Beilage zum„Vorwärts" Berliner VolMatt.Ur. 46.Donnerstag, de» SS Febrnar 18S3.16. Jahrg.Vsrlsttronksdsrichke.Deutscher Reichstag.49. Sitzung vom 22. Februar 1893, 1 N h r.Am Bundesrathstische: v. Bötticher, Schulz.Bor der Tagesordnung bemerkt Präsident v. Levetzow:Gestern hat ein Mitglied des Hauses einen Reichsangehörigen,der die bürgerlichen Ehrenrechte besitzt, jedenfalls wegen Mordesnicht vorbestraft ist,«inen Massenmörder genannt. Ich bestreiteden Mitgliedern des Hauses nicht das Recht, Thatsachen vor-zubringen, welche außerhalb des Hauses stehende Personen be-lasten, zumal wenn diese Thatfachen auf Beweismaterial gestütztsind. Der gebrauchte Ausdruck ist aber eine Beschimpfung undentspricht nicht der Würde des Hauses, sondern erscheint mir alsein Mißbrauch der Redefreiheit. Ich bemerke dies für die Zu-kunft, damit aus meinem gestrigen Schweigen nicht«in Präjudizhergeleitet wird(Beifall).Das Haus tritt darauf in die Tagesordnung ein und ge-nehmigt zunächst ohne Debatte in dritter Lesung definitiv denGesetzentwurf, detreffend die Einführung einer einheitlichenZeitbestimmung.Sodann wird die zweite Berothung des Etats des Reichs-amts des Innern fortgesetzt. Zur Debatte steht das Aus-gabekapitel„Statistisches Amt" 866 S3S M.Abg. Dr. Hirsch(dfr.) bemängelt, daß die Statistik, welchedas Amt über die Krankenversicherung der Arbeiter aufgestellt hat,lückenhaft ist. Es fehle an Angaben über die Verfassung und denStand der einzelnen Krankenkassen; nur über die finanzielle Seiteder Sache werde Auskunft gegeben. Man könne aus den Zahlenauch nicht erfahren, wie es mit der Stetigkeit der Mitglieder beiden einzelnen Kassen sich verhält. Von den Ortskrankenkassenerfährt man nicht, wie viele sich thatsächlich auf einen Ort, wieviele sich aus mehrere Orte erstrecken: Bei den Jnnungskranken-lassen war der Eintritt lbs pCt., der Austritt 142 pCt.; es warenalso!>/- mal so viel Mitglieder ausgeschieden und eingetreten,als überhaupt vorhanden waren. Diese Dinge dürfen nicht mitStillschweigen übergangen werden. Ebenso müsse die wichtigeFrage der ärztlichen Behandlung der Mitglieder hier wieder berührt werden. Das Prinzip der freien Aerztewahl gewinne immermehr Anklang, eine tief gehende Bewegung im Lande habe diesesPrinzip für das beste erklärt. Dann klagt Redner über dieBenachtheiligung der freien Hilfskassen, welche diese sortgesetztden Zwaugskasse» gegenüber erfahren. obwohl Lichtund Schatten für beide Kategorien gleich vertheilt seinsollen. In einer Berliner Ortskrankenkasse sei den gesetz-lichen Bestimmungen entgegen kein Reservefonds angesammeltworden, jetzt brauche die Kasse eine Anleihe, und der Magistratbeantragt ohne weiteres die Genehmigung dieser Anleih«. Waswürde wohl geschehen sein, wenn eine freie Kasse keinen Reserve-fonds angesammelt und die Genehmigung einer Anleihe nach-gesucht hülle?Staatssekretär von Bötticher: Die von dem Borrednervermißten Angaben über die Distrikte der Orts-Krankenkassensind«m Zentralblatt für daS Deutsche Reich bereits gegeben, vorden. Die Austritts- und Eintrittsziffern für die Gesetzgebunguutzbar zu machen scheint mir nicht möglich. Wir haben schonjetzt mit außerordentlichen Schwierigkeilen zu kämpfen, um dieVerwalter und Rechnungsführer der Kaffen dahin zu bringen.daß sie willig und gern die erforderlichen statistischen Angabenmachen. Ich kann daher den Vorredner nur bitten, mit seinenAnregungen in dieser Hinsicht recht sparsam zu sein.Wir haben bei der Verwaltung immer den Standpunkt„cui bona?" eingenommen. ehe wir eine neue statistischeAufnahme ins Werk setzten. Dasselbe gilt von derNachforschung über die Zahl der Fälle, in denen die freieArztwahl angenommen ist, wie auch von der Nutzbarmachung derBetriebsergebnisse der Krankenkassen für die Frage des Gradesder Gesundheitsgefährlichkeit der einzelnen Betriebe. Die Notizbetreffend die Orts-Krankenkasse der Maurer ln Berlin kenne ichnicht näher; ich glaube, die Sache hängt so zusammen, daß dieKaffe ihren Verpflichtungen gegen die Mitglieder nicht nachge-kommen ist und zwar deswegen nicht, weil ein Theil der Unter-»ehmer die Beiträge nicht gezahlt hat.(Sehr richtig! links.)Wenn hier ein Darlehen bewilligt wird, so ist damit noch keineSubvention unter Umgehung des Gesetzes erfolgt. Gleiches Lichtund gleichen Schatten will ich auch heute noch für beide Artenvon Kaffen, freie und Zwangskassen.Abg. Schräder(dfr.): Die Aufsichtsbehörde wird zu prüfenhaben, ob der Magistrat in Berlin, der hier in Betracht kommt,dem Gesetze gemäß gehandelt hat. Herr von Bötticher ist da-gegen, daß zu große Anforderungen an die Geschäfts- und Rech-»ungsführer der Krankenkassen gestellt werden bezüglich statisti-scher Zusammenstellungen. Ganz einverstanden! Aber wir brauchendieses nothwendigste Material sehr nöthig, und die Leiftungs-fähigkeit der Persönlichkeiten ist doch im allgemeinen nicht zuunterschätzen. Man verfährt bei uns darin immer noch vielzu ängstlich. In England stehen aus dem Arbeiterstande hervor-gegangene Leute an der Spitze des babour Departement. DasVerfahren, solche dem Arbeiterstande angehörige Personen inautoritative Stellungen zu bringen, trägt unbedingt am meistendazu bei, das Vertrauen der Arbeiter zu der staatlichen Gesetz-gebung und ihren Organen zu erzeugen und zu fördern.Ich bitte daher im Punkte der Stastitik nicht nachzulassen undauch unsere Kommisston für Arbeilerstatistik immer mehr sichauswachsen zu lassen zu der ihr gebührenden Bedeutung für dieErmittelung der deutschen Arbeiter- und Arbeitsverhältnisse.Abg. Buhl(natl.) warnt vor Ueberlastung der ehrenamt-lichen Organe mit derartigen Arbeiten; man müsse sich viel-mehr auf diesem Gebiete der weitgehendsten Beschränkung befleißigen.Abg. Möller(natl.) schließt sich diesem Wunsch namentlichauch in Ansehung der Kommission für Arbeiterstatislik an.Die Wünsche des Herrn Hirsch, und namentlich des HerrnSchräder, setzten eine so vollständige, konzentrirte ge-werkschaktliche Organisation voraus, wie sie zwar England, abernicht Deutschland besitzt.Abg. Dr. Hirsch: Bei den Verwaltungsstellen mag ja eineUeberlastung vorhanden sein, bei den Arbeitern ist das nichtder Fall. Gewiß ist ein großer Theil des statistischen Apparatesüberflüssig, das gilt aber nur von den oberen Behörden, mitihrem vielen überflüssigen Schreibwerk. Herr Schräder will keineneue oberste Behörde für die Arbeiterverhältnisse haben; es würdegar keiner großen Anstrengungen bedürfen, um aus der Kom-Mission für Arbeiterstatistit ein reichsstatistisches Arbeitsamt alsAbtheilung des statistischen Amtes zu machen. Den von mirvorgelragenen Wünschen wird hoffentlich der StaatssekretärRechnung tragen. Wir haben es mit der Kranken-„ V e r s i ch e«r u n g" zu thun und diese setzt doch eine gewisse Stetigkeit vor-aus. Ein Arbeiter, der blos aus Wochen oder Monate gegenKrankheit versichert ist, fft kein versicherter Mann. Wenn dieAustritte und Eintritte die Zahl des Bestandes der Mitgliedereiner Kasse überragen, so ist das ein Zeichen dafür, daß das ganzeSystem der Krankenkassen krankt. Arbeitslose Perioden vonMonaten, von Bierteljahren kann man nicht mit dem Hinweisdarauf abthun, daß ja die freiwillige Weiterversicherung gegebenist; diese steht lediglich aus dem Papiere, die Möglichkeit derAusführung ist nicht vorhanden. WaS die freie Arztwahl anbetrifft, so darf doch nicht außer Acht gelassen werden, daß esauch eine innere Entwickeluna der Kaffen giebt und daß es fürdiese von höchster Wichtigkeit sein kann zu erfahren, welche Fort-schritte oder Rückschritte das Prinzip der freien Arztwahl inDeutschland gemacht hat.Das Kapitel wird bewilligt.Beim Kapitel„Normal-AichungSkommisston"bringtÄlbg. Goldschmidt(dfr.) eine Eingabe zur Sprache, welchedie Ausdehnung des Aichzwangs auf Bierfässer betrifft. DiePetition des Brauerbundes an den Reichskanzler schildert dieUebelstände des gegenwärtigen Zustandes, wonach geaichteFässer nicht vorgeschrieben sind. Dieser Mangel verursachtStreitigkeiten zwischen Brauern und Wirthen und übleKonkurrenzmanöver der Brauereien unter einander. DerAichzwang bestehe in Oesterreich seit langem zur Zwfriedenheit aller Betheiligten. Wenn die Brauer sich an dieReichsregierung wenden, verweist diese sie an die Einzelstaaten,diese dann an die Orlsbehörde und diese wieder an das Reichzurück. Ich bitte die Regierung um Berücksichtigung diesesWunsches der Brauer und um entsprechende Aenderung des s 12der Maß- und Gewichtsordnung.Staatssekretär von Bötticher: Der Reichstag hat seinerZeit den bezüglichen Vorschlag der Regierung mit großerMehrheit verworfen. Wir haben auS Anlaß der Petitton dieSachlage von neuem geprüft und auch die Rormal- Aichungs-kommission wird damit befaßt werden. Schwierigkeiten stehendieser Einführung des Aichzwanges nicht entgegen. Die Frageist also in Fluß, eine Entscheidung aber noch nicht getroffen.Das Kapitel wird bewilligt. Es folgt Kapitel 13„Reichs-Gesundheitsamt" 203 770 M.Auf eine Anfrage des Abg. L i n g« n S(Z.) betreffs derMassenbeerdigungcn aus Anlaß der Cholera in Hamburg stelltStaatssekretär von Bötticher ausführliche Auskunft inAussicht.Abg. Rösicke(wild) erkundigt sich nach dem Stande derFrage des Verbots der Surrogate zur Bierbcreitung. Die Frageist feit 1872 in Deutschland akut, seit nämlich das Reich auchvon dem Verbrauch der Biersurrogate seinen Tribut zieht. DasVerbrauchsquanttim ist sehr gering, aber den Brauern traut manseitdem nicht mehr so recht; man schob ihnen zu, den Hopfendurch Herbstzeitlose, durch Krähenaugen, ja selbst Weidenrinde,Wermuthkraut, Aloe, Belladonna, Quassia u. s. w. zu ersetzen.AlleS das sind Dinge, die die meisten Brauer nicht einmal demNamen nach kennen. I» dieser Richtung that sich besonders HerrAuer 1886 hervor. Inzwischen hat man wohl eingesehen, daß esmit diesen Surrogaten nicht so schlimm ist. Während aber früherdie Regierung erklärte, daß Verbot könne nur ausgeführt werdenmit einer Veränderung des Steuergesetzes selbst, hat jetzt Herrv. Maltzahn gesagt, wir wollen zwar die Steuer erhöhen, abernicht tiefer in die Produktionsverhältnisse eingreifen. Die Frageist um so mehr akut, als durch daS Reichsgericht Brauerwiederholt wegen Verbrauchs von Surrogaten bestraft wordensind, obwohl sie für diesen Surrogatenverbrauch besteuert werden.So gut wie Bayern ohne Surrogate auskommen kann, kann eSdas norddemfche Brauereigewerbe auf. Es hat zwar in denletzten Jahren in der Brousteuergemeinschaft eine gewisse Zu-nähme stattgefunden, aber der Verbrauch im Ganzen ist sehrmäßig. 175 000 Zentner Surrogate im Jahre 1891/92 oderIV« pCt. des MalzverbrauchS; und in der Hauptsache figurirenunter den Surrogaten Zucker und Reis. Neuerdings legt mansich darauf, Surrogate ausfindig zu machen, welche der Be-steuernng nicht unterliegen; so wird das Saccharin jetzt in allenTonarten angepriesen, und mancher Brauer kommt dadurch inVersuchung und Gefahr. Helfen können hier nur klare, un-zweifelhafte Vorschriften.Schatzselretär v. Maltzahn:_ Fast sämmtliche Stoffe, dieHerr Rösicke aufführte, sind nicht Malz-, sondern Hopfensurrogate.Von solchen spricht das Gesetz von 1872 überhaupt nicht. NurdaS Malz, nicht der Hopfen ist besteuert. Die Verwendung vonSurrogaten ist in Norddeutschland ganz verschwindend. DasVerbot der Surrogate ist aus dem Grunde, den Herr Rösickeschon angeführt hat, nicht in der Brausteuervorlage ausgenommenworden.Abg. Metzcr-Berlin(dfr.): Derjenige, welcher das Bestegenießt, soll demjenigen, der sich das Beste nicht gönnen kann.wenigstens das Gute gönnen und ihn nicht auf das Schlechtesteverweisen. Warum soll der, der reinen Wein und reines Biernicht bezahlen kann, rettungslos verurtheilt sein, Schnaps zutrinken? Ich spreche in keiner Weise pro domo, ich fühle aberals Abgeordneter die Verpflichtung, mich gewisser Interessen an-zunehmen, die hier im Hause keine Vertretung finden, aber einesolche verdienen. Ein Verbotsgesetz würde für eine Anzahl vonBrauereien, welche bisher ihren Erwerb ehrlich gemacht haben.ein Todesstoß fein. Ich bin vollständig mit dem Verbot der-jenigen Surrogat« einverstanden, welche einen gesundheitsgefähr-lichen Charakter haben. Die anderen unschädlichen werden schonmit Unrecht Surrogate genannt; es sind Rohstoffe, welche einerbesonderen Bearbettung unterworfen werden. Gewisse nord-deutsche Brauereien stellen ein obergähriges Bier her, welchesstark exportirt wird und dem unterjährigen Bier gar keine Konkurrenzmacht. Zu diesem muß Zucker verwendet werden, nicht Kartoffel-nicht Stärkezucker, sondern der Regel nach Rohrzucker. Zucker aberkann doch unmöglich als der Gesundheit nachtheilig dargestelltwerden. Ein Verbot der Surrogate müßte um der Gerechtigkeitwillen für die obergährigen Brauereien die Verwendung vonZucker nach wie vor zulassen. Es ist aber nur das Minimumdessen, was ich verlange. Ich ziehe reines Bier vor und fürchtesogar, daß meine Anhänglichkeit für dasselbe den zulässigen Gradüberstiegen hat.(Heiterkeit.) Das reine Malzbier ist aber theuer.Bier ist kein logische«, sondern ein historischer Begriff(Heiterkeit).Nicht von allem Anfang an hat das Dogma gegolten, daß dasBier aus Malz und Hopfen gebraut werden soll; wohl aber hatsich herausgestellt, daß auf diesem Wege das beste Bier hergestelltwerden kann. Die Technik wird aber fortschreiten, wie dieabsolute Vervollkommnungsfähigkeit der Menschen und der Brauerzu meinen Glaubenssätzen gehört.(Heilerkeit.) Man muß des-halb vermeiden, die Technik festzulegen. Das Verbot von Hopsen-surrogaten ist mir recht, aber warum die Verwendung von Reisund Zucker verbieten? Was Herr Rösicke als das Mindestefordert, will ich als das Höchste zugestehen.(Beifall links).Abg. Goldschmidt: Herr Rösicke hat schon angedeutet, daßes nicht in seiner Absicht liegt, die Surrogate für die ober-gärigen Exportbrauereien zu verbieten. Ich halte die Vorlagewegen der Brausteuer für gescheitert und lege also kein großesGewicht daraus, ob das Verbot der Surrogate darin steht odernicht. Vor einigen Jahren hat der Herr Schatzsekretär aber nochmitgetheilt, daß man in Preußen und im Reiche mit Erwägungenüber den Erlaß des Verbots beschäftigt sei, und Aehnliches hatteschon 1881 Herr v. Scholz erklärt. Was ein Verbot der Malz-surrogat« überhaupt mit der Steuererhöhung zu thun hat, ist mirunfaßbar. Die großen Brauereien haben kein Interesse am Ver-bot, vielmehr die mittleren und kleinen Brauereien. Weil einmaldie Surrogate in Norddeulschland quasi erlaubt, in Süddeutsch-land verboten sind, hat sich ein Mißtrauen gegen die nord-deutschen Brauereien herausgebildet. Es ist doch ein unhaltbarerZustand, daß die Surrogate versteuert werden und gleichwohlder Staatsanwalt auf grund des Nahrungsmittel- Gesetzes An«klage erheben kann. Die Regierung sollte doch endlich ihr alteSVersprechen einlösen.Staatssekretär von Maltzahn: Die verbündeten Regie«rungen haben kein Versprechen gemacht und können jetzt av.chnicht des Wortbruchs beschuldigt werden. Die Anträge derRegierung sind abgelehnt worden. Es ist auch keineswegs dasInteresse aller Brauereien, die Surrogate verboten zu wissen.Namentlich haben sich Bremer Brauereien obergärigen Export-bieres an uns in diesem Sinne gewendet. In der Kommisstonfür das Brausteuergesetz wird sich die Sache weiter erörternlassen.Abg. Möller: Für die Mehrzahl der Brauereien besteht derWunsch nach dem Verbot der Surrogate und zwar berechttgterWeise. Die Kleinbrauereien obergäriger Biere sollten in derSteuer ermäßigt werden.Staatssekretär von Maltzahn stellt fest, daß dem letzterenGedanken in der dem Reichstag gemachten Borlage auch Ausdruckgegeben ist.Abg. Röficke ist verwundert über die rührende Fürsorgede? Abg. Meyer für den Gebrauch von Surrogaten. HerrMeyer fei der Urheber des geflügelten Wortes:„Das Bier, dasnicht getrunken wird, hat seinen Beruf verfehlt!" Wenn erdurch Gesetz verurtheilt würde, Zeit seines Levens Surrogatbierzu trinken, würde er wohl anders über seine Anregung denken.Jedenfalls dürfe nur dasjenige Bier heißen, welches aus Malzund Hopfen erzeugt ist. Die deutschen Brauer würden also auchzufrieden sein, wenn alles das, was aus Surrogaten hergestellt»st, den Namen Bier nicht mehr führen dürfte.Abg. Fürst Hatzfeldt(Rp.) ist auch gegen ein Verbot derSurrogate, nur müsse man nach dem Vorgange bei der Kunst-butler auch dazu übergehen, die mit Hilfe von Surrogaten her-gestellten Biere mit besonderen Unterscheidungsnamen zu ver»sehen.Staatssekretär v. Bötticher: Ich nehme an, daß daS Be-dürfniß des Hauses, Bierreden zu hören(Heiterkeit) erschöpft ist,und kann dazu übergehen, die Frage des Abg. Lingens zu be-antworten. Es hat sich herausgestellt, daß der Cholerabazillusbei den Cholcraleichen in den Massengrabstätten sich nicht langehält und eine Ansteckungsgefahr hieraus also sich nicht ergiebt.Was den Milzbrand betrifft, so erhält sich da der krankyeits-erzeugende Keim zwar länger, aber es sind in dieser Beziehungvollständig genügend vorbeugende Maßregeln durch den Bundes-rath vorgeschrieben worden.Abg. Lingens(Z.): Ich freue mich zwar dieser Auskunft,bedauere aber um so mehr, daß Hamburg die Erlaubniß zurFeuerbestattung gegeben hat, ein Vorgang, der auf ein christ-ttches Gemüth nur verletzend wirken kann.(Widerspruch links.)Abg. Gottschmidt: Ich bin persönlich kein Freund derFeuerbestattung, sondern würde vorziehen, dereinst in kühlerErde zu ruhen. Die Frage ist aber eine sanitäre und hat mitChristenthum und christlichem Gefühl nichts zu thun. Die großenStädte hätten schon längst Krematorien bewilligt erhalten sollen,zumal es nur noch eine Frage der Zeit ist, daß sie die bisherigenKirchshofseinrichtungen aufgeben müssen. Ich bitte die Regierungsich bei dieser Frage von nicht in der Sache liegenden Neben-rücksichten nicht leiten zu lassen.Staatssekretär von Bötticher: Die Errichtung oder Ge-stattung von Krematorien ist nicht Reichssache; das Reich be-gräbt niemand, noch weniger aber verbrennt es ihn.(Heiterkeit.)Abg. Schröder(dfr.): In großen Städten wie Berlin mußzu den Kirchhöfen schon jetzt beinahe eine Reise angetretenwerden, und es wird die ärinere Bevölkerung durch Beerdigungs-kosten in einer Weise belastet, die geradezu den kirchlichen Jnter-essen widerspricht. Eine Reihe von Kirchenkassen ist ausschließlichin ihrer Existenz auf Beerdigungsgebühren von einer Höhe an-gewiesen, die sich mit den christlichen Interessen nicht mehr ver-trägt. In manchen Gemeinden ist die Sache bis zum öffent-lichen Skandal gediehen. Diese thatsächlichen Verhältnisse habennamentlich das Bedürfniß nach der Feuerbestattung hervor»gerufen. Das christliche Gefühl kann in dieser Beziehung sehrwohl gewahrt werden. Ich selbst habe einer solchen Zeremoniein Gotha beigewohnt und bezeuge, daß von der Feier dort einebenso würdiger und erhebender Eindruck als von den Beerdigungs-seiern zurückbleibt. Man soll diese Frage nicht mit kirchlichenund religiösen Rücksichten verquicken, es handelt sich um die Ent-wickelung einer Sitte, die von dem historifchen Gebrauch derVäter abweicht, aber durch bestimmte hervorgetretene Bedürfnisseunadweislich geworden ist.Der Präsident ermahnt die Redner, die Frage der Feuer-bestattung nicht weiter zu verfolgen, da es sich dabei nicht umeine Reichssache handle.Abg. Baumbach(dfr.): Ich kann dieser Mahnung nichtfolgen. Nach Artikel 4 Ziffer 15 der Reichsverfassung ist dasRetch zuständig für Maßregeln der Medizinal- und Veterinär-polizei. Die Seuche in Haniburg hat die Maßregel des Senatsdurchaus nothwendig gemacht. Ich bin kein Freund der kühlenErde, sondern würde die Verbrennung durchaus vorziehen undentsprechende Anordnungen treffen. Das religiöse Moment stelltHerr Lingens in den Vordergrund. Die Katholiken glauben, daßsie in diesem Leibe wieder auserstehen. In Danzig sind bei einemgroßen Brandunglück mehrere Feuerleute verunglückt, ihre Ueber-reste sind noch jetzt nicht gefunden. Kann dieser Umstandirgendwie darauf von Einfluß sein, daß die Auferstehung dieserarmen verunglückten Leute dadurch betroffen wird?(Zustimmung.)Es wird uns ja demnächst das Reichsseuchengesetz zugehen;ich muß dem Abg. Lingens den Schmerz bereiten, bei dieserGelegenheit einen Antrag aus Einführung der FakultativenFeuerbestattung einzubringen und hoste bestimmt aufseine Annahme. Die Art. wie auf den Kirchhöfen die Gebeineder Verstorbenen umherliegen, wie die Schädel hier und da aus-gehäuft, aus Etageren zusammengestellt werden, ist auch allesandere als erhebend.Abg. Frohme(Soz.): Es steht keineswegs wissenschaftlichfest, daß die Beerdigung der Leichen keine Gefahren für dieGesellschaft habe. Es giebt hervorragende Stimmen in der Wissen-schaft— und wir haben uns in Hamburg unter dem Eindruckder Choleraseuche eingehend damit beschäftigt— welche dasgenaue Gegentheil behaupten. Beispielsweise hat aus einemhygienischen Kongreß in London Henry Thomson die Erklärungabgegeben, die einzige Methode infektiöse Leichen wirk-lich unschädlich zu machen sei die Leichenverbrennung.Die Bakteriologen haben sich schon lange dafür aus-gesprochen, um der Verbreitung der Cholera zu steuern.Man sollte sich hüten, diese bedeutsame Frage unterBerufung auf die Religion abzuthun. Herr Lingens würdevielleicht anders reden, wenn er die schrecklichen Massen-beerdigungen von an der Cholera oder ähnlichen KrankheitenGestorbenen zu beobachten Gelegenheit gehabt hätte. Ob es demchristlichen Geist und dem Humanitätsgesühl mehr eiitspricht, diemenschlichen Leichen so schnell wie möglich einzuscharren oder siezu verbrennen, darüber dürfte die Entscheidung nichtschwer sein. Diese Frage gehört gewiß zur Kom-petenz des Reichs- Gesundheitsamts. den» dies hatdie Ausgabe, der öffentlichen Gesundheitspflege zu dienen.Die fakultative Feuerbestattung sollte durch Gesetz anerkannt