1. Beilage zum„Vorwärts" Berliner Volksblatt.Nr. 53.Freitag, de» 3. März 1893.10. Jahrg.Pavlmucnlr.lfevidjfc.Deutscher Reichstag.K6. Sitzung vom 2. März 1S93. 1 Uhr.Am Bundesrathstisch: Graf v. Caprivi, v. Bö tticher,v. Maltzahn, v. Marschall, v. Stephan, Kayser,H o l l m a n n.Die Berathung des Etats des Auswärtigen Amtswird fortgesetzt. Rückständig ist noch die Forderung von2i/2 Millionen an extraordinären Ausgaben für Maßregeln zurUnterdrückung des Sklavenhandels und zum Schutze der deutschenInteressen in O st a f r i k a. außerdem die Einnahmen. Ueberdie Entwickelung der Verhältnisse in Deutsch-Ostafrika ist demEtatsenlwurs eine ausführliche Denkschrift beigegeben.Der Referent der Budgetkommission Abg. Prinz v. Arenbergempfiehlt die Bewilligung der Position.Abg. Oechelhäuser(ntl.) geht auf die Verhältnisse in Ost-asrika an der Hand der Denkschrift und unter Verwerthung seinerErfahrungen, die er in der Verwaltung der Deutsch° Ostafrika-nischen Gesellschaft seit Jahren gewonnen, näher ein. Er danktzunächst dem Dirigenten der Kolonialabtheilung für die Vor-legung dieser Denkschrift und verweilt dann längere Zeit bei derBetrachtung der Ergebnisse der Thätigkeit der Gesellschaft. Diesehabe zwöls Stationen im Innern angelegt, und gebe die Hoff-nung, daß alle diese Stationen sich gewinnbringend entwickelnwürden, noch nicht auf. Zwei Kaffee-Plantagen seien bereitsangelegt, auch eine Baumwollenanpflanzung. Der Anbauweiterer tropischer Gewächse werde beabsichtigt. Die projektirteEisenbahn nach Usambara werde ohne Reichszuschuß ge-baut werden. Die Arbeiterverhältnisse daselbst lägen sehrgut, besser als Bamberger gestern dargestellt habe.Die Eingeborenen gewannen allmälig selbst die Ueberzeugung,daß mit Faulenzen nicht weiter zu kommen sei und arbeitetenwillig. Beschwerde muß aber geführt werden darüber, daß dieAusscheidung des Landes, welches als Staatsbesitz von dem derGesellschaft zur Verfügung bleibenden gesondert werden sollte,nicht genügend beschleunigt wurde. Erhöhter Schutz müsse ge-fordert werden für die Verbindung mit Tabora, dem Haupt-Handelsplatze zwischen der Küste und den großen Seen. NochHerr von Soden habe eine Verstärkung der Garnison auf 280Mann angeordnet. Die Ausführung dieser Anordnung£seidringend wünschenswerth. Sicherheit der gewonnenen Stationenfei die erste Vorbedingung für die weitere Ausbreitung desHandels und für die Fortführung der ethischen und kulturellenAufgabe, die das Deutsche Reich sich in jenem Gebiete gesetzthabe. Das Aufgeben von Sansibar sei unzweifelhaft sehr zubedauern, um so mehr müßten alle Anstrengungen dahin gerichtetsein, an der Küste ein wenigstens einigermaßen gleichwcrthigesEmporium zu schaffen. Diese Aufgabe, so schwer sie erscheine,müsse gelöst werden. Herr von Soden habe gegen den Rathvon Wißmann und anderen Afrikakenuern Dar- es- Salam zumHaupthandelshafen gemacht, obwohl dieses viel unbedeutendersei als Bagamoyo, welches schon heute dreißig- bis vierzigtausendEinwohner zählt. Die wichtigste Frage für die Entwickelungdes Landes, ja eine Lebensfrage für dasselbe sei die An-legung einer Eisenbahn. zunächst von der Küste nach Tabora.Die bezüglichen vorbereitenden Schritte der Gesellschaft seien vonhervorragenden Autoritäten und auch in der letzten Sitzung desltolonialraths ausdrücklich gebilligt und ihre energische Förderungbefürwortet worden. Die Eisenbahn sei nicht blas zur Ver-billigung der jetzigen theuren Karawaneufracht, sondern auch zurErmöglichung des Befahrens der großen Seen durchaus noth-wendig. Die Kosten der Beförderung Wißmann's und seinerAusrüstung nach den Seen seien eine wahre Kapitalvergeudung.Der Karawanenhandel sei schädlich und seine Ausrottung eine derersten Forderungen; sie seien mehr Raub- als Handelsziige.Aber nicht die wirthschaftlichen Interessen in erster Linie, sonderndie hohen sittlichen und ethischen Kulturinteressen, die Unter-drückung des Sklavenhandels und der Sklavcnjagden bedingtendie Herstellung einer Eisenbahn. Ei» anderes Moment, welcheszeige, daß periov�m in mors, vorhanden sei, bestehe in derKonkurrenz Englkmds. Dieses Land habe Uganda aufgebenwollen, aber unter dem Druck der öffentlichen Meinung davonwieder Abstand genommen. Durch die Vorgänge im Sudan seidie Bedeutung der englischen Anwesenheit in diesem Gebieteso gesteigert, daß zweifellos auch eine Zinsgarantie für eineenglische Eisenbahn nach Uganda bewilligt werden dürfte.Damit aber würden dee Interessen von Deutsch- Ostafrikachwer geschädigt. Die Tracirung der deutschen Bahnlinien müsse also ernstlich in Angriff genommen werden.Solle das neu zu schaffende Emporium Sansibar ebenbürtig sein,dann dürfe die Einfuhr aus Bagamoyo nicht höhere Eintritts-zölle in Deutschland tragen, als die aus Sansibar; die Folge desjetzigen Zustandes sei, daß die Maaren aus unserer Kolonie erstaus dem Umivcge über den Freihafen von Sansibar nach Deutsch-laud kommen. Es sei eine Anomalie, daß den Schutzgebietennicht einmal die Meistbegünstigung eingeräumt werde. Einegroße Anzahl von Gegenständen sei ganz unnütz überhaupt mitAusfuhrzöllen belastet. Zur Zeit des Herrn von Soden sei auchdie Cabotage besteuert worden, obwohl gar kein vernünftigerGrund dafür einzusehe» sei; diese Steuer müsse ebenfalls weg-fallen. Redner wendet sich dann gegen die gestrigen Be-inerkungen des Abg. Bamberger über das Verfehlte der bis-herigen Kolonialpolitik; der Pessimismus Bamberger's sei un-berechtigt schon aus der Erwägung, daß wir alle Mittel, auchdas der Beschaffung von Kolonien, anwenden müßten, um unsereAusfuhr zu vermehren. Die Geschichte der Kolonialbestrebungender anderen Staaten, namentlich Englands, beweisen das. DieKolonien Deutschlands könnten in Zukunft noch das Rückgrat derFinanzen des Mutterlandes werden.Reichskanzler Graf von Caprivi: Wenn der Vorrednermit der Entwickelung von Ostasrika in den letzten Jahren zu-frieden ist, so kann mich das nur mit Freude erfüllen, denn auchich meine, wir können mit Befriediguug auf das in diesen JahrenErreichte zurücksehen. Der Vorredner meinte, die Leute, welchedas Aufgeben von Sansibar für unschädlich gehalten hätten,hätten sich einer Illusion hingegeben. Von Aufgeben kann abernur die Rede sein, wenn man etwas hat. Oftafrika ist jeden-falls ohne Sansibar angenehmer und leichter zu verwalten, alsmit Sansibar. Wir haben nicht die Hand nach etwas ausgestreckt,was noch heute unerreichbar ist. Tabora hat gewiß große Vor-züge, aber eine stärkere Besetzung hängt zusammen mit einer Ver»mehrung unserer Schutztruppe. Ich bin aber prinzipaliter dafür,diese in möglichst geringen Grenzen zu halten, nicht blos derKosten wegen, fondern auch um die Versuchung zu kriegerischenUnternehmungen zu vermindern.(Zustimmung.) England istauch mit dem Anknüpfen von freundschaftlichen Verbindungenmit den Landesfürsten weiter gekommen als mit Kriegführen.Wir sind schon zufrieden, wenn wir die gegenwärtige Schutztruppewieder auf die volle Kopsstärke bringen. Das ist nicht leicht,weil wir die Schwarzen weither holen müssen zum Militärdienst.Ich hoffe, daß wir bald die Schutztruppe kompletirt haben wer-den. Zu diesem Zweck werden wir die Hilfe des Reichstagesnicht entbehren können. Die Artillerie ist erneuerungs-bedürftig. Wir haben dort ein paar Dutzend Kanonen,tbeils Liebesgaben, theils ans irgend einer Rümpel-kammer stammend. Es sind elf Geschützsysteme dort.Bei den Expeditionen ist kein allzu großer Werth auf die Artilleriezu legen. Bei den Expeditionen Zelewski und Gravenreuth warsie hinderlich und schädlich. Aber für die Sicherheit unsererStationen, namentlich Tabora, ist sie unentbehrlich. Der Vor-redner hat der Kolonialabtheilung warme Anerkennung gezollt,aber den Gouverneur v. Soden scharf kritisirt. Freiherr v. Sodenist heute noch der Gouverneur von Ostafrika. Er hat nur Urlaub,um seine Gesundheit wieder herzustellen. Wie sich die Verhält-nisse in Ostafrika weiter gestallen werden und welche weitereVerwendung Herr v. Soden finden wird, darüber werde ich mirerst ein Urtheil bilden, wenn Herr v. Soden hier ist. Jedenfallsempfinde ich es auch hier als angenehme Pflicht, diesem an-gegriffenen Beamten zur Seite zu stehen. Er verbindet großeKlarheit des Verstandes mit Energie. Deutschland hat alleUrsache diesem Herrn dankbar zu sein. Die Verwaltung einersolchen Kolonie ist nicht leicht. Sie bezieht sich auf den Verkehrmit Deutschland, mit uns und mit den dortigen Beamten undnicht zum wenigsten auf die europäische Presse. Oft werden ihmvon hier aus Rathschläge ertheilt, die er sich schon an den Schuh-sohlen abgelaufen hat. In den Zeitungen erheben von Afrikazurückgekehrte Reisende ihre Stimme, die eine viel geringere sach-liche Erfahrung haben als der Gouverneur. Angriffe gegenrhu sind um so leichter, als drei Monate vergehen,bevor der Gouverneur einen Strafantrag stellen odersich in anderer Weise gegen Preßangriffe wehren kann.Man sollte in der Beurtheilung eines solchen Mannes doch etwasvorsichtiger sein. Der Vorredner hat Herrn von Soden besondersvorgeworfen, daß er Dar-es-Salam und nicht Bagamoyo zurHauptstadt gemacht hätte; die Verantwortung dafür trifft nichtihn, sondern mich. Mit Genehmigung Sr. Majestät und nachreiflicher Ueberlegung habe ich diesen Schritt gethan. Gewiß istBagamoyo der erste Handelsplatz, aber es hat keinen Hafen unddie Verfrachtung in Dhaur ist sehr schwierig. Dar-es-Salamdagegen hat einen geschützten Hafen. Daß sich der Verkehr nichtsofort nach Dar-es-Salam lenken würde, war klar. Eine Eisen-bahn nach dem Tanganyika-See würde gewiß den Verkehr leichterund billiger bewerkstelligen, als dies durch Karawanen geschieht.Erfahrene Afrikaner haben gewisse Zweifel daran. Wir werdengut thun, die Erfahrungen mit der Eisenbahn nach demKilimandscharo abzuwarten. Ein schnelles Vorgehen mit demBau der Eisenbahn halte ich nicht für erforderlich. Die Bahnwürde jedenfalls im Innern zerlegt werden müssen, um denKarawanenverkehr entbehrlich zu machen. Ich stimme mit demVorredner überein, daß dieser Karawanenverkehr eine derschwersten Schädigungen Ostafrikas, das schlimmste Hinderniß fürdas Fortschreiten der Kultur ist. Diese Schäden sind ungleichgröber als die Schäden, ivelche die Sklaveujagden anrichten. Erhindert jede Ausbreitung der Kultur und Gesittung, er verwüstetdas Land. Ganz würde der Eiscnbahnbau den Karawanen-verkehr kaum unterdrücken. Unsere Schutztruppe können wir des»halb auch nicht verringern, sie würde diese Eisenbahn zu über-wachen haben. Diese projektirte Eisenbahn würde eine Längehaben wie eine Bahn von der Ostsee bei Danzig bis zum Boden-see. Das ganze Terrain ist von manneshohem Gras be-wachsen, welches immer wieder wächst. Ich würde den Tagmit Freuden begrüßen, an dem eine solche Eisenbahn eröffnetwürde, möchte aber vor Illusionen warnen. Bevordas Kapital gesammelt und die Vorarbeiten beendigtsind, werden die Karawanen ihre Reisen fortsetzen müssen.Diese Karawanen bestehen aus 1000—2000 Mann; sie berührenOrtschaften von 100—200 Einwohnern und nehmen diesen, wassie haben, und das ist nicht viel, denn die Afrikaner pflegen keineVorräthe zu sammeln. Die zweite Karawane macht es ebenso,bis es die Einwohner vorziehen, den Ort ganz zu verlassen. Sowerden ganze Orte und Straßen vollständig ausgesogen. DieEuropäer sind auch genöthiat ein Auge zuzudrücke», denn lebenmuß die Karawane. Das Land wird verödet. Nur ein Mittelgiebt es um Abhilfe zu schaffen, aber es ist kostspielig und lang-ivierig und nur unter Mitwirkung des Gouvernements und derSchutztruppe durchzuführen. Es müßten die Karawanen getheiltund auf Etappenplätzen, gewissermaßen Karawansereien, ver-proviantirt werden. Das ist aber schwer durchzuführen. Soetwas läßt sich nicht durch den„Reichs-Anzeiger" und durchAmtsblätter einführen. Die Karawanensührer werden so langean ihrem alten System festhalten, bis sie zu ihrem Schaden be-lehrt werden, daß es nicht so weiter geht. Es könnten Jahrevergehen, bis die Sache durchgeführt ist. Der Vorredner hat ge-tadelt, daß wir unsere Kolonien differenziell behandeln. Ichkann zu meiner Freude mittheilen, daß im Zollausschuß desBundesrathes bereits ein Antrag gestellt ist, den Koloniendie Stellung der meistbegünstigsten Staaten in bezug aufdie Zölle zuzuweisen.(Beifall bei den Nationalliberalen.)Ich gebe auch zu, daß Oftafrika sich schnell entwickeln würde,wenn wir nicht die Ausfuhrzölle erhöhen müßten. Vor derHand aber sind wir gezwungen, einen Theil unserer Vermal-tungskosten aus diesen Ausfuhrzollen zu decken, wenn nicht derReichstag den Entschluß faßt, eine höhere Summe zu den Ver-waltungskosten von Ostafrika beizutragen.(Widerspruch links.)Wir möchten einen solchen Antrag nicht stellen, sondern eseinem Mitgliede des Hauses, vielleicht dem Vorredner überlassen.Abg. Bamberger(dsr.): Ich bin im großen und ganzenmit dem Reichskanzler einverstanden. Im einzelnen will ichseiner Auseinandersetzung nicht widersprechen, weil man daswieder als Lust am Neinsagen auslegen würde, noch auch ihmzustimmen, da ihm das von freisinniger Seite bekanntlich un-angenehm ist(Heiterkeit links). Auch ich muß durchaus fürHerrn v. Soden eintreten. Gegen meinen Freund Oechelhäusermuß ich dabei verharren, daß die Bewegung für die Kolonial-Politik in Deutschland lange keine so tiefgehende war. als er esnoch heute dargestellt hat. In Wahrheit war die Jnaugurirungder Kolonialpolitik nur die Revanche für die Ablehnung derSamoa-Vorlage im Jahre 1SS0, welche Fürst Bismarck nichtverschmerzen konnte. Zuerst bescheerte uns diese Revanche dieDampfersubventions-Vorlage im Jahre 1881, jene berühmte Vor-läge, zu deren Vertheidigung der Reichskanzler nach langenJahren wieder zum ersten Male in einer Kommisston und zwarnur gestiefelt und gespornt erschien. Und wenn wirklich voneiner Begeisterung, von einem wirklichen Enthusiasmus die Redesein konnte, ivas ich bestreite, so braucht man doch nur einenBlick auf die heutige(äußerst spärliche) Besetzung des Hauses zuwerfen, um sich zu überzeugen, welche hochgradige Ernüchierungeingetreten ist. Jene Begeisterung hing auf's engste mit derVorstellung zusammen, daß es mit den Erfolgen der Kolonial-politik recht schnell gehen würde. Heute ist alles darüberklar, daß es recht langsam gehl, und niemand kanneinen Weg weisen, der die Dinge schneller zu fördern vermag.Allerdings können wir damit sehr zufrieden sein, daß im letztenJahre kein neues Unglück in Ostafrika geschehen ist. Das ist aberauch das Einzige, womit wir zufrieden sein können. Auch heutehat man uns wieder die Kaffeeplantagen, die Versuche mit Baum-wolle und Tabak vorgeführt. Diese Anführungen werden all-mälig stereotyp; es wird aber nicht hinzugesetzt, daß nicht dieGesellschaft, sondern das Reich für diese Versuche auskommt unddaß es andere deutsche Interesse» als die der deutschen Oitafrika-Gesellschaft in Ostasrika nicht giebt. Die Gesellschaft ist der ein-zige Benefiziant alles dessen, was das Reich für Ostafrika thut.Unter diesen Umständen ist es sehr billig, von Fortschritten derThätigkeit der Gesellschaft zu sprechen. Einen wirklichen Vortheilhat die Kompagnie bei ihren Transaktionen nur aus der Ver-ausgabung unterwerthiger Münzen gezogen. Wenn die Gesell-fchast die Aufhebung der Ausfuhrzölle wünscht, so hat sie auchVorschläge für die Deckung zu machen. Dieses ist aber nicht ge-schehen; sie beschränkt sich darauf, ihren Wunschzettel dem Reichs-kanzler einzureichen, unbekümmert darum, daß das Reich für seineSchutzgebiete noch mehr Opfer bringen müßte, eine Zumuthung,die der Reichskanzler in richtiger Würdigung der Stimmung desReichstages zurückgewiesen hat. Sie verlangt ferner die Ver-stärkung der Garnisonen, das heißt die Verstärkung der Schutz-truppe. Auch diese würde nur der Gesellschaft zu gute kommen,aber dem Reiche nur neue Opfer auferlegen. Daß die Idee, fürWißmann einen Dampfer zu stiften, mit dem er die großenSeen befahren könne', eine Illusion gewesen ist, müssenjetzt auch Herr Oechelhäuser und seine Freunde zugeben.Ebenso wird es mit der Idee der Eisenbahn gehen, und auchder Hinweis auf die bösen Engländer wird nicht mehr ziehen.nachdem man gesehen hat, daß es mit dem gesürchteten Lewis,der mit seinen Millionen nur darauf zu warten schien, Lüderitz-land in die Tasche zu stecken, auch nichts war. Die Furcht vorder englischen Uganda- Kompagnie hat eine eigenthümlicheAehnlichkeit mit der vor diesen famosen Lewis und Carrey(Beifall links).Abg. Graf HoenSbroech(Z.): Ernüchterung muß uns inder Kolonialpolitik durchaus erwünscht sein; ein Reinigungs-prozeß mußte vor sich gehen und ist auch erfolgt. Die Er-nüchterung hat uns befreit von unpraktischen und phantastischenIdeen, ist aber keineswegs mit einer Verstimmung und einemZurückgehen der kolonialfreundlichen Neigungen identisch. Unskommt es vor allem auf das Interesse der Erhaltung und Aus-breitung des Christenthums an, dieses aktuelle Interesse muß beider ganzen Betrachtung um so mehr im Vordergrunde stehen,als die Missionen auch der wirthschaftlichen Erschließung derKolonien erfolgreich vorarbeiten und auch eine hervorragendeBedeutung für unsere Schutztruppe und deren Offiziere haben.In ihrem Einfluß und ihrer Bedeutung ist den Missionen Ab-bruch dadurch gethan worden, daß sie zur Schlichtung vonStreitigkeiten unter den Eingeborenen im Gebiete von Deutsch-Ostasrika nicht mehr zuständig sind, die betreffenden Parteienvielmehr an die Verwaltung nach der Küste geschickt werden.Für Tabora muß auch im Interesse der Missions-thätigkeit eine Verstärkung der Garnison gefordert werden.Die Mittel zur Sicherstellung der Missionsstationen sollte Deutsch-land nach dem Muster anderer Nationen ebenfalls übernehmen.Abg. Graf Arnim(Rp.): Der Reichskanzler hat Herrnv. Soden in Schutz genommen. Ich will ihn auch nicht zumGegenstande von Angriffen machen, um so weniger, als ich nichtGelegenheit hatte, wie Herr Geheimrath Kayser mich an Ort undStelle umzusehen. Aber es sind mir doch Klagen darüber zu-gegangen, daß er den„morbus docrsticus" hatte, daß er diealten Afrikaner falsch behandelte und dergleichen. Auch stehtfest, daß er Peters auf der Reise ins Innere nicht genug Be-deckung mitgab. Die Verstärkung der Besatzungen der Stationen,die Erneuerung des Geschützmaterials ist nothwendig. DieStationen müssen erweitert werden, aber nicht zu Zwing-Uris,sondern zu Kulturstationen. Es müssen bei jeder Station Plan-teure angestellt werde», welche Sämereien zu Versuchszwecken ver-wenden und eventuell die Eingeborenen zu der Verwendunganleiten. Im weiteren bespricht der Redner die Aussichten füreine umfassende Kaffecproduktion in Ostafrika und deren Nutzenfür das Mutterland. Deutschland beziehe jährlich für l'/s MilliardenMark Kaffee und könne diese Summe später eventuell gegen seineProdukte in deutschem Kolonialkaffee anlegen. Im Reichstage istallgemein, mit Ausnahme der Linken, Neigung vorhanden, dieAufwendung des Reichsetats für Ostasrika zu verstärken, wie esauch der Kolonialrath einstimmig gewünscht hat. In welcherForm diese Wünsche erfüllt werden sollen, steht noch nicht fest.Vielleicht kommt der Gouverneur, wenn er nicht zu strikte Ordrehat, mit seinem Etat auszukommen, selbst zu der Ueberzeugung,daß höhere Mittel nothwendig sind; dann wird die Sache ambesten auf dem Wege des Nachtragsetats zu erlangen sein.Abg. Oechelhäuser(ntl.) erklärt, daß er nicht die Auf-Hebung der Ausfuhrzölle, sondern eine Revision des Tarifs an-geregt habe.Nach einer kurzen Bemerkung des Abg. Tamhammer, derdem Reichskanzler gegenüber darauf verweist, daß das Systemder Requisitionen nicht blos beim Karawanenhandel unumgänglichsei, sondern auch von zivilisirten Völkern in Nothsällen ergriffenwerden müsse, wird die Forderung bewilligt.Ohne Debatte iverden die Einnahmen des auswärtigenAmtes genehmigt.Um 4'/i Uhr wird die Sitzung vertagt. Nächste SitzungFreitag 1 Uhr.(Post- und Telegraphenverwaltung.)pelrlÄimvnkkrriH�es.Die Novelle zum Gesetz über den UnterstützungS-Wohnsitz. Dem Reichstage ist der vielbesprochene Entwurfeines Gesetzes, betreffend die Aenderung des Gesetzes über denUnter st ützungswohnsitz und die Ergänzung des Straf-gesetzbuches, nebst Begründung, wie solcher vom Bundesrath be-schloffen worden, endlich zugegangen. Wir theilen daraus vor-läufig folgendes mit: Nach dem Entwurf soll die in dem Gesetzüber den Unterstützungswohnsitz(§§ 10, 22) festgelegte Altersgrenze für die Fähigkeit zum selbständigen Erwerb und Verlustdes Unterstützungswohnsitzes, das zurückgelegte einundzwanzigsteLebensjahr, Herabgesetz t werden auf das zurückgelegteachtzehnte Lebensjahr. Ferner soll der Anspruch auf Er-st a t t u n g der Kosten für vorläufig geleistete Unterstützung inzwei Jahren vom Ablauf desjenigen Jahres ab, in welchemdie Leistung gewährt worden ist, erlösche n.Im§ 29 Absatz 1 soll in Zeile 2 hinter dem Worte:„Lehr-linge" eingeschaltet werden;„land- und f o r st w i r t h-s ch a f t l i ch e Arbeite r".§ 29 schreibt vor, daß, wenn Per-sonen, welche im Gcsindedienst stehe», Gesellen, Gewerbegehilfen,Lehrlinge erkranken, der Ortsarmenverband des Dienstortes dieVerpflichtung hat, dem Erlrankten die erforderliche Kurund Verpflegung zu gewähren. Während für dieFabrikarbeiter und ähnliche Kategorien von Lohnarbeiterndas Kraukenversicherungs-Gesetz bestimmte Normen geschaffen hat,besteht die K r a n k e n v e r s i ch e r u n g s- P s I i ch t für dieLandarbeiter nicht allgemein. Deshalb diese Einschaltung in denK 29, die aber eitel Stückwerk und ein klägliches P a l l i a-l i v ist: denn es ist nothwendig, daß auch auf die Land»arbeiter der Kranken versicherungs-Zw an greichsgesetzlich eingeführt werde, so gut wie für das Ge-finde. Ein Anspruch auf Erstattung der entstehenden Kur- undVerpflegungskosten, beziehungsweise auf Uebernahme des Hilfs-bedürftigen gegen einen anderen Armenverband soll jetzt nur er-wachsen, wenn die Krankenpflege länger als dreizehn(bisher 6)Wochen fortgesetzt würde, und nur für den über diese Frist hinaus»gehenden Zeitraum. Nach s 30 b des Gesetzes hat für einen Hilfs-h