Nr. 218. 25. IahkMg. 5 JcilMf Ks Jimirts" Minn Mslilolt. Donittlslag, 17. Zeptelttber 1908. parte!- Hngelcgenbeiten. Achtuilg! Schiffer-Versammluug. Am Sonnabend, den 19. September, abends 8 Uhr, findet im Lokal von Keller, Köpenicker Str. W/97, eine Schiffer-Versammlung statt. Re- ferent ist Schriftsteller Max Schütte über das Thema:„Die Entstehung der Religio n". Die Genossen, welche die Verteilung der Handzettel über- Nammen haben, wollen sich am Freitagabend frühzeitig in den bekannten Lokalen einfinden. Die Genossen des 6. Kreises (4. Abteilung) treffen sich in der Zeitungsspedition von Raschle, Ackerstr. 36(Ecke Llnklamer Straffe). Zur Loknlliste. In diesem Monat hat wiederum die Saison der Vereinsveranstaltungen, als da sind: Stiftungsfeste,. Rekruten- abschiedsfeiern usw., begonnen. Bestimnite Vereine sind eifrig be- mähr, in Fabriken, Werkstätten, überhaupt aus allen Arbeitsstätten möglichst viel Billetts umzusetzen. Wir ersuchen daher, in jedem einzelnen Falle an der Hand der Lokalliste genau zu prüfen, w o diese Veranstaltungen stattfinden, und überall dort, wo gesperrte Lokale in Frage kommen, dem Billetrvertrieb entschieden entgegenzutreten. Selbstverständlich ist, daß organisierte Parteigenossen sich unter keinen Umständen an Vergnügungen in gesperrten Lokalen beteiligen dürfen. Folgende Vereine veranstalten in gesperrten Lokalen Vergnügungen: Am 19. d. lvits. in Mnricndorf die„Freiwillige Feuerwehr der Gasanstalt Riariendors" dortselbst im Lokal von Herold, Chausseesirafie; ebenfalls am 19. d. Mts. der Lotterieverein„Kneif den Daumen' im Lokal „Patrizier-Festsäle', Schönhauser Allee 4, eine„Rekruten- A b s ch i e ds s e l er: am 2g. d. Mis. veranstaltet in Lichtenrade der Inhaber des«W aldrestaurants", Herr Hermann Gundlach, ebenfalls eine„Rekruten-AbschiedSseier". Für die or- ganisierten Parteigenossen bemerken wir, daß der Besuch obiger Veranstaltungen die eventuellen Folgen eines Boykottbruches nach sich zieht. Treptow - Baumschnlcnweg. Heute DonnerStag, abends 8'/z Uhr, findet im Lokale von Krause in Baumschulenweg , Kiefholz- straffe, eine Frauenversammlung statt. Tagesordnung: 1. Vortrag des Genossen Fendel über„Die Frau im Kamps". 2. Diskusston. 3. Wichtige Vereinsangelegenheiten. Der Vorstand. Reinickcndorf-Ost. Heute abend 8 Uhr findet im Restaurant Gründer, H o p p e st r a ff e 24 der in voriger Woche ausgefallene Leseabend des Wahlvereins(gemeinschaftlich für die weiblichen und männlichen Mitglieder) statt. Oranienburg . Die nächste Wahlvereinsversammlung am 20. September findet nicht im Lokal von Braun, sondern bei Schumann, Schützenstr. 84 statt. Die Genossen werden ersucht, nicht nur selbst zu erscheinen, sondern auch ihre Frauen mitzubringen. Der Vorstand. FriedrichIhagen. Sonntag, den 20., vormittags 8 Uhr, findet nochmals eine Flugblattverbreitung behufs Sammlung von Abon- nenten für die neu zu errichtende Partcispedition von den bekannten Bezirkslokalen aus statt. Wir bitten dringend, Mann für Mann zu erscheinen, da die für den vergangenen Sonntag angesetzte Ver- breitung wegen mangelnder Beteiligung nicht durchgeführt werden konnte. Die Zeiwngslommisfion. ganz Lehre Berliner IMacbrlcbten. ArbeitSwilligkeit im Krankenhause. Ob in Krankenhäusern die Patienten zu irgendwelchen Arbeiten genötigt werden können, darüber kommt eS zwischen Patienten und Pflegepersonal oft zu Streitigkeiten. Zur Arbeit zwingen kann man die Insassen eines Krankenhauses natürlich nicht; auch würde die Weigerung, zu arbeiten, ihnen nicht(wie das in Erholungs- und Genesungsheimen geschieht) als Verstoß gegen die Hausordnung an- gerechnet und mit Ausweisung aus der Anstalt geahndet werden. Es wird aber doch auf die Kranken ein mehr oder minder sanfter Druck ausgeübt, um allerlei Handreichungen und Hilfeleistungen von ihnen zu erlangen. Nun ist im Prinzip wohl nicht viel dagegen zu sagen, daß man in Krankenhäusern den Patienten die Möglichkeit gibt, sich irgendwie zu betätigen. Vielen Patienten ist durchaus damit gedient, wenn sie in der Rekonvaleszenz nicht zur Untätigkeit verurteilt bleiben. Bei manchen wird es sogar sehr nötig sein, daß fie noch im Kranken- hause sich wieder etwas Bewegung machen. Bedenklich ist bei einer Beschäftigung von Patienten im Krankenhausbetrieb nur das, daß da dem Mißbrauch Tor und Tür geöffnet wird. Wenn das Pflege- personal so mit Arbeiten überbürdet wird, daß es auch wichtige Handreichungen, die nur fachmäßig ausgebildeten Personen über- tragen werden sollten, auf rekonvaleszcnte Patienten abwälzen muß, dann wird das bißchen Gewinn, das der sich betätigende Patient vielleicht davon hat, zchnsach und hundertfach aufgewogen durch den Schaden, den das anderen Patienten bringen kann. Es gibt Patienten, die im Krankenhause jede Arbeitsleistung Verweigern. Forscht man nach dem Grunde dieses sehr nach Un- gefälligkeit aussehenden Vorhaltens, so zeigt sich oft, daß nur die Form, in der die Aufforderung zur Arbeit erging, den Patienten verschnupft hat.„Sie, Müller, kommen sie mal her, Sie können hier den Staub von den Röhren wischen I" So ungefähr muß sich ein vierzig- oder fünfzigjähriger Mann von einer Pflegeschwester, die im Anfange der zwanziger Jahre steht, kommandieren lassen. Aber das kann ihm selbstverständlich mir dann pasfieren, wenn er Arbeiter ist oder sonstwie zum„niederen Volk" gehört. Patienten, die„so'n bißchen was sind", werden in höflichcrem Tone angeredet und sogar„Herr" tituliert. Auch sind s i e sicher davor, überhaupt jemals zur Arbeit kommandiert zu werden. Arbeit ist das Vorrecht derjenigen, die dem Pflegepersonal nur„Sie, Müller I" heißen. Die Unterscheidung, die da zwischen Patienten und Patienten gemacht wird, ist natürlich nicht geeignet. denen die Arbeitsfreudigkeit zu steigern, bei denen man sie im Krankenhanse als„selbstverständlich" voraussetzt. Den Krankenhäusern fehlt es aber nicht an Mitteln, arbert- verweigerndePatienten arbeitswillig zu machen. Eines dieser Mittel ist die Kostschmälcrung. Das Wort klingt zwar ein wenig nach Gefängnis, aber wir finden kein anderes, um die Sache annähernd richtig zu bezeichnen. Es ist ein offenes Ge- heimnis, daß in Krankenhäusern diejenigen, die sich nützlich zu machen verstehen, bei der Verteilung von Speise und Trank auf mancherlei Bevorzugung rechnen dürfen. Man sagt sogar, daß die Bevorzugung offiziell geduldet werde und angeordnet sei. Begründen läßt sie sich wohl schwerlich damit, daß man arbeitenden Patienten auch eine besonders kräftige Kost reichen nrüsse; denn eine wirklich anstrengende Arbeit wird doch hoffentlich keinem Patienten zugemutet werden. Es handelt sich um nichts anderes, als um ekne Ver« günstigung, die von arbeitenden Patienten als Dank für geleistete Arbeit aufgefaßt wird. Anderen Patienten, denen solche Vergünsti- gung nicht zu teil wird, kann man's nicht verdenken, daß sie sich be- nachteiligt vorkommen. Wenn sie sehen müssen, daß Speise und Trank nicht lediglich nach Bedürfnis verteilt werden, sondern auch Willkür dabei mitspricht, so muß daS erbitternd wirken. Von der Bevorzugung bei Arbeitswilligkeit bis zur direkten Kostschmälcrung wegen Arbeitsverweigerung ist nur ein kleiner Schritt. Ein Fall von Kostschmälcrung aus diesem Grunde, von Kostschmälcrung im vollen Sinne des Worjes, wird uns aus dem in letzter Zeit so viel genannten V i r ch o w- Krankenhause bekannt. In Haus XV hatte ein Patient S., der an Rheumatismus litt, Binden wickeln sollen.„Ich bin doch nicht zum Arbeiten ins Krankenhaus gegangen," antwortete er der Schwester Marie. Am anderen Tage wurden bei der Schrippen- Verteilung ihm nur zwei Schrippen überreicht, während man ihm bis dahin regelmäßig drei gegeben hatte. Als er um noch eine dritte Schrippe bat. belehrte ihn Oberschwester Helene:„So un- gefällig, wie Sie gegen die Schwester sind, bin ich gegen Sie." Ein paar Tage blieb das so, dann half S. wieder Binden wickeln, und am nächsten Tage gab's für ihn— wieder drei Schrippen. Jetzt lehnte aber e r die dritte Schrippe ab. Die Oberschwester quittierte darüber mit den Worten:„Das war auch bloß ein Versehen". Wenn übrigens die Schrippen im Virchow-Krankenhaus nicht besser sind als die Probe Brot, die uns aus dieser Anstalt überbracht worden ist, dann hat S. an der dritten Schrippe wirklich nichts verloren. Das Brot war so wenig durchgebacken. daß es nach Farbe und Geruch noch merklich an einen eben ein- gerührten Teig erinnerte. Wie mag Kranken zumute sein, die an solchem Brot sich sättigen sollen I Gibt man Arbeitswilligen zur Belohnung für ihre Dienste besser ausgebackenes Brot? Die Schule im Dienste der Agitation, das ist in Berlin keine seltene Erscheinung. In den G e m e i n d e s ch u l e n wird von iehrern und Lehrerinnen vor den Ohren der Kinder mit Eifer gegen die Sozialdemokratie agitiert, sogar in einer Form, die im Widerspruch zu allem steht, was die Schule sonst über das Gebot„Du sollst Deinen Vater und Deine Mutier ehren" lehrt. Auch das ist vorgekommen, daß in Zeiten der Wahlagitation Lehrer ihre Zöglinge dazu verwandten, antisozialdemokratische Flugblätter zu knvertieren und ähnliche Wahlarbeilen zu leisten. Solche Un- gchörigkeiten und dreisten Uebergriffe erregen mit Recht die Ent- rüstung der Eltern, aber den schuldigen Lehrpersonen geschieht wohl nicht viel, wenn ihre vorgesetzte Behörde davon erfährt. Wir müssen das wenigstens annehmen; denn anders können wir kaum verstehen, wie derartige Dinge sich immer aufs neue wiederholen können. Kürzlich hat an der 202. Schule in der Ravenü- straffe die Lehrerin einer Klasse VI ihren acht- bis neunjährigen Zöglingen einen für die Eltern bestimmten Handzettel mit nach Hause gegeben, der ihnen den Besuch einer vom„Gewerk- verein der Heimarbeiterinnen Deutschlands zu veranstaltenden außerordentlichen Versammlung empfahl. Dieser Verein steht„auf christlicher Grundlage", drum hat die Lehrerin nicht zu fürchten, daß es ihr etwa an den Kragen gehen wird. Wir möchten aber keiner Lehrerin raten, einmal in gleicher Weise eine Einladung zum Besuch einer von sozialdemokratischen Arbeiterinnen zu veranstaltenden Ver sanlmlung unter ihren Zöglingen zu verbreiten. Einer Lehrerin die das wagen wollte, würde ihre vorgesetzte Behörde wahrscheinlich sehr bald die Wege weisen. Interessant ist übrigens, daß der er- wähnte Handzettel des Gewerkvereins der„christlichen" Heim- arbeiterinnen, der den Schulkindern überreicht wurde,„vor allem auch die vor derSchulentlassung stehenden jungen Mädchen' einlud. Noch schulpflichtige Kinder wurden aus gefordert, an der„außerordentlichen Versammlung" eines Gewerk- Vereins teilzunehmen! Man sieht, was alles möglich ist, wenn es sich nicht um Agitation für die Ziele sozialdemokratischer Arbeiter und Arbeiterinnen handelt. In der gestrigen Sitzung des Kuratoriums für die städtischen Heimstätten wurde mit Rücksicht auf die Erfahrungen im Rudolf Birchow- Krankenhause beschlossen, den Jnsaffen in Zukunft kein Schabefleisch mehr verabreichen zu lassen. An Stelle dessen sollen, um die Kost abwechselungsreicher und schmackhafter zu ge- stalten, Gemüse, Obst, Salate usw. verabreicht werden. Die Speise- reglementS sollen dementsprechend erweitert werden. Moderner Sklavenhalter. Fast unglaubliche Anschuldigungen Werden gegen einen Impresario erhoben, gegen den durch das Deutsche Nationalkomitee zur Bekämpfung des Mädchenhandels eme Anzeige erstattet worden ist. Ueber die Art und Weise, wie der Herr„Direktor" die von ihm zusammengestellte Künstlertruppe ausnutzt, zeigt nachstehende, von mehreren sich gegenwärtig in Berlin aufhaltenden jungen Mädchen gegebene Schilderung: In verschiedenen Tageszeitungen erscheint hin und wieder ein Inserat, durch welches ein Direktor Jonni Reimers, dessen Wohnsitz sich in Hamburg befindet,„junge Mädchen zur Ausbildung für die Bühne" sucht. Im Mai dieses Jahres erschien eine derartige Annonce in einem BreSlauer Blatt, worauf sich sechs Mädchen meldeten, mit denen resp. deren Eltern R. Verträge abschloß. In den Verträgen war eine viermonatige Ausbildungszeit vorgesehen, während welcher die Mädchen 2b M. Monatsgehalt sowie vollständige freie Station erhalten sollten. Die Mädchen waren verpflichtet, von etwaigen, ihnen gegebenen Trinkgeldern ein Drittel an den Direktor auszuhändigen. Engagiert war die Truppe fiir eine Künstlerfahrt nach Rumänien . Die Gesellschaft, die auS Mädchen zumeist im Alter von 141� bis 17 Jahren bestand, hatte die Ber- pflichtung übernommen, auf Bühnen zu singen und zu tanzen. Die erste Station wurde in Braila (Rumänien ) gemacht, wo in einem Variete von 10 bis 12 Uhr abends aufgetreten wurde. Nach Schluß der Vorstellung mutzten die Sängerinnen zwischen dem Publikum Platz nehmen und bis zum frühen Morgen Wein und Champagner trinken. Sie erhielten von den männlichen Besuchern Trinkgelder, von denen sie sofort ein Drittel an Reimers abzuliefern hatten. Die 17jährige Hedwig Sch., die sich weigerte, das Geld auszu- händigen, wurde von dem S4jährigen Direktor blutig geschlagen. In Berlad ereignete sich ein Vergehen gegen eine Igjährige Berlinerin, das eine Anzeige gegen R. wegen Kuppelei zur Folge bat. In Bukarest sowie in Tecuciu hatten die Sängerinnen in verschiedenen Etablissements von morgens 8 bis 1 Uhr nachts zu singen und zu tanzen. In letzgenanntem Orte erhielten sie ein LogiS, das einem Gefängnis glich. Fünf Personen schliefen dort in einem kleinen Zimmer, in dem gerade Platz fiir zwei Betten und ein Sofa vorhanden war. Dabei war die Verpflegung eine derart mangelhafte, daß die Künstlerinnen sich gezwungen sahen, den Lebensunterhalt auS eigenen Mitteln zu bestreiten und Ersparnisse zu machen war ihnen unter diesen Umständen um so weniger mög- lich als von dem 25 M. betragenden Monatsgehalt ihnen noch 5 M. abgezogen wurden. Dabei stand die Truppe fortwährend unter Aufsicht des Direktor? oder dessen Frau, und die Mädchen durften nicht allein die Straße betreten. In Dachau gelang es einer Berlinerin, Fräulein I., einem dort wohnenden Deutschen ihr Leid zu klagen, und dieser benachrichtigte die Polizeibehörde und daS Konsulat. Durch das Eingreifen der Behörde wurde Reimers gezwungen, den Mädchen das Geld zur Rückreise nach Deutschland zu geben, wofür er jedoch Wertsachen als Pfand ein- behielt. Dabei war das Geld so knapp bemessen, daff es nur zur Deckung der Fahrtkosten reichte und die Künstlerinnen während der zwei Tage und eine Nacht währenden Fahrt hungern mufften. Garderobenangestellte. In der Bellevuestraffe befindet sich ein vornehmes, stark frequentiertes Weinrestaurant. Nicht weniger denn neun Garderoben sind dazu bestimmt, Hüte und Ucberzieher der Gäste fein säuberlich aufzuheben. Als Allgewaltige über die Garderobe herrscht eine Frau P., die natürlich bei dem Umfange der Garderobe nicht in der Lage ist. alles selbst zu machen. Sie hat deshalb Frauen angenommen, die mit der Abnahme und Herausgabe der Kleidungsstücke betraut sind. ES herrscht nun der Gebrauch, keine feste Grenze der Bezahlung für die Garderobenaufbewahrung zu setzen. Die Höhe wird in daS Belieben des Gastes gestellt, aber „der Wohltätigkeit sind keine Schranken gesetzt". Natürlich hat die Pächterin den Wunsch, möglichst viel aus ihrem„Unternehmen" herauszuschlagen. Und da stellt sie an die Garderobenangestellten— es sind zwölf an der Zahl— die sonderbarsten Anforderungen. Geben Gäste, die mit den Gepflogenheiten imf Lokal schon vertraut sind, der Bedienungsfrau etwa ein besonderes Trinkgeld, so ist das abzuliefern. Eine strenge Konttolle sorgt dafür, daß die Angestellten nichts für sich erhalten. Da müssen diese Leute beim Antritt des Dienstes in ein Buch eintrage», welchen Geldbetrag sie im Portemonnaie haben, müssen auch gewärtig sein, visitiert zu werden. Ganz raffiniert ist Vor- sorge getroffen, daß eine Angestellte auch nicht etiva einen Groschen, den sie extra erhielte, in die Tasche stecken kann. Die Frauen tragen nämlich sogenannte Kleiderschürzen, die nur vom Rücken bis zum Hals hinten offen sind und zugeknöpft werden. Wollte wirklich eine etwas in ihre Tasche stecken, so erregte das doch die Aufmerksamkeit der genau auspassenden Pächterin, deren Hauptarbeit fast aus- schließlich in der Kontrolle besteht. Dazu kommt, daß manche Angestellten Vorwürfe hinnehmen müssen, daß sie so wenig eingenommen hätten, das läge an ihrem Benehmen, sie seien nicht freundlich genug zu den Gästen. Je liebenswürdiger die Gäste behandelt werden, desto reichlicher fließt daS Trinkgeld. Das ist nun nicht jedermanns Sache. Man kann höflich und srenndlich sein und sich doch eine gewisse Reserve auferlegen. Und für diese nicht gerade beneidenswerte Stellung erhalten die angestellten Frauen pro Tag 2,25 M. Mancher wird das noch für eine anständige Bezahlung halten gegenüber anderen Entlohnungen. Dabei darf aber nicht vergessen werden, daß die Leute in der Woche nachmittags um 0, Sonntags um 5 Uhr regelmäßig antreten und bis zum Schluß, der um 2 Uhr erfolgt, arbeilen müssen. Rechnet man eine Stunde Wegs fiir Hinfahrt und eine für Rückfahrt, besser gesagt für Rückläufen, da nach 2 Uhr nachts nur noch bestimntte Straßenbahnen fahren, so kann man sich ein Bild von der glänzenden Stellung einer Garderobenangcstellten in dem vornehmen Weinrestaurant machen. Wie wir hören, soll der Wechsel auch gar kein geringer sein. Dabei soll gar nicht»och besonders darauf hingewiesen werden, daß diese Frauen während der ganzen Zeit keine Pause haben und nur verstohlen hin und wieder einen Happen von der mitgebrachten Stulle abbeißen müssen._ Vom Sclbstmördcrfriedhof im Grunewald. Den Selbstmörderfriedhof im Grunewald — wer kennt ihn l Er besteht seit mehr als dreißig Jahren— und ist in seiner Wald- einsamkeit eine kaum beachtete Stätte geblieben bis auf den heutigen Tag. In drei Jahrzehnten sind auf ihm reichlich vier- hundert Lebensmüde zur letzten Ruhe bestattet worden, vierhundert, die freiwillig die Bürde des Lebens von sich geworfen und in der Stille des Woldes den Tod herbeigerufen hatten. Abseits des Weges, der vom Bahnhof Grunewald quer durch den Forst nach dem Haveluser bei Schildhorn führt, liegt dieser Friedhof der Friedlojen, die im Tode Frieden suchten. Allsonntäglich flutet der Strom der Ausflügler auf dem vielbettetenen Waldwege dahin, plaudernde und lachende Menschen, voll Lebenslust und Lebensfreude. Nur wenige unter ihnen wissen, daß etliche hundert Schritte davon der schweigende Kiefernwald die Gräber der Lebensmüden birgt. Selten nur biegt ein Wanderer von der breiten Ausflüglerstraße ab, um auf schmälerem Pfad seine Schritte nach dem Selbsimörderfriedhofe zu lenken. Der Anblick, der hier sich ihm bietet, paßt vielleicht schlecht zu dem Sonntagsvergnügen, das er da draußen sich wünscht. Der Selbstmördcrfriedhof beflndet sich in einem Zustande der Vernachlässigung, der auf die meisten Besucher abstoßend wirken dürfte. Zwar fehlt eS auf ihm nicht an Gräbern, die von Hinterbliebenen liebevoll gepflegt werden. Wer den Friedhof feit Jahrzehnten kennt, wird sogar finden, daß in dieser Beziehung heute unendlich mehr als früher getan wird. Auch Denkmäler sieht man hier, schlichte nicht nur, sondern auch prunkvolle. Ihre Zahl hat besonders in neuerer Zeit sich vermehrt. Aber die meisten Gräber liegen da, von Gräsern und Farrnkräutern überwuchert, entzogen dem suchenden Blick, versunken und vergessen. Es ist wahr, viele dieser zusammengefallenen Hügel decken Schläfer, die niemand kennt, mehr noch solche, die niemand kennen will. Aber gewiß würde noch manches Grab von Hinterbliebenen gepflegt werden, wenn nur die Behörde, die über diesen Friedhof zu befehlen hat, ein klein wenig dazu beitragen wollte, die Pflege der Gräber zu erleich lern. Auf dem Selbstmörderfriedhof gibt es kein Wasserl Eine Rohr- leitung der Charlottenburger Wasserwerke geht, von Beelitzhof her» kommend, nahe am Friedhof vorbei. Es wäre ein Leichtes gewesen, einen Anschluß herzustellen, aber bisher ist das nicht geschehen. Auch einen Brunnen auf dem Friedhof zu bohren, ist keinem eingefallen. Vermutlich hat man die Kosten gescheut. Die Havel spendet ja Wasser. Wasser genug für jeden, der den viertelstündigen Weg bis dorthin samt dem viertelstündigen Rückweg nicht scheut, um eine Gießkanne zu füllen. Fast wie' Hohn muten die Mahnungstafeln an, die an den Bäumen be- festigt sind. Sie weisen den Besucher darauf hin, daß auch ein Selbstmörderfriedhof Pflege und Schutz verdient. Die eine sagt: „Die Blumen sind der Toten Eigentum, drum, Wandrer, schone sie wie ein Heiligtum"; und die andere:„Wanderer, der du dich nahst dieser Stätte de« Friedens, schone der Steine, die Liebe gesetzt den Toten". Die Verwaltung des Forstbezirkes Grunewald hat eS bisher nicht für nötig gehalten, wenigstens durch Wasser- beschaffung dafür zu sorgen, daß die„Stätte des Friedens" in einen einigermaßen würdigen Zustand gebracht werden kann. Sie scheint nicht mal hygienische Bedenken egen den Wassermangel zu haben, ber auf dem Friedhofe besteht. Die Leichenhalle mutz oft Leichen aufnehmen, die ercits stark in Verwesung übergegangen sind. Da wäre eine ganz besonders sorgfältige Reinigung nötig, aber wie soll die Reinigung orgfällia ausgeführt werden, wenn die damit bettautcn Arbeiter das Wasser mühsam von der Hasel heraufichleppen müssen. Den Arbeitern, die solche Leichen anfassen müssen, wird sogar die Reinigung der Hände dadurch erschwert, daß manchmal nicht Wasser genug da ist. Kennt denn keine Gesundheitsbehörde diese Dinge? Die Vernachlässtgnng des SelbstmörderfiiedhofeS würde wahr« cheinlich weniger groß sein, wenn die Besucher des Grunewalds ich mehr um ihn kümmern wollten. Gerade deshalb, weil er wenig beachtet wird und bei dem Mangel eines Wegweisers auch 'chwer zu finden ist konnte er in seinem trostlosen Zustande fich so lange erhalten. Die Abgeschiedenheit der Lage auf einsamer Wald- blöße gibt diesem Ruheplatz der Toten seinen eigenen Reiz, der so recht zu einem Sclbstmördcrfriedhof paßt. Sie entzieht ihn aber leider auch der öffentlichen Kritik und überliefert ihn der Verwahr- losung. Aus einem Rundgang schwer verunglückt. Ein Opfer seine? Be- rufe« ist der 64 Jahre alte Bauwächter Wilhelm Gluth auS der Koppenstr. 62 geworden. G. hatte u. a. auch den Neubau auf dem Grundstück Mannhcimstraße 48 zn bewachen. Als er gegen Mittcr- nacht einen Rundgang durch daS Gebäude machte, übersah er in der Dunkelheit einen tiefen Schacht und stürzte hinein. Erst nach längerer Zeit wurde der Verunglückte aus seiner qualvollen Lage befreit und nach der Rettungswache transportiert. Er hatte schwere innere Ver- letzungen erlitten. AuS dem Fenster gestürzt ist gestern nachmittag der sechsjährige Schulknabe Kurt Lcpp, dessen Eltern in der Hertzbergstr. 13 wohnen. Der Kleine hatte auf dem Fensterbrett der im zweiten Stockwerk be- lcgenen Wohnung gespielt. Als cr nach dem Hof hinuntersehen vollte, beugte er sich zu weit vor, verlor das Gleichgewicht und turzte kopfüber in die Tiefe. In schiververletztem Zustande wurde er nach dem städtischen Krankenhause gebracht.
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