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1. Beilage zumVorwärts" Berliner Volksblatt. Ur. 44. Dienstag, den 21. Februar 1893. 19. Jahrg. Alte und neue Arten und Abarten der direkten Gesetzgebung. v. Das Reklamationsrecht(Veto) der französischen Verfassung von 1793; Initiative und Refe- rendum der Baboeuf'schen Schule. Wer sollte es glauben, daß der Uebergang vom alten zum neuen, vom föderativen oder korporativen zum uniterritorialen oder persönlichen Referendum, das nicht die Stimme der Körper- schaften(Bezirke, Aemter, Gemeinden), sondern die einzelnen Bürger des Gesammtstaates zählt, so schwer zu erdenken, gleich- sam ein zweites Ei des Kolumbus gewesen sei? Und doch ist dem so; sogar ein Jean Jacques Rousseau ist über diesen Stein des Anstoßes gestolpert. Er. der fähigste Zögling der hehren radikalen Genfer Schule, er, der geistige Anstifter der französischen Revolution, er, der Kämpfer gegen das System jeglicher Re- Präsentation, hätte denn doch der Welt etwas Besseres leisten dürfen, als einetaube Nuß". Rousseau erklärt zwar den Volks- willen für unveräußerlich und sagt, daß den Abgeordneten eines Volkes gesetzgebende Gewalt garnicht zukomme, aber wie machen in einem Großstaate? Da stund der große Mann,wie der Ochs am Berge" und ruft kleinlaut aus:Nachdem ich alles wohl erwogen, begreife ich nicht, wie es kün'tig einem Volke in unseren Verhältnissen möglich wäre, seine Rechte auszuüben, e s müßte denn das Staatswesen(oitö) sehr klein s e i n."*) Wie es bei den alten Griechen in Athen war, daß wußte er wohl, wie es aber bei den Franzosen auf großem Territorium werden sollte, daran wagte Rousseau nicht zu denken das wagten erst die Anhänger der eKalitg(Gleichheit), die Kommunisten Baboeuf und seine Schule, welche das Referendum und die Initiative für Großstaaten wenigstens erdacht, wenn auch nicht haarscharf formulirt haben, nachdem schon der geistreiche Philosoph Condorcet ein rudimentäres Veto, ein Recht der Zensur in seinem ausgearbeiteten Verfassungsentwurf vom Februar 1793 dem Volke eingeräumt hatte und nachdem im Juni 1793 eine Verfassung angenommen wurde, worin das Recht derReklamation" als ein wirkliches Veto auf dem Papier stand, wonach eine gewisse Anzahl Stimmberechtigter reklamiren", d. h. Einsprache(vsto d. h. ich verbiete) erheben mußte, ehe die Volksabstimmung über das betreffende Gesetz erfolgen konnte. Artikel 53 der republikanischen Verfassung Frankreichs vom Jahre I, d. h. vom Jahre 1793, lautet: Der gesetzgebende Körper(bs oorxs lejZslatik) schlägt Gesetze vor(propose des lois) und erläßt Verordnungen (et rend des decrets)." Art. 58.Der Gesetzes-Entivurs wird gedruckt(Le proJet est imprime) und allen Geineinden der Republik zugeschickt(et envoye a toutes les communes de la republique) unter dein Titel: Gesetzes-Vorschlag(sous le titre: L o i p r o p o s e e)." Art. 59.Wenn 40 Tage nach Versendung des Gesetzes-Vorschlages. in der Hälfte der Teparte- mente mehr eins(plus un), der zehnte Thcil(le dixiäwe) der Urversammlungen(des assemblees primaires) in jedem der­selben(de chacun d'eux) nicht reklamirt hat(na pas röelame), ist der Entwurf angenommen und wird Gesetz(le projet est acceptö et devient 1 o i)." Art. 60.Erfolgt diese Reklamation(841 y a räclamation), so ruft der gesetzgebende Körper die Urversammlungen ein(convoque les assemblees primaires)." Dieses so arg verklausulirte, durch fast unmöglich zu er­füllende Bedingungen(Art. 59) eingeschränkte Veto kam indessen n i e zur Anwendung, da die Wucht der äußeren und inneren Bedrängnisse der Republik eine friedliche Entwickelung nicht gestattere. Nach den, Sturze Robespierre's (9. Thennidor, Ende Juli 1794) folgte eine Periode der Reaktion; die neue reaktionäre Verfassung nierzte das Veto aus, schränkte überhaupt das Stimm- recht der Massen derart ein, daß diese neue Konstitution vom Jahre Hl(1795) nur mit 900 000 Stimmen, die Armee in­begriffen, angenommen wurde, während die radikale Ver- sassung von, Jahre I(1793) mit 4 800 000 Stimmen(von zirka 5 800 000 Stimmberechtigten) gutgeheißen worden war. Diese Volksabstimmung über diese republikanische Verfassung von 1793 ist auch in der Beziehung ein Markstein, als hier zum ersten Mal so abgestimmt wurde, wie es heute in der Schweiz beim Referendum geschieht, wo die Ja und Nein durch den ganzen Staat zusammengezählt werden und die Mehrheit der sümmtlichen, in ihre» Wohngemeinde» stimmenden Staatsbürger, welche man einzeln zählt, die Entscheidung fällt. Was Rousseau nicht gefunden, fanden doch seine Schüler Robespierre , St. Just u. Cie. Die kommunistische Schule von Gracchus Baboeuf fand aber noch mehr; sie erdenkt das Reserendum und die Initiative für große Territorien. Es ist freilich erst 30 Jahre später(1828) von Philipp Buonarroti, einem edlen und adligen(er stammte aus der berühmten Familie Michael Angelo's ) Anhänger Baboeus's aus der Erinnerung in zwei Bänden von 666 Seiten niedergeschrieben und veröffentlicht worden"); es liegt aber kein Grund vor, die Aufrichtigkeit seiner Angaben zu bezweifeln. Die Verschivorenen wollten vor allein die volksthümliche Ber- sassung von 1793 wieder einsühren, wenigstens war dies ihr agi- tatarischer Hauptvorwand und unter anderem statt des ver- klausulirten Veto wollten sie, was man heute so nennt, Refe- rendum und Initiative einführen. Buonarrotti erzählt uns im ersten Band, Seite 260 und ff.: Ehe ich von den Vorschlägen des Revolutionskomilees(les projets du comite insurreeteur) bezüglich der öffentlichen Ge- ivalt einen so genauen Bericht erstatte, als es i»ir eben die Länge der Zeit und die schwache und einzige Hilfe meines Gedäditnisses erlauben, muß ich zuvor sagen, daß all' diese Vorschläge dahin tendirten, die Ausführung des in der Ver- sassung von 1793 aufgestellten Fundamental-Dogmas zu sichern, nämlich:Das Volk berathet und entscheidet über die Gesetze le peuple delibfere sur les lois""(statt delibere ftigt man heute decide= entscheidet)..... Bei einem zahlreichen Volke, auf einem großen Territorium zerstreut woh- nend, kann man nicht alle Bürger(eitoyens) in einer Lands- gemeinde oder einzigen Versainmlung(en une seule assemblee) vereinigen, um in einem einzigen Wurf den Volkswillen, den Willen der Nation zu bekommen(recueillir d'un seul jet la volonte nationale). Daher entsteht die Nothwendigkeit, die Sektionen(seetions), in welche das ganze Volk sich zertheilt, auf eine einheitliche und bequeme Weise zu regeln und *) Contrat social , III. 15. M)»»Conspiration pour l'egalite dite de aboef,(suivie du procfes auquel eile donna lieu, et des pifeces justificatives, etc., etc.) par Ph. Buonarroti. Bru- xelles. 1828.(Verschwörung für die sogenannte Babeuf'sche Gleichheit). Der zweite Band ist auch 1869 im Auszug unter dem Titel erschienen:Plülipps Buonarroti, Gracchus Baboeuf et la Conjuration des Egaux , Preface et Note par E. Ranc. Paris 1869(Philipp Buonarroti. Gracchus Baboeuf und die Verschivörung derGleichen"(d. h. Kommunisten). Vor- rede und Notizen von R. Ranc, Paris 1869). B einen schnellen und leichten Modus(un mode prompt et facile), die Wünsche gegen einander zu halten(comparer les voeux), ohne befürchten zu müssen, sie mißkannt oder entstellt zu sehen. Das Komitee glaubte, diesen Zweck zu erreichen ver- mittelst folgender drei Einrichtungen: 1. Die Souveränetäts- Versammlungen(les assemblees de souverainetö),(d. h. die lokalen oder Orts-Sektionen); 2. Die Zentralversammlung der Gesetzgeber(l'assemblöe cen­trale des legislateurs); 3. Der Körper(Rath) der Konservatoren(oder Bewahrer) des Volkswillens(le corps des conservateurs de la volonte nationale). I793«®ie zwei ersten sind anerkannt durch die Verfassung von Der dritte(eine Art Senat) sollte eine Ergänzung(Supple­ment) sein, welche das Komitee für nothwendig erachtete.... Man beabsichtigte aus diesen Konservatoren eine Art Tribunat (uns espece de tribunat) zu machen, beauftragt, dar- über zu wachen, daß die Gesetzgeber ihr Recht Ver- Ordnungen(decrets) zu erlassen, nicht mißbrauchen, keine Ein- griffe in die Gesetzgebung des Volkes sich anmaßen"... Man erdachte also das Gesetz zu machen auf zweierlei Art (on concevait deux manieres de former la loi); es hätte ent­stehen können, entweder in der Zentralversammlung der Gesetz- geber oder in jeder der(ou dans chacune des) Souverainetäts- Versammlungen", d. h. der souverainen Sektionen oder Orts- Versammlungen von 200600 Bürgern.(Hier steckt der Anfang der modernen Volks-Jnitiative).... Im ersten Falle würde die Zentralversammlung allen Sektionen ihre Gesetzes-Vorschläge zusenden nebst einem beleuchtenden Bericht(adresser ses projets avec lexpose de ses motifs). Die Resultate der Volks- Entscheide(aller Sektionen) würden den Konservatoren zugeschickt, welche den Willen der Nation proklamirten durch Veröffentlichung der Stimmabgaben jeder Sektion als Fraktion des Souverains."(Bekanntmachung des Referendums- Ergebnisses.) Im zweiten Falle könnte jede Sektionsversammlung(chaque assemblee de souverainete) ein neues Gesetz oder die Abschaffung eines alten Gesetzes vorschlagen(proposer une loi nouvelle ou 1 abrogation d'une loi ancienne); wird derselbe Vorschlag von der Mehrheit der Nation unterstützt(falte parla majorite de la nation), so gäbe» die Konservatoren davon Kenntniß den Gesetzgebern, welche dann gehalten wären, denselben zu r e d i g i r e n und dem Volke das von ihm verlangte Gesetz zur Annahme zu unterbreiten(tenus de rediger et de soumettre ä l'approbation du peuple la loi par lui demandee)." Dies ist das moderne Volks-Jnitiativbegehren, das vom Rathe zu einem Gesetz ausgearbeitet und dann dem Volke zur Abstimmung vorgelegt wird. ...Diese Art, Gesetze zu machen(cette manifere de former la loi) ist jeder ander» vorzuziehen, denn es hat zur Grundlage die Einfachheit der Sitten und die Einheitlichkeit der Interessen(l'uniformite des interfets)... Die gesetz- gebende Gewalt ist ein Naturrecht des Volkes(appartient de droit naturel au peuple), es kann nicht, ohne sich zu Grunde zu richten, seine Gesetze einem andern Witten überlassen, es soll nie einen obern Gesehgeber anerkennen(reconnaitre jamais de superieur)"... Dies sind die hauptsächlichsten, die direkte Gesetzgebung be­treffenden Bruchstücke aus dem Buche Buonarrolis(1. Band Seiten 260 bis 268), welche, denke ich, die deutschen Sozialdemo- kraten iuteressiren sollten. Hier mußte also jedes Gesetz zur Abstimmung gebracht werde»; die Abstimmungsweise ist das Referendum, nicht das Veto, bei dem mau, wie die B a b o u v i st e n oder Baboeus's Anhänger klar voraussahen, allzusehr an die Freiheit eines jeden, abzustimmen oder nicht, gedacht. die Gefahr der Gleichgiltigkeit aber zu wenig erwogen hatte. Es ist nur gerecht, wenn man es sehr genan nimmt mit den Beweisen der Zustimmung des Volkes(les preuves du consente- ment national) und die Vermuthung, daß Stillschweigen(la presomtion fondee sur un silence) innner Annahme bedeute, nicht gelten läßt; keine Verpflichtung soll dem Volke auferlegt iverden können, ohne seine ausdrückliche Einwilligung (saus son consentement reel)"; auch ist die unvermeidliche Agitation«m Abstimmung über ein mißliebiges Gesetz zu provo- ziren, verwerflich; in einem geordneten Staatshaushalt soll die organische, periodische Abstimmung über Gesetze erfolgen. Im zweiten Falle konnte und damit haben wir die Volks- Initiative jede Gemeinde- oder Sektions-Versammlung von 200 bis 600 Stinnnbereäit igten ein neues Gesetz oder die Ab- schaffung eines alten vorschlagen. Wie einem so kleinen Bruchtheil des Volkes dieses allgewichtige Grundrecht ge- geben werden könnte, ohne große Verwirrung anzurichte», darüber hat Buonarroti freilich nicht genügenden Aufschluß geben können. Gracchus Baboeuf und seine Genossen waren starkmuthige, hochherzige Männer, denen das Volkswohl über Alles ging; wie antike Heroen stechen sie von der damaligen charakterlosen, wie ein giftiger Pilz ausschießenden Bourgeoisie ab. Ihr'Abgott Napoleon damals(Ende Februar 1796) General Bonaparte, Konimandirender von Paris , erkannte die Gefahr, gewaltsam löste er Baboenfs Gesellschaft auf; ihre innerste Absicht wurde(am 9. Mai) verrathen, und da es ihres großes Anhangs wegen ge- fährlich war, sie in Paris gesangen zu halten und zu prozessiren, so wurden sie(am 30. August 1796) nach der entfernten Provinzial- stadl Vendüme übergeführt, verurtheilt und am 7 Prairial des Jahres V, oder am 28. Mai 1797 wurden Baboeuf und Darthe hingerichtet, Bnonraroti und andere deportirl und gefangen ge- hallen. Nun halte die Bourgeoisie und ihr Erzhelser Napoleon freie Bahn! Es interessirt vielleichtdie Leser desVorwärts" wie Burnarron den General Buonaparte oder Kaiser Napoleon I benrtheilte. Er sagt Die Auflösung unserer Gesellschaft wurde vollzogen durch den General Buonaparte, der damals(den 9. Aentüse des Jahres V, 1796) die Armeen im Innern kommandirte; er war der wirk- liche Urheber dieser Maßregel. Durch seine zahlreichen Spione halte er die heimlichen'Absichten der Verschworenen erfahren und machte der Regierung große Angst. Er erhielt de» ersehnten Befehl zur Auslösung; er war persönlich bei der Ausführung und ließ sich die Schlüssel des Saales, wo die Gesellschaft in der Nähe des Pantheon ihre Sitzungen hielt, übergeben."Die neue Aristokratie(Bourgeoisie) erkannte alsbald in diesem General ihren Mann, der ihr eines Tages als solide Stütze gegen das Volk behilflich sein könnte; es war die Erkenntniß, welche man von seinem hochinüthigen(hautain) Charakler und seinen aristo- kratischen'Ansichten halte, die ihn am 13. Brumaire des Jahres VIII (d. h. 9. November 1799) herbeirief zu Hilfe dieser Partei, welche ob der Schnelligkeit, mit welcher damals der demokratische Geist wieder erschienen, sehr erschrocken war." Bounaparte kam an die oberste Gewalt infolge des retrograden Marsches, welchen die Re- volution seit dem 9. Tbermidor des Jahres II(Sturz Robes­ pierre ) eingeschlagen hatte." Bounaparte hätte, durch die Festigkeit(fermete) seines Charakters und des'Ansehens(ascendant) seiner militärischen Erfolge, der Wiederhersteller der französischen Freiheit werden können; als gemeiner(vulgaire) Ehrgeiziger zog er vor, ihr den Todesstoß zu geben. Er hielt das Glück Europas in seinen Händen, wurde aber seine Geißel(et il en fut le fleau) durch die systematische Unterdrückung, welche er auf ihm lasten ließ und durch den noch viel schrecklicheren Druck, welchen seine Politik veranlaßte und welcher nach seinem Fall so viele Völker Europas und dazu sogar noch im Namen der Freiheit(Befreiung) in Knechtschaft und Elend versinken ließ." DolktÄles. Gewerbegerichts- Wahlen. Auf der Arbeitnehmek-Liste lautet das Resultat: Sieg auf der ganzen Linie k Neberall sind die Gewerkvereinler mit geradezu kläglichen Minoritäten hereingefallen. Anders lautet das Resultat natür» lich auf der Arbeitgeber-Liste. Doch auch dort gelang es in zwei Bezirken, nämlich im 12. und 37., die Liste unserer Genoffen durchzubringen. Die Zentrumsanträge, die das Verbot der Kolportage aller in Lieserungen erscheinender Werke und die Gleichstellung des Kolportagebetriebes mit dem Hausirhandel bezwecken, veran- lassen den Zentralverein Deutscher Kolportage-Buchhändler zu Montag, den 27. Februar 1893, Vormittags 9 Uhr nach Dresden , Etablissement Helbig(grüner Saal) eine große Versammlung von Verlags- und Kolportage-Buchhändlern, Buchdruckereibesitzern und sonstigen Interessenten verwandter Geschäftszweige einzuberufen, in welcher gegen die beabsichtigten Beschränkungen Stellung ge- nommen werden soll. Einen lehrreiche» Einblick in die Verhältnisse, wie sie heute im Stande der Aerzte herrschen, empfangen wir beim Studium des Jnseratentheils der medizinischen Fachzeitschriften. Da sucht z. B. ein Arzt einen Assistenten gegen monat- liche Vergütigung von 60 M. mit freier Wohnung. Immerhin überragt der betreffende Herr jenen Kollegen noch um Haupteslänge, der schlankweg 60 M. monatliche Ver­gütigung dem Assistenten bietet. Des weiteren wird man mit einigem Erstaunen die große Zahl der Kauf- und Verkaufgesuche wahrnehmen, die in jeder Nummer einer jeden Fachschrist zu sinden sind. Wie das erste beste Kasegeschäft, so wirdeine gute Praxis" zu kaufen bez. zu verlaufen gesucht, im letzteren Falle nicht selten unter genauer Angabe der Zahlungsmodalitäten. Selbst die religiöse» Fragen spiegeln sich in dem geschäftlichen Theil dieser wissenschastlrchen Organe ab. Ob die Hand eines Christen oder eines Juden die Rezepte schreibt, scheint für die Herren Aerzte von größerer Bedeutung zu sein, als die Frage, ob der gesuchte Assistent. Käufer u. s. w. die nöthigen Garantien sür seine Befähigung zu erbringen vermag. Das in dieser Be- ziehung bezeichnendste Inserat dürste sich m der letzten Nummer derKlinischen Wochenschrift" verzeichnet finden, in welcher ein Arzt seine Praxis z» verkaufen wünscht mit dem Bemerken, daß er nur Reflektanten katholischen Glaubens berücksichtigen werde. Bleichröder . DerReichsanzeiger" widmet ihm folgende» 91(idbruf Gestern Nachmittag verstarb hier in Berkin der Ge- Heime Kommerzien-Rath Gerson von Bleichröder , der erste Chef des große» Bankhauses S. B l e i ch r ö d e r, das von dem Vater des Verstorbenen im Jahre 1303 be- gründet wurde, un einundsiebzigsten Lebensjahre. Der Geheime Kommerzien- Rath Gerson von Bleichröder hat nicht nur das eigene Bankhaus zur Blüthe gebracht und ihm einen Weltruf verschafft, sondern auch zur Ent- Wicklung des gesummten privaten und öffentlichen Finanz- und Bankwesens in Deutschland während der letzten Jahr- zehnte hervorragend beigetragen. Der Verstorbene war bis zu seinem Tode auch General-Konsul Großbritanniens in Deutschland ." Die Bourgeoisie- Presse hebt noch in längeren Nachrufen die Verdienste des Verstorbenen hervor; groß muß allerdings sein Verdienst gewesen sein, zum mindesten 100 Millionen. Bleichröder war der Intimus Bismarck's , und dieser gewissermaßen der Kompagnon Bleichröder's . Beide waren in gleicher Weise Zierden desReichs der Gottesfurcht und frommen ! i t t e." Bismarck wird mit dem Tode seines Busenfreundes ein Stein vom Herzen gefallen sein; denn der Mitwisser seiner Geheimnisse" kann nicht mehr reden. Ueber de» Nmfana des letzten Weihnachtspäckerei-Verkehrs beim Packet-Postamt in Berlin liegen in derD. Verk.-Ztg." fol- gende vergleichende Zahlen mit dem Jahre 1387 vor. Das Per- sonal vom 21. Dezember ab bestand aus 240 Beamten und Hilfs- schreibern(gegen 232 im Jahre 1337), 1694(1438) Unterbeamte, Militärs, Einwohner, zusammen 1934(1670). Es kursirten 171 (151) ein- und zweispäunige Packetbestellwagen, 12(13) Feldpost- wagen. 220(167) Kremser. Im ganzen Postsuhrbetrieb von Berlin sind an den stärksten Tagen verwendet worden 1077 (820) Wagen und 1740(1400) Pferde. In der Zeit vom 12. brs 25. Dezember gingen beim Packet-Postamt insgesammt 430 000 (373 000) Packele ein. Die Gesammtzahl der am 24. Dezember bestellten Packete betrug 43 760(43 200). Moderne LehrlingSziichterei? Zu diesem allerdings schon alten Thema wird uns von einem alten Genossen fol- gendes geschrieben: In der Holzgeländer- Fabrik von L. u. B. in der Greisswalderstraße iverden im Durchschnitt immer 810 Lehrlinge ausgebildet. Bei der Aufnahme derselben kümmert sich kein Mensch um die körperliche oder geistige Beschaffenheit oder Veranlagung der Lehrlinge. Dieselben werden vielmehr ohne weiteres dazu angehalten,Geld zu verdienen". Fst der Lehrling z. Ä. schwächlich, so wird er mit Beizen und Poliren beschäftigt, und stellt es sich etwa heraus, daß er zum Drechsler überhaupt nichts taugt, so sagt man ihm nicht etwa:Du taugst zum Drechsler nicht, wir werden Dich vom Kontrakt entbinden", sondern er beizt und polirt eben so lange, bis die vierjährige Lehrzeit um ist, der Jungeaus- gelernt" hat. Bei dieser Beschäftigung des Lehrlings verdient der Lehrherr" am meiste», denn die Arbeitskraft ist billig. Daß ein Lehr- ling, welcher während der ganzen vier Jahre seiner Lehrzeit nichts weiter gelernt hat, als beizen und poliren. im günstigsten Falle auch eine gewöhnliche Traille zu drehen, sich nicht als Drechsler ernähren kann, liegt auf der Hand, zumal er in den weitaus meisten Fällen die Fabrik verlassen muß, sobald er Geselle ge- worden ist. Hat ein solcherGeselle" nun nicht die nöthige Energie, d. h. fängt er bei einem anderen Meister nicht von neuem, oder besser gesagt, überhaupt erst zu lernen an, so wird er eben einfacher Arbeilsmann, zu welchem Zweck er vier lange Jahregelernt" hat und eine Behandlung erdulden mußte, die anständig nicht genannt werden kann. Nun aber kommt das Interessanteste, nämlich die Gesellen- Prüfung. Da kommen an dem denkwürdigen Tage der Prüfung zwei ehrwürdige Jnnungsmeister der Fabrikant ist natür- lich, um überhaupt Lehrlinge halten zu können, Jnnungs- ineister geworden> um die Prüfung vorzunehmen.