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Nr. 165. 35. Zahrgaes. I Ktilme ilcs Jotiüirts" fttlinct pIMIntt. ftfifM, 17. In« 1908. eiilenbmg vor den Geicbworenen. Der Prozeft im Krankenzimmer. So hat denn heute die Fortsetzung des Culenburg- Prozesses in dem Konferenzzimmer der Charit« stattgefunden, das nunmehr für den Fürsten Eulenburg zum ständigen Krankenzimmer geworden ist. Der Gerichtshof hat auch endlich eingeseh-en, daß der Ausschluß der Press!e nicht mehr aufrecht erhalten werden kann und den ständigen Gerichtsberichterstatter zu den Verhandlungen zugelassen und damit die von uns vertretene Forderung erfüllt. Schon aus dem heutigen Bericht gewinnt man die Ueberzeugung, daß es im Interesse der Objektivität und der Verhinderung der skrupellosen Stimmungsmache besser gewesen wäre, wenn dieses Verfahren von Anfang an befolgt worden wäre. » Der Andrang der Neugierigen auf der Straße und in den Fenstern der umliegenden Häuser ist heute stärker als zu- vor. so daß ein Schutzmannsaufgebot alle Mühe hat, größere Menschenansammlungen zu verhindern. Nach>/z1d Uhr öffnet sich die kleine Tür des gegenüberliegenden Gebäudes. Unter Leitung des Oberarztes Dr. Steyrer wird der Fürst unter den erdenk- barsten Borsichtsmaßregeln in de» Saal gebracht. Die gefährlichste Klippe, eine nicht sehr breite Wendeltreppe, ist bald überwunden und »ach kurzer Zeit, schneller als man dachte, ist der so schwierige Transport beendet. Dem Vernehmen nach ist die Temperatur des .Fürsten auf 36,4 Grad zurückgegangen, auch soll sich das Allgemeinbefinden bedeutend gebessert haben. Immerhin sieht der Fürst noch sehr bleich aus. Eine spanische Wand schützt ihn vorläufig noch vor den Blicken Neugieriger. Der Transport soll, wie sich nachträglich ergeben hatte, g a r n i ch t so schwierig gewesen sein, als man erst vermutete; Bedenken sind nur entstanden, ob es angebracht erscheint, den Fürsten im Konferenzsaal auch überwachen zu lassen. Anwesend sind heute sämtlicheZeugen; erschienen ist heute auch wieder die Fürstin Eulenburg tn Begleitung ihres Sohnes. Es ist nunmehr auf besonderen Antrag hin unter Zustimmung aller Prozeßbeteiligten der Journalist Oskar Thiele zugelassen worden. Der Vorsitzende eröffnete die Sitzung um l/zll Uhr mit rem Zeugenaufruf. Justizrat W r o n k e r erhebt sich hierauf und teilt folgendes mit: Er habe einen Brief aus München be- kommen, durch welchen die Glaubwürdigkeit Riedels stark .rschüttert werde. Der Brief rührt von einem Gerbcrmeister Martin .Hücker in München her. Der Absender interessiert sich für die Aussage des Zeugen Riedel deswegen, weil er seinerzeit auf die Anzeige des R. hin wegen Sittlichkeitsvergehens zu einer Haft- firafe von drei Wochen verurteilt worden ist. In zweiter Instanz ist Herr Rückcr freigesprochen worden unter der Begründung, vaß der Zeuge Riedel unglaubwürdig ist. Auch der Gastwirt Lang in München , der von Riedel einmal beschuldigt worden war, nützte geladen werden. Der Verteidiger beantragt die Ladung oer beiden Zeugen. Oberstaatsanwalt Dr. I s e n b i e l: Haben Sie auch Anträge bezüglich des Ernst? Justizrat Kranker: Llugenblicklich nicht. Oberstaatsanwalt: Es ist natürlich von Erheblichkeit, daß die Beweise erhoben werden. Auch ich habe noch »ine Reihe BeweiSanträge zu fteUcn.'fo daß die Verhandlung noch sehr weit hinaus- gehen kann. Auch müssen die Akten herbeigeschafft werden. Der Gerichtshof beschließt, beide Zeugen zu lade». ES wird sodann der Oberarzt Dr. Steyrer über den Gesundheitszustand des Fürsten vernommen. Er be- kündet: Das Bild hat sichf einerseits zugunsten des Fllrsteus ver- ändert, da das Fieber auf 36,4 zurückgegangen ist, der Puls ist ent- sprechend nach unten gegangen. Die Schwellung des Beines hat sich nicht wesentlich geändert. Es zeigt sich die Spur des Zurückgehens des Oedems. Eine Schmerzhaftigkeit ist noch vor- banden. Die Diagnose einer Thrombose mutz aufrecht erhalten werden. Wir haben keinen Grund anzunehmen, daß es etwas anderes ist. Der Krästezustand ist besser, starker Kopfschmerz ist vor- Händen. Präs.: Ist der geringste Zweifel dafür vor- Händen, daß der Angeklagte g e i st i g fähig ist, der Verhandlung zu folgen? Dr. Steyrer: Im psychiatrischen Sinne habe ich bei meiner heutigen Unterredung mit dem Fürsten nichts be- kleines feuilleton. Die phrygische Mühe. Woher stammt die phrygische Mütze, die lach dem Ausbruch der französischen Revolution die charakteristische Kopsbedeckung und das Freiheitssymbol der RevoluttonSmänner wurde? Wie ist die Vorliebe der Jakobiner für diese nicht besonders schöne kegelförmige Zipfelmütze mit der nach vorn geneigten auS- gestopften Kuppe zu erklären? Es herrscht darüber einegewisse Ungewißheit". Die Freiheitsmütze, die im Nacken und an den Ohren mit Laschen versehen war und die bei den neapolitanischen Schiffern gebräuchlich ist, soll in Frankreich zum erstenmal in den ersten Monaten des Jahres 1792 aufgetaucht sein. Durch neuere Forschungen ist sedoch festgestellt worden, daß man diese Mütze schon im Juli 1739 auf Medaillen, auf Stichen und in Zeitungen nachgebildet sehen konnte. Fünf Jahre vorher schon sollen irauzösische Offiziere ihre Briefe mit Abbildungen der Freiheitsmütze gesiegelt haben! sie hatten das offenbar von den Amerikanern ge- lernt, die während des Unabhängigkeitskrieges ihre Schriftstücke gleichfalls mit einem Bilde der phrygischen Mütze zu siegeln pflegten. Jene Offiziere waren von alten« Adel: eS wäre so schreibt ein Mitarbeiter de?Journal des Döbats" höchst kurios, wen» die revoluttonäre Mütze von Aristokraten eingeführt sein sollte. Was nun den eigentlichen Ursprung dieser Freiheitsmütze betrifft, so stammt sie sicher aus dem Altertum. Sie war im Altertum die Kopfbedeckung der kieinasiatischen Griechen. Es sei ferner auf folgendes hingewiesen: Im alten Rom gingen die Sklaven stets cntblötzten Hauptes; wenn sie frei wurden, durfte» sie sich als Zeichen der neu gewonnenen Freiheit eine Mütze, denpilsus" aufs Haupt setzen. DieserP�lus" war eine Filzkappe, wie sie damals von Fischern, Schiffern und Handarbeitern getragen wurde; sie hatte mit der durch die französische Revo- lution berühmt gewordenen phrygischen Mütze eine große Aehnlichkeit. Einige Münzen, die nach dem Tode Cäsars geprägt worden sind, weisen eine phrygische Mütze zwischen zwei Dolchen auf. Nach der Ermordung Neros wurde der..pileus" in Rom populär. Die bemalten Vasen, die aus jener Zeit auf uns ge- konrmen sind, zeigen aber, datz die phrygische Mütze damals nicht rot war, sondern weiß, schwarz, gelb oder violett. Rot wurde die Mütze erst zur Zeit der französischen Revolutton. Für die wahren Republikaner war die rote Mütze eine ehrenvolle Auszeichnung; man erschien in dieser Mütze in den politischen Volksversammlungen und Klubs, steckte sie aus die Freiheitsbäume und gebrauchte sie überhaupt als Zeichen revolutionärer Gesinnung. Marschall Kellermann belohnte auf dem Schlachtfelde von Valmy das mutige Vor- gehen seiner tapferen Soldaten durch Verleihung der roten Mütze; ähnliches tat die Stadt Paris , indem sie Bürgern, die sich um das Geineinwesen besonders verdient gemacht hatten, als Zeichen höchster Anerkennung die phrygische Mütze verehrte. Während aber die Freiheits- kokarde selbst für die Frauen obligatorisch war, wurde zum Tragen der rote» Mütze niemand direkt gezwungen. Robespierre . Saint-Just merkt, was in geistiger Beziehung Bedenken erregen könnte. Aber ich muß die Reserve machen, daß bei längerer Verhandlung vielleicht plötzlich eine große Müdigkeit eintreten könnte. Prä s.: Kann der Angeklagte in absehbarer Zeit nach Moabit transportiert werden? Hier werde» wir die Sache wohl schwer zu Ende führen können. Es ist beispielsweise kein Zimmer vorhanden, wo sich die Herren Geschworenen zur Beratung zurückziehen können. Dr. Steyrer: Der Herr Generalarzt Scheibe hat sich bereit erklärt, sein Zimmer zur Verfügung zu stellen. Ober- st a a t s a n w a l t: Ist ein Transport nach Moabit möglich? Dr. Steyrer: Für mehrere Tage das vorauszusagen ist kaum möglich. Der Fürst hat eine ungeheuere Energie, so datz er vielleicht selbst nicht das Gefühl der Müdigkeit hat. Medizinalrat Dr. Hoffmaim: Ich glaube, daß über 2>/z Stunden nicht verhandelt werden sollte und zwar hintereinander ohne Pause. Präsident: Ich bitte Herrn Hoffmann, genau auf den An- geklagten zu achten, ob er auch im stände ist, den Verhandlungen zu. folgen. Es werden sodann die Schöffen aus dem Staedele-Prozeß in München vernommen. Der Molkereibesitzer Eidenschink aus München war Hilfs- schöffe. Er bekundet: Ich habe von Riedel zuerst wegen seiner Vorstrafen nicht den b e st e n Eindruck gehabt. Erst als er sehr detailliert seine Erlebnisse vortrug, wurde ich in kurzer Zeit anderer Ansicht über ihn. Nach meiner Ansicht hat er sich nicht in Widersprüche verwickelt. Präs.: Und welchen Eindruck hat Ernst auf Sie gemacht? Zeuge: Er hat auf mich den Ein- druck gemacht, als ob er mit seiner Aussage nicht recht heraus wollte. Später war aber der Eindruck, daß er sich schämt, mit der Wahrheit herauszukommen, aber ich hatte keinen Zweifel, daß er die Wahrheit gesprochen hat. Ich habe die lieber- zeuguug, daß alles wahr ist, was Ernst hier sagt. Ein G e- s ch w o r e n e r will wissen, ob Ernst vormittags oder nachmittags vereidigt ist und wann die Zustellung der Ladung an Ernst erfolgt ist. DieS wird festgestellt. Ein anderer Geschworener will wissen, ob Ernst bruchstückweise oder in zusammenhängender Rede seine Aussage ge- niacht hat. Zeuge: Oberlandesgerichtsrat Meyer hat erst immer nach allem fragen müssen. Präs.: Hat Ernst auf Sie den Eindruck gemacht, daß er phantastisch etwas ausschmücke? Zeuge: Nein. Rechtsanw. ChodzieSner: Der Zeuge Ernst hat also nichts im Zusammenhange erzählt, es ist alles auS ihm herausgefragt worden? Zeuge: Er hat sukzessive erst alles herausgesagt. RechtSanw. ChodzieSner: Was hat Ernst zu- nächst von dem Gelde gesagt, welches er von dem Fürsten erhalten habe? Zeuge: Ernst sagte, er habe vom Fürsten im ganzen etwa 1S00 Markerwischt". Rechtsanw. Chodziesner will wissen, warum das Schöffengericht dazu gekommen war, überhaupt den Zeugen Riedel und Ernst die Frage vorzulegen, ob sie unzüchtige Handlungen mit dem Fürsten vorgenommen haben. Diese Frage habe doch mit der Sache keinen Zusammenhang, da Staedele doch nur angeklagt war, weil er Horden vorgeworfen hatte, dieser habe sich gegen eine Million bestechen lassen. Der Zeuge erklärt hierzu, datz er nur Hilfs- schöffe gewesen sei und bei der Beratung des Gerichts nicht mit- gewirkt habe. Der zweite Schöffe ist der Oberinspektor Martin Linning e�r aus München , der folgendes bekundet: Die Aussagen der Zeugen Ernst und Riedel habe ich für vollständig glaubwürdig gehalten. Riedel gab seine Aussage ohne weitere Umstände voll- ständig im Zusammenhange ab und widersprach sich in keinem Punke. E r nfft mutzte zu seiner Aussage sehr gepreßt werden, ehe er mit einer Antwort herauskam. Man sah ihm au, datz er init seiner religiösen Pflicht einerseits und mit der Hochachtung vor dem Fürsten andererseits schwer kämpfte. Erst als Oberlandes- gerichtsrat Mayer ihn eindringlich auf die Folgen des Meineides hinwies, wurde er weich und machte dann seine Aussage. Ernst inachte den Eindruck voll st er Glaubwürdigkeit, keines- falls den eines Komödianten, oder den eines bestochenen Menschen. Ein Geschworener: Ist es dem Zeugen bekannt, datz Justiz- rat B e r n st e i n zu Ernst gesagt hat: Ernst, wenn Sie den Saal verlassen, ohne die Wahrheit zu sagen, so bringe ich Sie ins Zucht- haus? Zeuge: Von Zuchthaus ist geredet, Ernst ist aber nicht in seine Aussage hineingezwängt oder gedrängt worden. Präs.: Sie meinen also, nicht eine Drohung des Justizrats mit dem Zuchthaus, son- dern der Appell des Vorsitzenden an die religiöse Pflicht des Ernst hat diesen zur Wahrheit bewogen? Zeuge: So ist es. Ein G e- schworener: Hat Ernst bestritten, Briefe vom Angeklagten er- und andere sprachen von ihr in sehr spöttischem Tone. Am 27. Oktober 1793 erschienen im Pariser Gemeinderat einige übereifrig« Frauen mit der roten Mütze auf dem Kopfe. Sie wurden jedoch nicht sehr freundlich empfangen.Unkluge Frauen", sagte der Bürger Chaumette , warum wollt ihr durchaus den Männern ähnlich werden? Habt ihr von der Natur nicht genug Gaben erhalten? Ihr herrscht über alle unsere Sinne; euer DespottSmuS ist der einzige, dem unsere Kräfte nicht widerstehen können: eS ist der Despotismus der Liebe und folglich der der Natur." Nach dieser Rede legten die Frauen die phrygische Mütze ab. Mit den übrigen revolutionären Sitten verschwand dann die FreiheitSmiitze auch aus dem Leben der Männer. Phonographenkultur. Der Nürnberger Trichter ist zwar immer noch nicht erfunden, und gut' Ding will immer noch gute Weile haben. Aber die Afterkultur hat keine Zeit, sich mit irgend etwas tiefer zu beschäftigen. Sie liebt die Oberflächlichkeit und die Schnelligkeit. Sie ist mit einer Sache bereits fertig. ehe sie damit angefangen hat. Die Technik, die die bürger- liche Kultur so hoch entwickelt hat, datz sie dessen Sklave geworden ist, leiht bequem die Mittel dazu. Man reist nicht nur im Fluge, nian sieht und hört auch iin Fluge. Die Automobil- ungetüme, die den weitgereisten Bildungsmob in einigen Stunden eine Riesenstadtabsolvieren" lätzt, haben eine neue hübsche Einrichtung erhalten, die den Betrieb noch vereinfacht. Wie derKölnischen Zeitung " geschrieben wird, beleben in London und Paris augenblicklich, von unter- nehmenden Fremdenführern bettieben, Automobile an verschiedenen Tagen die Straßen. Auf hintereinander emporsteigenden Bänken dicht aufgereihte Fremde werden von Sehenswürdigkeit zu Sehens- Würdigkeit getragen. Ueber dem Haupte des Chauffeurs, die Oeffnung den Fremden zugewandt, erhebt sich riesenhaft das Schallrohr eines Phonographen, das der Chauffeur durch Druck auf eine Feder im geeigneten Moment in Be- wegung setzen kann. Alsobald erhebt sich die gewaltige blecherne Stimme erläuternd und erklärend, je nach der Zusammensetzung des reisenden Publikums bald in dieser, bald in jener Zunge, historische Vergangenheit, Sagen und Tatsachen heraufbeschwörend, mit einem Worte, Stimmung machend bald für diese, bald für jene am Wege liegende Merkwürdigkeit. Die Bartholomäus­nacht mit ihren Schrecken hörte ich vor dem Hauptportal des Louvre erörtern, die Namen der Herrscher Frankreichs nennen, die diesen oder jenen Teil des gewaltigen Königs- fchlosfes geschaffen; auf die�rsiicks Magasins du Louvre" wurde dazwischen hingedeutet und auf das Palais Royal und die Comödie Molieres, bis man an den Tuilerien zu einer Beschreibung der Revolution und der Kommune 187(1 überging. Man denke sich, wie idyllisch das Reisen sich gestalten muß, wenn überall sich die Stiinmc des Phonographen, mächtig alles übertönend, erhebt, bald am Fuße der Loreley von einem Dampfer schallend, bald auf dein Trümmerfelde des Forums oder zwischen den gewaltigen Pyramiden Aegyptens und am Fuße der Sphynx- halten zu habeu? Zeuge: Ja. Justizrat W r o n k e r: Warum ist wohl der Fürst Eulenburg iu München nicht nnt den beiden Zeugen konfrontiert worden? Es handelte sich doch um einen an- ständigen unbescholtenen Bürger, der wohl Gelegenheit hätte haben müssen, sich Auge iu Auge zu äußern. Zeuge: Darüber kann ich nichts sagen. OberstaatSanw. I s e n b i e I: Wenn nun dem Angeklagten wirklich Gelegenheit gegeben worden wäre. in, Staedele-Prozeß den Zeugen gegenüberzntreten, so frage ich ihn jetzt, würde er da bekundet und beschworen h a b o-n. datz er mit Ernst und Riedel nichts zu tun gehabt habe? An gel l.: Aber ganz gewiß, ich würde es auch beschworen haben. Oberstaatsantv. I s e n b i e l: Dann mußte der Angeklagte sich doch gegenwärtig halten, daß der Zeuge Ernst sofort hätte verhaftet werden müssen. A n g e k l.: Das würde mir sehr leid getan haben, weil ich ihn immer sehr schätzte, aber der Wahrheit muß doch ihr Recht werden. Präs.: Welchen Grund soll aber nun wohl Ernst zu einem Meineid habe? Angekl.: Ich habe mich darüber schon öfter geäußert: Es ist mir ein psychologisches Rätsel. Ich bleibe ganz s e st dabei st c h e n. was ich früher gesagt habe. Präs.: Es dürfte wohl kein Mensch gefunden werden, der ein so schlechter Kerl ist, daß er einen Meineid leistet, nur um seinen Wohltäter, dem er so viel zu danken hat, zu schaden. Fehler haben alle Menschen, Sie, Herr Angeklagter, habeu nur alle Ihre Vorzüge angegeben, daß Sie zu enthusiastisch in Ihrer Freundschaft und zu geneigt zu Wohltaten seien. Dann würden Sie also so rein wie ein Engel und Ernst so schwarz wie ein Teufel sein. Angekl.: Ich bin wahrhaftig kein Engel, und wenn ich gesagt habe, daß ich diese beiden Vorzüge be- sitze, so habe ich mich damit nicht brüsten wollen. Diese beiden besten Eigenschaften sind in teuflischer Weise verdreht worden, indem man jeden Freund verdächtigt hat, der init mir ver- kehrte, und jeder Wohltat, die ich erwiesen, hat man angehängt den Verdacht, als ob Schmutzercien dahinter stehen. Bei solchen Er- fahrungen müßte mau eigentlich jedem raten, keine Freundschaft zu halten und Egoist zu sein bis in die Knochen hinein. Ich sollte keine Fehler haben? Ich habe natürlich Fehler wie jeder Mensch, gewiß sehr viele Fehler. Meine guten Eigenschaften habe ich nur präzisieren wollen. Ernst habe ich stets für einen guten Kerl gehalten. Wie ich mir seine Aussage psychologisch erklären soll, ist für mich furchtbar schwer. Ich weiß, wie furchtbar man i» den Menschen hin eingedrungen ist, er ist leicht aufgeregt, zitterig, herzkrank und verliert leicht die Fassung. Gott weiß, was in ihni vorgegangen ist; von dem Moment an, wo er nun einmal ausgesagt hat, mochte er vielleicht denken, nun müsse er dabei bleiben. Präs.: Sie haben doch Ernst Wohltaten in Hülle und Fülle erwiesen und so freundliche Briefe geschrieben, die erst bei der Haussuchung gefunden sind? Angekk.: Ja, ich habe ihm unverzinsliche Darlehen gewährt. Oberstaatsanwalt I senb i ei zum Zeugen L i n n i g e r: Wenn Sie in München nun so gehört hätten wie jetzt, würden Sie ihm oder dem Ernst ge- glaubt haben? Zeuge: Darüber habe ich kein Urteil. Oberstaatsanwalt I s e n b i e l: Dann will ich die Frage so fassen: Zweifeln Sie nach dem, was Sie jetzt gehört haben, an der Aussage des Ernst? Zeuge: Auch darüber kann ich keine Auskunft geben. Ich!habe immer noch die Anschauung, datz Ernst die Wahrheit gesagt hat. Rechtsanw. ChodzieSner: Der Angeklagte hat nicht sagen wollen, datz Ernst Komödie spielt, sondern in einer Art geistiger Notzucht aus- gesagt hat, datz er müde, abgehetzt und unter Be- drohung mit dem Zuchthause zusammengebrochen ist und etwas gesagt haben mag, was nicht wahr ist. Der Präsident hält dem Angeklagten dagegen vor, daß eine geistige Notzucht doch bloß etwas Vorübergehendes. Momentanes sei, Ernst aber nicht nur unter dem angeblichen Zwange des Oberlandesgerichtsrats Mayer und des Justizrats Bernstein ausgesagt hat, sondern auch später dabei geblieben ist und seine Aussage noch vielfach ergänzt habe. Angekl. meint, daß Ernst wohl das, was er einmal gesagt hat, später noch mehr ausbauen wollte. Justizrat W r o n k e r: Hat nicht die Drohung mit dem Zuchthaus ganz besonders auf ihn eingewirkt? Angekl.: Das Wort Zuchthaus und die etwaige Abführung müssen eine furchtbar starke Wirkung machen aus einen Menschen, der Witwer ist, feine Kinder zärtlich liebt und auf dem alles ruht. Mit dem Wort Zucht­ haus ist ihm wohl der Gedanke gekommen: Alles, was ich habe. steht auf dem Spiel. Präs.: Wie erklären Sie aber die Be- merkung in Ihrem Briefe an Ernstes i st alles verjährt"? Angekl.: Ja, wenn ich das erklären soll, ist mir das sehr schwierig, weil ich wiederholen muß, was ich schon gesagt habe. Ich bin unter den: Eindruck gewisser Briefe gewesen Humor und Satire. Sind wir bereit?" Das von uns bereits öfter an dieser Stelle zitierte französische satirische BlattL'assiette au beurre" hat ihre ganze letzte Stummer dieser aktuellen Frage gewidmet und sie aus ihre Weise gelöst. Zuerst kommen die Vertreter der kriegö- rasselnden Mächte und erklären einer nach dem anderen:Ich bin bereit!" Da sieht man de» deutschen Kaiser, der an einem Schleifstein einen furchtbaren Säbel geschliffen hat und jetzt feine Schärfe prüft, ein mit der Inschrifttrockenes Pulver" gekennzeichnetes Fäßchen liefert das Schleifwasser. FallisreS als dicker, über und über beladencr französischer Infanterist und Eduard mit einem kanonenstarrenden Panzerschiff unter dem Arm und der durch ein Meer von Blut watende, als Henker und AuSpeitscher charakterisierte Zar sind natürlich ebenso bereit. Aber die bewaffneten Völker? Die Deutschen und Franzosen stehen sich kampfgerüstet gegenüber, vorwärts getrieben von ihren Führern. bereit, einander zu massakrieren. Wieder erschallt die Frage:Seid ihr bereit?" Und prompt, aber mitunerwartctem Erfolg, ergeht die Antwort: die Truppen drehen sich um und gehen mit Kolbenschlägeu und Fußtritten gegen die Hetzer und Kriegseinpeitscher vor. Was der Spießbürger denkt, schildern zwei weitere Bilder. Der gute Bürger geht mit seiner Frau spazieren und freut sich über das über ihm schwebende Luftschiff:Da siehst. Mamachen, wir sind bereit, au die Grenze zu fliegen." Plötzlich schlägt der Wind um, das Luft­schiff fliegt zertrümmert ins Meer, und der eben noch himmelhoch jauchzende Patriot gesteht:Wir sind nicht mehr bereit." Auf dem Schlußbilde kommt das Volk zu Wort. Der deutsche und der französische Arbeiter sitzen am Tische in der Rosenlaube und stoßen miteinander an; zwei dralle Frauen fegen das mili- tärische Spielzeug: Gewehre, Fahnen, Trommeln, mit kräftigem Besen aus; ftöhliche Kinder schaukeln auf dem ausgerissenen Grenz- pfähl und darunter steht:Bereit sind wir, wenn wir wollen. Aber wir wollen nicht mehr... niemals mehr l" Notizen. Das letzte Gas verflüssigt? Vor einigen Monaten hieß es bereits, datz es Professor Kamerlingh Onnes in Lehden gelungen sei, das Gas Helium in den festen Aggregatzustand zu überführen. Leider stellte sich nachher heraus, daß eine Täuschung vorlag. Das Helium blieb vorläufig das einzige Element, das nur im gasförmigen Zustande existiert. Es gelang weder, es zu ver- flüssigen noch in den festen Zustand zu überführen. Theoretisch konnte nicht daran gezweifelt werden, daß eS überführbar war. Nur konnte man nicht die dazu erforderlichen tiefen Temperaturen er- zeugen. Inzwischen ist es aber doch Professor Onnes geglückt, das Helium bei 268 Grad flüssig zu machen. Der theoretisch fest- gelegte tiefste Temperaturpuukt liegt bei273 Grad, wir sind ihm also durch Onnes, der mit seinen Versuchen alle Vorgänger schlägt, bis.auf 5 Grad nahegerückt.