Althoss gestorben. Der frühere Ministerialdirektor Dr. A l t h o f f ist heute in Steglitz gestorben. Dr. Althofs war der leitende Geist im Unterrichtsministerium, das Herr S t u d t mehr dem Namen nach verwaltete. Während sein Kollege Schwartz- kopfs das preußische Volksschulwesen ruinierte, hat Althoss mit großer Konsequenz und Energie die preußischen Universitäten in Zuchthausanstalten konservativ-reaktionären Geistes umzuwandeln versucht. Während er für die materiellen Bedürfnisse der Lehranstalten innerhalb ge- wisser Grenzen Verständnis hatte, trat er um so gründlicher gegen jede Regung freiheitlichen Geistes auf. Er hat mit- geholfen, die letzten Reste der Lehrfreiheit an den preußischen Universitäten zu beseitigen. Die Lex A r o n s ist vornehm- lich sein und seines Gehilfen Elsters Werk. Althoff sah im Universitätsprofessor nichts als einen Bureaukroten, der vor allem Order zu parierew und sich den Bedürfnissen der Ne- gierung anzupassen hat. Mit Schmoller zusammen hat Alt- hoff es verhindert, daß auf preußischen Universitäten die Sozialwifsenschaften anders als in dem Geiste der historischen Schule behandelt werden. So war Althoff für die preußische Reaktion ein wichtiger Helfer. Und dies um so mehr, als er große Energie mit einem starken Verwaltungstalent ver- band. Seine Nachfolger vollenden sein Werk und beweisen, daß man der preußischen Reaktion auch dienen kann, ohne Talent zu besitzen._ Sächsische Wahlrechtsreform. In der heutigen Sitzung der Wahlrechtsdeputation wurde die zweite Lesung des Vorschlages der Regierung vorgenommen. Der grundlegende§ 10, der die Scheidung in zwei Massen vorsieht. welche mit vier Stimmen Zuschlag bezw. solche mit einer Stimme, wurde mit lg gegen 10 Stimmen angenommen. Dagegen stimmten die Nationalliberalen und der Freisinnige. Mecklenburgische„Ritter". Der außerordentliche Landtag in Schwerin ist o h n'e E r g e b n i S verlausen. Nach zum Teil äußerst erregten Debatten sind die weiteren kommissarisch-deputatischen Beratungen des außerordent- lichen Landtages seitens der Regierungslommissare als achl s- sichtsloS abgebrochen worden, da das bisherige Ergebnis dieser Verhandlungen völlig negativ ist. Die Mitglieder der Ritterschaft haben alle Regierungsvorschläge abgelehnt. Gleichberechtigung? In Mannheim ist heute eine SchivurgerichtSperiode eröffnet Worden, lieber die Eröffnung der Tagung wird der„Franks. Ztg." genreldet! In einer einleitenden Ansprache bemerkte der Vorsitzende Landgerichtsdirektor Dr. Humniel u. a.. daß unter den ausgelosten Geschworenen sich auch ein Arbeiter befand. Dieser habe aber von seinem Amte entbunden werden müssen, da die Firma, bei der er beschäftigt ist, ihm erklärte, daß er sofort entlassen werde, wenn er dieses Amt ausüben wolle. Der Vorsitzende nannte die Firma nicht._ OcPtemich-Clitgam. Chauvinistischer Lärm. In Prag haben sich Montag abend die nationalistischen Exzesse wiederholt. Die Polizei konnte mit den Nationalisten nicht fertig werden und erst der Kavallerie gelang es, die Straßen zu räumen. Es wurdeu 50 Verhaftungen vor- genonlmen. Die Regierung ist über diese Kundgebungen sehr erregt. Die Leute des Herrn Klofac— dieser gewissenlose Chauvinist. der zugleich der erbittertste Feind unserer tschechischen Genossen ist, hat diese sinnlosen Krawalle sehr sorgfältig inszeniert— beschränken sich nämlich nicht nur darauf, die deutschen Kouleurstudenten durchzuprügeln und deutsche Geschäftshäuser mit Steinen zu bombardieren, sondern benutzten zugleich die Gelegenheit, um ihre Sympathie und Seelenverwandtschaft mit den serbischen Helden kundzutun. Eine offiziöse Kundgebung erklärt nun, daß sich die ernst zu nehmenden Elemente unter den Tschechen entscheiden müssen. ob sie sich der auswärtigen Politik des Staates in den Weg stellen und die Durchführung staatlicher Zwecke verhindern wollen. Der Statthalter ist angewiesen worden, mit größtem Nachdruck neue Ausschreitungen zu verhindern, und es scheint, daß die Regierung es wieder einmal mit dem Ausnahme- zustand in Prag probieren will. Das ist das Resultat des unverantwortlichen Treibens, das die Chauvinisten beider Nationen im böhmischen Landtage begonnen haben. Aber die Arbeiterschaft ist nicht gesonnen, ruhig zu ertragen, wie der chauvinistische Wahmvitz nicht nur die böhmische Wnhlreform vereitelt, sondern auch die Arbeits- fähigkeit des Parlaments in Frage stellt. Die deutschen Sozialdemokraten Böhmens haben am Sonntag in großen Versammlungen und Straßendemonstrationen gegen die Verschleppung der Wahlreform durch die deutschbürgerliche Obstruktion sehr energischen Protest erhoben. Die deutsch - nationalen Jünglinge, die die Demonstration an manchen Orten zu stören versucht haben, haben dabei trotz der Unter- stühung der Polizei sehr unangenehme Erfahrungen gemacht. Und auch die tschechischen Sozialdemokraten sind nicht gesonnen, das frevle Treiben der bürgerlichen Chauvinisten ruhig gewähren zu lassen. Gemütlicher scheinen die Minister die Situation zu betrachten. Die tschechischen Minister haben sich damit begnügt. daß ihre Demission vom Kaiser nicht angenommen wurde und die deutschen Minister, deren Parteigenossen in Prag Obstruktion getrieben und der Regierung ihr schärfstes Mißtrauen ausgesprochen haben, haben erklärt, daß auch sie im Kabinett verbleiben wollen. Da keiner ohne den anderen gehen will, bleibt eben sowohl der Deutsche aE der Tscheche und wenn auch nicht die Fenster- scheiden so bleiben wenigstens die Ministerportefeuilles den Nationen erhalten. Die deutsche Antwort. Karlsiad, 20. Oktober. Hier wiederholten sich heute nachmittag vte antitschechischen Demonstrationen. Die Menge zog vor die Wohnung des Obmannes, Stellvertreters der dortigen Beseda(deS tschechischen Klubs), warf alle Fensterscheiben ein, zerbrach den Gartenzaun, drang in die Wohnung ein und zer- trümmerte darin alles. Sodann durchzog die Menge die Straßen, zertrümmerte tschechische Auf- fchriften und riß tschechische Firmentafeln herab. Die Polizei mußte mehrere Male blank ziehen. Mehrere Wachleute und Gendarmen wurden durch Steinwürfe verletzt. frankmeb. Demission des MarinemiuisterS. In der Kammer wurde gestern die Debatte über die klrsachen der Pnlverexplosion auf der„Jena " zu Ende geführt. D e l c a s s ö. der-Präsident der Nntersuchungstommission, machte die Nachlässigkeit de? M a r i n e m i n i st e r 3 und der o b e r st e n Beamten für die Katastrophe verantwortlich und beantragte schließlich ein Mißtrauensvotum. Der erste Teil der Tagesordnung DelcafsS, der die festgestellten Nachlässigkeiten und Fehler beklagt, wurde auch mit allen gegen eine Stimme angenommen. Ans daS Verlangen ElemenceanS aber, der die Kabinettsfrage stellte, nahm hierauf die Kammer, trotz de? Protestes Delcasses, der erklärte, daß die erste einmütige Abstimmung das Ver- trauen für die Regierung ausschließe, mit 345 gegen 122 Stimmen ein Vertrauensvotum für die Regierung an. Trotzdem gab der Marineminister Thomson nach der Sitzung seine Demission. Ueber seinen Nachfolger ist noch nichts bestimmt. In den Wandelgängen der Kammer wurden der Deputierte C h a u m e t. der Senator und che- nmlige Justizittinister Monis sowie der Admiral Fournier genannt. k�uklanä. Ter Nniversitätsstreik. Moskau , 20. Oktober. Die Studenten der hiesigen Universität haben in einer heute abgehaltenen Versammlung mit großer Mehrheit beschlossen, den Streik einzustellen. Gegen die Juden. Petersburg, 19. Oktober. Ein vom Kaiser bestätigter Beschluß deS Ministerrats über die Normierung des Prozentsatzes bei der Aufnahme von Juden in die L e h r n n st a I t e n verfügt, daß Juden an den Höberen Lehranstalten sämtlicher Ressorts, aus- genommen an den Petersburger und Maskauer Konservatorien, wo ein höherer Prozentsatz zulässig ist, m i t 3 P r o z. an der Hörer- zahl beteiligt sein dürfen, soweit diese Lehranstalten in den Ne- sidcnzen liegen. An den Lehranstalten der übrigen außerhalb des AnsiedlungSrayons liegenden Städte darf die Zahl der jüdischen Schüler 5 P r o z. mrd an den Lehranstalten innerhalb dieses Rayons 10 Proz. betragen._ Eine Begnadigung. Odessa , 20. Oktober. Die sechs deutschen Kolonisten, die wegen leichter Verletzung eines Polizeibeamten angeklagt nnd zum Tode verurteilt worden waren, sind infolge Vermittelung hochgestellter Personen vom General KaulbarS begnadigt und die Todesstrafe in ein Jahr Gefängnis für jeden um- gewandelt worden. perfien. Keine ueue Belagerung. London , 19. Oktober. Wiq der„Times" aus Teheran gemeldet wird, wird die Belagerung von Täbris aufgehoben, da der Schah eingesehen hat, daß der Ver- such zur Eroberung der Stadt, wenigstens im Winter, a u S- sichtslos ist. LMna. Der Zafammeustoß mit den Japanern. Peking , 20. Oktober. Nach der Untersuchung des ZtollchenfalleS bei Kanton(Nordkorea ), wo eS zwischen chinesischen und japanischen Truppen zu einem Zusammenstoß gekommen war, verlangte China eine Entschädigung und Bestrafung der Schuldigen.---- JMarohho. Die Anerkennung Mulay HafidS. Paris , 20. Oktober. Eine HavaSnote besagt: Die am Montag von Frankreich und Spanien den Signatarmächten der AlgeciraSakte zugestellte Note ist in der Form deS Entwurfes eines Schreiben? gehalten, welches von dem Doyen deS diplomatischen KorpS in Tanger im Namen der Vertreter aller beteiligten Möchte an Mulay Hafid geschickt werden soll. DaS Schreiben nimmt Akt von dem von Mulay Hafid am S. September d. I. an das diplomatische Korps gerichteten Brief. welcher den Beitritt des neuen Sultans zu der AlgeciraSakte feststellt. Aber man legt in dem Schreiben die Auslegung, die die Regierungen dieser Erklärung geben möchten. dem guten Einvernehmen das sich zwischen den Regierungen nach der ersten französisch- spanischen Note gebildet hat, ent- sprechend, in folgende» Punkten genau fest: � Ausdrückliche Bestätigung der AlgeciraSakte. der'Dienstvor- fchriften mit AnSführungSbestiminungen für die Polizei. deS Mandats zur Unterdrückung des WafjenschmuggelS an der Küste, der Verbindlichkeiten deS Machsen Privatleuten gegenüber; Haftung für die von Abdul Asis bis zu seiner Verzichtleistung auf den Thron gemachten An- j e i h e n abgesehen von der endgültigen Anerkennung der Schulden an Private; Bestätigung der Kommission zur Festsetzung der vom Machsen zu leisteoden Entschädigungen in Casablanca. Weiler irnrd verlangt, daß der neue Herricher die zur Sicherstellung der Freiheit und Sicherheit der Verkehrsmittel erforderlichen Maßnahmen trifft und seinem Volke seinen Willen kundgibt. mit allen Ländern und allen deren Untertanen Beziehungen zu pflegen, wie sie den, Völker- recht entsprechen, unter Wahrung des Rechtes jeder Macht, die Regelung von Fragen, die sie allein berühren, für sich allein zu verfolgen. Es wird angekündigt, daß Frankreich und Spanien sich vorbehalten, die Z u r ü ck c r st a t t u n g ihrer militärischen Ausgaben und die Zahlung einer Entschädigung für die Ermordung ihrer Staatsangehörigen zu fordern; ebenso wie die anderen Staaten, die sich hinsichtlich dieses letzten Punktes in derselben Notwendigkeit befinden würden. Mulay Hafid wird ersucht, ausdrücklich zu erklären, daß seine Er- klänuigen seinem Danken wohl entsprechen, damit man ihn als Sultan anerkennen kann. Schließlich wird er an die Gründe er- innert, die es für ihn empfehlenswert machen, darin einzuwilligen, daß seinem Bruder und Vorgänger eine angemeffene Lebenshaltung ermöglicht nnd den Beamten deS früheren Machsen eine gerechte Behandlung zuteil wird._________ Ilms freie Wahlrecht. Schneidende Kälte herrschte gestern abend in den Straßen Berlins . Aber sie hat die klassenbewußte Arbeiterschaft nicht ab- gehalten, für? freie Wahlrecht zu demonstrieren. Um 7 Uhr, nach vollendetem harten Tagewerk, schwärmten die wackeren Flugblatt- Verbreiter aus, um- die IV« Millienen der Agitationsnummer deS.Vorwärts' zu verbreiten. Treppauf und treppab gingS im schnellen Schritt und nicht lange dauerte eö, so war die Parteiarbeit verrichtet und die Verbreiter fanden sich in den Zahlstellen wieder zusammen, um die ordnungsmäßige Ab- Wickelung der Verteilung festzustellen. Ii, dichten Trupps zogen die Genossen darauf zu den Versammlungslokalen, die sie zumeist schon gefüllt fanden. Und trotz der Kälte harrten sie dann auf der Straße standhaft aus, marschierten unter den wachsamen Augen der Polizei in lesen Zügen die Fußsteige in der Nähe der VersammlmrgSsäle«mf und ab, um sich wenigstens nach Schluß der Versammlungen mit den Teilnehmern zur Kund- gebung gegen daS Dreiklaffenwahlrecht zu vereinen. Die Polizei hatte große Vorbereitungen getroffen, um Straßen- demonstrationen zu verhindern. Auf den Straßen allerdings sah der aufmerksame Beobachter nur eine geringe Vermehrung der be- waffneten Ordnungshüter — nur in der Nähe der VersammlungS- lokale waren die Schutzleute etwas zahlreicher. Die Hauptmacht saß in den fliegenden Wochen, die in öffentlichen und nichtöffentlichen Gebäuden errichtet waren. Hier harrten die Blauröckigen bei Bier und Rauchtabak, bis der Ruf fürs Vaterland an fie ergehen würde. Das Schloß war besonders geschützt. Der Saal der Börse be- berbergte an 200 Verteidiger von Thron und Altar. Mit ihnen wachten andere, um zu verhüten, daß die Roten etwa die für den Einzug der Prinzessin schon geschmückte Straße der Linden durch WahlrechtSkundgebungen entweihen könnte� wo die loyalen HnrraS der Gutgesinnten erschallen sollen. Im allgemeinen hat die große Polizeimacht nichts zu tun be- kommen. Das Berliner Proletariat begnügte sich, zum Beginn des Landtages den Herrschenden durch Versammlungskundgebungcn zu wahnen. Die Spitzelnachrichtcn, die bei der Polizei und einigen aufgeregten Scharfmachcrorganen bereitwillig Glauben gefunden hatten, daß die Roten einen Zug vors Eckstoß beabsichtigten, waren eitel Wind. Aber die Polizei hatte nicht umsonst gerüstet, nicht umsonst den Säbel geschliffen: An zwei Stellen, wo offenbar be- sonders nervöse Kommandeure tätig waren, ist sie auf die aus den Versammlungen kommende nach Hause marschierende Menge eingedrungen, weil sich die preußischen Staatsbürger dritter Klasse erlaubten, daS freie Wahlrecht hochleben zu lassen und die Arbeiter- Marseillaise zu singen. Die Patrioten in der Wahlnacht des Januar 1907 haben zwar nicht nur das getan, sondern haben auch einen regelrechten TemonstrationSzug gebildet und sind von der Polizei dabei sorgsam behütet worden. Aber wir sind doch in Preußen, wie am Engelufer ein Polizeibeamter sehr treffend be- Merkte. Und in Preußen ist es nicht dasselbe, wenn zwei dasselbe tun. Von wegen des gleichen Rechts, das die Verfassung garantiert! Ueber den Verlauf der Versammlungen und die Vorgänge an den Versammlungslokalen wird uns berichtet: Bei Ballschmieder, Badstraße, standen die Genossen und Genossinnen schon um 149 Uhr Kopf an Kopf und immer neue Scharen strömten in den Saal. Ueber allen Gesichtern lag eine erwartungsvolle Stimmung. Am Lokaleingang an der Straße hatten sich b— 6 Schutzmänner postiert, deren umfangreiche Bäuche der gelbe Ledergurt mit dem drohenden Schießeisen umspannte. Ueberall waren verstreute Posten aufgestellt, und die OrdnungSwächtcr in Zivil flanierten auf und nieder und äugten scharf in die Menge. Ein langer, hagerer Offizier flog aufgeregt bald rüber und nüber, teilte Befehl« aus und verzweifelte fast über die immer wieder andrängenden Scharen, in denen auch die Frauen zahlreich vertreten waren. Bald wurde das Lokal als„überfüllt" gesperrt und die Schutzleute wiesen die Ankommenden strikte zurück. Eine schwarze Menschenkette unternahm nun unter Affistenz der Beamten einen Krcisdauerlauf. den sie trotz der beißend kalten Abendlust konsequent bis zum Schluß der Versammlung durch- führte. Hatten sich die Schutzleute bis dahin ziemlich ruhig und reserviert verhalten, so griff jetzt unter ihnen die bekannte Nervosi- tat Platz, und als erst die Abziehenden ein Hoch aus daS Wahlrecht ausbrachten, begannen sie im Laufschritt zu „schtvärmen". Unterwegs kam eS. soweit wir die Situation überblicken konnten, zu ernsten Zusammen st ößen. auch konnten wir einige Sistierungen wahrnehmen. Einen Wagen der Straßenbahn, der mit Schutzleuten angefüllt war, mußten wir wieder verlassen, damit— noch mehr von diesen ouffteigen konnten.— Auf einen: zweiten kam es zu einer ulkigen Szene. Vier Schutzleute und ein Offizier wollten, als Hochrufe erschallten, wieder abspringen, ohne bezahlt zu haben. Der Wagenführer und einige Fahrgäste prote- stierten. Obgleich der Offizier, der es sehr eilig hatte, erklärte. morgen bezahlen zu wollen, mußte er doch unter dem Hallo der Um- stehenden die fünf Billette berappen. Von anderer Seite wird uns über die Zusammenstöße nach Schluß der Versammlung noch mitgeteilt� Die Polizei hatte eine fliegende Wache im Wartesaal des Bahn- Hofs Gesundbrunnen errichtet, Berittene waren in der Markthalle abgesessen. Kaum war die Versammlung beendet und die Massen auf die Straße geströmt, wo sie sich mit den draußen Marschieren- den zu einer mehrtausendköpfigen Menge vereinten, so versuchte der in wilder Aufregung herumagierende Polizeileutnant den„Zug", aus dem der Gesang der Marseillaise und Hochrufe aus daS gleiche Wahlrecht erschollen, zu sprengen. Stellenweise wurde blank ge. zogen, und dreingehauen. Vier Verhaftungen wurden vorgenom- men. Ob ernstliche Verletzungen vorgekommen sind, war bis zum Augenblick nicht zu ermitteln. Vor den Germania-Säleninder Ehauffeestraße sammelten sich kurz vor 9 Uhr, als die Versammlung abgesperrt werden mußte, zablreiche Massen an. In großen und kleinen Trupps kamen die Genossen herbei und als sie keinen Einlaß mehr fanden, promenierten sie aus der Straße und freuten sich des starken Andranges. Freilich war auch die Polizei in überraschend starker Zahl vertreten, aber sie hielt sich verborgen und der größte Teil blieb auch ver- borgen, denn eS war keine Gelegenheit zum.Einschreiten" da. Das Hauptquartier war in der Maschinenfabrik von(ehemals) Schwartzkopff. gegenüber den Germania -Sälen. Ueber 200 Mann lagen bereit und auch für Berittene war gesorgt. AIS die Massen anrückten. besetzten Schutzleute die Straße in kurzen Abständen. Bald blinkten überall die Helme und nicht wenig Polizcioffiziere wurden sichtbar, aber die Genossen ließen sich nicht stören und verharrten auf der Straße, aus einzelnen Trupps erscholl der Gesang der Marseillaise und geduldig warteten große Massen puf den Schluß der Versammlung. Die ausströmende Menge wurde begrüßt, aber der„DemonstrationS- zug nach dem kölnglichen Schloß", den die.National-Zeitung" voraussah und der von Engen Ernst angeführt werden sollte, bildete sich nicht. Für diesmal nicht... In Moabit stellte die Arbeiterschaft ein Massenaufgebot, das der geräumige Saal des Gesellschaftshauses nicht fassen konnte, obwohl der loci tau s größte Teil der VersammlungSbesucher sich begnügte. eng zusammenstehend dem Dortrag des Referenten Borgmann zu folgen. Die Ueberzähligen hielten sich im Hofe und vor dem Versammlungslokal auf. Das brachte natürlich die anfangs nur durch einige Exemplare vertretene Polizei auf die Beine. Immer mehr Beamte stellten sich ein; der Herr Hauptmann, diverse Leutnants fehlten nicht, bis schließlich gegen 10 Uhr noch ein zirka SO Mann starkes VerstärkungSaufgcbot anrückte. Es sperrte d:e Wiclefstraße an der Emßonar und Waldstraße. Nach Schluß der Versammlung zog ein starker Trupp Arbeiter durch die Turmstraße und kam friedlich bis zur Jonasstraße. Tie Marseillaise erklingt. Da stürzen sich dem„Zug" im Laufschritt unter Anführung des Leutnants 20 bis LS Schutzleute entgegen. Die Ausbeute ist gering: ein Arbeiter, wahllos aus der zurück- weichenden Menge durch dey Herrn Leutnant herausgerissen, wird festgenommen. Später entdeckt ein behelmter Stadler an der Emdener Straße noch einige dort stehende Arbeiter. FlugS saust er die Turmstraße hinunter, um bald mit einer Anzahl Berittener zurückzukommen. Zu tun ist nichts für sie.
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