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Kanzler'Krifis. Noch vorgestern abend wurde von verschiedenen, sonst weist gut über die Stimmungen der sogenannten leitenden Kreise unterrichteten Blätter behauptet, der Reichskanzler stehe jetzt fester auf seinem Posten als vor der Jnterpellations- debatte im Reichstage. Doch über Nacht hat sich das Blatt gewendet. Heute schon kann die Stellung des Kanzlers als völlig erschüttert gelten.. Vielleicht nur noch wenige Tage und der Kanzler fällt nicht, weil der Reichstag sich seiner Amtsführung widersetzt, sondern durch den Machtspruch des Kaisers. Eine grausame Ironie I Nicht nur ans unsere heutigen VerfassungSzustände, sondern noch mehr auf die phrasenhaften Reden der Bassermänner und Wiemer. Ungenützt haben sie die sich bietende günstige Gelegenheit, das absolute Regiment zu schwächen und die Volksrcchte zu erweitern, verstreichen lassen, um den Kanzler und damit den Block zu halten. In der richtigen Annahme, fällt der Kanzler, so fällt auch der Block. Um diesen Sturz zu verhüten, hat der Liberalismus sich prostituiert, hat er jede scharfe Forderung?.- stellung unterlassen und sich auf Phrasen beschränkt und nun ergibt sich, dast diese ganze seile Nechnungs- t r ä g e r e i u m s o n st g e w e s e n i st, dah doch die Amts- tage des Kanzlers gezählt sind. Tatsächlich schien noch vor wenigen Tagen dem Kanzler, wenn auch seine Autorität aufs tiefste erschüttert war, vor- läufig noch eine gewisse Amtsdauer beschiedcn zu sein. Zwar in keinem anderen Staate Westeuropas iväre eine Fortführung der Amtsgeschäfte unier solchen Umständen möglich; aber Preusien-Deutschland ist eben in politischer Hinsicht eine Anomalie, eine Abnormität. Der Kaiser hatte Biilow die er­betene Demission verweigert! daZ Zentrum hielt mit.seinen Angriffen gpgen den Kanzler schlau zurück»nd schien vorläufig die Fortsetzung des Spiels abwarten zu wollen. Es weist, daß die Zeit herannaht, Ivo es unter weit günstigeren Bedingungen wieder in seine frühere Stellung einzurücken vermag. Warum sollte es sich jetzt in der heutigen verfahrenen politischen Lage, wo der Block vor der Verhängnis- vollen Arbeit" der Rcichsfinanzreform steht, dazu drängen, wieder Regierungspartei zu werden? Besser, es läßt Kanzler und Freisinn sich zunächst noch mehr abwirtschaften. Und auch die Konservativen schienen von dem Ausgang der Jnterpellationsdebatte nicht unbefriedigt zu sein. Mochte manchem von ihnen auch das Schweigen BülowS am zweiten Tage der Debatte, sein Verzicht auf jede scharfe Abwehr der sozialdemokratischen Reden nicht passen, so waren doch die Forderungen einer Erweiterung der politischen Rechte des Reichstages unter den Tisch gefallen. An und fiir sich ist zwar manchem der Herren die Persönlichkeit des Kanzlers mit ihrem weltmännischen Getänzel und ihren schöngeistigen Allüren höchst gleichgültig, zum Teil sogar zuwider: aber eine Entlassung des Kanzlers konnte unter den gegebenen Umständen von den entschieden liberalen Elementen und besonders von den Sozialdemokraten als ein Zunickweichen der Krone vor den Ansprüchen der Masse gedeutet werden, und dieser Schein mußte nach Ansicht der Jnnler entschieden vermieden werden. Von der Hand der im Reichstage vertretenen Volksmasse durfte Bülow ntcht fallen. So schien Bülow noch eine mehrnwnatige Amtsfrist ge- sichert zu sein. Aber die, vie so kalkulierten, haben einen ins Gewicht fallenden Rechnungsfaktor nicht mit in Betracht ge- zogen: die Psyche des Kaisers, seine Begriffe von Fürstengewalt und GotteSgnabcntuni, seine Empfindsanikeit. Wilhelm II. fühlt sich dadurch verletzt, daß im Reichstage scharfe Worte gegen das persönliche Regiment gefallen sind, ver- letzt durch das Verhalten des Kanzlers, der nicht energisch den sozialdemokratischen Rednern entgegengetreten ist und der ihm doch, nach seiner Auffassung, zu grohem Dank verpflichtet war, da er, der Kaiser, ihm die Nicht- beachtung des ihm zur Prüfung zugegangenen Manuskripts verziehen und seine Demission gnädigst zurückgewiesen hatte. Und diese Verstimmung dürfte schwerlich von den vielen Feinden, die Bülow wegen seiner Blockpolitik und seiner gelegentlichen liberalen Anwandlungen in den Hofkreisen besitzt, ungenutzt geblieben sein, wird doch erzählt, daß am zweiten Tage der Debatte bei einem der Wortführer der Konserpativen eine Depesche aus Donaueschingen eingetroffen sei, in der die flaue Verteidigung dcS Kaisers durch Herrn v. Heydcbrand moniert wurde. Erst darauf habe Herr v. Oldenburg seine Redensarten von Ergebenheit und Königstrelle in die Debatte geworfen. Wie in den Hofkreiscn hat man auch im Staats- Ministerium, in dem man ebenfalls gut über die jeweiligen Stimnitingen und Verstimmungen des Kaisers inforniicrt ist, die Gelegenheit benutzt, alte Fehden wieder aufzunehmen. Es ist ein offenes Geheimnis, daß in der letzten Sitzung des Preußischen Staatsniinisteriums bei der Beratung der Beschlüsse über das persönliche Regiment es bereits zu allerlei Einwendungen und Wider- sprächen gekommen ist. B e s o n d e r s. zw i s ch e n F r e t- Herrn v. Ryeinbaben und dem Reichskanzler sollen sich verschiedene Differenzen er- geben haben. Wie weit die Krise bereits vorgeschritten ist, zeigt folgende parteioffiziöse, von derKrenz-Zcitung" ohne ein Wort der Kritik abgedruckte Auslassung derKon- scrvativen Korrespondenz". Mit BeflemiNung werben unsere Gesinnungsgenossen im Lande den NeichStagsverhandlungen der letzten Tage gefolgt sein. Und wahrlich, eS bandelte sich um viel l Ein trauriges Bild, den Träger der Kaiser« kröne so vor aller Welt kritisiert Und bloß« gestellt zu tzehen. Das hat Deutschland seit seiner Wiedergeburt noch nicht er- lebt, und daS kann und darf nicht wieder vorkewuicn, wenn wir eine Kaisergewalt lhhalten wollen, die mehr ist als die im alte» Deutschen Reiche . Gott sei Dank, daß wenigstens von konservativer Seite sich bei aller freimütigen Beurteilung der Sachlage, die unsere Redner schon gegeben, doch noch im letzten Moment auch eine Stimme persönlicher Anhänglichkeit und Treu « erhob! Warum sprach nicht auch der Kanzler noch ein Wort? Hätte er nicht, wenigstens den Nebergriffen gegenüber, den Schild vor die Person des Kaisers halten sollen? Vielleicht dachte er, daß es, um de? Endeffekts willen, psycho- logisch besser sei, da« Gewitter, die elektrische Spannung sich ganz entladen, das tuigeschmülkteste Urteil sich hervorwagen zu lassen alS dazwischenzutreten. Mag sein, daß er diese Ansicht hatte; wir wollen danimj keinen Stein auf ihn werfen. j Er muß wissen. waS er setzt will. DaS muß nun aber auch in die Tat umgesetzt werden! ES war kein gutes Anzeichen, datz man dem Kaiser nicht schon riet, in diesen schweren Tagen für die Monarchie, statti in fremden Gegenden in der Mitte seines Volkes, zur Seite seine» amtlichen Berater zu weilen. Auch solche Dinge dürfen nicht sein, wenn wir auf eine wirkliche Besserung der Lage vertrauen, wenn wir dessen gewiß sein wollen, dost diese Berater vor ihm auch alle? weitere, was anders werden muß, mit dem Nachdruck und Ernst der kritischen Stunde vertreten werden." Allerdings manche politischen Wortführer der Konservativen scheinen mit dieser Abschwenkung der konservativen Partei- leitung vom Kanzler noch nicht einverstanden zu sein. Die Deutsche Tageszeitung" knüpft an die Aeusterung folgende Kritik: Auf den Inhalt näher einzu geheit, möchten wir uns vorläufig versagen. Wir können un-S aber de? Eindrucks nicht erwehren, als ob diese Veröffentlichung nicht völlig auf denselben Ton gestimmt sei. in dem die bekannte Erklärung deS Parteivo r st andes gehalten war.... Sachlich hat der Artikel i»sofern recht, als man allgemein tief bedauert hat, daß der Kaiser in diesen Tagen nicht in seinem Lande und seiner Hauptstadt weilte. Wir glauben aber annehmen zn dürfen, daß, wenn es möglich gewesen wäre, ihm das mit Erfolg zu raten, dieser Rat gewiß erteilt worden sein würde. Weiter möchten wir uns über diese Seite der Angelegen- heit nicht verbreiten. Darüber, ob es zweckmäßig gewesen ist, wenn der Reichs- kaitzler noch einmal in der Besprechung der Jnterpellatioiien das Wort ergriffen hätte, kann man verschiedener Meinung sein. Die Lage würde durch ein nochmaliges Eingreifen des Kanzlers freilich kaum gebessert worden sein. Deshalb liegt es auch uns völlig fern, deswegen einen Stein auf den Kanzler zu werfen." Auch der aus Hofkreisen inspirierte frommeReichs- böte", das mit Vorliebe von der Kaiserin gelesene Blatt leistet sich folgenden Angriff gegen den Reichskanzler: Besonders erballt wird der Kaiser freilich von der Haltung des Fürsten Bülow am zweiten Tage nicht sein, wo er sich den schwersten Beschuldigungen des Kaisers gegenüber völlig passiv verhielt. Wie der Kaiser da? Verhalten des Kanzlers beurteilt, wird größtenteils davon abhängen, wieweit daS impulsive persönliche Eingreifet des Kaisers bei der getadelten Politik und wieweit die Beteiligung des Kanzlers dabei in Betracht kommt.... Der Reichskanzler hat wiederholt gesagt, daß er die Verantwortung sür die fehlerhafte Behandlung deS kaiserlichen Auftrags mit dem Manuskript des Artikels über- nehme, aber von der Berantwortung für die in dem Arnkel stehenden Tatsachen hat er nichts gesagt. Die Verantwortung für diese und ihre Veröffentlichung hat er auf dem Kaiser und seinem viel kritisierte» persönlichen Regiment sitzen lassen. Juwiewett er dazu berechtigt war und wieweit er davon seine Haltung im Reichstage abhängig machen bnrste. davon wird es abhängen, ob der Kaiser mit seiner Haltung eiiiverstauden ist oder nicht... Wir verlangen nicht vom Kanzler, daß er gegen sein Gewissen etwas verteidigen soll, aber Wir hätten ge- wünscht, daß er dann auch seine eigene Schuld hätte eingestehen sollen; denn er war an dieser Politik im allgemeinen beteiligt und das Auswärtige Amt hat sie gegen jeden, der sie kritisierte. aufS schärfste verteidigt. Ein auf der Höhe stehender Staats- mann darf nicht eine falsche von seinem Monarchen gewünscht« Politik mitmachen, aber noch weniger darf er dann, wenn ihre Fehler offenbar werden, seine Mitschuld verschweigen oder sie als einen Alt der persönlichen Politik des Fürsten erscheinen lasse tt." Kompliziert wird die Lage dadurch, daß der Bundesrats- ausschust für auswärtige Angelogeiiheiten sich gestern unter dein Votsitz des bayerischen Ministerpräsidenten Freihcrrn b. Podewils einmütig auf die Seite deL Fürsten Bülow gestellt hat. Vorläufig ist ter Chef des ZivilkabinettS, Herr v. Valsn- tini, zum Vortrag bei Wilhelm II. «ach Donaueschingen berufen worden. Dein Kanzler, der den Kaiser um die Erlaubnis ersuchte, ihm Vortrag halten zu dürfen, ist bisher die Er- laubnis nicht gewährt worden. Vielleicht, daß ihm gestattet wird, demnächst in Kiel , wohin der Kaiser sich zur Truppen- Vereidigung begibt. Vortrag zu halten falls er nicht inzwischen schön seinen Abschied erhalten hat. vK lustige Kaiser. Wir fillbcn in derFrk. Ztg." folgende Annonce: Frankfurts Union » Theater vor Deutschlands Kaiser! DaS Union- Theater, Kaiferstraßs 74, wurde vom ü r st e» Fürstenberg eingeladen. am Dienstag vor r. Majestät dem Deutschen Kaiser in Donmieschlnge» eine Separatvorstellung im Musiksaalo des Schlosses zu veranstalten. Wir erhalten darüber heute folgendes Originaltelegramm: Donaueschingen , Ii. 0.40. Ziveistiindige Borstellung des U n i o n- T h e a t e r S im Schlosse zu Donaueschiiigeii vor dem Deutschen Kaiser, dem Fürsten Fürstenberg und Grafen Zeppelin mir sensatioiiellein Erfolg nachtS t2>/z Uhr beendet. Der Kaiser und die hohen Hmschastdi applaiivicrten stürmisch und sprachen i» prrsiiiilicher Uiitcrrcliiuig ihre dnnküare An- erkenn,»ig für das brillant gewählte Programm und die tadellose Vorführung aus. Es war am D t e n s t a g. an demselben Tage, an dem der deutsche Reichstag die Debatte Über das persönliche Regiment begann. Es ist auch interessant, daß der Kaiser in persönlicher Unterredung seine Anerkennung anS- sprach. Fürst Bülow konnte bisher, wie es scheint, solch per- sönliche Unterredung noch ntcht erlangen. Zweifelhaft bleibt auch, ob der Kaiser seinem Diener ebenfalls sodank- bare Anerkennung" aussprechen wird. Daß der Kaiser der Fuchsjagd obliegt, dann zur Rekrutenvereidtgung nach Kiel fährt und, irren wir nicht. beMts zu neuen Jagden sich angesagt hat, ist den HMlarchisten kein Wohlgefallen. So sagt selbst die hochoffiziösc /.Köln . Ztg.": Man versteht nicht, daß der Kaiser, was jetzt in Berlin ? geschieht, anscheinend als so unwichtig einschätzi, daß er seine R e i s e n. Jagden und höfischen F e st e nicht unterbricht, um nach Berlin zu kommen. Schon lange ist im Volt das, wenn wir nicht irren, von Eugen Richler geprägte Wort vomRegieren im Umherziehen" bitter empfunden worden. Es war nicht nötig, daß gerade die jetzigen Verhandlungen wieder einmal den äugen» |. scheinlich eu Beweis liefern mußten, wie sehr der notwendige Zu- » sammenhang in der Regierung durch die ununterbrochenen Reisen ? deö Kaisers geschädigt wird." Uud der Schmerz der Monarchisten ist ja begreiflich. Denn teenft gerade der Monarch in krisenhaften Zeiten, in den Stunden der Entscheidung so viel Zeit zu Ver- guügungen hat, so gibt er damit zu erkennen, daß er die Regicrungsgcschäfte nicht für die wichtig st c Funktion seiner Stellung hält. Es ist übrigens eine gute Lektion, die die bürgerlichen Parteien er- fahren. Solange sie nur reden und nicht handeln, verdienen sie nichts anderes, als daß der Kaiser sich durch ihre Reden seine Amüsements nicht stören läßt. Eine bessere Kritik konnte das Versagen des Reichstages gar nicht finden, allerdings auch keine, die die Massen über die Herrlichkeit des absolutisti- scheu Systems gründlicher aufklären würde. Es ist also nicht verwunderlich, daß man auch in offiziösen Kreisen an Abhilfe denkt. Da es aber offenbar nicht ge- lingen will, dem Kaiser klarzumachen, daß die Zeit zu Ver- gnügungen nicht gerade gut gewählt ist, so macht man die Sache einfacher und für die offiziösen Kreise auch bequemer: Man läßt dem Kaiser seine Freude, aber man sorgt dafür, daß das Volk möglichst wenig von den Vergnügungen erfährt. Von sehr vertrauenswürdiger Seite erhalten wir folgende interessante Nächrichten: Das offiziöse Wolfs sche Depeschenbureau hat den Auftrag erhalten, daß die Nachrichten aus dem Hoflebcn im all- gemeinen und ü b e r d e n K a i s e r im besonderen von jetzt an möglichst kurz, sachlich und ohne Aufputz abgefaßt werden. Dieser Auftrag ist auch pünktlich ausgeführt worden. So kam ein Telegramm aus Donaueschingen , der Kdiser habe sich seinen eigenen Einzug in Donaueschingen durch den Kineniatographen vorführen lassen. Dies Telegramm wurde von dem Depeschenbureau unter- drückt. Es ist wirklich schade, daß die Nachrichten über den Kaiser gerade dann dem Volke vorenthalten werden, sobald sie bc- ginnen, wirkliches politisches Interesse zu gewinnen. SchiiGing. Der verdicnstbollen Anklageschrist desBücgermelsterZ X. U. Z." gegend i e Reaktion in der inneren Ver- w a l t u n g Preußens" ist ein neues Kapitel anzufügen. Der Verfasser, Bürgermeister Schücking von Husum , ist wegen der Herausgabe seiner Schrift und wegen einiger im gleichen Sini" gehaltener Zeitungsartikel im Disziplinarverfahren als Pamphletist, als einer, der mangelnde Ehrerbietung vor Dienstvorgcsetzten zur Schau getragen und Staatseinrichtungen verächtlich gemacht hat, zu SOO M. Geldstrafe verurteilt worden. Zur höchsten Strafe, die vor der A m t S e n t s e tz u n g steht, die der Vertreter der Anklage gefordert hatte. Es ist überflüssig, die juristische Haltlosigkeit deS Spruches zu behandeln, überflüssig, auf die bodenlose kulturelle Rückständig- keit Preußens noch einmal besonders hinzuweisen, die aus dem Ver- fahren und aus dem Urteil spricht, überflüssig auch, die jammervolle Verkrüppelung der gerühmtenSelbstverwaltung" an der Tatsache zu demonstrieren, daß auch der Kommunalbcamte, der Erwählte der Bürgerschaft, zum Untergebenen der Staatsbureaukratie ge- stempelt wird. Es hieße da nur allbckamite und oft behandelte Dinge wiederholen. So war es immer in Preußen, wo Land- rate und Aintsvorstcher, die liberale Zeitungen zerreißen, die oppositionellen Parteien die Säle abtreiben und ähnliches mehr tun, niemals mit dem Disziplinarverfahren Bekanntschaft machen. Unb so wird es bleiben in Preußen, solange das Drciklassenunrecht besteht. Wenn das Schicksal deö Husumer Bürgermeisters besonderes Aufsehen erregt, so deshalb, weil es einem Freisinnigen in der Zeit des Blocks widerfährt. Von Gleichberechtigung, von Anteil an der Macht träumte der FrAslnn, als er sich zum schmählichen Verrat liberaler Grundsätze, zum Block- dienst herbeiließ: DaS Junkertum hat ihm schnell zu verstehen* gegeben, daß der Pakt so nicht zu verstehen ist. Ten Schein einiger kleiner parlamentarischer Erfolge gönnt es dem Blocklakaien allen» falls, aber an die Wurzel der junkerlichen Macht, an die Allein- Herrschaft der Junker in Preußens Verwaltung darf er nicht rühren. Die Partei, die im Reiche sich Regierungspartei nennen darf, die berufen wird, dem Reichskanzler die nötige Mehrheit zn bilden, sie mutz sich in Preußen weiter als aussätzig behandeln lassen. Der Beamte, der ihre Ideen verficht, ihre Forderungen vertritt, macht sich unmöglich So ist der Wille der Junker und der Junkerbureaukratic, und der preußische Ministerpräsident Bülow ist außerstande, etwas dagegen zu tun. Alle Erklärungen derNordd. Allg. Ztg.", daß der preußischen Regierung das Ver- fahren wider Schücking unangenehm sei, haben nichts genützt. Vielleicht haben sie Herrn Schücking die Amtsentsehung erspart aber in solchen Verfahren ist das Strafmaß Nebenfachs. Für den Freisinn wäre die Sache nichts gebessert, wenn selbst auf die niedrigst zulässige Geldstrafe erkannt worden wäre. Was lvird der Freisinn tun angesichts dieses derben Backen- streichs, den ihnen die Junkerbureaukratie versetzt. Die freisinnige Presse schweigt vorerst. Sie gab am Freitag das Urteil und sagt: nichts. Was wird sie sagen? Was wird die freisinnige Fraktion?- gemeinschaft unternehmen? Der Freisinn hat schon soviel Demütigungen hinunter- geschluckt, daß er vielleicht auch diese noch hinunterwürgt. Brennende Scham müßte ihm dann freilich inS Antlitz steigen, wenn er die tapfer« Verteidigungsschrift liest, die Schücking der Anklage ent- gcgcngcsetzt hat. politifcbe Clcbcf ficht. Berlin , den 13. November 1908. Wie die Arbeitslosigkeit hinwegeredet wird. Aus dem Reichstag.(13. November.) Die furcht- bare Krise, unter der Deutschland leidet, hat eine Arbeits­losigkeit schlimmster Art über die Arbeiterschaft gebracht. Nicht das erste Mal zieht die Not durch die Laude, und nicht das letzte Mal wird es gewesen sein. Die Not ist der Schatten des kapitalistischen Aufschwungs; sie folgt ihm auf dem Fuße. Und immer, wenn Hunderttausende auf die Straße getrieben werden durch die KrisiS, drängt sich die Frage auf: was soll geschehen, um die Arbeitslosigkeit ein- zudämmcn, die Not zu lindern? Zwei Interpellationen suchten diesmal die Regierung zur Auskunft zu drängen über die Maßregeln, die sie gegen die herrschende Arbeitslosigkeit und den Notstand zu ergreifen gedenkt. Sonst war es die Sozialdemokratie allein, die mit solchen Fragen die Gemütsruhe der herrschenden Klasse störte. Abex gutes sozialdemokratisches Beispiel verbessert offenbar die Sitten bürgerlicher Politiker: denn auch daS Zentrum hat sich nun eingefunden mit einer Interpellation.