vMiösen Meldung«die geseizgederische Ausgestaltung des Gedankens innerhalb der Staatsregiernng zur Erörterung gezogen, und zwar sei dabei auch erwogen, ob es nicht an- gängig sein würde, noch in der jetzigen Session dem Land- tage eine entsprechende Vorlage zu machen." Arbeits- k a m m e r n freilich sind ein Rührmichnichtan für die Sozialreform von oben. Was sie säet, wird sie auch ernten müssen.— Der Bund der Laudtvirthe hat bereits sein amt- liches Vereinsorgan. Es ist die in Bunzlau in Schlesien erscheinende„ L a n dw i r t h s ch a f t l i ch e Thier- z u ch t", dasselbe Blatt, worin zuerst der Rufer im Streit, Herr R u p r e ch t- R a n s e r n seine Stimme erhob: «Schreien wir, schreien wir, schreien wir!" Ein geeigneteres Blatt als die«Thierzucht* hätte der Fachverein der Brot- vertheurer gar nicht finden können.— Die nothleiden- d e n Agrarier veranstalteten im Kreise Grimmen , um sich von den Anstrengungen der Nothstandsreisc nach Berlin zu erholen, am Sonntag unter Bctheiligung von uu- gefähr 150 Personen eine große Festlichkeit, be- stehend ans Konzert, Festmahl und Ball, wobei, wie aus dem Kreise geschrieben wird, sehr viel Sekt konsumirt wurde. Der pommersche Witz hat das Fest mit dem Namen «N o t h st a n d S b a l l" bezeichnet. Noch„Heller" sind die agrarischen Sächser. Q;n einem Dahlener Lokalblatt — Dahlen liegt im Königreich Sachsen, nahe Würzen— lieft man das nachstehende„Eingesandt": „Ter landwirthschaftliche Verein Dahlen, welcher heute 280 Mitglieder zahlt, hatte beschlossen, am 1. März d. I. sein von zwei zu zwei Jahren statlsindendes Stiftungsscst, wie dies biS jetzt seit SO Jahren der Fall gewesen,'durch ein kleines Fe st essen und Ball zu begehen. Infolge einer zu schwachen Betheiligung(es hatten nur 42 Mitglieder gezeichnet), welche einzig und allein nur aus die überaus gedrückten Verhältnisse, übermäßigen Lasten, und die h ö ch st traurige Lage, in welcher sich die Land- wirthschast jetzt befindet, zurückzuführen ist, hat sich der Verein leider genöthigt gesehen, dies Vergnügen gänzlich aussallen zu lassen, was im Vereinsbezirke allerseits mit ausrichtiger Freude begrüßt wurde." Gut gebrüllt! Wenn sich die„Kreuz-Zeitung " nur diesen Beleg für die Nothlage der deutschen Laudivirthschaft nicht entgehen läßt!— In der„Breslauer Zeitung" liest man: „Vor uns liegt ein interessantes Buch:„Neue Feuerbrände herausgegeben von dem Verfasser der vertrauten Briefe über die innern Verhältnisse am preußischen Hose seit dem Tode Friedrichs II." Das Buch ist ISO? bei Peter Hammer in Amsterdam und Köln erschienen. Es befindet sich darin auf Seite 6S:„Das schwarze Register oder Generaltableau sämmt- licher in Süd-Preußen, während der Minister von Hopm diese Provinz verwaltet hat, in den Jahren 1794 bis 179S als Gratialgüter verschenkten, ehemaligen polnischen Krön- und geistlichen Güter." Nach diesem„schwarzen Register" beträgt die Zahl der Donatarien 52, die Zahl der verschenkten Güter 241, deren Nominalwerth bei der Schenkung 3'/s Millionen Thaler, deren wahrer Werth jedoch 20 Millionen Thaler. In diesem Register heißt es unter Nr. 35: Major v. Plötz vom Regiment von Grävenitz; er erhielt das Gut Wonglzow-Warta zum Nominalwerlh von 10 000 Thaler geschenkt. In einer Anmerkung dazu heißt es:„Verkauft sür 20 000 Thaler. Die Kabinetsordre ist vom 20. April 1797."— Die„Bresl. Zeitung" fragt, ob vorstehender v. Plötz ein Ahn des Präst- deuten des Bundes der Landwirthe ist.— Uebrigens erhält der Bund einen Konkurrenten. Irgend ein strebsamer Agrarier,— er heißt Klappern- Pill- piemen—, der„mit dem Ergebniß der Tivoliversammluug nicht zufrieden ist", will einen„Deutschen Lundbuud" stiften, dessen Vorstand aus allen Parteien, außer der sozialdemokratischen, gebildet werden soll. Selbiger Gründer scheint ein Erzkoufusionsrath zu sein. Er will verhüten, daß die Konservativen die erste Geige spielen und eine eigene parlamentarische Partei aufthun.— Ein putschender Staatömiuister. Ist da vor kurzem ein preußischer Konservativer, ein Herr Dr. von Koseritz, anhaltischer Staatsminister geworden. In der Rede, womit er den anhaltischen Landtag eröffnete, heißt es, daß sich nicht nur das finanzielle Verhältniß Anhalts zum Reiche unter der Wirkung der Handelsverträge und bei der an- dauernden Steigerung der Militärlast verschlechtert habe, sondern es wird auch auf den„Stand der Unsicherheit, sowohl in bezug auf die Befürchtung des Abschlusses weiterer unserer Landwirthschaft nachtheiliger Handelsver- träge, als auf das Schicksal der schwebenden Militär- vorläge" verwiesen. Ueber diese an der Reichsregierung geübte Kritik des Herrn von Koseritz sind offiziöse und liberale Prcßorgane gleicherweise entrüstet. Warum aber der Minister eines Bundesstaates nicht seine Ansicht über die Maßregeln des Reichs aussprechen darf, ist uns un- erfindlich. Allerdings hat Anhalt im Bundesrath den Handelsverträgen und der Militärvorlage zugestimmt, und Herr von Koseritz hätte besser gethan, wenn die anhaltische Regierung seiner Ansicht ist, den Vertreter des Herzogthums im Bundesrathe dem- gemäß zu instruiren. Wenn der verantwortliche Minister der Landesvertretung seine Auffassung der Reichspolitik entwickelt, so gilt das als ein Frevel, weil diese Auffassung dem neuen Kurse zuwiderläuft. Aber mit Behagen ver- zeichnen die Pindter und Genossen jede Kundgebung irgend eines der Volksvertretung gegenüber nickt verantwortlichen Bundessürsten zu gunsten ver Militär- vorläge, so kürzlich als der Großhcrzog von O l d e n- bürg der Landtags-Abordnung erklärte, er halte die Vor- läge für nothwendig und nützlich. Schalt damals die „Norddeutsche" nicht heftig darüber, daß die olden- burgischcn Landboten die großherzogliche Rede nicht kol- portirt hatten?— Bei den spanischen Wahlen ist keiner der sozialistischen Kandidaten durchgekommen. Die für sie abgegebene Stimmen- zahl werden wir erst in den �Parteiorganen finden.— Sehr bedeutend sind die Ziffern, mit denen die republikanischen Kandidaten gewählt worden sind. Und daß sämmtliche größere Städte des Landes sich überwiegend republikanisch gezeigt haben, eröffnet der Regierung und der Monarchie keine günstigen Aussichten.— Frankreich . Man schreibt uns aus Paris , den 7. März 1893: Die Frage der Kammerauflösung ist in Frankreick einstweilen wieder von der Tagesordnung abgesetzt worden; die Budget- berathmig hatte man so verschleppt, daß Regierung und Kammer jetzt die größten Anstrengungen machen müssen, um das Ver- säumte nachzuholen; werden diese praktischen Arbeiten nicht wieder durch sensationelle Enthüllungen unterbrochen, so dürfte di« Regierung wohl kaum Veranlaffung nehmen, vor dem gesetzmäßigen vermin im Herbst die allgemeinen Wahlen anzu- beraumen. Indessen haben die Regierungsparteien den Gc- danken einer früheren Auflösung der Kaminer nicht unbedingt im Prinzip zurückgewiesen und die Opposition thut gut daran, auf der Hut zu sein und sich nicht in einem ungünstigen Augen- blick überraschen zu lassen. So bereiten sich auch schon gegen- wärtig besonders zwei Parteien auf den Wahlkampf vor, welche hoffen, während der künftigen Gesetzgebungsperiede eine ausschlaggebende Rolle zu spielen. Es sind' dies einer- seils die sogenannten Ralltirten oder die„konstitutionelle Neckte"(d. h. diejenigen früheren Monarchisten, welche unter der Führung von Herrn P i o u und auf ausdrückliche Aufforderung des Papstes die Republik von jetzt an als die rechtmüßig be- stehende Staatsform anerkenne»), die darauf rechnen, im neu- gewählten Parlamente die führende Stellung in einer nach dem Muster der englischen Torypartei zu bildenden großen konser- vativen Partei einnehmen zu können. Auf der anderen Seite, nicht minder rührig, nicht minder thalkrästig und nicht minder sicgesgewiß, findet man die Partei der sozialistischen Radikale» uuler der Führung von Goblet und Millerand, welche danach trachten, eine starke Partei des sozialen Fortschritts um sich zu schaaren; auch sie rufen das Beispiel Englands an, dem Bunde der Rechten wollen sie eine mächtige Wighpartei entgegenstellen und rechnen dabei auf den Zuzug der vorgeschrillenen Republikaner unter der Leitung des Senators Ranc, der I8S9 sämmtliche republikanische Parleien zur Bekämpfung der boulan- gistischen Reaktion einigte, und auch nach links hin fordern sie sämmtliche Sozialisten, denen daran liegt, die Um- gestallung der gesellschaftlichen Ordnung auf friedlichem Wege vorzunehmen, auf, mit ihnen gemeinschaftliche Sache zu machen. In ihrem Wahlprogramm fordern die sozialistischen Radikalen vor allem die Revision der Ver- fassnng von 187S im demokratischen Sinne, die Einführung des Referendums nach schweizerischem Muster, die Trennung von Kirche und Staat und die Beschränkung der Vorrechte der großen Finanzinstitute. Der Abgeordnete Mill erand setzte dieses Programm in einer großen Wählerversammlung letzten Sonntag in Calais auseinander und erntete reichen Beifall; nach ihm ergriff in der Versammlung, die als der Beginn des diesjährigen Wahlfeldzuges anzusehen ist. Lafa rgue im Namen der Ar- beilerpartei das Wort und entwickelte seine Ansichten über das vorgeschlagene gemeinsame Vorgehen; er erklärte sich bereit, den Radikalen dabei zu helfen, den Finanzherren die Bank, die Bergwerke und die Eisenbahnen zu entreißen. „Wir gehen darauf ein," schloß er nach der„Petite Republique franyaise", mit Millerand zur Schlacht zu marschiren, um die Verwirklichung dieses Programms zu erlangen; jedoch behalten wir uns vor, nachher weiter zu gehen." Die Versamm- lung erklärte sich mit dieser Taktik einverstanden.„Auch B a u d i n und G u e s d e hatten versprochen, in Calais zu erscheinen; der eine war jedoch genöthigt, in Rive-de-Gier , der an- dcre, in R o u b a i x zu bleiben; I a u r ö s hielt zu gleicher Zeit eine Versammlung in L y o n zu gunsten der Metallarbeiter von Rive-de-Gier ab. Der Wahlfeldzug soll von nun an mit aller Energie und Ausdauer fortgesetzt werden; in allernächster Zeit werden in Bordeaux große Versammlungen stattfinden, in denen Millerand, Guesde, Jaures und Jourde als Redner auf- treten werden. Und nicht nur aus die Eroberung der großen Städte hat es die Opposition abgesehen; auch au? dem Lande soll energische Propaganda betrieben werden, eine Broschüre zur Erläuterung des auf dem Marseiller Kongresse ausgearbeiteten Programms, welches die ländlichen Sirbeiter, Pächter und Kleinbauern der sozialistischen Partei zusühren soll/ befindet sich unter der Presse.— Der zweite Panama -Prozeß, der seit vor- gestern verhandelt wird, ist fast noch interessanter als der erste. Die Verurtheilten des ersten Prozesses geben sich nämlich die größte Mühe, die nicht angeklagten Mit- schuldigen an's Messer zu liefern. Clemeuceau, Floquet und Frey einet werden immer schwerer belastet, und, obgleich der Gerichtspräsident und Oberstaarsanwalt„Abweichungen" d. h. unbequeme Aussagen zu verhindern suchen, so sind in Frankreich doch die Dinge zu weit gegangen, als daß ein Eindämmen des Skandals noch möglich.— Belgien . Polizist, Soldat und Staatsanwalt— das sind die drei Säulen, aus die sich in Belgien wie anderswo die Geldsacks-Ordnung der Dinge stützt. Der Soldat ist nun dort nicht sehr verläßlich, und auch der Polizist ist keine zureichende Stütze. So muß denn der Staatsanwalt heran. Die Regierung hat gestern beschlossen, unser Brüsseler Parteiorgan, den„Peuple ", wegen Aufreizung zur Gewalt- that strafrechtlich zu verfolgen. Der„Peuple " hatte nämlich in der Nummer vom 7. d. M. gesagt, wenn die Regierung, gegenüber dem durch das Referendum so deutlich ver- kündeten Willen des Volkes, das allgemeine Stimmrecht zu verweigern fortfahre, werde sie mit ihrer Gewaltpolitik bankrott machen, und„bereite den Bürgerkrieg vor". Hieraus soll nun der belgische Staatsanwalt, nach bekannten Mustern, eine Aufforderung zur GewalUhat zurecht drechseln, was der gute Mann wohl auch fertig bringen wird. Schade nur, daß in Belgien die Preßsreiheit nicht blos auf dem Papier besteht, und daß derartige Attentate auf das Recht der freien Meinungsäußerung bisher noch stets mit Niederlagen der Regierung geendet haben. Und so wird es auch diesmal geschehen! Der Prozeß gegen den„Peuple " erinnert uns an die Unterdrückung unseres Hamburger Partei-Organs zur Zeit des Sozialistengesetzes. Das Weitererscheinen des Blattes wurde damals verboten wegen eines Artikels, der das be- kannte Gladstone'sche Wort:„Gemalt ist kein Heilmittel" im Sinne der Ohnmacht der rohen Gewalt besprach— ganz wie der jetzt in Belgien verfolgte Artikel des„Peuple".— Der König empfing gestern Herrn Grimard, den Vor- sitzenden des Komitee's für das Brüffeler Volksrefcrendum, und sagte ihm, er sei„im Prinzip ein Anhänger freiheit- licher Einrichtungen"; aber die Gesetze würden nicht von ihm, sondern„von der Nation" gemacht. Der König von Belgien scheint ein Spaßvogel zu sein. Er ist „im Prinzip" Anhänger dessen, waS er thatsächlich bekämpft; und wenn er die Vertreter einer winzigen Minorität von Zensuswählern„die Nation" nennt, so thut er das natürlich„aus Prinzip".— Drüben»nd Hüben. Drüben in Amerika ging am Sonnabend der Auszug des alten und der Einzug des neuen Präsidenten in der gemüthlichsten Weise vor sich. Beide Herren begrüßten einander aufs Herzlichste, fuhren, nebst ihren Frauen, in freundschaftlichstem Gespräch durch die Straßen und verkehren auch seitdem wie zwei Freunde und Kollegen. Und Hüben? Man denke sich Bismarck und Caprivi in einer Droschke! Wenn letzterer nicht acht gäbe, würden ihm die Augen ausgekratzt. Und das drei Jahre nach dem Kanzlerwcchsel! Hätte Harrison sich solch unanständigen Benehmens gegen seinen Nachfolger schuldig gemacht, die Kinder auf der Straße würden ihn auspfeifen und mit faulen Eiern bewerfen. Und das von Rechts wegen.— Die„Botschaf t", welche der neue Präsident zu er- lassen hatte, enthält nichts Vemerkenswerthes, worüber sich blos die Grünlinge wundern können, die einen plötzlichen Ruck des Steuerruders zu einem„neuen Kurs" erwartet hatten.— ZZarlennettkQrisUxev. Die, Militärkommission hatte beschlossen, vor der Ab- stimmung über die gegenwärtig der Spezialdiskussion unterstehen- den Positionen eine mehrtägige Pause eintreten zu lassen, damit die Kommissionsmitglieder Gelegenheit bekämen, sich erst mit ihren Fraktionsgcuossen über ihre definitive Stellungnahme ju_ verständigen. Heute einigte man sich dem entgegen dahin, sofort an die Diskussion anschließend die Abstimmung vorzunehmen und dann vor der zweiten Lesung die projektirte Pause zu machen. In der Fortsetzung der Diskussion werden eine ganze Reihe von Titeln ohne Erörterung gelassen, bei der Pofiiion „Stämme für Reserveformationen der Kavallerie" jedoch enlsttht eine längere Pferdedebatte, bei der die Herren v. d. Schulen- bürg und v. Friesen ihre kavalleristischen Erfahrungen zum Besten geben und für die Bewilligung der geforderten Mehr- betrüge eintreten. Richter widerspricht; wenn die Ausfüh- rungen der konservativen Redner richtig wären, müßte der ganze Kriegsbedarf von Pferden im Frieden präsent sein.— Bezüglich der fahrenden Artillerie richtet Buhl diverse Fragen an die Militärverwaltung, um sich die, ihm— wie er versichert~ augenblicklich noch sehlende Neigung zur Bewilligung bei- bringen zu lassen. Major Wachs versichert natürlich, daß die Militärverwaltung die verlangten Formationen haben müsse; demgegenüber weist Richter nach, daß die forlgesetzte Vermehrung der Artillerie in Deutschland eine derartige war, daß es Frank- reich und Rußland (jedes einzeln gerechnet) überlegen ist, der Dreibund ist den beiden Staaten zusammen an bespannten Geschützen überlegen. Die Militärvertreter behaupten dagegen, daß Frankreich und Rußland mehr Geschütze aus den Kriegs- schauplatz bringen können. Der Streit über diese Frage, in den auch der Reichskanzler eingreift, und über die Pferdezucht in den einzelnen Ländern zieht sich durch den größeren Theil der Sitzung hindurch. Um'/ei Uhr wird, da im Plenum der Militäretat auf der Tagesordnung steht, die Sitzung geschlossen. Morgen Bormittag '/,11 Uhr Fortsetzung. Die Kommissio« zur Vorberathnng der lex Heiuze begann ihre heulige— 22.— Sitzung mit einer recht ani- mirten Debatte über den Lattenarrest-Vorschlag. Bekanntlich hatte die Kommission den Regierungsvorschlag insbesondere dadurch verbösert, daß sie den Lattenarrest aus die ganze Dauer der Strafe zulassen wollte. Diese und einige andere Verrohungen beseitigte die Kommission nach heftigem Kampfe. Schließlich siegten aber doch die laltenarresilusligen Mitglieder mit einer Stimme Majorität durch Annahme des folgenden§ ISa:„Bei der Ver- urtheilung zuZuchthaus- oderGefängnißstrase wegenVerbrechen und Vergehen gegen die Sittlichkeit, wider das Leben oder wider die persönliche Freiheit, wegen jKörperverletzung, Raubes, Er» Pressung oder Sachbeschädigung oder wegen gemeinfährlicher Ver- brechen und Vergehen kann, ivenn die That von besonderer Roh- hnt, Bosheit oder ehrloser Gesinnung des Thäters zeugt, ans Verschärfung der Strafe auf die Dauer der ersten ö Wochen erkannt werben. Die Verschärfung der Strafe besteht darin, daß der Verurtheilte eine harte Lagerstätte und als Nahrung Wasser und Brot erhält. Die Verschärfungen können einzeln oder ver- einigt werden und kommen an drei jedoch nicht aufeinanderfolgenden Tagen in der Woche in Anwendung. Auch kann aus eine mildere Vollstreckungsweise erkannt worden. Die Strafverschärfungen sind auszusetzen, wenn und so lange der körperliche Zustand des Ver- urtheilten den Vollzug nicht zuläßt." In der Diskussion hatte Stadthagen u. a. daraus hingewiesen, daß schon heute der Aufenthalt in preußischen Gefängnissen dem Latlenarrestvorschlag zum Theil gleiche. So sei einem Journalisten(Genossen John) im Gefängniß zu Koltbus, sich Butter anzuschaffen, verwehrt. Die Kost sei so wässerig, wie Waffer, nur daß dieses reinlicher zu sein pflege. Die Schwärmer für Lattenarrest mögen doch probe- weise Gesüngiiißaufenlhalt sich selbst verschaffen oder bei ihren politischen Freunden, denen unfreiwillige Staats- wohnung verschafft war, Umfrage halten. Wie wenig aus Inno- hallung der Humanitären Minimalanforderungen gehalten werde, zeigen z. B. auch die in der Untersuchungsstation der Berliner Stadtvogtei herrschenden Zustände. Ein Schuhmacher sei vor kurzer Zeit dorthin gebracht, weil er trotz eifrigen Suchens nach Arbeit solche nicht gefunden und das Asyl für Obdachlose, fünf Mal aufgesucht hatte. Das nennt die bürgerliche Rechtsordnung„der Arbeitsscheu verdächtig sein". Dieser wegen angeblicher Arbeits- scheu übrigens Freigesprochene schildere das Versahren in der behördlichen Anstalt wie folgt:„50 Mann mußten wir zunächst in e i n und demselbenWasfer, zu 2 Mann in derselben Wanne baden, wiewohl einer der Jnhaftirten ein eitriges Bein hatte. Dann mußten wir schmutzige uns nicht gehörige Hemden, Halstücher, Strümpfe u. s. w. anziehen. Infolgedessen erhielten mehrere Jnhastirte als Mitbewohner eine Anzahl Läuse u. s. w." Das sei das Aussehen eines heutigen preußischen Gefänanißsystems— statt solche empörende Zustände zu beseitigen, schlage man nun Torturen gegenüber Bestraften vor! Z 382 der Borlage und Beschluß erster Lesung will die Labsal eines Lattenarrestes auch Solchen durch den Richter auferlegen lassen, die wegen Bettelns, Landstreichens, Arbeitsscheu, Müßiggang u. s. w.(Uebertreimng gegen Z 361 Nr. 3—8) bestraft sind. Bereits in erster Lesung hatte Bebel darauf hingewiesen, wie häufig fechtende Handwerker, insbesondere von unerfahrenen, jungen, streb- samen Richtern als— Bettler bestrast werden. Die Kommissions- Mitglieder und die Regierung hatten zwar das Unberechtigte der Anwendung des Stramesetzbuchs in solchen Fällen zumeist an- erkannt, aber doch Abhilfemittel niait finden können. Den in erster Lesung gegebenen Anregungen folgend schlug Abg. Gröber — ein Lattenarrest- Gegner— sü. die zweite Lesung vor, die Lattenarrest-Zugabe nur in den Fällen zuzulassen, wenn die Be- treffenden wegen Betteins, Landstreichens, Arbeitsscheu u. s. w. mehrfach innerhalb drei Jahren bestraft feien. Der Wider- spruch gegen diese Abschwächung des Lattenarrest- Vor- schlages seitens der Regierung veranlaßte Stadthagen , auf die häufigen Fälle unrichtiger Anwendung der Begriffe Arbeitsscheu, Landstreichens u. s. w. hinzuweisen. Wolle man ivegen Arbeitsscheu strafen, so müsse man doch den Arbeit- suchenden Arbeit geben. Wo kann man innerhalb der heutigen Gesellschaftsordnung Arbeit erhallen? Die Gesellschaft habe doch, wenn solch verkehrte Urtheile vorkommen— und daß sie sich häuften, dafür bürge schon die zunehmende Beamtenstrebsamkeit und damit verbundene Gewissens- und Kenntnißlosigkeit auf den verschiedensten Gebieten— die verdoppelte Pflicht für Arbeits- beschaffung zu sorgen— statt besten Lattenarrest! Redner erinnert an die ungeheure Anzahl sozialdemokratischer Stimmzettel-Vertheiler, welche zur Förderung der Wahl des Prinzen Handjery in Teltow - Beeskow- Storkow als angebliche Landstreicher solange verhaftet wurden, bis die Wahl zu Ende. Selbst alte Richter, so der nationalliberale durch- gefallene Geraer Kandidat, Herr Alberti, habe sich dazu hinreißen lassen, von einem ihm nicht weiter bekannten, außerordentlich tüchtigen, fleißigen, kenntnißreichen, ehrlichen Redakteur, der aller- dings die natronalliberalen Mollusken herzhast bekämpfte, in einen Erkenntniß, das nicht einmal gegen den Redakteur erging, alS einem„Menschen obskurer und bedenklicher Existenz... einen aus Böhmen hergelaufenen Strolch" zu sprechen. Wie würde es dem Redakteur gegangen sein, wenn er etwa irgend etwas begangen hätte? Die Debatte wurde dann abgebrochen und aus morgen 10 Uhr vtrtagt.
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten