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Nr. 222. 25. Jahrgang. & Wim its Awliris" Kttlim PoibMntt. Niknstag. 32. September t9v8. SeiverKscKaftUcKeq. Gelbe Angestelltengewerkschafte«. In der Tagespresse zirkulierte in den letzten Tagen die Notiz, daß in der Maschinenfabrik Nürnberg-Au�sburg auf Anregung der Direktion die Angestellten einen gelben Verein gegründet haben,welcher die guten Beziehungen zwischen Angestellten und Betriebsleitung zu wahren ge- sonnen ist". Das bayerische Unternehmertum versucht also jetzt, nachdem da Mittel der offenen, brutalen Gewalt der- sagt, durch die. geheimen Mittel der Korruption sich die An- gestellten willfährig zu erhalten. Von der bürgerlichen Presse wurde während des ganzen Angestelltenkonslirtes der Vorstoß der bayerischen Unter- nehmer als eine Entgleisung bezeichnet, als ein bedauerlicher Mißgriff einer besonders radikalen Unternehmergruppe. Wir sind nun in der Lage, feststellen zu können, daß von allen Unternehmerkreisen die für sie gefährliche Tendenz der neueren radikalen Richtung in der Angestelltenbewegung schon längst erkannt wurde. Im allgemeinen war man nur diplomatischer als die bayerischen Industriellen; man hielt bisher den Moment noch nicht für geeignet, offen loszuschlagen. Der gute Schein sollte gewahrt werden. Bei einem offenen Konflikt mit den Angestellten war immer nach Lage der Dinge in der Oeffentlichkeit ein größerer Widerstand zu erwarten als bei einem Zusammenstoß mit Arbeitern. Dafür haben die Leiter der Großfirmen schon längst Harmonievereine für ihre Angestellten zu gründen und zu er- halten gewußt. In den verschiedensten Formen suchte man solche Gründungen in die Wege zu leiten; es wurden ge- seilige Verbindungen geschaffen, Kneipvereine, Angelklubs, Sportgesellschaften usw. Immer suchte der Beauftragte der Firma, der Vureauchef zweiten und dritten Grades, mit seinen Leuten durch diese Veranstaltungen in Privatverkehr zu treten, er hat dort Gelegenheit, private Gewohnheiten seiner Untergebenen zu beobachten, er lernte bald die Gut-' gesinnten von den Unbotmäßigen unterscheiden. War er selbst charakterloser Streber genug, der sich nach oben beliebt machen wollte, so versuchte er, sich eine Clique von Angebern groß zu ziehen, die ihm alles zutrugen, was im Ressort vorging. Der großen Oeffentlichkeit sind jene sichtbaren und unsicht- baren Fesseln unbekannt, durch welche der Angestellte an den Betrieb gebunden ist; die Aufgabe liegt noch vor uns, jene ..Wohlfahrtspolitik" zu untersuchen, die z. B. in einem Werk wie Krupp den Kopfproletariern gegenüber getrieben wird. Von der Beamtenwohnung bis zur Geselligkeitspflicht ist hier der Angestellte eingesponnen in den Machtbereich der Werk- leitung, alle Einzelheiten seines privaten Lebens und seiner Gewohnheiten werden beobachtet und kontrolliert. Wir können die Psyche dieser Schichten nur verstehen, wenn wir uns diese Abhängigkeitsverhältnisse vor Augen führen. In neuerer Zeit dürfte gerade die Politik derver- dächtigen Wohltaten" eine besondere Aufmerksamkeit seitens der Arbeitnehmer erfahren. Die Interessengegensätze zwischen Angestellten und Direktion, die durch die Eigenart des kapita- liftischen Großbetriebes immer schärfer sich zuspitzen mußten, haben auch ihren Ausdruck gefunden in dem freieren Organi- sationsleben, in der Gründung jener Verbände, die jetzt im Mittelpunkt des Angriffes stehen. Charakteristisch ist daher die Politik der Großindustrie, den sogenannten Beamtenvereincn ihr besonderes Wohlwollen auszusprechen. Um nur zwei Beispiele aus der Elektro- industrie anzuführen, hat im vorigen Jahre die Allgemeine Elektrizitätsgesellschaft, als sie ihre Angestellten durch einen ihrer Direktoren mitOchsen und Esel" öffentlich titulieren ließ, höchst interessant beobachtet, ob auf der darauffolgenden Weihnachtskneipe im Harmonieverein sich auch die zu- vcrlässigen Angestellten wieder zusammengefunden haben. Man hatte sich nicht getäuschf, die oppositionelle Stimmung war ziemlich schnell wieder verflüchtet. Ebenfalls im vorigen Jahre wurde den Angestellten der verschiedenen Werke von Siemens u. Halske und Siemens-Schuckert das Projekt vorgelegt, einen Beamtenbund zu gründen. Jede Kategorie von Angestellten sollte eine Sektion bilden, die regelmäßige gesellige Zusammenkünfte veranstaltet, auch Vorträge halten läßt, die natürlich erst von der Direktion genehmigt werden müssen. Die einzelnen Sektionen sollten wieder zu einer Gesamtleitung zusammengesetzt werden, große, gemeinsame Feste wollte man veranstalten, die Direktion hatte dafür auch schon einen Fonds zur Verfügung gestellt. Am eifrigsten wurde der Plan befürwortet von dem sehr streb- samen Neffen eines mächtigen Werkstattdirektors, der empfehlend wiederholt zum Ausdruck brachte, daß sich die allmächtige Direktion für diese Gründung sehr interessiert. Wir möchten den Angestellten empfehlen, auf diese Er- scheinungen ihr besonderes Augenmerk zu richten. Die gelben Gewerkschaften haben wir in den letzten Jahren als Begleiterscheinungen in den Arbeiterkämpfen entstehen sehen; leider ist es gelungen, hier eine Streikbrecherbande groß zu ziehen, welche bei entscheidenden Gelegenheiten eine Gefahr für die kämpfende Arbeiterschaft bedeutet. Mögen die An- gestellten in ihren gewerkschaftlichen Kämpfen, die ihnen un- weigerlich jetzt bevorstehen, aus der Geschichte der Arbeiter- bewegung lernen, damit sie rechtzeitig die Bildung und Stärkung solcher gelben Verbände verhindern, wie sie durch die sogenannten Beamtenvereine gegeben sind. Berlin und Umgegend. Der Streik in den feinmechanischen Werken ist beendet, die Sperre hiermit aufgehoben. Die Ortsverwaltung. Achtung! Kontobnchbranche! Am t. Oktober er. tritt die mit der Vereinigung von Buch- bindereibcsitzern des Geschäftsbücherfaches Berlins im Jahre 1S06 vereinbarte Erhöhung der Stundenlöhne für Arbeiter um 2 Pf. und für Arbeiterinnen um 1 Pf. pro Stunde in Kraft. Wir machen die Kollegenschaft hierauf aufmerksam und ersuchen, darauf zu achten, daß der ihnen zustehende Lohn ab l. Oktober zur Auszahlung gelangt. Die Werkstubenvertrauenspersonen sind verpflichtet, überall vorstellig zu werden und die Prinzipale auf die bevorstehende Erhöhung der Stundenlöhne hinzuweisen. Wo der Prinzipal sich weigert, dieser Verpflichtung nachzu- kommen, ist der Werkstubenvertrauensmann verpflichtet, sofort an untenstehende Adresse Nachricht gelangen zu lassen, damit eine Regelung der Angelegenheit erfolgen kann. Die Tarifkommission. I. A.: Fritz Keese, Rummelsburg , Krossener Straße 14 II. Streik der Fensterputzer! Bei der Firma Arnheim u. Co., Rungestraße, sind die Fensterputzer 60 an der Zahl wegen fortgesetzter Maßregelungen in den Ausstand getreten, nachdem alle Bemühungen der Organisation, die Angelegenheit in Güte bei- zulegen, gescheitert sind. Wir ersuchen die gesamte Arbeiterschaft, strengste Solidarität zu üben und jeden Zuzug fernzuhalten. Deutscher Transportarbeiter-Verband. Bezirk Groß-Veclm Die Wahlen zum Gehilfenausschuß der Berliner Gastwirte- innung, die dieser Tage vor sich gingen, haben diesmal unter den erbittertsten Kämpfen zwischen den verschiedenen Richtungen in der Gehilfenschaft stattgefunden. Nicht weniger wie 13 zumeist lokale Vereine hatten sich zu einemnationalen Kartell" zusammen- geschlossen, um mit Unterstützung der Jnnungsherren denRoten' den Sieg streitig zu machen. Das ist ihnen leider auch gelungen. Die vereinigten Gegner siegten mit 187 Stimmen über die Liste der organisierten Gastwirtsgehllsen, die es nur aus 152 brachte. Da- gegen gelang es bei den Wahlen der Beisitzer zum Jnnungsschieds. gericht, die Verbandsliste durchzubringen. Die Unternehmer, die sonst ihren Angestellten, wenn irgend möglich, den kärglickien Ruhe- tag beschneiden, hatten allen Wahlberechtigten freigegeben; der Jnnungsvorstand selbst hatte sie hierzu durch Zirkulare autge- fordert. Andere Unternehmer dagegen, deren Personal als unsicher im Sinne der Jnnungsmeister gilt, hatten in entgegengesetzter Rich- tung gewirkt. Gegen die Wahlen wird aber wahrscheinlich Protest erhoben werden. Oeutrebea Reich. Verschmelzung. Wir derichteten seinerzeit über die zu Pfingsten d. I. in Berlin abgehaltene Generalversammlung des Zentralvereins der Form- stecher und deren Hilfsarbeiter Deutschlands . Diese hatte den An- schlutz an den Verband der Lithographen, Steindrucker und ver- wandten Berufe beschlossen, doch sollte darüber noch eine Ur- abstimmung entscheiden. Diese hat nunmehr stattgefunden und gegen nur wenige Stimmen die Verschmelzung beschlossen. Die- selbe wird mit Ablauf dieses Jahres vollzogen, wonach der Form- stecherverband seine Selbständigkeit aufgibt. Dessen Mitglieder werden von diesem Tage ab mit allen erworbenen Rechten vom Verband der Lithographen, Steindrucker und verwandten Berufe übernommen. Das Vermögen des Formstccherverbandes fließt in das des Lithographenverbandes. Zur Wahrung ihrer speziellen Berufsfragen wird innerhalb des Lithographenverbandes eine Zentralkommission aus Formstechern und Tapetendruckern ein- gesetzt, die auch den Zentralarbeitsnachweis der Formstecher mit verwaltet._ Achtung. Maurer und Zimmerer! In den verschiedensten Zeitungen werden für Castrop bei Dortmund tüchtige Maurer und Zimmerer gesucht. Es sei darum nochmals darauf hingewiesen, daß die dortigen Maurer seit Wochen im Streik stehen. Es handelt sich um Nichtanerkennung des Tarifs durch die Unternehmer Welleur. Lambertz und Kleine, über dereji Bauten die Sperre verhängt ist. Die Arbeiter, die gesucht werden, sollen Streikbrecherdienste verrichten. Mehrfach sind schon Maurer und Zimmerer angekommen, aber nach Kenntnis der Sachlage wieder abgereist. Die Streikposten werden durch die Gendarmen vom Bahnhof gewiesen, auf der Straße verhaftet oder von der Straße gejagt. So wird das Koalitionsrecht mit Füßen getreten. Die Situation ist dadurch noch verschärft worden. Der Streik dauert unverändert fort und ist Zuzug streng fernzuhalten. Husland. Der Kampf in der englischen Banmwollindustrie. Der in der Baumwollindustrie von Lancashire bereits seit geraumer Zeit andauernde Arbeitsstreit erreichte mit dem heutigen Tage, an dem die für die Annahme des Ultimatums der Arbeit- geber gestellte Frist ablief, seinen Höhepunkt. Während die Spinnereiarbeiter die Bedingungen der Arbeitgeber im letzten Augenblick annahmen und damit in eine vom Januar an geltende bproz. Lohnherabsetzung willigten, haben die Kardensaalarbeiter dies nicht getan. Da ohne diese die Spinnereien aber nicht arbeiten können, so stellen die Werke morgen ihren Betrieb ein. Hierdurch werden etwa 150 000 Leute arbeitslos. Gegen die Ausbeutung durch Seelenverkäufer! Ein Ausstand der Artisten in den Londoner Varietetheatern sieht in Aussicht, infolge eines Streites, welcher zwischen dem Verbände der Künstler und den Theaterdirektoren ausgebrochen ist. Die Künstler verlangen eine Herabsetzung der bisher von den Agenturen beanspruchten Engagementsprovisionen um 10 Proz. 6cncbtö- Zeitung* Ein bescheidener Hausbesitzer. Die verhängnisvolle Revolverschießerei, die am 3. Oktober sich im Hause Rigaer Straße 26 abspielte und in der dortigen Gegend so großes Aufsehen erregte, hatte gestern ihr Nachspiel vor einer Abteilung des hiesigen Schöffengerichts. Es handelte sich um einen blutigen Kampf zwischen Hauswirt und Portier. Wegen Körperverletzung wurden die Frau Wilhelmine Becker, die Schneiderfrau Auguste T h o m und deren Ehemann Karl T h o m zur Verantwortung gezogen. Als Nebenkläger trat der V o l k s- schullehrcr und Hauseigentümer Heinrich Liebich auf. dem der Rechtsanwalt A b r a m c z y k zur Seite stand; die An- geklagten wurden von Rechtsanwalt Dr. Max Kantorowicz verteidigt. Die Anklage richtete sich auch gegen den Ehemann Becker, der jedoch außer Verfolgung gesetzt werden mußte, Weiler inzwischen in eine Irrenanstalt übergeführt worden ist. Becker war Portier in dem Liebichschen Hause Rigaerstr. 26. Ihm war zum 1. Oktober v. I. gekündigt worden, er beachtete diese Kündigung aber nicht, weil er behauptete, sie sei verspätet ihm zugestellt worden. Da bei dieser Sachlage der neue Portier nicht in die Wohnung ein- ziehen konnte, griff der Hauseigentümer und Lehrer Licbtch zu einem gewaltsamen Mittel, die Wohnung zu räumen. In Abwesenheit der Beckerschen Eheleute z e r- trümmerte er in den Abend st unden des 3. Ok- tobereine Fensterscheibe der Beckerschen Wohnung. riegelte das Fenster auf und drang in die Wohnung ein. Als er begann. Tische und Stühle zum Fenster hinaus auf den Hof zu stellen, erschienen Frau Becker und Frau Thon, auf der Bildfläche und verlangten, daß er schleunig st die Wohnung ver- lasse. Hierbei kam eS schon zu Tätlichkeiten. Herr Liebich be- hauptet, daß Frau Becker schon mit einem Lineal belvaffuet er- schienen sei und voller Wut auf ihn eingeschlagen habe, so daß er sich mit Gewalt seiner Haut habe wehren müssen; die beiden Angeklagten be st reiten dies und behaupten ihrerseits, von Herrn Liebich geschlagen worden zu sein. Letzterer blieb in der Wohnung. Kurze Zeit darauf erschienen die beiden Frauen wieder in Begleitung des Herrn Becker und deS Angeklagten Thom. Ihnen hatten sich mehrere andere Personen angeschlossen. Herrn Liebich war inzwischen schon von mehreren Personen eine Warnung vor ihm drohender Gefahr zugegangen; er hatte aber erklärt, daß er sich nicht fürchte. Der Sicherheit wegen hatte er sich seinen Revolver aus feiner Wohnung holen lassen. Als seine G'gner auf ihn losgingen, hatte er den Wasser- schlüssel in die Hand genommen und will den Leuten zugerufen haben: Kommen Sie mir nicht zu nahe, ich verteidige mich!" Da seien die beiden Frauen plötzlich ihm an den Hals gesprungen, er habe mit dem Wasserschlüssel zur Abwehr um sich geschlagen, der Schlüssel sei ihm entrissen worden und jemand habe ihm mit dem Schlüssel auf den Hinterkopf geschlagen, so daß er betäubt auf einen Stuhl gesunken sei. Da habe er in der Notwehr den Revolver ergriffen und einen Schreckschuß abgegeben. Eine Person erhielt einen Streif» s ch u ß, der Ehemann der Angeklagten Becker aber wurde sehr schwer verwundet und zwar, wie behauptet wird, durch einen zweiten Schuß. Die Revolverkugel drang den, Becker in die Stirn, sie sitzt, wie R.-A. Dr. Kantorowicz behauptet, noch unter der Schädeldecke und Becker ist infolge der Verletzung irrsinnig geivorden und mußte nach Herzberge gebracht werden. Es entstand infolge des Schießens ein großer Wirrwarr, der Angeklagte Thom schlug dem Nebenkläger den Revolver aus der Hand, Frau Thom erhielt eine Bißwunde im Arm. Die herbeigeholte Polizei machte dem bedenklichen Kampfe ein Ende und führte zunächst Herrn Licbich gefesselt auf die Polizeiwache. Die Angeklagieu widersprachen im gestrigen Termine der Darstellung des Herrn Liebich mit solcher Energie und Lebhaftigkeit, daß die Verhandlung mehrcremale minutenlang gestört wurde und das DamoklesschweriderOrdnnngsstrafe wtederholt über rhnen schwebte. Sie suchten den Gerichtshof immer wieder zu überzeugen, daß nicht sie, sondern Herr L i e b i ch auf die Anklagebank gehöre, und wunderten sich, daß das von ihnen gegen L. beantragte Strafverfahren eingestellt worden sei und der Spieß nun umgedreht werden konnte. Sie beriefen sich aus Zeugen, die bekundeten, daß L. mit dem Wasserschlnsscl heftig ans Frau Thom geschlagen habe; letztere be- hauptet sogar, sie sei so heftig auf den Kopf geschlagen worden, daß sie seitdem kränkele und sehr nervös sei. Zwei Zeugen wollen gesehen haben, daß Herr L. nicht vom Stuhl aus. sondern stehend den Schuß abgegeben habe. Auch be- kündeten Zeugen, daß Thom geblutet habe und daß nach dem Vorfall das Ehepaar Thom ganz schwarz und Frau Becker total blau ausgesehen haben. Andererseits traten verschiedene Zeugen ans, die die Darstellung des Nebenklägers unterstützten und be- kündeten, daß Thom und Beckerr auf Liebich eingeschlagen hätten; sie haben auch vor Beginn des Kampfes aus den Reihen derBe- lagerer" drohende Worte gegen Herrn Liebich gehört. Nach einem ärztlichen Attest hat Herr Liebich bei dem Kampfe zahlreiche, blut- unterlaufene Körperstellen erhalten, die Kleider waren blutig, eine blutige Wunde zeigte sich am Kopfe, dazu Abschürfungen vom Kratzen und Schlagen herrührend, am Halse Spuren vom Würgen usw. usw. Der Staatsanwalt hielt du?ch die Beweis» ausnähme nicht für erwiesen, daß Frau Becker geschlagen, dagegen die beiden übrigen Angeklagten für überführt und beantragte gegen Frau Thom 20 Mark, gegen den Angeklagten Thom 50Mark G e l d st r a f e. Rechtsanw. A b r a m c z y k verlangte auch das Schuldig gegen die Becker und beanspruchte außerdem für den Nebenkläger eine Buße von 500 Ma.rk. Rechtsanw. Dr. Kantorowicz beantragte dagegen die Frei- s p r e ch u n g der Angeklagten. Die ganze Sache habe Herr Liebich verschuldet, der ganz ungesetzlich und ungehörig in die Beckersche Wohnung gewaltsam ein- gedrungen sei. Geradezu ungeheuerlich sei es, daß der drei- fache Hausbesitzer von Leuten die arm seien und deren einer von ihm zum Krüppel geschossen worden sei, noch eine Buße von 500 M. verlange. Der Gerichtshof kam zu der lieber» zeugung, daß sich die drei Angeklagten der gemeinschaftlichen Körper- Verletzung schuldig gemacht haben, ihnen aber weitgehend mildernde Umstünde zuzubilligen seien. Wenn Herr Liebich sich gewaltsam in den Besitz der Wohnung setzte, so habe er dadurch ein fehr ungeeignetes und ungeschicktes Verfahren eingeschlagen, das die Leute aufregen mußte. Ob er sich dabei des Hausfriedensbruchs schuldig gemacht, habe dieser Gerichtshof nicht zu entscheiden. Das unbegreifliche Vor- gehen des Nebenklägers habe die Angeklagten in große Erregung bringen müssen. Deshalb schien eine Geldstrafe von je 15 Mark für die drei Angeklagte» eine genügende Sühne. Bon einer Buße habe keine Rede sein können, da das Verhalten des Nebenklägers bei demIVorfall durchaus nicht einwands- frei gewesen sei. Der in der Verhandlung festgestellte Tatbestand macht eS un- erklärlich, wie das Strafverfahren gegen den Volksschullehrer und Hausbesitzer eingestellt werden konnte. Aber geradezu unerhört ist es, wie der Mann, der erst einen armen Menschen, der in nur allzu berechtigten Zorn über den gewaltsamen Ein« b r u ch in seine Wohnung gerät, zum Krüppel schießt. und hinterher für eimge Schrammen eine Buße von 500 Mark von der Frau verlangt, der durch die blutige Tat der Er- nährer genommen ist. Eine dem Volksenipfinden cnt- sprechende Justiz würde den dreifachen Hausbesitzer ver- pflichten, der armen Frau eine Existenzmöglichkeit zu gewähren. Wenige Mensche» werden ober auch verstehen, daß das Gericht in diesem so eigenartig gelagerten Falle« einer Verurteilung dei Angeklagten kommen konnte. Versammlungen. Die Automobilführer, welche im Deutschen Transportarbeiterverband organisiert sind, hielten am Freitag eine gutbesuchte Monatsversammluug ab. Was bietet uns der Entwurf zu einem Auto» mobilhaftpflichtNesetz in juristischer Betrach- t u n g." Ueber dieses wichtige Thema referierte der Verbands- syndikus Rechtsanwalt Dr. Wilhelm Gutfeld. Der erste Teil des Entwurfs richte sich besonders gegen die Unternehmer. Be- züglich des Chauffeurs sei es im Punkte des Schadenersatzes beim alten geblieben. D. h. er könne auf Klage zum Ersätze eines Schadens verurteilt werden, wenn der Kläger nachweise, daß er ihm aus Unachtsamkeit oder mit Absicht den Schaden zugefügt habe. (Das Gesetz solle dem Schutze des Publikums auf der Straße dienen, nicht dem Schutze des Fahrgastes. Bezüglich seiner bleibe es beim alten.) Gegen den Unternehmer habe der Entwurf be- sondere Schärfen. Während dem Chauffeur oder sonst irgcndwcm nachgewiesen werden müsse, daß er den oehauptcten Schaden ver- schuldet habe, solle nach dem Entwurf der Unternehmer, der gar nicht beim Unfall zugegen war, an sich unter allen Umständen haften, wenn mit seinem Automobil etwas passiere. Nur eins könne.ihn befreien. Umgekehrt, wie nach den geltenden Grundsätzen vom Schadenersatz, soll sich der Unternehmer dadurch von der Haftung befreien können, daß er nachweise, daß seinen Chauffeur und ihn selbst kein Verschulden treffe, und daß drittens das Automobil ganz betriebssicher war. Das sei eine große Härte, denn diese Nachweise würden dem Unternehmer in den wenigsten Fällen glücken. Mancher, namentlich die ehemaligen Chauffeure, die sich mühsam- einen Wagen erworben hätten, würden schwer darunter leiden. Allerdings enthalte der Entwurf noch einige Be- stimmungen, die die Haftung ausschlössen oder verminderten. Wenn der Verletzte selbst den Unfall verschuldet habe, falle die Haftung des Chauffeurs und Unternehmers weg, und wenn die Schuld auf beiden Seiten liege, solle eine entsprechende Abschätzung erfolgen. Für den Schadenersatz seien gewisse Höchstgrenzen gezogen worden. Der Chauffeur, dem ein Verschulden nachgewiesen sei, hafte so- lidarisch mit dem Unternehmer; das Publikum werde aber gegen den Unternehmer zunächst vorgehen,- nicht gegen den Chauffeur. Die anderen Abschnitte des Entwurfs richteten sich leider nur gegen die Chauffeure und seien recht bösartig. Die Fahrerlaubnis sei Verwaltungssache geblieben, d. h. die' Polizei habe allein darüber zu befinden, ob jemand den Fahrschein bekommen solle oder nicht. Unbescholten müsse der Mann sein und die Befähigung haben. Leider stehe nicht darin, bei welchem Maße von Befähigung der Fahrschein gegeben werden soll. Von Rechts wegen müßten ganz bestimmte Bedingungen, gestellt und vielleicht bestimmt werden, daß die Gemeinden oder der Staat öfsentliche Fahrschulen errichteten, die eine Garantie für richtige Approbation böten. Dann sonst könne es kommen, daß z. B. bei Aussperrungen oder Streiks die