Durch st echerei nimmt einen immer größeren KreiS an, so daß nach Meldung der„Neunkirchener Zeitung" bis jetzt schon gegen bv Personen das Strafverfahren eingeleitet ist. und da die Untersuchungen noch eifrig fortgeführt werden, dürfte sich der Personenkreis noch erheblich vermehren und Saarabien dem- nächst einen neuen S kand alp ro z e ß erleben, der seinesgleichen sucht. Acht höhere Beamte, darunter vier Obersteiger, werden namentlich angeführt, gegen die die bisherige Untersuchung derartig belastendes Material zutage gefördert hat, daß sie nicht nur unter Anklage gestellt, sondern auch vom Dienst suspendiert sind. Es scheint, als ob die Staatsanwaltschaft im Einverständnis mit der Bergbehörde dieses Uebel gründlich aus- rotten will. Aber das darf heute schon gesagt werden: Nicht der hundert st eTeilderUnterZschlei'fen und Bestechereien, die seit Generationen auf diesen„Mu st erWerken" begangen worden sind, werden an die Oeffent- »ichkeit gelangen. Die Machtlosigkeit der Staats- anwaltschaft hat sich ja bei den Untersuchungen über die Ur- ,ache der Grubenunglücke auf„Reden" und„Mathilden- schacht" gezeigt. In beiden Fällen stellte die Staats- anwaltschaft das Strafverfahren gegen die Beamten nach kurzer Untersuchung ein, weil sich nichts.Belastendes" gegen sie ergeben habe. Bei den Durchstechereien auf den Staatsgrubcn an der Saar handelt es sich keineswegs um kleine Verfehlungen einzelner Be- amten, wie es der Handelsminister Dellbrück im Landtag seiner- zeit darstellte, sondern, wie die Bergleute erzählen, um einen von jeher betriebenen Unfug, bei dem es sich in einzelnen Fällen um recht erhebliche Summen handelt, die teils den Bergleuten, teils dem Staat unrechtmäßig entzogen wurden. Die„Saarpost" teilte vor längerer Zeit mit, daß es unter den„königlichen" Gruben- beamten mehrere gäbe, die jedes Jahr mehr Geld auf die Sparkasse brächten, als ihr Gehalt ausmachte, und dabei noch wie ein Nabob lebten. Sie hielten ihre eigenen Jagden, machten Ausflüge nach St. Johann, wo sie in den Weinrestaurants bei den„kleinen Mäd- chen" die„Blauen" flattern ließen. Ihre Söhne dienten einjährig, besuchten die Hochschulen usw. Und das alles bei einem Gehalt von LOOO-tOOV Mark! Wie alte Bergleute erzählen, haben die„königlichen" Berg- Werksbeamten in früheren Jahren ihre Aemter mit wahrer russischer „Beamtentreue" verwaltet. Erst Hilger, der bekannte„Saar- bismarck", hat ihnen die Flügel gewaltig gestutzt, sie in ihrer Will- kür beschränkt und dem Staat hohe Summen gerettet. Bevor Hilger die„Regierung" antrat, fand die Auslohnung der Arbeiterschaft partienweise statt. Der Partiemann— Kameradschaftsfllhrer— erhielt am Lohntage das Geld für seine ganze Partie und einen Lohn- zettel, auf dem die einzelnen Arbeiter namentlich aufgeführt und an- gegeben war, wieviel der einzelne verdient hatte. Hatten die Beamten „zuverlässige" Partiemänncr, führten sie in einer Partie oft 6—10 Mann mehr, als in Wirklichkeit darin arbeiteten; den ftir die„blinden Ar- beiter" gezahlten Lohn zahlte der Partiemann, abzüglich seiner Prozente, an den Beamten zurück. So soll ein Obersteiger von Sulzbach— er ist heute tot— durchschnittlich 60 Arbeiter in den Lohnlisten ge- führt haben, die gar nicht auf der Grube arbeiteten. Im Streik von 1889 wurde dieses System öffentlich besprochen, und Hilger, der damals als Bergassessor„mitten mang" den Streikenden FreiheitS- lieber fang, mit ihnen„fraternisierte", um sie nachher gehörig zu übertölpeln, kam so hinter die Schliche und machte dem Unfug da- durch ein Ende, daß er die EinzeUohnlisten einführte, wonach jeder Bergmann einzeln seinen Lohn am Lohnschalter vom Rechnungs- führer erhält. Eine Anzeige ist damals nicht erstattet, eine Unter- suchung nicht eingeleitet worden, so daß die Oeffentlichkeit und wohl auch die Regierung niemals etwas über den Umfang dieser sonderbaren „Beamtentreue" erfahren werden. Dv nach dem 1893er Streik gegründete Rechtsschutzverein suchte dem Schmierlappe nun Wesen und der Beamten- be st echerei zu Leibe zu gehen. Der 1894 oder 1895 geführte Warkenprozeß brachte schon erhebliche Beamtenbestechungen zu Tage; Hilger wollte dieses Unwesen dadurch beseitigen, daß er in der Arbeitsordnung den Bergleuten bei Strafe sofortiger Entlassung verbot, an Beamten Geschenke sowohl an Geld wie auch an Materialien zu geben, und den Beamten gleichfalls und unter derselben Strafe die Annahme solcher Geschenke. Wenn trotz- dem Jahre hindurch„Wolfskasten" geführt und Beamte auch sonst reichlich geschmiert worden sind, so nur, weil die armen Bergleute aller politischen und gewerkschaftlich en Freiheit beraubt, weil sie bedingungslos der Willkür eines Beamten unterworfen waren. Dadurch hat sich ein unglaub- licher Stumpfsinn und völlige Knechtseligkeit unter ihnen eingebürgert. Die Unterwürfigkeit geht selbst so weit, daß man in Bergmanns - kreisen erzählt, daß einzelne„königliche" Kumpels ihre Rechte im Ehebett an ihren Vorgesetzten abtreten, nur um einen anständigen Lohn zu„verdienen". Unter den acht höheren Beamten, gegen die das Strafverfahren emgeleitet ist, befinden sich mehrere, die besonders schneidig gegen die Arbeiterbewegung aufgetreten sind und jeden Verb an d s kam er a d en gemaßregelt haben, die sich bei den Wahlen als national- liberale Wahlagitatoren hervortaten, den sozialdemokratischen wie ultramontanen„Umsturz" bekämpften und als tadellose Ordnungssäulen galten. Der Obersteiger M i ch a e l y von Grube„Göttelborn" hat 1889 beim Streik die Gendarmen befehligt, unter deren Schutz die Streikbrecher von Neunkirchen aus zur Grube geführt wurden, ist gegen die Streikenden mit aller Schärfe und Rücksichts- losigkeit aufgetreten; heute fitzt er im ZuchthanS und«eitere, wahrscheinlich Zuchthausstrafen harren seiner noch! So krochen die Ordnungssäulen zusammen, so rächen sich die Maßregelungen freier, ehrlicher Männer am Staate und den Vollstreckern dieser Maßnahmen selbst. Was der Prozeß gegen die Durchstechereien auch zutage fördert, er zerschlägt den künstlich auf- geputzten NimbuS von den selbstlosen Grubenbeamten und zeigt uns Saarabien nochmals als ein abschreckendes Beispiel. poUtilcbe ücberficbt Berlin , den 13. Juli 1908. Zeppelin. Zeppelin ist eine TageSgröße geworden. ES gab eine Zeit, da man seine Versuche unbeachtet ließ, da seine Pläne höchstens den Stoff zu mehr oder minder wohlfeilen Spähen für die Witzblätter hergeben mußten. Nun hat er es durchgesetzt. Geradezu widerlich gebärdet sich dabei die Sensattonspresse. Man ist auf dem besten Wege, Zeppelin zu einem Nationalhelden zu machen. Die betrieb- samen Reporter werden ihn interviewen und mehr oder minder belanglose Ereignisse aus seinem Leben für den Tagesklatsch servieren. Der Fall Zeppelin ist typisch als Erfinderschicksal. Wenn heute Fachverbände und technische Hochschulen ihm die Ehren- Mitgliedschaft anbieten, so hat er diese allgemeine Anerkennung früher nicht gefunden. Als der schweizerische Technikerverband ihm vor einigen Tagen ein enthusiastisches Begrüßungstelegramm schickte, da mag der Graf vielleicht an einen Vorfall vor fünf Jahren gedacht haben. Als in Manzel fein erster Aufstieg in- folge eines unvorhergeschenen Hindernisses nicht statt- finden konnte, sda wurde er von dem vielhundertköpfigen Publikum der Schweizer Sondcrschiffe in skandalöser Weise aus- gepfiffen. So ändert sich das Bild. Heute hat sein Name und sein Unternehmen bereits den Anreiz zu ganz eigenartigem Gründungs- fieber gegeben. Zunächst haben einige Hurrapatrioten das Be- dürfnis nach einem Pendant zum Flottenverein, nämlich zu einem deutschen Luftflottenverein. Die Gründung desselben ist von Regierungsrat Rudolf Martin angeregt worden, besten Phantastereien schon wiederholt die Fachwelt beschäftigt haben. Dieser Luftflottenverein will sich die Schaffung und Forde- rung einer deutschen Luftflottenmacht aus privaten Mitteln zur Aufgabe stellen. In den Statuten heißt es. daß im Kriegs- falle sämtliche Luftschiffe des Vereins dem Reiche zur Ver- fügung gestellt werden sollen; die Flotte soll nicht in eigene Regie genommen, sondern die Arbeiten sollen den bestehenden Lufrschiffbaugcsellschaften übertragen werden. Der Mindestmitglieds- beittag beträgt 69 M., womit eine Freifahrt verbunden sein soll usw. Jm.Frankenthaler Tageblatt" erläßt der verant- wortliche Redakteur an der Spitze des Blattes einen Aufruf, eine Gesellschaft für Luftschiffahrt zu bilden, zu der der Beitritt für jeden Deutschen , auch dem A e r m st e n, ermöglicht werde I An jedem Orte müsse eine Ortsgruppe für Luftschiffahrt gegründet werden. Denn die Erfindung des Luftschiffes leite eine„neue A e r a' ein, denn:„Deutschland in der Luft voran." Das ganze deutsche Volk müsse mitwirken an der Schaffung einer Luftflotte, die Deutschland wiederum einen kulturellen und stra- tegischen Vorrang über alle andere Völker sichere! Aber auch der Kapitalismus wittert in den Zeppelinschen Ar- beiten ein glänzendes Geschäft. Schon haben sich mächtige Industrie- gesellschasten, wie Krupp, Siemens- Schuckert , All- gemeine Elektrizitäts-Gesellschaft, dahingehend ver« ständigt, eine Zeppelin- Luftschiff- Bctriebsgesellschaft zu gründen. Das Unternehmen soll als Gesellschaft m. b. H. mit einem Einlage- kapital von 3—19 Millionen gegründet werden. Chauvin! st ische Anmaßung und kapitalistisches Gründungsfieber als Taufpaten einer Erfindung, die dem allgemeinen Kulturfortschritt dienen sollte I Die unzufriedene« Panzerplattenpatrioten. Aus dem Flottenverein ausgeschieden sind bis jetzt der Schwarzburg -Rudolstädtische Landesverband, die Ortsgruppe Mül- heim a. d. Ruhr und Mülheim (Styrum ) sowie der unter Leitung des bekannten Lizentiaten Weber in München-Gladbach stehende Gesamtverband evangelischer Arbeitervereine, der dem Flottenverein als korporatives Mitglied beigetteten war. Ferner ist der Vorstand des westfälischen Provinzialverbandes aus dem Flottenverein ausgeschieden. Ihm gehörten an der Fabrikdirektor Schweckendick, Handelskammersyndikus Dr. Martens, Kommerzienrat Wieskott, Kommerzienrat Brügmann, Geheimer Kommerzienrat Kirdorf , Kommerzienrat K l a f i n g, Geheimer Sanitätsrat Dr. Mayweg, Kommerzienrat Meyer. Bemerkenswert ist, daß die Hauptversammlung des Westsälischen Provinzialverbandes, in der diese Vorstandsmitglieder ihre Aemter niederlegten, unter dem Vorsitz des Fürsten Salm selb st stattfand! Die„Tägliche Rundschau' teilt auch näheres darüber mit, weshalb der Fürst Salm den übertragenen Präsidentenposten nicht angenoinmen hat. Fürst Salm hat für die Wiederannahme des Präsidiums die„einzige Bedingung" gestellt gehabt, daß er jeder» zeit ohne Zwischenträger dem Kaiser Vortrag über den Flottenverein halten dürfe. Diese Ver- günstigung habe man zu„hintertreiben" gewußt. Der Präsident des FlottenvcreinS beanspruchte damit also für sich das Recht des Jmmediatvortrages, wie er dem Reichskanzler und Ministerpräsidenten zusteht, während die„gewöhnlichen" Minister dieses Recht nicht ein- mal in vollem Umfange besitzen. Es scheint fteilich, als ob Fürst Salm als Präses der Flottentreiber früher dieses Recht für sich hat in Anspruch nehmen dürfen!-»■_ Vom Brcmserlah. Damit die Lehrergehälter nicht allzusehr steigen, hat bekannt- lich seinerzeit der verflossene Kultusminister Studt den so- genannten Bremserlaß ergehen lassen, das heißt eine Anweisung, daß die Staatsbehörden Einspruch erheben sollten, wenn kom- munale Verbände die Lehrergehälter höher bemessen sollten, als das der Regierung angemessen erscheine. Es sind auch bereits zahl- reiche Fälle bekannt geworden, wo die Regierung dieser Anweisung gemäß Einspruch gegen die Absichten städtischer Gemeinden eingelegt hat. Auch nachdem Studt von der Bildfläche ver- schwunden und Holle an seine Stelle getreten ist, hat sich an diesem System des Bremsens nichts geändert. So wird jetzt wieder daran erinnert, daß die Regierung in Düsseldorf Einspruch dagegen erhoben hat, daß die 70 909 Einwohner zählende Gemeinde B o r b e ck bei Essen im Sommer vorigen Jahres die Anfangs- gehakter der Lehrer um 169 Mark erhöhte, nämlich ein Grundgehalt von 1699 Mark statt bisher 1499 Mark und eine Mietsentschädi- gung von 699 Mark statt bisher von 459 Mark beschloß. Die Düsseldorfer Regierung erklärte, eine Erhöhung des Grundgehaltes um 69 Mark für ausreichend. Die Berufung auf besondere Teuerungsverhältnisse lehnte sie damit ab, daß eine Gleich» st e l l u n g mit Essen, wo 1699 Mark Gehalt gezahlt werden, zu vermeiden sei. AIS gegen diese Entscheidung der Dussel - dorfer Regierung die Borbecker Gemeindeverwaltung, beim Kultusminister Beschwerde erhob, wurde nunmehr, nach einem halben Jahr, ein ablehnender Bescheid erteilt. Die preußischen Ministergehälter sind seinerzeit mit einem Schlag um 16 999 Mark erhöht worden! Aber eine hundert- fach geringere Aufbesserung eines Lehrer gehalts findet im Kultusministerium Widerspruch! Um nicht die Lehrer- gehälter im allgemeinen aufbessern zu müssen, verwehrt man sogar den Gemeinden, die Gehälter ihrer Lehrer nach ihrem Gutdünken festzusetzen. Dagegen hat eS die preußische Regierung mit der Aufbesserung der Gehälter der Geistlichen sehr eilig, so eilig, daß es sogar die Geistlichen-Besoldungsreform während der kurzen Tagung des Landtages im Anfang dieses Monats durch- peitschte! Die 500 Mark- Affare im Angestelltenkonflitt. Wir hatten Gelegenheit genommen, die Mitteilung auf- zunehmen, daß die Maschinenfabrik Nürnberg-Augsburg jedem Beamten ein„Geschenk" von 500 M. gewährt, der für diesen Judaslohn seine Organisation verleugnen will. Die Richtig- keit dieser Mittellung wurde in der bürgerlichen Presse zum Teil sehr lebhaft bestritten. So gering wie man die sozialpolitische Einsicht gerade der bayerischen Industriellen auch von bürgerlicher Seite einschätzt, wurde doch eine solche Handlungsweise nicht für möglich gehalten. Wir erfahren� nun aber von wohlunter- rich'teter Seite, daß diese 500 Mark-Geschichte im vollen Umfange auf Wahrheit beruht. Damit Zeigen die Arbeitgeber, daß sie die auf den Index gesetzten gerbände mit den rücksichtslosesten und schäbigsten Mitteln niederringen wollen. Trotzdem gegen das Vorgehen der bayerischen Arbeitgeber von allen Seiten protestiert wurde, denken die Scharfmacher nicht daran, nachzugeben, vielmehr ist durch diese letzte Maßnahme die Situation noch ver- schärft l_ Ein Richter über de» Richterstand. Ein Richter— freilich ein französischer— hat jüngst über den Richterstand ein interessantes Urteil gefällt. In der Wochenschrift„Morgen" veröffentlicht der weit über Frank- reich hinaus bekannt gewordene Richter Paul M a g n a u d. IPresident honoraire du Tribunal de Chätean-Thierry, einen Aufsatz, betitelt:„Der Beruf und die Pflichten des Richters", in dem er u. a. folgende Ausführungen niacht: „In Frankreich stammen nenn Zehntel der Richter ans Bourgeoisfamilien oder sind in einem Bourgeoismilieu aufgewachsen. Drei Viertel von dem übrigen Zehntel sind der Herkunft nach Aristokraten oder, was schlimmer ist, Leute, die aristokratische Ansprüche machen; das letzte Viertel allein geht aus dem wohlhabenden Arbeiter Proletariat hervor. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, bringt nun aber der Richter die Fehler und Vorzüge des Milien, ans dem er herstammt, in das Gerichtslokal mit, ist also mit einer Anzahl vorgefaßter Meinungen belastet, nach denen er die Menschen und die mensch- lichen Handlungen verurteilt. Daneben besitzt er allerdings eine solide, wenn auch mehr subjektive Fachbildung, kennt zur Genüge die hauptsächlichsten sozialen und politischen Fragen und hat eine gute Moral, wenn ihm auch seine Durchschnittstugend so wenig Heroismus verstattet, wie sie ihn der Gefahr aussetzt, geringen Versuchungen zu erliegen. Er ha: mithin nichts, was ihn in der Achtung oder Liebe des Volkes erhalten oder wieder emporrichten könnte, wenn er sie infolge einer persönlichen Schwäche oder eines begangenen Irrtums oder eines parteiischen Urteils eingebüßt hat. Im übrigen lassen seine Vorurteile keine Ahnung bei ihm auf- kommen, wie grauenvoll ungerecht manche von den Urteilen sind, die er zugunsten der in seinen Augen so gut wie unfehlbaren Reichen und Mächtigen gegen Unglückliche erläßt. Außerdem fürchtet und haßt er jedweden„Skandal", und Skandal nennt er alles, was öffent- lich darauf hinweist, daß die Gesellschaft die Schuldige ist oder daß die Ehrbarkeit der höheren Stände Gemem- heiten verbirgt. Aus diesen Gründen und obwohl in seinen Annalen die Namen einiger Edlen verzeichnet sind, hat sich der Richterstand im großen und ganzen fast immer knechtisch gegen die Starken gezeigt und kann nicht gegen das Mißtrauen aufkommen, das die öffentliche Meinung gegen ihn hegt." Uns dünkt, daß der französische Richter Maynaud nicht nur den französischen Richter mit großem soziologischem und psychologischem Scharfsinn porträtiert hat!— Unkenntnis des Vereinsgesetzes. Die erste Bestrafung eines Jugendlichen auf Grund des neuen Vereinsgesetzes wird ans Wüstegiersdorf Kreis Waldenburg gemeldet. Ein siebzehnjähriger Fabrikarbeiter hatte an einer Versammlung de» Textilarbeiterverbandes teilgenommen. Der Amtsvor- steher in Donnerau hatte ihn daraufhin mit einem Strafbefehl über drei Mark bedacht. Auf den erhobenen Einspruch hat das Schöffen- gericht jetzt die Strafe in Höhe von drei Mark bestättgt. Die Herren Richter haben offenbar— wenn auch unbegreif- licherweife— übersehen, daß das Gesetz nur bei Teilnahme an politischen Vereinen ein Atter von 18 Jahren voraussetzt J— Geschütze, die sich selbst beschießen. Unter dieser Stichmarke berichteten wir seinerzeit über ein sonderbare? Malheur, das in der deutschen Kriegsmarine passiert tvar. Beim Einschietzen(!I) der Geschütze auf dem neu erbauten Linienschiff„Pommern " war einem 17 Zentimeter-Geschütz von einem Nachbargeschütz da» Rohr weggeschossen worden. Man hatte vergessen(I l), das 17 Zenttmeter- Geschütz ausreichend herumzuschwenken und hatte vor dem Abfeuern des nächsten Geschützes nicht bemerkt(II), daß unmittelbar vor seiner Mündung das Rohr des 17 Zentimeter- Geschützes lag. Ueber das Miß- geschick, daS in der ganzen Marine Sensatton gemacht hatte, das aber von der bürgerlichen Presse totgeschwiegen worden war, wurde jetzt vor dem Kriegsgericht des 1. Geschwaders in Kiel verbandelt. Die Sitzung fand an Bord des Unglücksschiffes selber statt. An- geklagt wegen Fahrlässigkeit in der Behandlung der Geschütze waren ein Fregattenkapitän, ein Kapitänleuwant und ein Leutnant zur See. Der entstandene Schaden betrug 65 099—79 090 M. Die Verhandlung fand„im Interesse der Landesverteidigung" hinter ver- schlossenen Türen statt, dauerte fünf Stunden und endigte mit der Freisprechung sämtlicher Angeklagten. Inwiefern das Interesse der Landesverteidigung die Geheim- Haltung der Verhandlung bedingte, ist uns schleierhaft. Oder glaubte man, daß eS für das Renommee der deutschen Marine ge- fährlich sein würde, wenn daS Ausland von einem Malheur Kenntnis erhielte, daS noch nicht einmal der Flotte RoschdwestfchenSIiS passiert war?_ Nationalliberaler Katzenjammer. Die Nationalliberalen in Köln haben am Montag in einer mir für Parteimitglieder zugängigen Versammlung sich über die Frage unterhalten, welche Aufgaben der Partei auS den letzten Wahlen erwachsen. Der Redner des Abends, Professor Molden- Hauer, stellte fest, daß die letzten Wahlen sowohl für den Reichs- tag wie für den Landtag und ebenso auch für die Kölner Stadt- verordnetenversammlung den Nationalliberalen nur Mißerfolge gebracht hätten. Schuld daran sei die L a u h e i t, ja Gleichgültig- keit vieler Wähler. Drei große Gruppen der Bürgerschaft kämen für die nationalliberale Partei in Betracht: die durch ihre Stellung und ihr Vermögen hervorragenden Bürger, die mächtige Zahl des Mittelstandes und drittens die nicht minder mächtige Zahl der Arbeiter. Das Verhältnis der Partei zu der ersten Gruppe sei nicht mehr wie früher; es seien Mißstimmungen eingetreten aus politischen und wirtschaftlichen Ursachen, die manchen früher tätigen Parteifreund zsurückhlalten. Aber auch im Mittelstande, der Hauptstütze der nationalliberalen Partei, bewähre sich der rechte politische Sinn nicht mehr. eS sei ein Schwanken nach rechts, mehr aber noch nach.der radikalen linken Seite zu bemerken. Bezüglich der Arbeiter sagte der Redner: „Ich darf wohl ohne uns zu rühmen sagen, daß wir uns die red lichste Mühe gegeben haben, die Arbeiter für uns zu gewinnen. Bei ihnen ist von Lauheit und Gleichgültigkeit für das politische Leben jedenfalls nicht zu sprechen. hier herrscht eine Teilnahme, wie wir sie in demselben Maße nur den anderen Gruppen wünschen können.(Lebhafter Beifall.) Aber wir müssen uns offen sagen, daß auS dem Arbeiter stände uns kein freundlicher Geist entgegenweht, daß vielmehr mit wenigen Ausnahmen man unserer Partei f e i n d> lich sich gegenüber st ellt. Die Arbeiter stehen hier in Köln im Banne des Zentrums und der Sozialdemokratte. Unsere Versuche, in unseren Versammlungen die Arbeiter über die in der Tat fördernde soziale Tätigkeit der nationalliberalen Partei auf- zuklären und in Gegenwart der Arbeiter selbst über unsere Ziele zu sprechen, sind vergeblich gewesen, und daS wird meiner Ansicht nach auch in den nächsten Jahren noch der Fall sein." Die Ursache für die Minderung des Ansehens bei den ver- fchiedenen Bevöllerungsschichten liegt nach der Ansicht des Redners indem politischen Schwanken der ngtionalliberalen Partei, erst wenn ihre Politik wieder stetig und zielbewußt
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