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Beilage zumVorwärts" BerUntt Volksblatt. Nr. 56. Dienstag, den'7. März 1893. 16. Jahrg. Vnvlnnrenkslrevichke. Deutscher   Reichstag  . SS. Sitzung vom«. März 18S3. I Uhr. Am Tische des Bundesrathes: v. Stephan. Die Berathung des Post-Etats wird fortgesetzt. Die Diskussion über den AusgabetitelGehalt des Staats- fekretärs 24 000 M." nimmt ihren Fortgang. Abg. Bebel: Der Staatssekretär hat mit einer Hartnäckig- keit, die einer besseren Sache würdig wäre und trotz des Wider- spruchs fasi allen Parteien an seiner alten Auffassung in bezug auf den Postassistenten-Verband festgehalten. Wir halten dafür. daß dem Beamten durch seine Beamtenitellung seine staatsbürger- lichen Rechte nicht im geringsten beschnitten werden dürfen. Will man in dieser Beziehung Aenderungen. so muß der Weg der Gesetzgebung beschritten werden, nimmermehr darf aber die Ver» waltung auf dem Wege des Erlasses besonderer Vorschriften diese Beschneidung eintreten lassen. Bei der Berathung der Bundesverfassnng wollte der Reichskanzler, damalige Bundes- kanzler Graf Bismarck eine Bestimmung aufgenommen wissen, welche den Staatsbeamten das passive Wahlrecht nahm. Wir würden einer solchen Bestimmung durchaus nicht widerstreben. Wir würden es für einen Vortheil halten, wenn Landräthe, Re- gierungs- und Oberprästdenten, Staatsanwälte u. Vgl. aus diese Weise vom Reichstag fern gehalten werden könnten. So lange es aber gesetzlich anders vorgeschrieben ist, darf man sich nicht darüber hinwegsetzen; was den höheren Beamten recht ist, muß oen unteren und auch den Postassistenten billig sein. Es handelt sich nicht einmal um einen politischen, sondern um einen reinen Privatverein, an dem sich die gemaßregelten Postassistenten betheiligten Der Staat kann von seinen Beamten nichts anderes verlangen als was ihnen an Amtspflichten obliegt. Innerhalb dieser Grenze ist eine gewisse Disziplin nothwendig, aber darüber hinaus hört die Vollmacht der Verwaltung auf Vorschriften zu erlassen. klandräthe, Präsidenten, Oberpräsidenten und Staatsanwälte und Richter dürfen sogar ins Land hinausgehen und politische Agitation machen, zum theil gegen die Regierung, und dieser Verband soll nicht seine materiellen Interessen vertreten? Was Herr v. Stephan hier an den beiden Tagen gegen die Assistenten und ihren Verband vorbrachte, zeigte ein solches Mab von Feindseligkeit, ja von Gehässigkeit gegen die ihm unterstellten Beamten, wie es kaum bei einem so hohen Beamten des Reichs erhört ist. Die klein- lichen Dinge, bis zu denen der Herr Staatssekretär sich herab- gelassen hat, um die Schlechtigkeit des Postasststenten-Verbandes zu beweisen, haben für diese Behauptung keinen Beweis erbracht, weder die väterlichen Ermahnungen gewisser Oberpostdirektoren an die jüngeren Beamten, gewisse Peiisionate zu benutzen, noch die Kritik der Wirthschaft der Bckleidungskasse des Verbandes. Daß eine Genossenschaft mit einem bedeutenden Waarenumsatz er- hebliche Außenstände hat, ist selbstverständlich, es folgt aber nicht, daß eS ihr finanziell schlecht geht. Wen» jeder Privatmann die Sicherheit hätte, daß die bei ihm Kaufenden so regelmäßig ab­zahlten, wie eS bei dem Verbände der Fall ist, dann könnte er sich gratuliren. Es ist Sache der einzelnen Beamten, ihr Geld auszugeben und anzulegen, wie sie wollen, darüber hat der Staatssekretär keine Vormundschaft auszuüben. Es ist aber oben- drein nicht wahr, daß die Verivaltungskosten so hoch sind. Von den LS 000 Mark entfallen nur 2400 Mark aus das Gehalt eineS Beamten, der Rest setzt sich auS den verschiedensten Ausgaben zusammen. Man sieht, mit welchem Mangel an Objektivität fortgesetzt dieser Verein von der vorgesetzten Behörde beurtheilt wird. Das angebliche Defizit von 25 000 M. konnte nur beim Mangel auch der letzten Spur von Objektivität aus dem Bericht des Verbandes herausgelesen werden. Herr von Keudell fürchtet das Umsichgreifen dieser die Disziplin erschütternden Bestrebungen. Ja, in Bayern   existirt, ohne von der Regierung molestirt zu werden, ein Verband der Briefträger und Postboten; in Sachsen   bestehen zahlreiche Vereine und Verbände von Unter- beamlen, welche durch die Förderung der Regierungsorgane zur Blülhe gelangt sind. Da bis auf Herrn von Keudell das ganze Haus die Haltung deS Herrn von Stephan verurlheilt hat, muß, wenn im nächsten Jahre der Reichstag   wieder in die Lage ver- Freie Dolksbühne. AIS   dieFreie Volksbühne" noch im Entstehen war, ent- spann sich«in nicht uninteressanter Kampf darum, ob auf der neuen Buhne der Ernst oder der Scherz den Vorrang haben solle. Ein Theil der Mitglieder verlangtewas Lustiges", da ja das Leben schon ernst und traurig genug sei. Schließlich siegte aber die andere Richtung, und man bewegte sich im allgemeinen nur in den durch die Erössnunas-Vorstellung, Ibsens  Stützen der Gesellschaft", vorgezeichneten Bahnen sozialkrilischer Dramatik. Anzengrubers derbe BauernkomödieDoppelfelbstmord" gab freilich bald Gelegenheit, zu zeigen, daß man auch in derFreien Volksbühne  " zu lachen versteht. Und diese lehrreiche Erfahrung eines früheren Vereinsjahres ist am letzten Sonntag durch die Aufführung des einaktigen LustspielsDer zerbrochene Krug  " von Heinrich von Kleist  , und des vieraktigen SchwankesDie Großstadtluft" von OskarBlumen- t h a l und Gustav Kadelburg   aufs Neue und zugleich aufs Nachdrücklichste bestätigt worden. Die Wahl zum mindesten des letzten Stücke? für eine Aufführung in derFreien Volksbühne  " hätte gewagt scheinen können. Wir vermuthen beinahe, daß man an gewisser Stelle selber so etwas empfunden hat. In der von Dr. Franz Mehring  trefflich geleiteten MonatsschriftDie Volksbühne" vertheidigt Oskar Blumenthal   als einer der Verfasser derGroßstadtluft" dasRecht zu lachen". Es hat sich gezeigt, daß das gar nicht nöthig war. Die meisten Mitglieder derFreien Volksbühne  ", w lche am Sonntag das Stück gesehen haben, die dritte Abtheilung bekam diesmal die erste Vorstellung, machten nicht den Eindruck, als ob st« jemals daran gedacht hätten, sich das Recht zu lachen" verkümmern zu lassen. Man hat Thränen ge- lacht, und diese Thränen waren so aufrichtig, wie nur jemals die gewesen find, welche man sonst geweint hat. Aber die Zusammenstellung von Blumenthal- Kadelburg's Großstadtluft" mit Kleist'sDer zerbrochene Krug  " nahm sich doch etwas wunderlich aus. Wollte man zeigen, wie weit der Weg ist, der vomZerbrochenen Krug  " bis zurGroßstadtluft" führt? Geschadet bat diese Zusammenstellung jedoch keinem der beiden Stücke.   selbst nicht derGrobstadtluft". Mehr Beifall hätte dieser harmlose Schwank auch ohne die gefährliche Nach- barschaft desZerbrochenen Kruges" nicht gut finden können. Wir haben uns bisher hier niemals über den literarischen Werth der in der Freien Volksbühne   aufgeführten Stücke aus- gelassen. Wir wollen es daher auch heute nicht thun, zumal da wir glauben, daß das überhaupt nicht unsere Ausgabe ist. Den Verfassern derGroßstadtluft" thäte man sogar Unrecht. menn man ihre Arbeit auf den literarischen Werth hin prüfen wollte. Darf man etwas anderes von ihnen verlangen, als sie selber bieten wollen? Blumenthal sucht in dem oben an- geführten Artikel die Bühne dagegen zu schützen, daß man ihr setzt wird, über diese Dinge Klage führen zu müssen, erwogen werden, ob nicht in der nächsten Session der Postverwaltung in Form einer Resolution ein entschiedenes Mißtrauensvotum zu erlheilen ist. Es ist ein unerhörter Zustand, daß der Reichstag   es sich gefallen läßt, daß Jahr für Jahr die Postverwaltung immer dieselben Wünsche unberücksichtigt läßt. Gegen die Bevormundung der unteren Postbeamten, wie sie ihr Geld anlegen und verbrauchen sollen, muß ich auf das Ent- schiedenste Protest erheben. Die Postgehilfen werden ganz unzu- reichend besoldet; der Staatssekretär weist einfach darauf hin, daß hier die Eltern zuzuschießen haben. Dieses System besteht lediglich im Gebiete der Justizverwaltung bei den Referendaren; diese müssen eine zeitlang dem Staate umsonst dienen. So liegt es aber bei den Postgehrlfen nicht, und diese müssen also auch hinreichend bezahlt werden. Fälle gerichtlicher Verurtheilung solcher Beamten, welche wegen ungenügender Bezahlung sich an amtlichen Geldern vergriffen haben, sind nicht selten; die Verwaltung sollte die Wiederkehr solcher Fälle verhüten, anstatt immer nur auf Ueberschüsse zu sinnen. In Berlin   werden Hunderte von Unterbcamten beschäftigt, denen man, soweit sie intelligent sind, die Geschäfte von Oberbeamten überträgt, um mit den höheren Gehältern möglichst zu sparen. Dieses System geht durch die ganze Verwaltung und erzeugt in den Kressen der Beamten die allergrößte Unzufriedenheit. Wir angeln nicht, wie Herr Liebermann von Sonnenberg   glaubt, nach den Postbeamten. wir bringen nur ihre berechtigten Klagen vor; was den Aufruf betrifft, der durch denVorwärts" an die Postunterbeamten ver- breitet wurde, so ist er allerdings von einem Unterbramten verfaßt, der sich an uns gewendet hat, weil er bei keiner anderen Partei Gehör fand. Herr v. Stephan hat bekanntlich sofort nach Bekanntwerden des Aufrufs eine Statistik über die Wohnungen der Post-Unterbeamten veranlaßt; den Erfolg hat der Aufruf sofort gehabt, und das beweist, wie berechtigt die Klage der Beamten über die Höhe der Wohnungsgeldzuschüsse ist. Auf das System der Garnisonirung der Postbeamten, wie sie Herr Stöcker empfohlen, wird ja der Reichstag   gewiß nicht eingehen; für Berlin   ist das ohnehin undurchführbar. Der Zuschuß von 210 Mark ist absolut unzu- reichend: eine Aenderung braucht nicht erst 1897, wo der zehn- jährig« Turnus herum sein würde, sondern mnß, weil sie dringend nothwendig ist, schon jetzt eintreten. Eine unglückliche Ein- richtung sind auch die Amtsärzte, die nach dem Glauben der Unterbeamten lediglich den Zweck haben, möglichst streng und rigoros bei der Untersuchung und der Urlaubsbewilligung zu verfahren, damit die Verwaltung möglichst wenig belastet würde. Aus Leipzig   werden traurige Fällck von Härten der oberen Be- amten gemeldet. Ein Briefträger erhielt nicht die erbetenen zwei Stunden Urlaub, welche er zur Theilnahme an der Beerdigung seiner 15 jährigen Tochter benutzen wollte. Ein anderer Beamter erhielt nicht zwei Stunden Urlaub, um sich trauen zu lassen. (Heiterkeit und Hört! Hört!) In andern Fällen wurde ein Ersatzmann verlangt, den der Urlaubnachfuchende nicht stellen konnte. Einem Beamten wurde nicht gestattet, an das Sterbebett seiner todtkranken Frau zu eilen; er kam erst nach Hause, als die Frau schon gestorben war. Solche Fälle grenzen doch an Grausamkeit. Diesen Beschwerden könnte abgeholfen werden, ohne daß es die Reichspoft etwas kostet«, und andererseits würde die Arbeits- sreudigkeit der Beamten sehr gehoben werden. Wenn Herr v. Keudell davon spricht, daß Deutschland   froh und stolz sein müsse, solchen Generalpostmeister zu haben, so enthalten doch alle die gerühmten Reformen deS Herrn v. Stephan nichts, waS nicht in dem einen oder anderen Lande schon vorher vorhanden war; Neues hat er nicht gebracht; sein Verdienst besteht nur darin, das vorhandene Gute auf das deutsche Rcichspostgebiet übertragen zu haben. In den letzten Jahren sind alle Neuemngen nur nach dem heftigsten Widerstande des Herrn v. Stephan eingeführt worden. Wie viel Mühe hat es gekostet, die Streifbandsendungen für ö Pfennige durchzusetzen! Jetzt weigert sich Herr v. Stephan hartnäckig, die Gewichtsgrenze für einfache Briese von IS aus 20 Gramm zu erhöhen; er bezieht sich aus den Ausfall, der ent- stehen würde und weist die Exemplisikation aus Oesterreich   zurück. Ist denn eine Institution wie die Post nur zur Plusmacherei da? Oesterreich   steht hinter Deutschland   nicht zurück, sondern es ist ihm in postalischen Einrichtungen weit voraus! Oester- reich hat zuerst die Postkarten eingeführt, Oesterreich   hat auch die vergnügliche Kunst der Unterhaltung entziehen will", und bricht eine Lanze für dienur noch wenigen Lebenskünstler, die den Muth der Oberflächlichkeit haben und fröhlich die Stunden pflücken". Diesem Programm ist er im Verein mit seinem Schwank- dichter-Kompagnon gerecht geworden. Daß er selber auch noch etwas mehr, als blos die vergnügliche Kunst der Unterhaltung versteht, hat er in einigen seiner früheren Arbeiten gezeigt. Ueber die Handlung eines Schwankes zu referiren, ist eine heikle Aufgabe. Die, welche ihn gesehen haben, wissen einem dafür keinen Dank, und die, welche ihn erst sehen wollen, noch viel weniger. Es kommt hierbei auch ziemlich wenig darauf an, was geschieht, und beinahe alles darauf, w i e es geschieht. In derGroßstadtluft" heirathet ein Ingenieur,echter" Berliner   und flotter Lebemann, die Tochter eines klein» städtischen Fabrikanten, wird aber von dem in Ludwigswalde ansässigen Schwiegervater, der bei einem gelegentlichen Auf- enthalt in Berlin   die hauptstädtischen Genüsse und die sie ge- nießenden Berliner   gründlich kennen gelernt hat, gezwungen, ihm in das kleine Nest zu folgen. Der junge Ehemann beißt in den sauren Apfel, entbehrt aber in Ludwigswalde die ihm zum Lebenselement gewordeneGroßstadlluft" und setzt es nach langem Kanipfe durch, daß er mit seiner Frau wieder nach Berlin   übersiedeln darf. Das Drum und Dran dieser Hand- lung, wozu auch die Trennung und Wiedervereinigung eines rechtsanwaltlichen Ehepaares gehört, füllt vier flott geschriebene Akte. Die gleichfalls sehr flotte Darstellung täuschte einen schnell und leicht über das Stück und den Nachmittag hinweg. Die der Lebewelt angehörigen Berliner des Schwankes schienen lebens- ivahr zu sein, wenn man von dem Zug ins Jdiotenhafte absieht, den die nun einmal üblich gewordene Darstellungsweise der Schwänke selbst in die vernünftigsten Figuren hineinzulegen liebt. Der Rechtsanwalt Lenz(Oskar Sauer) besaß gerade so viel gewissenlosen Leichtsinn, der Ingenieur Flemming (Theodor Brandt) gerade so viel durch Schliff gemilderte Schnoddrigkeit, der Stutzer Gempe(Franz S ch ö n f e l d) gerade so viel gutumthige Bornirlheit, als erlaubt(oder sollen wir sagen: nöthig?) ist, um in derguten Gesellschaft" seinen Platz ausfüllen zu können. Die Kleinstadter dagegen waren fast durchweg übertrieben karrikirt. Es wäre gut, wenn sich die Schwächen der kleinstädtischen Bourgeoisie so mit Händen greifen ließen. Die Frauen insbesondere geben sich in der Honoratioren- käste der Meinstädte keineswegs so offen als die Klatsch- basen, die sie sind. Vollständig lebenswahr(warum soll nicht auch eine Schwankfigur einmal Mensch sein und nicht bloß zusammengepapptcr Hampelmann?) war der alte Dr. Crusius(Oskar Höcker  ), dessen einstige Jugendsrische in dem trübseligen Nest und unter dem Einfluß der ihn niederpantoffelnden Frau (Johanna Walter. Trost) vollständig geschwunden ist längst daS Institut der Briefkarten, welche? Herr v. Stevhan ebenfalls nicht annektiren will. Wir haben in Berlin   noch heute das Groschenporto, während die Briefkarte in Wien   nur 3, im Verkehr mit dem übrigen Lande aber nur S Kreuzer kostet. Natür« lich muß, wenn die Verwaltung sich so zurückhält, die Privatpost ihr große Konkurrenz machen und Schädigungen zufügen. Was nun den Beförderungspreis der Zeitungen durch die Post betrifft, so anerkennen wir auch, daß die gegenwärtig« Einrich- tung sehr mangelhaft ist und lassen über die Aenderung mit uns reden. Aber Herr v. d. Schulenburg sprach nicht blos von der technischen Seite der Sache, sondern ging weiter, indem er ver- langte. Rückficht auf die Tendenz der Blätter zu nehmen; er zog gegen die billigen Blätter los, welche die Person des Monarchen verunglimpften, Umsturz gegen die bestehende Ordnung predigen u. s. w. und Herr v. Stephan sprach dementsprechend davon, daß auch auf den Geist der Zeitungen Rücksicht zu nehmen sein würde. Ich hoffe, daß sich nie ein Reichstag finden wird, der sich diesen Ausführungen zugänglich erweist.(Widerspruch deS Staats­sekretärs v. Stephan.) Ja, dann bitte ich um eine Aufklärung. was es heißen sollte: die Blätter bestehen nicht blos auS Papier und Druckerschwärze, sondern auch aus Geist, und es wird darauf Rücksicht genommen werden müssen. Natürlich ist die Presse anderer Parteien denen um den Herrn v. d. Schulenburg ein Greuel. Die sozialdemokratische Presse wird heute relativ am wenigsten durch die Post befördert. Den Schluß der Schalter am Sonntag Nachmittag muß ich dringend befürworten; erst dann bekommen die Beamten wirklich eine Sonntagsruhr, die sie heute nicht haben. Direktor Fischer: Wr haben gegen den Postassistenten-Ber- band keine Maßnahmen getroffen. die wir nicht treffen konnten. Es ist kein Beamter wegen Theilnahme am Verbände bestraft worden, es ist der Beitritt zum Verbände nicht verboten worden. Aufmerksam haben wir darauf zu achten, daß unsere Beamten in ihren Privatverhältnissen nicht in Schulden gerathen, die Ver- fehlungen nach sich ziehen. Unsere Einwirkung auf die Beamten würde viel zu eng gesaßt sein, wenn wir uns um ihre Privat- Verhältnisse schlechthin nicht zu kümmern hätten. Darum sind auch die getadelten Erlasse durchaus berechtigt gewesen. Für Gehaltsverbesserungen treten wir ein, ohne daß es einer An» regung aus dem Reichstage bedürste. Vor zwei Jahren sind von den Gehaltsverbesserung ll'/z Million aus die Postbeamten ent- fallen. Alle Beamten glücklich zu machen, wird uns nicht ge- lingen. Die Post-Kriminalstatistik bessert sich von Jahr zu Jahr, weil das soziale Niveau unserer Beamten durch den Chef der Reichs- Verwaltung immer mehr gehoben wird. Der Vorwurf mangelnder Objektivität bei der Beurtheilung der finanziellen Ver- Hältnisse des Verbandes muß ich zurückweisen. Nach der neuesten Nummer der Verbandszeitung ist die Zahl der Pflichtvergessenen, welche den Beitrag schulden, noch eine sehr große, und es wird der Vorschlag gemocht, den Beitrag jährlich auf einmal im Voraus zu erheben. Die Postgehilfen beziehen kein Gehalt, sondern nur eine Beihilfe; nicht blos in der Justizverwaltung, sondern in allen Verwaltungszweiacn muß der Anfänger ganz unentgeltlich für die Verwaltung arbeiten. Die Einrichtungen in Bayern   und Sachsen  , welche der Vorredner lobte, sind nach preußischem Muster viel später geschaffen worden. Wir find trotz dem Borredner nicht der Meinung, daß der Ausruf wegen der WohnungSgeld- Zuschüsse von einem Post-Unterbeamten verfaßt ist, sondern wohl von der Redaktion selbst. Der WohnungSgeld- Zuschuß ist eben nur ein Zuschuß, der für die ganze Miethe gewiß nicht ausreichen mag, namentlich nicht in Berlin  . Die Vermehrung der Sekretärstellen von ca. 2000 im Jahre IM 1 auf 4502 im gegenwärtigen Etat widerlegt doch deutlich die 73e- hauplung, daß bei der Kreirung von höheren Stellen karg ver- fahren worden ist. Die Wohnungsgeld-Zuschüfle erreichen nt.i der Hälfte der Beamten die ganze, bei der andern Hälfte db'- halbe zahlbare Miethe. Bei dieser letzteren Hälfte wird der R»st durch Abvermiethen von Zimmern u. f. w. gedeckt. Und diese Er- scheinung ist es auch, die unS dem Gedanken der Erbauung von Wohnhäusern für die Postbeamten skeptisch gegenüberstehen läßt. Die Einrichtung des Postvertrauensarztes hat Herr Bebel ver- dächtigt, ohne eine Spur von Beweis anzubieten. Die Ein- richtung stammt aus dem Jahre 1831, aus der Cholerazeit, sie schließt für die Unterbeamten die unent- eine prächtige Figur, so angelegt von den Verfassern und vom Darsteller so wiedergegeben, daß fie sich thurmhoch über die üb- liche Schablone des beinahe unvermeidlichen altm Lustspiel- doktors erhob. In ein VolkStheater gehört die.Großstadtluft" trotz der bei- fälligen Aufnahme, die sie am Sonntag Nachmittag gefunden hat, nicht und auf dieFreie Volksbühne" erst recht nicht. Dagegen hat Kleist'SDer zerbrochen« Krug  " ein ganz entschiedenes Anrecht darauf. Das ist eine Sattre, so fein und so scharf geschliffen, wie nur irgend eine der mooernsten Komödien". Der alte, verliebte Dorfrichter, der seine amtliche Stellung dazu mißbraucht, von einer jungen Schönen gegen das Versprechen der betrüglichen Befreiung ihres Geliebten vom Militärdienst Zärtlichkeiten zu erpressen, dürste, wenngleich in etwas anderem Geivande, auch heute noch zu finden sein. Der lüsterne Sllte zerbricht bei dem nächtlichen Stelldichein, daS er dem Mädchen aufdrängt, einen Krug und bekommt von dem herbeieilenden eisersüchtigen Geliebten eine Tracht Prügel. Am andern Tage klagt die Mutter des Mädchens vor demselben, im Gesicht zerschundenen, vor Schmerzen hinkenden Dorfrichter gegen den Geliebten, den sie der an dem Kruge   verübten Frevelthat bezichtigt. Wie der alte FuchS im Richtergewande den Unschuldigen hineinzureiten sucht, um desto sicherer von sich selbst dm Verdacht abzulenken, das ist mehr alS blosvergnügliche Kunst der Unterhaltung", und an manchen Stellm will es aus dem Humor des Dichters wie ein Zornesblitz hervorbrechen. Die Darstellung des zierlichen Einakters war in allen Theilen vollendet. In dem Spitzbuben von Dorfrichter hatte Oskar Höcker   eine Gestalt geschaffen, der wir nicht leicht eine andere von gleich köstlichem Humor an die Seit« zu stellm wissen. Man hat über ihn weniger laut als über dieGroßstadtluft, aber da- für um so herzlicher gelacht. Lr. Das Wimer Ensemble setzt im ThomaS-Theater seine Nestroy-Vorstellungen fort und führte uns am Sonnabend die PosseDer Talisman" vor. Ein vagabundirender herunter- gekommener rothköpsiger Barbier kann nirgends ein Unterkommen finden, bis ihm eine Perrncke zum Talisman wird und er überall gute Aufnahme findet. Mit der Perrücke schwindet sein Glück und, wo er vorher freundlich aufgenommen war, wird er wieder hinausgeworfen, bis er wieder durch die Aussicht aus reiche Erb- schaft die verlorene Gunst, die er nunmehr verschmäht, wieder­erlangt. Der äußere Schein deckt alle Mängel, und wenn Geld da ist, bedarf es auch nicht einmal der Verstellung. Gespielt wurde recht flott. Die Hauptrolle des Stücks ivar vortrefflich durch Herrn Müller dargestellt. Besonders vorzüglich war auch die gleichfalls rothköpfige Gänsemagd durch Frl. Jolly gegeben. die naive Unschuld und herzige Empfindung lieblich zur Er- scheinung brachte.