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Hus der Frauenbewegung. Die sozialdemokratischen Frauen Berlins nahmen am Dienstag Stellung zur Frauenkonferenz und zum Parteitage in Nürnberg . Die Versammlung, die im oberen Saale des.Klubhauses" in der Kommandantenstr. 72 tagte, hatte sich eine? außerordentlich zahlreichen Besuche» zu erfreuen. Die Tische mußten zum Teil entfernt werden, um Raum zu schaffen. Genossin Ottilie Baader als Rcferentin gab einleitend ihrer Freude Ausdruck über die ungewöhnlich starke Beteiligung, die ein gutes Zeichen sei für die fortschreitende EntWickelung der proletarischen Frauenbewegung. Die bevorstehende Frauenlonferenz werde einige Fragen von größter Bedeutung zu erledigen haben. Hinsichtlich de» Berichts der Zentralvertrauensperson möge auf die bereits erfolgte Veröffentlichung verwiesen werden. Nur sei festgestellt, daß viele Tausend Frauen mehr organisiert seien, als im Vorjahre. Die Frauenlonferenz werde sich mit der Neuorgani- fation befaffen. Die vereinbarten, durch die Presse schon veröffent- lichten Vorschläge dazu hätten in Berlin Anklang gefunden, und, soweit ihre Kenntnis reiche, sei man auch sonst in Deutschland mit dem Organisationsentwurf einverstanden, bis auf kleine Be- mängelungen. Zu dem Entwurf muffe sie aber doch einiges sagen. Er sehe die Verpflichtung vor, daß die Genossinnen der für ihren Ort bestehenden Parteiorganisation anzugehören hätten. Das sei ja selbstverständlich und in Berlin sei man ja schon dabei. Inner- halb dieser Organisation werde die politische Aufklärung der Frauen betrieben werden. Wenn die Genossinnen auch, wie ge- wünscht werde, die Lese« und DiSkussionSabende weiter führten, so werde cS innerhalb des Organisationsrahmens geschehen. Mit den Genoffen würde darüber beraten werden, wie es auszugestalten� sei. Die Frauen freuten sich, daß endlich die vcreinsrechtlichcn Zustände es gestatteten, mit den Genossen in derselben Organisation sein zu können. Die Arbeit sei für die Frauen jetzt eine leichtere ge- worden, und sie werde auch eine vollkommenere sein. Politische Sonderorganisationcn der Frauen dürften nicht bestehen. Aber sie hätten noch B i l d u n g s vereine. Deren Bestehen solle nach ocrn Entwurf davon abhängen, wie sich die Genossen und Ge- nossinnen am Orte dazu stellen. Der Berliner Frauen- und Mädchen-Bildungsverein bestehe ja vorläufig noch. Die Genossen hätten aber schon den Wunsch geäußert, daß der Verein aufzu- lösen wäre, wenn der Parteitag Bestimmungen für die weibliche Jugend schaffe, die dem Verein dies Gebiet entzögen. Das sei aber noch Zukunftsmusik. Sie denke, die Berliner Genossen würden, nachdem eine engere Fühlung eingetreten wäre, eS sich angelegen sein lassen, den Frauenbildungsverein mehr zu besuchen und sich über die große Bedeutung eines solchen B i l d u n g s- Vereins besser zu informieren. Neben der politischen Organi- sation könne auch ein derartiger Verein noch Großes wirken. Er erweitere und vertiefe die Bekanntschaft mit Kunst und Wissen- schaft und trage dazu bei, das Leben der proletarischen Frauen etwas schöner zu gestalten. Und eS sei ein Unterschied, ob man dort von der Kunst höre oder in bürgerlichen Veranstaltungen. Die Veranstallungen des Berliner BildungSvereins hätten schöne Er- folge schon erreicht. Beim Besuche von Kunstsammlungen usw. habe sich das gezeigt. Man sehe die Sachen mit ganz anderen Augen an, habe viel mehr Genuß und Freude daran. Der Verein könne allerdings nur mit Zustimmung der Genossen bestehen bleiben. Sie hoffe aber, daß die Genossen die Zustimmung geben würden. Die Festsetzung der Beiträge der Frauen in den politischen Organisationen sei»ach dem vereinbarten Entwurf den einzelnen Organisationen überlassen. Die Frauen seien nun der Meinung gewesen, daß sie wenigstens so k�>ch bemessen würden, daß die Agitation unter den Frauen davon betrieben werden könne. Die Frauen wollten gleichberechtigte Mitglieder sein, die auch ein Recht darauf hätten, daß für die Agitation unter den Frauen etwas geschehe. Sie wollten auch für die Partei etwas leisten. Darum habe man nicht, wie in Groß-Berlin beschlossen worden sei, nur 10 Pf. geben wollen, sondern gemeint, daß man sehr wohl 20 Pf. monatlich zahlen könne. lVielfachcS: Sehr richtig!) Die Frauen würden sich mit dem Beschlutz nicht zufrieden Sieben. Eine andere Generalversammlung könne ihn wieder um- toßen. Rednertn möchte die Genossinnen bitten, 20 Pf. weiter zu geben, und wenn das zweite Zehnpfennigstück auf Listen gegeben werden solle, deren Ertrag man dem Parteikassierer Gerisch ab- liefere. Wir wollen uns nicht sagen lassen, daß wir nur geduldet seien, wozu ein zu geringer Beitrag leicht verleiten kann. Manche sagten, der Mann würde doppelt belastet sein, wo die Frau nichts verdiene. Nun: leiste denn die Frau, welche nicht industriell arbeite, nicht genug Arbeit im Haushalt, und zwar vollwertige Arbeit! Verdiene da nicht die Frau ihr redlich Teil, auch wenn es ihr nicht in klingender Münze vergolten werde? Selbst aus den ärmsten Gegenden Deutschlands hätten Frauen sie gebeten, kür einen Beitrag von 20 Pf. einzutreten. Sie glaube, daß die Frauen auf ihrer Konferenz ruhig aussprechen könnten, daß sie bereit seien, 20 Pf. zu zahlen. fZustimmung.) Rednerin ließ sich dann zu dem Passus im bisherigen Parteistatut aus, wonach die Frauen in eigenen Versammlungen Delegierte wählen könnten, wenn solche nicht gemeinsam mit den Männern gewählt würden, und legte dar, daß diese Bestimmung unter den neuen Verhältnissen für die Frauen keinen großen Wert mehr haben werde. Von einem Kreise sei beantragt, diesen Passus zu streichen. Dann müßte aber auch eine andere Form der Wahl eingeführt werden. Der ebenfalls gestellte Antrag, eine proportionale Vertretung nach der Zahl der organisierten Kreismitglieder für die Parteitage einzuführen, könnte vielleicht ein Wege werden, die Frauen zu beteiligen. Mitteilen möchte sie, daß schon diesmal insgesamt sieben Frauen von Genossen und Genossinnen gemeinsam als Delegierte gewählt seien.(Lübeck , Hamburg , Augsburg , München usw.). In Berlin werde es auch wohl in Zukunft geschehen; die Genossinnen würden ja ihre Rechte geltend machen. Durch die Entrechtung der Jugend bis zum 13. Jahr ließen wir uns nicht abhalten, die Jugend aufzuklären, so wie es nötig sei. Es komme nicht bloß auf die Organisation an. Entscheidend sei, daß die Erziehung im Hause richtig beginne. Gut aufgeklärte Mütter mühten wir haben, die den Geist des KindeS zu bilden fähig seien. Aber nicht nur die Mütter, sondern alle Frauen, die Gelegenheit hätten, sollten bereit sein, den Samen des Guten in das Kinderherz zu pflanzen. Darum habe man es für so wichtig gehalten, die Jugenderziehung auf die Tagesordnung der Konferenz zu fetzen. Die Genossinnen Dunker und Zetkin würden darüber referieren. . Der Parteitag sei gleichfalls von größtem Interesse. Die Frage der Frauenorganisation werde auch er behandeln. Für ihn gelte dasselbe, was dazu schon gesagt sei. Heber die Frage der Jugendorganisation werde eS vermutlich zu Auseinandersetzungen kommen. Aus den Vorschlägen, vereinbart zwischen Partcivorstand und Generalkommission, gehe im Gegensatz zu früheren Partei- tagSbeschlüssen der Wunsch herbor, besondere Jugendorganisationen nicht zu haben. Sie hoffe, daß der Parteitag das Richtige treffen werde. Von höchster Wichtigkeit sei die Frage der Maifeier. Alle Anwesenden seien wohl mit ihr der Meinung, daß die Teil- nähme an der Maifeier nicht etwa lässiger werden dürfe, sondern daß immer energischer die Arbeitsruhc zum Durchbruch komme. Zum Schluß rügte die Rednerin die disziplinwidrigen Budget- bewilligungcn in Süddeutschland . Sie widersprächen dem Stand­punkt der Sozialdemokratie. Das Referat fand lebhaften Beifall. Genossin Fahrenwald stellte sich bezüglich der Beitrags- leistungen der Frauen auf denselben Standpunkt wie die Rc- ferentin und schlug vor, die zweiten 10 Pf. auf Beitragskarten als freiwillige Beiträge weiterzuzahlen. Lebhaft trat sie für-die Er- Haltung des Frauen- und Mädchenbildungsvereins ein. Um ihn hätten sich die Genossen noch viel zu wenig gekümmert. Wenn die Genossinnen ihre Pflicht erfüllen und der BildungSverein der Partei keine Schwierigkeiten und keine Gcldkosten mache, dann könnten die Genossen seine Auflösung nicht verlangen. Genossin Z e p l e r wünscht im Namen der Genossinnen, namentlich im Namen des FrauenbildungSverinS, daß die Dele­giertinnen für feine Erhaltung eintreten. Die männlichen Ge- nossen, die jetzt ohne nähere Motivierung den von Genossin Baader erwähnten Wunsch ausgesprochen hätten, hätten sich leider herzlich wenig um den Verein gekümmert. Die Generalversammlung des Frauenbildungsvereins habe nch einstimmig für sein Bestehen ausgesprochen. Der Verein sei die Stätte und könne auch die Stätte bleiben, in der geistige Vorbildung speziell der Arbeiter- frauen soweit betrieben werde, daß die Mitarbeit in den Politischen Organisationen gerade von den Frauen nicht bloß dem Namen nach, sondern auch fruchtbar und ebenso kräftig erfolgen könne, wie die der männlichen Genossen. Denn um die Arbeit fruchtbar zu gestalten und die Möglichkeit für die Frauen zu schaffen, daß sie wie die Männer wirken, müssen sie geistig ebenso geschult sein wie die Männer. Das geschehe aber durch den Verein. Genossin Wengeis: Was die Genossin Zepler angeregt habe, sei ja der Wunsch aller. Es sei aber nicht möglich, auf der Frauenkonferenz dafür einzutreten, daß der Berliner Verein bestehen bleibe. Man könnte dagegen vielleicht allgemein durch eine Resolution beantragen, dag die gut geleiteten deutschen Frauenbildungsvereine bestehen bleiben. Die Frage des Fort- bestandeS des Berliner Vereins könne nur Berlin regeln. Aber wenn die Konferenz und der Parteitag eine solche allgemeine Re. solution annähmen, würden die Genossinnen den Berliner Verein halten können. Sie sei übrigens der Meinung, daß trotz jenes von den Genossen ausgesprochenen Wunsches der Berliner Frauen- und Mädchenbildungsverein erhalten bleiben werde. Ein Wunsch sei noch kein Beschlutz. Wenn die Frauen ihren BildungSverein auflösen müßten, dann dürften sie za auch beantragen, daß alle Diskutier- und Leseklubs der Männer aufzulösen seien.(Sehr richtig.) Betrefss der Zahlung eines zweiten Zehnpfennig. beitrages möchte Rednerin vorschlagen, daß die Genossinnen von dem Bezirksführer, wo sie die Beiträge bezahlen, zwei Marken eingeklebt verlangen, von denen die eine als freiwillig gelte. Genossin Lose schloß sich der Vorrednerin an. Als D e l e g i e r t i n n e n zur Frauenkonferenz und zum Parteitage wurden gewählt für den 1. und 3. Kreis Genossin Steinkopf, für den 2. und b. Kreis Genossin Nürnberg . für den 4. Kreis Genossin W e n g e l S und für den 0. Kreis Ge- nossin Matschte. Außerdem erhielt Genossin Ottilie Baader ein Mandat für Berlin allgemein. Tie Kreisversammlnng der Frauen des Wahlkreises Teltow- BccSkow-Storkow-Charlottenburg fand am Dienstag im Wilhelmsgarten zu Tempelhof unter zahl- reicher Beteiligung statt. Das Referat über die Frauenkonferenz und den Parteitag hielt Genosse MaxGrunwald. Es wird daS letzte Mal sein, so führte er aus, daß die Genossinnen genötigt sind, neben dem Parteitag zu einer besonderen Frauenlonferenz zusammenzutreten. Denn jener Zustand, der eine getrennte Orga- nisation notwendig machte, ist ja durch das ReichSvereinSgesetz ge- fallen, und da unser Programm in der politischen Betätigung keinen Unterschied der Geschlechter kennt, ist die gemeinsame Orga- nisation für uns etwas Selbstverständliches. Die Frauen werden ein kräftiges, belebendes Element in unseren Organisationen bil- den, und zweifellos wird ein Wetteifer der Frauen mit den Män- nern platzgreifen, der beiden Teilen zum Vorteil gereicht. Es werden aber nicht nur die Frauen, sondern auch die Jugendlichen, die männlichen wie die tveiblichen, immer mehr in den ökonomischen Prozeß hineingezogen, und darum sehen wir auch ein gewaltiges Wachstum der Jugendorganisation. Da daS Reichsvereinsgesetz den Jugendlichen das politische Organisationsrecht dort, wo sie es bisher hatten, nimmt, haben sich Parteivorstand und Generalkom- Mission bekanntlich für eine Art loser Verbindung ausgesprochen, die unter einer Art Oberaufsicht der Erwachsenen stehen soll. Gegenüber der eigentümlichen Auslegung, die diese Vorschläge auf dem Gewerkschaftskongreß in Hamburg gefunden haben, bedeutet nun die Resolution, die der Parteivorstand dem Parteitag vor- schlägt, einen wesentlichen Fortschritt, da in den Worten..auch ohne besondere Jugendorganisation" der Sinn liegt, daß, wo selbständige Jugendorganisationen bestehen, man sie auch bestehen lassen will. Für die weibliche Jugendorganisation ist nun noch die Sonder« frage aufgeworfen, ob sie mit der männlichen gemeinsam sein soll. Da aber unser Parteiprogramm schon die gemeinsame Erziehung der Jugend beiderlei Geschlechts fordert ein Standpunkt, der auch von allen bürgerlichen einsichtigen Pädagogen eingenommen wird so sollte grundsätzlich kein Zweifel mehr darüber bestehen, daß die weiblichen Jugendlichen genau so zu behandeln sind wie die männlichen. Die Neuorganisation des weiblichen Proletariats und der Jugendlichen sind die beiden wichtigsten Fragen, die die Frauenkonferenz und auch den Parteitag beschäftigen werden, der ja freilich noch weit mehr Beratungsstoffe hat. Es ist wohl kein Zweifel, daß der Parteitag die Vorschläge der ja vorher tagenden Frauenkonferenz über die gemeinsame Organisation der Partei unterschreiben wird. ES ist ja selbstverstänolich, daß den Frauen dabei keine Sonderrechte vor den Männern eingeräumt werden können, doch muh vielleicht den Männern hier und da recht kräftig in» Gewissen geredet werden, daß sie den Frauen auch die gleichen Rechte gelvähren. Es ist bei manchem noch ein Rest von der bürgerlichen Auffassung, daß der Mann der von Natur zum Herrn bestimmte Teil sei, vorhanden, und es gibt Männer. die, weil sie aus begreiflichen Gründen nicht die absoluten Herren im Hause sein können, innerhalb der Organisation die Herren spielen möchten. Dagegen gibt es aber ein einfaches Mittel, näm- lich das, daß die Frauen in der Organisation kräftig mitwirken, zeigen was sie können und auf Grund dessen ihre Rechte fordern. Dann ist nicht daran zu zweifeln, daß die Genossinnen sich leicht den Platz erobern, der ihnen zukonimt. Eine weitere Frage ist die der Beiträge der weiblichen Mitglieder, und hier mldet die Entscheidung der Generalverfammlung von Groß-Berlin gerade kein Ruhmesblatt. Begreiflich ist eS ja in der Zeit der Krise, wenn man die Beiträge so niedrig wie möglich setzen will. Aber es hat sich doch gezeigt, daß die Frauen, wo sie organisiert sind, schon ganz bedeutende Mittel aufgebracht haben. Persönlich fei Redner der Ansicht, daß für Berlin der Beitrag von 20 Pf. den Monat wohl aufgebracht werden kann. Im weiteren Verlauf seines Vortrage» ging Redner nament- lich auf die Budgetbewilligungsfrage ein und äußerte sich hierzu im selben Sinne wie in der Generalversammlung von Groß-Berlm, daß, wer ernsthaft den Klassenstaat bekämpft, auch in erster Linie das Budget bekämpfen und dafür stimmen muß, daß dem Klassen» staat da» Fundament seiner Existenz entzogen wird. An den Vortrag, der lebhaften Beifall fand, schloß sich eine kurze, anregende Diskussion. Genossin Mohr-Rixdorf bemerkte, daß manche Frauen nicht zum Zahlabcnd gehen möchten,weil zu viel Männer da seien", und ermunterte die Genossinnen, diese un. begründete Zaghaftigkeit abzulegen. Die Rednerin führte weiter aus, daß es von einer recht bedauerlichen Kurzsichtigkeit der Männer zeuge, daß die Mehrheit auf der Generalversammlung am Sonntag sich für den 10 Pf.-Beitrag entschied. Darin liege ge- wissermaßen eine Zurücksetzung der Genossinnen. Nun werde man, wenn in Zukunft die Frauen mehr Agitation verlangen, sagen können:Ihr bringt uns ja nichts ein. Genossin B ä u m l e r- Schönebera erinnerte an die unermüd- liche Agitationsarbeit, die die Organisation der Frauen im Kreise Teltow -BecSkow groß und stark gemacht hat, daß die tätigen Ge- nossinnen nicht Wind und Wetter noch lange Wege scheuten, um auch im äußersten Winket des Kreises Kämpferinnen zu gewinnen. Leider gäbe es innerhalb der Partei noch solche Männer, die sagten, sie wollten keine Frauen im Vorstand hohen. Aber das werde sich ändern. Wir wollen weiter kämpfen, gemeinsam mit den Männern. Genosse Zander weist darauf hin, daß die Frauen ebensogut wie die Männer an den Zahlabenden der Partei teilnehmen sollen und müssen, und daß, wo Familienrücksichten eS erfordern, sich Frau und Mann sehr wohl abwechseln können. Genossin Thiel, die Kreisvertrauensperson, bemerkt, daß auch sie leider die Erfahrung gemacht habe, daß man den Frauen un- gern die gleichen Rechte gewähren möchte. Habe man doch hier m Tempelhof beschlossen, sie, die Vertrauensperson der Genossinnen, nicht mehr zu den Sitzungen zu laden. Aber dieser törichte Be. schluß werde sicherlich ebenso schnell wieder aufgehoben werden, wie er gefaßt wurde. Bedauerlich sei eS auch, daß die Genossen Groß» Berlins , die in den vordersten Reihen stehen, zu der Ansicht kamen, es wäre den Genossinnen nicht möglich, den Beitrag von 20 Pf. aufzubringen. In unserem Kreise haben sich die 8000 organisierten Genossinnen alle für diesen Beitrag ausgesprochen, und selbst in den entferntesten Orten der Provinz ist man dafür. Gewiß wird der Zustand, der durch den Beschluß geschaffen wurde, nicht lange dauern. Die Rednerin führte ferner aus, daß cS vor allem auch Pflicht der Genossen ist, dafür zu sorgen, daß ihre Frauen die Zahlabende auch besuchen. Hierauf wählte die Versammlung als Delegierte zur Frauen- konfercnz Frau T i n i u S. die Vertraucnsperson von Köpenick , und als Delegierte zur Provinzialkonfcrenz Frau Thiel. Zum Schluß wies die Genossin Thiel darauf hin, daß dies die letzte Kreisversammlung der Frauenorganisation von Teltow - BeeSkow war. Die erste KrciSversammlung fand vor neun Jahren statt. Eifrig und einmütig haben die Vertraucnspersoncn seitdem zusammengearbeitet, manche Belästigung durch die Polizei zu er- tragen gehabt. Verschiedene Prozesse mußten geführt werden, aber sie sind immer zu unseren Gunsten ausgefallen. Wenn wir nun unsere Tätigkeit in der alten Forin aufgeben, werden wir keines- Wegs die Hände in den Schoß legen, sonocrn vielmehr mit neuer Kraft weiterarbeiten, im Dienste der Partei und der ganzen Menschheit. Oendrts-Reitling. Des Pastors Klage. Nicht nur die mecklenburgischen Junker scheinen der Ansicht zu sein, daß in ihrer gesegneten Heimat die Leibeigenschaft noch bestehe, es gibt auch mecklenburgische P a st o r e n, deren Handeln man sich nicht anders erklären kann, als daß sie in diesem Punkte die junkerliche Auffassung teilen. In dem in der Nähe von Wismar gelegenen Orte Zurow waltet der Pastor Lange seines christ- lichen Amtes. Dieser Herr scheint seinem Herrn und Meister die Rache nicht überlassen zu wollen, denn er beantragte bei dem ritterschaftlichen Polizeiamte in Wismar eine Bestrafung seines Ikjährigen Knechtes, weil dieser einen Urlaub, den er sich wegen einer Festlichkeit für die Nacht hatte erteilen lassen, um zwei Stunden überschritten hatte. Die genannte Behörde, auch eine mecklenburgische Spezialität, entsprach denn auch dem Antrage des christlichen Herrn und verhängte über denVerbrecher" 6- M. Geldstrafe cventl. 2 Tage Haft. Durch Vermittelung des mecklenburgischen Arbeitersekretariats beantragte der Knecht jedoch gerichtliche Entscheidung. Am Montag war vor dem Wismarschen Amtsgericht Verhandlung. Der Paswr fungierte als Belastungs- zeuge. Der EotteSmann klagte in pastoralem Pathos über die Not der Dienstherren auf dem Lande, unter welcher auch er zu leiden habe. Er könne sich zwar über den Angeklagten sonst nicht beschweren, er habe ihn schon 2lh Jahre im Dienst, nichtsdesto- weniger aber fange auch dieser Knecht in letzter Zeit an, gelernt- lich aufsässig zu werden. Es sei ein schlimmes Zeichen, daß dieser in der fraglichen Nacht nicht nach Hause gekommen sei. Die letztere Behauptung mutzte der Herr Pastor aber wiederrufen, weil festgestellt wurde, daß der Knecht nicht die ganze Nacht, sondern nur zwei Stunden über den Urlaub ausgeblieben war. In einem noch bedenklicheren Lichte erschien der Herr Pfarrer, als er im Laufe der Verhandlung weiter zugeben mußte, daß er dem Knecht gegenüber wiederholt die Prügelstrafe zur Anwendung ge- bracht habe. Diese Handlungsweise entschuldigte der Herr Gottes- streiter mitpädagogischen Rücksichten. Auch will er von der Mutter des Knechts zu dieser.pädagogischen" Methode er- mächtigt sein. Der Vorsitzende meint, man könne wohl die Sache milder an- sehen. Nach den in An>oendun<z kommenden Bestimmungen müsse oaS Gerichtaber wohl" zu einer Verurteilung kommen, wenn der Strafantrag nicht zurückgezogen werde. Der Diener der Religion der Liebe gab dlesem Vorschlag des weltlichen Richters keine Folge und das Gericht der- urteilte den Angeklagten zu einer Mark Geldstrafe. Der entlassene Liebhaber. Eine Eifersuchtsszene lag einer Anklage wegen Körperverletzung mittels gefährlichen Werkzeuges zugrunde, welche den Tischler Juglvmir P e j i t s ch aus Serbien vor das Schöffengericht Berlin- Mitte führte. Der Angcklemte kam vor mehreren Jahren aus seiner serbischen Heimat nach Berlin , um hier als Tischler zu ar- betten. Vor etwa einem Jahre lernte er die Arbeiterin Olga Th. kennen, die sich sofort in ihn verliebte und auch bereit war, ihm in seine ferne Heimat zu folgen. ES kam auch eine Verlobung zu- stände, die ober nicht sehr lange währte. Fräulein Olga beschwerte sich über eine zu schlechte Behandlung seitens ihres Bräutigams, Ivahrend dieser wiederum behauptete, daß eS die AuSerwählte seines Herzens mit der Liebe nicht allzu genau genommen habe. In den beiderseitigen Beziehungen trat eine merklich« Abkühlung em, die schließlich zu einer Auflösung der Verlobung führte. Das junge Mädchen wurde nun von ihrem eisersüchtigen Exlicbhaber auf Schritt und Tritt verfolgt und war schließlich seines Lebens nicht mehr sicher. Am IS. Juli erschien er unter dem Vorwande, einen Hausschlüssel abgeben zu wollen, den er noch im Besitze hatte, in der Wohnung seiner ehemaligen Braut, und stieß nach einer kurzen AuS- spräche eine abgeschliffene Dreikantfeile dem Mädchen mitten in die Brust. Auf den gellenden Aufschrei der Getroffenen eilte die Mutter hinzu. Der vor eifersüchtiger Wut tobsüchtige Serbe schlug auch auf die alte Frau ein, bis sie zu Boden sank. Ohne sich um seine Opfer zu bekümmern, lief P. dann auf die Straße. Nach stundenlangem, ziellosen Umherirren stellte er sich schließlich frei- willig der Polizei. Vor Gericht begutachtete der praktische Arzt Dr. Gottheimer von der Ortskrankenkasse, welcher der Angeklagte angehört, daß dieser ein schiverer Neurasthcniker sei, welcher, Haupt- sächlich unter dem Einfluß des Alkohols, leicht zu Affekthandlungen neige, bei welchen die freie Willensbestienmung ganz erheblich beein. trächtigt sei. Das Gericht erkannte unter diesen Umständen nur auf 2 Monate und 2 Wochen Gefängnis, rechnete dem Angeklagten auch noch 2 Monate der Untersuchungshaft auf die Strafe als verbüßt an._ 60 bis 60 Kilometer in der Stunde. Der Ingenieur Zechlin aus Charlottenburg , gerichtlicher Sach- verständiger auf dem Gebiete des Automobilismus, war in zweiter Instanz zu einer Geldstrafe von 20 M. verurteilt worden, weil er den Z 18 der Verordnung des Oberpräsidenten der Provinz Brandenburg vom 26. November 1906 übertreten habe, worin e» heißt:Bemerkt der Führer eines Kraftwagens, daß ein Pferd oder ein anderes Tier vor dem Kraftwagen scheut oder sonst durch Vorbei- ahren Menschen oder Tiere rn Gefahr gebracht werden, so hat er ?ie Fahrgeschwindigkeit zu ermäßigen oder anzuhalten und den Motor außer Kraft zu setzen." Der Tatbestand war der: Als An- geklagter mit seinem Automobil 60 bis 60 Kilometerinder Stunde machte, kam ihm auf der Müncheberg -Heincrsdorfer Chaussee ein einspänniges Fuhrwerk entgegen. In einer Entfer- nnng von etwa 100 Metern wurde das Pfevd unruhig, kam dann aber wieder zur Ruhe. Als die Gefährte sich bis auf 80 Metex nahegekommen waren, cmnäßigte Z. die Geschwindigkeit und fuhr, da er das Pferd unruhig werden sah, soweit nach rechts, als eS ihm möglich lvar. Das Pferd sprang aber«Sich nach der Seite hin. über. Zechlin sah ein, daß ein Anhalten nicht möglich sei, und daß er andererseits den Wagen umrennen müsse, wenn er nicht die größte Geschwindigkeit einlegte, um gerade noch an dem Wagen vorbeizukommen, eventuell unter Ueberrennen des nach seiner Seite drängenden Pferdes. Das tat er auch. Das Pferd wurde über- iahren und niußte bald getötet werden, sonst aber wurde niemand verletzt. Das Landgericht begründete die Verurteilung auf Grund des§ 13 der Kraftwagenvcrordnung so: Der Angeklagte behaupte allerdings, daß er da» erste Scheuen des Pfdrdes in 100 Meter Entfernung nicht gesehen habe. Indessen er habe den Wagen gesehen. Als Automobilbesitzer habe er wissen müssen, daß