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flöge die Frist von einer Woche nicht genügt, so fonn dieselbe auf Antrag der Staatsanwaltschaft um eine Woche und, wenn es sich um ein Verbrechen oder Bergeyen handelt, auf erneuten Antrag um fernere zwei Wochen verlängert werden. Dies kleine Palliativ- mittel gegen allzu grobe Verschleppungen durch die Staatsanwaltschaft soll in Zukunft im wesentlichen fortfallen: Die Frist von einer Woche ist bei den einfachsten Uebertretungen auf zwei Wochen, bei Uebertretungen gegen§ 361 Ziffer 3 bis 8 Str.-Q3.-B. und bei Vergehen und Verbrechen auf v i e r W o ch e n erhöht, ohne datz die Staatsanwaltschaft innerhalb dieser Frist das Gericht anzugehen braucht. Ferner ist die ausdrückliche Vorschrift, daß das Gericht bei der Eröffnung des Verfahrens zu beschließen hat, ob die Haft fort- dauern soll, in Fortfall gekommen. Bei Voruntersuchungen soll erst nach zwei Monaten, und dann immer wieder in dem- selben Zeitraum die Entscheidung des Gerichts über Fortdauer der Hast eingeholt werden. Im schreienden Gegensatz zu diesem Vorschlag der Novelle, der dem im Jahre 1349 seitens derKreuzzeitung  " ausgesprochenen Wunsch entgegenkommt, den straflosen politischen Gegner wenigstens recht lange in Untersuchungshaft schmoren zu lassen, steht eine andere, angeblich auf Beschleunigung des Verfahrens ab- zielende Bestimmung deS ultrareaktionären Machwerkes. Es wird nämlich in Abänderung des jetzigen ß 211 der Strafprozeß- ordnung folgendes.schleunige Verfahren" vorgeschlagen:"In allen Fällen, in denenein Verdächtiger auf frischer Tat betroffen oder verfolgt ist. borläufig festgenommen und dem Amts- richter zur Vernehmung vorgeführt wird und die zur Zuständigkeit der Amtsgerichte gehören soll, ohne Anklageschrift möglichst am dritten Tage nach der Festnahme ein schleuniges V e r- fahren stattfinden Richter, auch über schwere Anschuldigungen. soll der einzelne Amtsrichter ohne Schöffen sein. Stur auf Zuchthaus oder Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte darf er nicht erkennen. Welch' ungeheure Schädigung des wehrlosen Angeklagten und der Rechtspflege liegt in diesem Automobiltempoverfahren. Der Grundsatz, daß der Richter ohne Leidenschaft urteilen soll, kaim bei einem solchen Verfahren insbesondere politischen Gegnern gegen- über Geltung nicht erlangen. Jedes Preßdelikt kann in den dehnbaren Begriff desauf stischer Tat Verfolgten" gebracht werden. Der schmale Weg der N e v i s i o n ist zuungunsten des An- geklagten nach zwei Richtungen hin eingeschränkt. Nach dem geltenden Recht liegt ein RevisionSgrund u. a. vor, wenn in der Hauptverhandlungdie Vorschriften über die Oeffentlichkeit des Verfahrens verletzt sind". In Zukunft soll ein RevisionSgrund nur vorliegen,wenn die Oeffentlichkeit ausgeschlossen war, ohne daß ein gesetzlicher Grund hierfür vorlag". Die Aenderung der Fassung in Verbindung mit dem Nn, stände, daß demfreien Ermessen" des Gerichts bei Ausschluß der Oeffentlichkeit ein weiter Spielraum gelassen ist, verschlechtern die Rechtslage des im heimlichen Verfahren schuld- los Verurteilten. Ein anderer Revisionsgrund ist nach dem be- stehenden Gesetz gegeben,wenn die Verteidigung in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkte durch einen Beschlutz des Gerichts unzulässig beschränkt worden ist". Durch die erwähnte Neuerung, nach der die Abhörung der zur Stelle geschafften Entlastungszeugen abgelehnt werden darf, ist dies Revisionsmittel erheblich beschränkt. Außerdem schlägt aber der Entwurf vor, diesen Revisionsgrund nur dann zuzulassen, wenn der angefochtene Gerichtsbeschlußauf Rechts« i r r t u m beruhte". Auch das Wiederaufnahmeverfahren soll statt Aus- dehnung Einschränkung erdulden. Die schwerwiegendste liegt in folgendem: Nach§ 399, Ziffer 5 der geltenden Strafprozeß­ordnung ist eine Wiederaufnahme zugunsten des Verurteilten statt- yaft, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel beigebracht werden, die allein oder in Verbindung mit den früher erhobenen Beweisen die F r e i s p r e ch u n g des Angeklagten oder in Anwendung eines milderen Strafgesetzes eine geringere Bestrafung zu begründen geeignet sind. Künftighin(§ 854 des Entwurfs) soll es nicht genügen, daß die neuen Beweise die Freisprechung rechtfertigen würden. Erforderlich soll vielmehr sein, daß die neuen Tatsachen oder Beweismitteldie Unschuld des Verurteilten ergeben oder doch dartun, daß ein begründeter Verdacht gegen ihn nicht mehr vorliegt." ES gilt also der Staatsbürger als stets verdächtig: er soll seine Unschuld dartun, ganz der Auffaffung einer Klassenjustiz entsprechend, die von der herrschenden Klasse als Instrument betrachtet wird, der arbeitenden Klasse Wunden zu schlagen, weil diese für ihr politisches Recht kämpft und zeigt, daß sie entschlossen ist, den Kampf für ihre politischen Rechte bis zu Ende durchzuführen. Gegen den ungeheuerlichen Wechselbalg bureaukratischer Ein- bilhung und brutalen Klasseninstinkts gilt es zeisig zu rüsten. Der Hochichullehmtzg. Montag und Dienstag war in Jena   der zweite deutsche Hoch- schnllehrertag versammelt, die Versammlung der Vereinigung deutscher  Hochschullehrer, die sich vor einem Jahre hauptsächlich auf Anregung österreichischer und süddeutscher Professoren gebildet hat. Diesmal waren auch preußische und sächsische Hochschulen vertreten; doch fehlte die Universität Berlin  . Zur Beratung standen die Frage derFreiheitderWissen« s ch a f t und die des a k a d e m i s ch e n N a ch w u ch s e s. ES galt der Abwehr von reaktionären Tendenzen, die allmählich das Grundprinzip der Universität, die Freiheit der Forschung und Lehre, vollständig be- seitigt haben. Einerseits hat der Staat immer mehr sein Er- nennungsrecht dazu mißbraucht, um die Professoren zu Beainten herabzudrücken, die nur die staatlich genehmigte Lehre vorzutragen haben. Besonders in Deutschland   ist an den Universitäten von der Freiheit der Wissenschaft keine Rede und in Preußen hat man mit Hilfe des Dreiklassenlandtags durch die Lex AronS eine ord- nungsgemäße politische Gesinnung ausdrücklich zur Vorbedingung der Lehrtätigkeit gemacht. Dazu hat die soziale E n t- Wickelung den Hochschulen einen immer deutlicheren Klassen- charaktcr aufgeprägt. Die akademische Laufbahn wird, wie dicS kürzlich Profeffor Franz Eulenburg   in einer interessanten Schrift auch statistisch nachgewiesen hat. immer mehr zu einem Privileg der Reichen. Dazu kommen noch Sünden, die sich die Universitäten selbst zu schulden kommen lassen; Protektionswesen und Vetternwirtschaft spielen bei der akademischen Karriere keine geringe Rolle. Diesen schweren Gebrechen, die ohne Zweifel die Weiter- cntwickelung der Wissenschaft namentlich auf dem Gebiete der sozialen Theorie arg behindern, soll nun der Kanipf der Vereinigung gelten. In einem energischen Referat wandte sich der Münchener   Professor v. Amire gegen jede Einschränkung der Freiheit der Wissenschaft. Er verlangte, daß der Staat alle Theorien ungeschoren lasse, dennein Staat, der nicht alle Theorien ertragen könne, der nicht warten könne, bis sie innerlich überwunden wären, wäre nicht wert, zu bestehen." In der Diskussion ließen sich zwei Richtungen unterscheiden. Die radikalere war hauptsächlich von den Brüdern Max und Alfred Weber   in Heidelberg   vertreten. Hatte einer mehr den Schutz der bereits tätigen Hochschullehrer im Auge und war daher seine Sorge zu einem großen Teil den theologischen Fakultäten gewidmet, so betonte Max Weber   sehr richtig, erpfeife auf die aka- demischen Freiheit derer, die schon Hochschullehrer sind, wenn eine Durchsiebung durchgeführt wird, ehe man begonnen hat, akademischer Lehrer zu sein". Er und sein Bruder stellten daher den Antrag, der Hochschullehrertag möge beschließen: Damit die Hochschule die Stätte absolut unabhängiger Forschung und Lehre sein könne, darf die Weltanschauung und politische Stellung des Lehrers niemals Grund zur Nichtzulassung zum Lehramt oder zum Ausschluß von einem Lehramt sein." Zur Begründung führte Alsted Weber aus, die regierenden Kreise und naiverweise auch manche Akademiker hielten es für selbst- verständlich, daß Sozialdemokraten, Vertreter m a r x i st i- scher Anschauungen, von der Universität ausgeschlossen oder zu ihr nicht zugelassen werden. Erwies auf den Fall AronS und auf den Fall des Turiner   Privatdozenten Robert Michels   hin, dem auf seine Anstage bestätigt worden sei, daß seine sozialdemo- kratische Gesinnung ein Hindernis seiner Zulassung sei. Unzweifel- hast liege auch darin eine Einschränkung der Lehr- und Forschungsfreiheit, die doppelt beschämend sei, wenn wir sähen, daß das Ausland uns solche Leute mit Kußhand abnehme und über die berühmten deutschen   Universitäten, diese Stätten angeblicher Geistesfreiheit lache. Doch es zeigte sich, daß die Mehrzahl der Professoren zu dem entschiedenen Anftreten, das ihre Sache erfordert hätte, noch nicht zu haben ist. Einem Teil ist der Gedanke an wirkliche Freiheit doch noch zu ungewohnt, wie der komische Antrag des Münchener Pro- fessors Ritzinger bewies, daß die Freiheit der Forschung ihre Schranke finden solle an der allgemeinen Untertanenpflicht(I) und an der Pflicht zur gewissenhaften Erforschung der Wahrheit, ein Antrag, der freilich unter Gelächter begraben wurde. Obwohl Herr Weber in temperamentvoller Weise nochmals seinen Standpunkt verteidigte und den Professoren in etwas unakademischer, aber dafür um so tapferer Weise zurief, sie müßten sich gegen die Gesinnungsschnüffelei, die an der Universität betrieben werde, wehren. Dennwer der Gesinnung des akademischen Lehrers nach- schnüffelt, i st ein Schuft!", fiel der Antrag mit zehn Stimmen. Allerdings erscheint dieser Beschluß dadurch in milderem Licht, daß festgestellt wurde, man wolle sich nicht um die Beratung der Sache drücken, sondern sie für die nächste Tagung ent- sprechend vorbereiten. Der Wert der Verhandlungen liegt unseres ErachtenS vor allem darin, datz endlich auch von Seite der Professoren selbst die Fabel von einer Freiheit der Wissenschaft auf deutschen   Universitäten endgültig abgetan ist. Erfreulich ist es auch, datz die Aus- schlietzung des Marxismus bezeichnet worden ist als das, was sie ist, als ein politisches U n t e r d r ü ck u n g s- mittel, entsprungen aus der Furcht der herrschenden Klassen vor unserer angeblich überwundenen und vernichteten Theorie. Von keiner Seite ist unternommen worden der Versuch, den Ausschluß des Marxismus mit jenen fadenscheinigen pseudowissenschaftlichen Argumenten zu rechtfertigen, mit denen S ch m o l l e r einmal in einer berüchtigten Rektoratsrede die reaktionäre Praxis der prcu» ßischen Regierung als Gebot wissenschaftlicher Erkenntnis zu be. schönigen versuchte. Daß schließlich ein Teil der Professoren ihre Forderung mit Energie und Rücksichtslosigkeit verfochten haben, mag schon deswegen hervorgehoben werden, weil diese Erscheinung in Deutschland   so überaus selten ist. Allein, eine Frage muß hier aufgeworfen werden. Welche Macht steht hinter den Forderungen, die die deutschen Professoren aufgestellt haben, und welche Macht steht ihnen gegenüber? Die Professoren verlassen sich offenbar auf die moralische Wucht, die ihren Forderungen innewohnt. Aber dieser moralischen Kraft steht die materielle Macht des Staates gegenüber, der un- bekümmert um alle Bedenken schon längst diese Forderungen mit Füßen getreten hat. Herr Professor Weber hat die Gesinnungs- schnüffelei als Schufterei gebrandmarkt. War er sich bewußt, daß das ganze Regierungssystem, vor allem in Preußen und Sachsen  , auf dieser Gesinnungsschnüffelei beruht? Ist diese doch das Aus- leseprinzip für alle Beamten des Staates. Die Gesinnungs- schnüffelei bei den Professoren ist ja kein Ausnahmefall, sondern die R e g e l, der a l l e Organe des Staates und, wie der Fall Schücking beweist, auch der Kommune unterworfen sind. Die preu- tzische Regierung verträgt die Freiheit an keinem Punkte. Die Bedrückung der Universitäten ist nur ein Ausschnitt aus dem ganzen S h st e m. Ihre Bekämpfung kann nur Erfolg haben, wenn dem ganzen System der Krieg erklärt wird. Aber auf dem deutschen  Hochschullehrertag war von Politik, war von Demokratie keine Rede. Uns scheint, die Professoren sind sehr unsystematisch zu Werke gegangen. Und derselbe Mangel hat sich auch bei der Beratung des zweiten Punktes gezeigt. Hier versuchten die Professoren gegen den Klassen- charakter der Universität anzukämpfen. Ihnen, die zumeist über den Klassen zu stehen glauben, macht der Gedanke Pein, daß die Universität immer mehr ein Monopol der wohlhabenden Schichten wird und sie sehen darin mit Recht die Gefahr des Mißbrauchs der Universität zu einseitigster Interessenvertretung. Wir glauben allerdings, daß diese Gefahr im weitesten Umfange bereits ein- getreten ist. Gerade an diesem Punkte muß das Ergebnis der Verhandlungen wohl den Teilnehmern selbst wenig Befriedigung gewährt haben. Die verschiedenen Lösungen, die versucht wurden, sind in Wirklichkeit völlig unzulänglich. Denn hier handelt es sich um ein Problem, dessen Unlöslichkeit auf dem Boden der heutigen Verhältnisse in die Augen springt. Die bisherige Ent- Wickelung der Universität verschärft notwendigerweise fortwährend ihren Klassencharakter. Jede Unterstützung des ärmeren akademischen Nachwuchses aus staatlichen Mitteln bringt aber die Universität in stärkere Abhängigkeit vom Staate und erhöht die Gefahr des Miß. brauchs zu politischen Zwecken. Aus diesem Dilemma ist auf dem Hochschullehrertag kein Ausweg gefunden worden. Ist doch die Lösung des Problems nur auf einem Weg zu finden, der über die auf Klassen aufgebaute Gesellschaft hinausführt. Meiihasie Situation in Oesterreich  . Aus Wien   wird uns vom 28. d. M. geschrieben: Steht das parlamentarische Ministerium Beck wirklich am Ende seiner Tage? Sicherlich ist es nicht ausgeschlossen, daß dem vielgewandten Ministerpräsidenten, dessen Findig- keit auch noch da einen Ausweg zu finden weiß, wo der sub- alterne Geist den Kampf schon aufgeben würde, es gelingen kann, die drohende Krise zu beschwören: aber daß die Lebens- kraft dieser Regierung, die die Wahlreform durchgesetzt und den Ausgleich mit Ungarn   durchgeführt hat, am Erschöpfen ist und von der lebensfrohen Stimmung, mit der das neue Parlainent eröffnet werden konnte, blutwenig mehr zu ver- spüren ist, ist nicht zu verkennen. Der Angelpunkt der inneren Politik liegt heute in dem böhmischen Landtag, der von den Deutschen   obstruiert wird und durch dessen Lahmlegung der Reichsrat in die stärkste Gefahr versetzt werden würde. Denn obwohl der Landtag des glorreichen Königreiches in den letzten Jahren gründlich heruntergekommen ist, kauin der .Schatten der Maria ist, so ist er dennoch dem tschechischen Volke sehr ans Herz gewachsen und bildet in ihrer Jd'cologle einen gewichtigen Posten. Die Tschechen sehen in ihm den letzten Rest ihrer ehemaligen staatlichen Selbständigkeit, und während der Wiener   Rcichsrat ihnen immer ein fremdes Parlament bleibt, ist ihnen der Landtag das nationale, und vor allem das Parlament, in dem sie in ihrer eigenen Sprach? sprechen können, wo sie eben zu Hause sind. Daß es sie also tief ergreifen muß, wenn ihr geliebter Landtag von den Deutschen   unter den Klängen derWacht am Rhein" zcr- schlagen wird, ist unschwer zu verstehen. Um so mehr, als zu der deutschen   Obstruktion, logisch betrachtet, ein ausreichende Anlaß nicht gegeben ist. Denn daß den deutschen   Parteien der eine deutsche Beamte in der Landtagskanzlei versagt worden ist, war sicherlich unbillig: aber da es sich im wesent- lichen um eine Schreiberarbeit handelt, die für die ganze Landtagssession mit 200 Kronen entlohnt wird, so wäre es doch wahrhaft grotesk, deshalb den Landtag, der bis ans weiteres die verwaltende und gesetzgebende Körperschaft auch für die Deutschen   ist, in Trümmer zu schlagen. Dem Ein.- wand vermögen sich selbst die Obstruktionisten nicht zu ent- ziehen und so erklären sie nun, daß die Obstruktion weniger durch einen bestimmten Anlaß als vielmehr durchdie ganz ungewöhnliche Verbitterung" veranlaßt sei, welche in Deutsch- Böhmen  infolge der jüngsten Geschehnisse eingetreten isr und Wählerschaften und Abgeordnete in gleichem Maße b?- herrscht". Aber das wäre dann eine hysterische Stimmungs- Politik, die mit Erwägungen der Vernunft nichts zu schaffen hat. Was freilich nicht ausschließt, daß sie Erwägungen der Vernunft nicht zugänglich sein wird. Gelingt es der Regierung nicht, die hadernden Parteien zur Raison zu bringen, den Landtag also vor der Obstruktion zu retten, die unweigerlich zu seiner Vertagung führen müßte. so ist nicht abzusehen, wie sie ihre weitere Existenz bewahren könnte. Denn das Dasein der Regierung Beck beruht, so sehr und so oft die Praxis davon auch abweicht, aus dem Zu- sammenwurken der Parteien, die durch ihre Vertrauens- männer im Kabinett vertreten find. Und zu diesen Parteien gehören die deutschbürgerlichen ebenso wie die tschechischen Parteien. Wie soll aber das Ministerium beisammen bleiben, wenn seine Parteien so auseinandergeraten? Jlßie sollen die Parteien, die sich in Prag   bis aufs Messer bekämpfen und einander als unversöhnliche Feinde gegenüberstehen, in Wien  die Regierungsmehrheit bilden, die zwar niemals besonders homogen war, bisher aber doch leidlich funktioniert hat? Und wie sollen sie damit einverstanden bleiben, daß ihre Minister in dem Kabinett sitzen, das sie durch ihr Treiben aus einer Verlegenheit in die andere stürzen? Zwar hat sich das parla- mentarische Koalitionskabinett niemals durch Festigkeit aus- gezeichnet, war immer ein künstliches Gebilde, und die Einig- keit des Regierungsblockes war nie mehr, als eine von den Nutznießern, nämlich von den Ministern gern geglaubt? Fabel. Nun zerren und reißen aber an den Fäden, die frei- sinnige und klerikale, deutsche und tschechische Minister ver- knüpfen, zu viele Kräfte. Und wenn sie auch alle ihren Aus- gleich in dem einen Herrn v. Beck finden, der allen Mei- nungen gerecht werden kann, weil keine Ueberzeugung ih'n bindet, so dämmert doch der Augenblick heran, wo gegmübe? der Schwere der Gegensätze seine diplomatische Gewandtheit nicht ausreichen wird. In dem Kleinkrieg dieser Gegensätze. die das traurige Erbe einer schlimmen Vergangenheit sind, i>! die Richtlinie, die sich Herr v. Beck erkoren hat. und der er als dermittleren Linie" die allgemeine Anerkennung zu er- werben hoffte, schwer aufrecht zu halten. Was aber dann? Im Grunde genommen ist es diese Frage, die die Regierung am Leben erhält, deren eigene Lebenskraft zu versiegen scheint. Denn wie soll, wenn sich der Gedanke der Zusammenfassung der Parteien zu einer Regierung als unfruchtbar erweist, stxrder regiert werden? Mit den reinen Beamtenministerien, die einstmals dem Parlament als Macht entgegentraten, geht es im Haus? des allgemeinen Wahlrechts nimmer; eine Regierung der Art, wie sie durch Jahrzehnte gewirtschaftct haben, also mit einem hochmütigen Grafen an der Spitze und kommandierten Beamten im Innern, würde von den Gegenkräften, die das Parlament in sich birgt, geradezu weggeblasen werden. Eine andere Parteienkombination aber ist nicht möglich: man kann wohl die Personen im Kabinett, aber die Parteien nicht im Regierungs- block auswechseln. Deshalb würde der Sturz der Regierung. zumal im gegenwärtigen Augenblicke, auch die Existenz des Parlamentes selbst gefährden: könnte die Obstruktion im Landtag, die die Obstruktion im Reichsrat zur Folge hätte, eine Neuauflage des unseligen 8 14-Regimes zeitigen-. Die Besorgnis, um die Zukunft des Parlaments des allgemeinen und gleichen Wahlrechts ist es allein, die die Parteien bisher im Zaume hielt, und sie wird sich vielleicht auch diesmal noch stärker erweisen, als die demagogische Gewissenlosigkeit, die sich der Verantwortung ihrer Taten nicht bewußt ist. Das Bedürfnis den Reichsrat vor Gefahren zu be- wahren, wird die Parteien vielleicht noch zur Vernunft bringen. Denn nichts anderes macht die gepriesene Geschick- lichkeit des Herrn v. Beck aus. und das ist seine Hoffnung in der schweren Krise, vor der seine Regierung steht. politilebe deberfiebt« Berlin  , den 30. September 1908, Freisinniger Eiertanz. Die Staatsmänner des volksparteilichen Freisinns und ihre beiden Berliner   Blätter, dieFreisinnige Ztg." und die Boss. Ztg.", befinden sich in einer gewissen unangenehmein Lage. Die Mahnungen der sogen, entschiedenen Liberalen, nur dann die offizielle Reichsfinanzrcform mitzumachen und Sydows Steuerpläne zu genehmigen, wenn der Reichskanzler sich zum Entgelt verpflichtet, das preußische Dreiklassenwahl- recht im liberalen Sinne umzugestalten, ist den Freisinns- strategen der Qualität Wiemer-Mugdan höchst unbequem. Ihr Bestreben ist, den Schein ihrer politischen Macht ä tout prix aufrecht zu erhalten und das Zentrum in keinem Fall tvieder an die Regierungskrippe gelangen zu lassen. Um das zu erreichen, sind sie bereit, alle wichtigeren Steuerpläne der Regierung zu akzeptieren, wenn auch des Anstandes wegen selbstverständlich erst nach einigem Sträuben und nach kleinen nebensächlichen Abstrichen. Beide Blätter befolgen deshalb seit einiger Zeit die Taktik, denK u h h a n d e l", d. b, den Eintausch preußischer Wahlreformen gegen die Zustim» mung zur Sydowschen Reichsfinanz, als eine Zumutung hin- zustellen, die der Ehre und der vaterländischen Uneigennützig- keit des Freisinns aufs Gröbste widerspricht, sintemalen der Freisinn nie irgendwelche Vorteile für sich und seine Klientel erstrebt, sondern stets nur aufopferungsvoll für das Volks- wohl gekämpft hat. Andererseits aber möchten die frei- sinnigen Staatsmänner und, Diplomaten nicht gerne jene An-