Hr. 233. 25. Jahrgang.1. KeW des Joiniätts" Serlim WsdIM.i ä.fmz Cutzauer.Schon Bieber hat ber Tob einen alten braven Parteigenossendahingerafft. Franz Tutzauer ist in einem Alter von 53 Jahrengestern früh einer Lungenentzündung erlegen. Vor etwa achtTagen zog sich Tutzauer auf der Straßenbahn eine Erkältung zu,die ihn nötigte, das Bett aufzusuchen. Eine Lungenentzündungkam hinzu, und bereits gestern früh machte der Tod seinem Lebenein Ende.Der Verstorbene gehörte zu jener alten Garde der Partei,unter der der Tod in den letzten Fahren reiche Ernte gehalten hat.Geboren am 1l). März 1852 in Berlin, hat unser verstorbenerVorkämpfer von 1866 bis 1876 die Tischlerei erlernt, und dannbis zum Jahre 1877— nach altem Handwerksbrauch— Deutschland und die Schweiz durchwandert. Dabei lernte er im erstenJahrzehnt der sozialdemokratischen Agitation in Düsseldorf, Hannoverund Hamburg unsere Parteibestrebungen kennen und wurde baldein begeisterter Verfechter der neuen Lehre. Bereits der GothaerEinigungskongreh sah Tutzauer 1875 als Delegierten der StadtDüsseldorf: und als dann das Sozialistengesetz mit seinen Ver-folgungen kam, gab er der Arbeiterschaft durch sein Wirken einleuchtendes Vorbild echter Ueberzeugungstreue. Er kehrte nachBerlin zurück und wirkte hier, stets von der Ausweisung bedroht,auf schwierigstem Posten. Als die Arbeiterschaft nach den erstenJahren der Unterdrückung sich wieder auf ihre Organisations-aufgaben besann, gründete Tutzauer 1886 mit Berufskollegenden Fachverein der Tischler in Berlin und blieb bis zum Jahre1883 erster Vorsitzender dieser Gewerkschaft. Ganz besonderseifrig aber beteiligte sich der Verstorbene an der politischen Be-wegung. Das war in der damaligen Zeit, in der jeder, der nurhalbwegs merkbar für die Sozialdemokratie wirkte, von der Aus-Weisung bedroht war, eine schwere Aufgabe. Bei den Reichstags-Wahlen 1884 und 1887 kandidierte Tutzauer im ersten und zweitenWahlkreise, Ende 1885 trat er in die Redaktion des„Volksblattes".des späteren„Vorwärts", ein, für Vereins- und Versammlungs-Wesen verantwortlich zeichnend, wo er bis 1888 blieb.Als die Berliner Genossen im Jahre 1883 in eine wirksameAgitation für die Stadtverordnetenwahlen eintraten, war derGenosse Tutzauer einer derjenigen, die mit aller Wärmeund mit allem Eifer die Berliner Arbeiter für die kommunaleTätigkeit zu interessieren suchten. Das erste Kommunalprogrammbegründete Tutzauer in einer zu diesem Zwecke einberufenengroßen öffentlichen Versammlung. Das Resultat dieser Be-mühungen blieb nicht aus. Am 13. Oktober 1883 wurden dieersten Sozialdemokraten von den Berliner Genossen in den Personender Genossen Singer und Tutzauer ins Rote Haus entsandt.Dort wirkte unser verstorbener Freund nach Kräften für die Jnter.essen der arbeitenden Klasse bis zum Jahre 1862, in welchem Jahreer sein Mandat niederlegte. Die Beteiligung mehrerer sozial»demokratischer Stadtverordneten an der Beerdigung des in Ar-beiterkreisen verhaßten Oberbürgermeisters Forckenbeck hatte inden Kreisen der Parteigenossen Mißbilligung gefunden und ver-anlaßte die Stadtverordneten Höhne. Sabor und Tutzauer zurNiederlegung ihrer Mandate. Von dieser Zeit an tratTutzauer von seiner Berliner Tätigkeit etwas zurück. Trotzdemwirkte er fortgesetzt im allgemeinen Parteiinteresse, wozu ihmvor allem seine Tätigkeit als Reichstagsabgeordneter mehr wiegenug Gelegenheit gab. Tutzauer war im Jahre 1896 von denBreslauer Genossen in den Reichstag entsandt worden und bertratden Kreis Breslau-Ost bis zum Jahre 1966. Bei der Neuwahlunterlag er den vereinigten Feinden.Eine recht nützliche Tätigkeit im Interesse der Arbeiter hatder Verstorbene in der Gewerbedeputation ausgeübt, der er vieleJahre bis heute angehörte. Seine Kenntnis des Jnnungswesenskleines feuilleton.Die grosse Flut in Indien. Von der furchtbaren Ueberschtvem-mungskatastrophe, die so jäh über die blühenden volkreichen Distriktevon Haiderabad hereingebrochen ist, Städte und Dörfer zerstört,die Fluren verwüstet und ein arbeitsames Volk in wenigen Stundenin bittere Verzweiflung gestürzt hat, werden aus Kalkutta jetztweitere Einzelheiten gemeldet. Sie lassen erkennen, daß es eineder grausigsten Heimsuchungen ist, von der das schon so oft von derPest und der Hungersnot befallene Indien betroffen wurde. ImNizan-Distrikt, einem Gebiete von 443 666 englischen Quadrat-meilen, mit einer Bevölkerung von mehr als elf MillionenMenschen, dehnen sich eine Reihe großer Seen und gewaltigerWasserbecken, von denen manche zwei Meilen und länger sind.Eines der größten von ihnen steht mit dem Musi-Flusse in Ver-uindung, der seine Fluten, nordwestlich der Stadt Haiderabad vor-überströmend, dem Golf von Bengalen zuführt. Ein mit außer-gewöhnlicher Heftigkeit einbrechender Monsun brachte so gewaltigeRegenmassen, daß der See überflutete und plötzlich seine Wasser-mengen in den Fluß ergoß. In kurzer Zeit hatten die heulendenWogen die Ufer überflutet, die Dämme gesprengt, und eine ge-waltige, mehr als 26 Fuß hohe Flutwoge brach rauschend unddonnernd über die unglückliche Stadt Haiderabad herein. DieVerwüstung war furchtbar. Ganze Häuser hoben sich und stürztenkrachend zusammen, Dächer wurden fortgeschwemmt, dicke Stein-mauern umgedrückt und in wenigen Minuten war die Stelle, wokurz vorher noch 166666 Einwohner friedlich lebten, ein wüsterwirrer Trümmerhaufen. Unter den Schutt- und Schlammassenlagen hunderte und tausende unglücklicher Jndier begraben, währendunabsehbare Scharen entsetzenerfüllter Flüchtlinge, in wirrerPanik verzweifelt, vor den Wassern sich zu retten suchten. Dief lut ist jetzt abgelaufen, ein wüstes Chaos von Ruinen und Schlammezeichnet die Stätte, an der die Leidenschaft des Elementes ge-wütet. Die ersten Aufräumungsarbeiten haben bereits begonnenund erschütternde Szenen spielen sich auf dem Unglücksfelde ab.Schrecklich entstellte, aufgeschwollene Menschenleichen ragen hierund dort aus dem Schlamm empor, Tierkadaver liegen umher, undein gräßlicher Geruch von Sumpf und Verwesung liegt wie eineschwere Wolke schwül und dumpfig über dem Ganzen. Die Ueber-lebenden sind zurückgekehrt, und mit starren Blicken klettern sieüber Trümmer und Ruinen, um die Stätte wiederzusehen, die einstihr Besitz war. Verzweifelte Mütter suchen nach den Leichen ihrerKinder. Hier eilen Männer und Frauen über die Mauerreste,vorüber an den schmerzentstellten Leichen kleiner Kinder, und da-zwischen tauchen die Gestalten der englischen Beamten und Sol-daten auf, die unermüdlich am Werke sind, die toten Reste zubergen, um so die Gefahr einer Epidemie zu verringern. MitElefanten werden einzelne noch in die Lüfte ragende Mauerreste,die einzustürzen drohen, niedergerissen. Die Flut hat sich mittendurch die Stadt von Norden nach Süden einen furchtbaren Weggebahnt und ein fast drei Kilometer breiter Streifen bezeichnet dieRichtung, den das Verderben genommen. Ueber die Zahl der Opfersind genaue Nachrichten noch nicht zu erlangen. Mehr als 1666Leichen sind bereits geborgen, aber sie stellen nur einen kleinenBruchteil der Unglücklichen dar, die die Katastrophe nicht überlebthabe» und deren Zahl ruf 16 666 geschätztkam ihm hier sehr zustatten, und in zahlreichen Fällen verteidigteet die Arbeiter gegen innungsfeindliche Maßnahmen. Noch inder letzten Sitzung der Gewerbedeputation hat et in wirksamsterWeise sich für den Achtuhrladenschluß eingelegt, dessen Ein-führung ohne jede Ausnahme er energisch forderte. Die Berichte,die wir über diese Sitzungen in unserem Blatte veröffentlichten,stammten aus TutzauerS Feder, so daß wir in ihm auch einengewissenhaften Mitarbeiter verlieren.In seinem privaten Leben blieb der Verstorbene der Prole-tarier, als der er in jungen Jahren ins Parteileben eintrat. EinMöbelgeschäft, das er in den neunziger Jahren gründete, bliebfür Tutzauer eine Quelle steter Sorgen und Entbehrungen; einWirkungsfeld, das seinen Anlagen besser entsprach, fand er 1961als Vorstandsmitglied der Berliner Konsumgenossenschaft. Wenndie Sonfumvereinsbewegung auch in dem steinigen Boden Groß-Berlins in den letzten Jahren endlich Wurzel geschlagen hat, soist das zum Teil der Tätigkeit Tutzauers mit zuzuschreiben.Die deutsche Sozialdemokratie wird in ihm einen der Männerehren, die den harten Kampf mit dem Bismärckischen Partei-regiment zu einem siegreichen Ende führen halfen; insbesonderewird aber die Arbeiterschaft der beiden größten preußischen Städte,Berlin und Breslau, das Andenken an unseren Toten stets inEhren halten l»Die Beerdigung des verstorbenen Genossen Tutzauer findetam Dienstag, den 6. Oktober, nachmittags 5 Uhr, von der Leichen-Halle der Freien Gemeinde in der Pappel-Allee aus statt.Karl Marx und die Melterblldung.Im neuesten Heft der„Neuen Zeit" schreibt GenosseK. Kautsky in einem Artikel„Einige Feststellungen überMarx und Engels", im ersten Teil„Marx":„Wie früher schon so oft, haben auch bei den jüngsten Partei-diskussionen die Gegner der Marxisten uns durch Berufungen aufMarx und Engels zu schlagen versucht. Zwei derartige Berufungenseien hier näher betrachtet, da sich deren Haltlosigkeit nicht ohneweiteres ergibt.Die eine geschah auf dem Nürnberger Parteitag bei der Dis-kussion über die Parteischule. Von Eisner wurde im Anschluß aneinen Artikel Maurenbrechers der Satz verteidigt, die Arbeiter-bildung habe darin zu bestehen, den Arbeitern die wichtigstenEinzeltatsachen namentlich der Geschichte beizubringen, dagegen seies geradezu schädlich, sie mit den großen Zusammenhängen in Ge-schichte und Oekonomie, mit materialistischer Geschichtsauffassungund Werttheorie bekanntzumachen. Die könnten sie ja doch nichtverstehen. Die Arbeiterbildung sollte also in der Weise jener Uni-versitätsbildung betrieben werden, die Mephisto so fein verspottet:Wer will was Lebendiges erkennen und beschreiben,Sucht erst den Geist herauszutreiben.Dann hat er die Teile in seiner Hand»Fehlt leider! nur das geistige Band.Dem Proletarier sollten seine Lehrer nur die Teile in dieHand geben, das geistige Band aber für sich behalten. Man sollArbeitern bloß Geschichten erzählen, nicht aber sie in Wissenschaft-liches Denken einführen.Andererseits meinte Maurenbrecher, der Unterricht in denParteischulen habe den Arbeitern nicht Theorie, sondern Ent-schlossenheit und Willenskraft beizubringen.. Dazu solle man ihnengroße Taten und die Schicksale starker Männer, Lassalles, Napo-leons, Friedrichs II., Bismarcks usw. vorführen.Darüber liehe sich natürlich sehr viel sagen. Wir sind der An-schauung, daß den Proletariern Entschlossenheit und Willenskraftdurch die Kämpfe des Lebens beigebracht werden. Wer sie darausnicht gewinnt, den werden ein paar Biographien auch zu keinemHelden machen. Was den Arbeitern fehlt, was ihnen das Lebennicht beibringt, das ist die Erkenntnis ihrer Stellung in der Gesell-schaft und ihrer daraus erwachsenden historischen Aufgaben, dasist also die„Theorie".Theater.SizilianischeS Gastspiel. Vor etlichen Jahren trat inRom eine bescheidene sizilianische Schauspielertruppe in einemkleinen Theater auf, die in ihrem auch für die übrigen Italienerschwerverständlichen, an Gutturallauten reichen Dialekt dramatisierteBegebenheiten ihrer Heimat aufführte. Man sah da blutigeDramen aus dem Schwefelgebiete, in denen die gedrückten ArbeiterRache nahmen an den Herren und ihren Mittelspersonen. AlsKunstwerke kamen sie nicht in Frage, aber sie befriedigtendas ethnographische Interesse in starkem Maße. Man ge-wann Einblicke in Menschen und Verhältnisse, die auchdem Normalitaliener unbekannt waren. Eine besondere Welt tat sichaus, die ebenso beftemdend anmuten mochte, wie die Eindrücke, dieunsere Leser aus der Lektüre des Romans Mafia davon gewonnenhaben mögen. Daneben reizte aber auch die natürliche schau-spielerische Begabung, die diesen ersten sizilianischen Dialektdarstellerneigen war, und ihr stark naturalistisches Spiel. Es war also eineArt Schlierseer Bauerntheater, nur daß statt der sentimentalen eineleidenschaftliche Note vorherrschte und daß die rein ethnographischeSeite der Tänze usw. fehlte und keine Gartenlauben- sondern eherKolportageromane den Stoff boten.Die sizilianische Truppe erweckte in Italien ein gewisses Interesseund, was ein Fehler aller dieser Spezialtruppen ist, ging dauerndauf Gastspiele. Grasso, einer ihrer ersten Kräfte, wurde ihrManager und ihre Hauptattraktion. Italien wurde bereist, unddann kam Paris und London an die Reihe. Nun ist die Gesellschaft,mit allem journalistischen Tamtam umklingelt, im ehemaligenWolzogen-Theater in der Köpenicker Straße eingekehrt. Dasgleichgültige Volk, das als Vertreter der Weltstadt Berlin bei der-artigen Festlichkeiten unvermeidlich zu sein scheint, hat in einer Vor-stellung vor geladenem Publikum die Gäste gefeiert und die italieni-scheu Landsleute haben sie wacker beklatscht. Berlin WW., das füralles Exotische mit schwarzem Haar besonderes Interesse bekundetund die italienischen Hotelausdrücke von agua bis vino beherrscht,hat Beschäftigung für seine stets wachen Vildungsinteressen. Und diebildungstrunkenen Größen des Feuilletons haben eine sehr schöneGelegenheit„im Glanz einer Kuhhirtenintelligenz zu strotzen", mitwelchen treffenden Worten einer von ihnen diese ganze Literaturporträtiert, während et doch nur den einen der Darsteller damitcharakterisieren will. So erfahre es denn, Berlin, daß der Aetna inSizilien liegt und Feuer speit und daß Herr Grasso dasselbe tut< Theorie des Milieu). Daß der Sikuler(lies: Sizilianer) einenbreiten Dialekt hat(was ein Schwindel ist) und daß seine Vorfahreneinen großen Sklavenaufstand und die sizilianische Vesper veranstaltethaben. Was dergleichen Brockhausweisheit mit diesem Gastspiel zutun hat, möge einer wissen. Soviel steht fest, daß solche Gastspiel-truppen nie ein getreues ethnographisches Bild ihrer Heimat geben(man denke an die Oberbayern). Zudem weiß man gar nicht, wievielMitglieder dieses Gastspiels wirklich Sizilianer sind.(Gesprochenwurde gewöhnliches Italienisch mit einigen sizilianischen Anklängen.)Und aufgeführt wurde ein dem Spanischen entnommenes Stück(Feudalismo), das an die ärgsten Rühr- und Schauerdramenunserer Schmieren erinnert. Also auch nichts SizilianischeS. Dochdarauf kommt es ja nicht an. Aber es schien mir notwendig, ein-mal auf den Humbug hinzuweisen,- der mit Völkerpsychologie ge-trieben wird.Aber diese Frage wollen wir jetzt nicht weiter erörtern, wirwollen uns nur den Zeugen ansehen, auf den Eisner sich berief.Hätte er sich auf den Pfarrer Naumann gestützt, so wäre das voll«kommen berechtigt gewesen. Eben jetzt veröffentlicht dieser in der„Neuen Deutschen Rundschau" einen Artikel, in dem er genau wieEisner und Maurenbrecher erklärt, den Proletariern brauche vonder Sozialdemokratie nicht ökonomische Erkenntnis beigebracht zuwerden, sondern ein starkes Wollen. Das heißt mit anderenWorten, das, was man die Arbeiter lehren müsse, sei nicht wissen«schaftlicher Sozialismus, sondern Gefühlssozialismus.Daß die für das Proletariat nötige ethische Erhebung und Er«bauung ihm am besten durch die Biographien hervorragenderMänner eingeflößt werden, dieser Gedanke liegt den theologischenDoktoren des Nationalsozialismus sehr nahe. Gerade von dieserAuffassung ließen sich die christlichen Propagandisten bei der Nieder-schrift der Evangelien und sonstiger erbaulicher Legendensamm-lungen leiten.Aber freilich wäre Eisner ausgelacht worden, hätte er FriedrichNaumann herangezogen. Er berief sich vielmehr auf Karl Marx,auf den Mann, der mehr als jeder andere dahin gewirkt hat, ausden Köpfen der Proletarier den Gefühlssozialismus durch wissen«schaftlichen Sozialismus zu verdrängen.Seine famose Auffassung glaubt Eisner zu stützen durch einenMarxschen Satz, in dem bemerkt wird, die Arbeiter, wenn sie dieArbeit aufgäben und Literaten würden, richteten theoretisch stetsUnheil an.Für die Frage der Arbeiterbildung ist dieser Satz freilich be-langlos. Es steht hier kein Wort davon, daß die Arbeiter unfähigseien, den historischen Materialismus und die Werttheorie zu ver-stehen. Er wendet sich bloß dagegen, daß Arbeiter„Literaten vonProfession" werden. Immerhin könnte er zu falschen AuffassungenVeranlassung geben, es ist daher gut, seinen wahren Sinn aus demZusammenhang, in dem er steht, festzustellen.Marx schrieb den Satz in einem Briefe an Sorge am19. Oktober 1377.*) Damals begann in die deutsche Sozial-demokratie ein Geist einzudringen, der Marx sehr besorgt machte.Ideen machten sich in unseren Reihen breit, die dann das Sozia-listengesetz wegfegte, die aber nach dessen Ueberwindung im Revt-sionismus ihre Auferstehung feierten. Höchberg predigte zu jenerZeit einen„ethisch-ästhetischen" Sozialismus, Schäffle, Dühringund andere akademische Lehrer gewannen Einfluß auf die Ar-beitermassen durch Vermittelung einzelner Parteigenossen, Arbeiter,die, ohne gründliche Vorbildung, bloß auf ihre Intelligenz, ihrstarkes sozialistisches Empfinden und ihre Federgewandtheit ge-stützt, zu Berufsschriftstellern geworden waren und nun jeder neuensozialistischen Erscheinung, jeder neuen Mode haltlos gegenüber«standen, dabei aber durch ihre unleugbaren literarischen und agita-torischen Fähigkeiten Einfluß auf die Massen gewannen und so indiesen anstatt Klarheit und Einheitlichkeit Verworrenheit und Ver-wirrung säten. Am meisten machte sich in dieser Beziehung JohannMost bemerkbar.Darüber schrieb Marx?„In Deutschland macht sich in unserer Partei, nicht so sehrunter den Massen als unter den Führern(Höherklassigen und„Arbeitern") ein fauler Geist geltend.Der Kompromiß mit den Lassalleanern hat zum Kompromißauch mit anderen Halbseiten(?) geführt, in Berlin(siehe Most)mit Dühring und seinen„Bewunderern", außerdem aber miteiner ganzen Bande halbreifer Studiosen und überweiserDoktors, die dem Sozialismus„höhere ideale" Wendung gebenwollen, das heißt die materialistische Basis, die ernstes objektivesStudium erheischt, zu ersetzen suchen durch moderne Mythologie,mit ihren Göttinnen der Gerechtigkeit, Freiheit, Gleichheit undFraternits(Brüderlichkeit). Herr Dr. Höchberg, der die„Zu-kunft" herausgibt, ist ein Vertreter dieser Richtung und hat sichin die Partei„eingekauft"— ich unterstelle mit«den edelsten"Absichten, aber ich pfeife auf„Absichten". Etwas Miserableresals sein Programm der„Zukunft" hat selten mit mehr„beschei-dener Anmaßung" das Licht erblickt.*) Briefe und Auszüge von Briefen von I. Ph. Becker,I. Dietzgen, F. Engels, K. Marx und andere an F. A. Sorge.S. 158 ff.Zweifellos verfügt die Truppe über eine Reihe guter Darsteller,die sich in Dramen von größerer Naturwahrheit und bei schlichteremSpiel(sie haben outrierte Gastspielgewohnheiten) noch viel besserbewähren würden. Sie haben das ausgeprägte Mienen- und ge-steigerte Gestenspiel wie alle Südländer, sie kreischen und singenfalsch wie die meisten Italiener, und sie haben die Vorliebe fürschöne Rhetorik und wirksame Posen, die wir auf unseremTheater nicht mehr lieben. Es wäre falsch, diese begabten Schau-spieler nach diesem ersten Eindruck, der infolge des fürchterlichenStückes mit seinen Tränenorgien und krassen Wüstheiten ein ge-trübter war, beurteilen zu wollen. Aber das eine mutz gesagtwerden: Grasso, ihr gefeierter Mann, hat bei allen Talenten fürunseren Geschmack unleidliche Gewohnheiten eines ersten Tenors.der Arien singt, und trotz aller barbarischen Wildheit und Feuer-fresserei starke Neigung zur Unnatur. Daß in alledem Kraft undGröße liegt, ist unbestreitbar, aber sie müßte gebändigt und künst«lerischen Zwecken dienstbar gemacht werden. Ja, wenn diese ver-fluchte Gastspielerei und der exotische Zauber nicht wärel— r.Notizen.— Die Nene Freie Volksbühne hat seit Eröffnungihres neuen Spieljahres einen Zuwachs von 19 666 auf 26 666 Mit-glieder zu verzeichnen. Die Zahl der Abteilungen mußte auf 31 er«höht werden. Neuaufnahmen können im lausenden Spieljahr nurnoch vereinzelt stattfinden.— Die neueingerichteten Leseabendewerden jeden Mittlvoch abend abgehalten. Die nächsten Abende sindFontane, Storm, Reuter Maupassant, Keller, Hehse gewidmet.— Musikchronik. Sonntag, den 11., mittags 12 Uhr, findetim Schiller-Theater- Charlottenburg das erste diesjährigeSonntagskonzert statt.— Vorträge. Der Monistenbund veranstaltet am Mon-tag 8'/« Ubr im Bürgersaal des Rathauses seinen ersten Winter«Vortrag. Pastor Baars aus Vegesack spricht über„die neue Moral".— D i e Z e n s u r w a ch t, d. h. sie verbietet dann und wannein Theaterstück, um dem Lande ihre fortgesetzte Ueberflüssigkeit undSchädlichkeit zu beweisen. Indem sie funktioniert, untergräbt sieerfreulicherweise ihre eigene Existenz. Sie ist insofern mephistophe«lischer Art, als sie im bösen Wollen das Gute schafft. Im übrigenhat die Zensur natürlich mit diesem Geiste oder mit irgend welchemanderen nichts zu tun. Also: verboten wurde dem Berliner Theaterdie Aufführung der Komödie„Nur ein Traum" von LotharSchmidt. Das Drama soll eine scheinbar viereckige Konstellationenthalten, die sich aber bei näherem Zusehen als„ein Traum" er«weist. Die kgl. preußische Zensurmoral gestattet dergleichen also nichteinmal im Traum.— Altägyptischer Silberschmuck auf der InselOeland. Ein interessanter Fund, der in daö Reichsmnseum zuStockholm gelangen soll, wurde auf der Insel Oeland(Schweden)beim Bau der Eisenbahn von Järnsjö nach Gardslösa gemacht.Etwa dreißig Zentimeter tief in der Erde fand man verschiedeneschöne Silberarbeiten, zwei große ornamentierte Schildbuckel, fünfArm- und Beinringe und eine etwa meterlange Kette, die aus grobenGliedern mit ziselierten Krokodilköpfen besteht. Die Gegenständewiegen zusammen etlva 2V3 Kilogramm. Nach dem„Globus" wirdangenommen, daß der Fund ägyptischen Ursprungs ist. Wie vielekoptische und arabische Münzen, die man gefunden hat, beweisen,ging die alte Handelsstraße über die Inseln Gothland und Oeland.