hat. Ich erwähne als Beispiel nur einen von mehreren mir passierten Fällen. Im August 1005 schloß ich mit einem GutS- besitz« im Kreise Golbap einen Vertrag auf ein Jahr. Mein« mir obliegenden Arbeiten habe ich gewissenhaft, sogar zur Zufriedenheit deS Besitzers erfüllt. Bis zur Winterszeit, als ich ihm wohl zu teuer wurde, da suchte er mich auf die niederträchtigste Art los zu werden. Meiner Kuh entzog der Besitzer daS zum Deputat ge- hörige Futter. Dann hatte er fortgesetzt etwas an meiner Ma. schinenarbeit zu nörgeln. Befehle, die er heute erteilte, widerrief er unter Fluchen und Schimpfen morgen wieder. Bei der ge- ringsten Rechtfertigung meinerseits brauste er dann wütend auf. Bei einer dieser vom Zaune gebrochenen Auseinandersetzungen ent- lieh mich der Besitzer auf der Stelle. Ich suchte Rat und Schutz bei dem AmtSvorsteh«; der stand mir nicht einmal Rede und Ant- wort. Barsch wies er mich ab. Meine Kuh ließ der Gutsbesitzer bei Frost und Schnee auf die Straße führen. Auch ich sollte mit meiner Familie die Wohnung verlassen, obdachlos werden. Noch che ich eine andere Wohnung fand, klagte der Besitzer auf Ex- missi-n. Vor Gericht erklärte ich. laut Kontrakt Anspruch auf die Wohnung zu haben und nicht ich, sondern der Besitzer hätte den Kontrakt gebrochen. Der Nichter belehrte mich aber, zum Halten des Kontrakts könne der Besitz« nicht gezwungen werden. Such