scheußlichen Vorkommnisse, die sich leider nur allzu ofthinter den Kasernenmauern abspielen, im Reichstage indreitägiger Debatte erörtert wurden, da nahm jum Schlüssedas Haus eine Resolution an, welche dringend Schutz undAbhilfe verlangte und vom Bundesrathstisch aus wurdeauch Erfüllung zugesagt. Seitdem ist ein weiteres Jahrverflossen und der Skandal der Soldatenmißhandlungenblüht in üppigster Weise weiter. Die diesbezüglich gesternvon Kunert, heute von Stadthagen, E. Richter und be-sonders durch Bebel vorgebrachten Einzelfälle, bestätigendies leider nur zu sehr. Mag sein, daß der eine oderandere Fall in Nebensachen vielleicht nicht ganz soliegt wie er vorgetragen wurde, der Umstand,daß die Vertheidiger des angegriffenen Systems sich nur andiese Nebensacken klammerten, die eigentlichen Thatsachenaber schweigend übergingen, beweist mehr als genug, wieschlimm die Dinge liegen. Nichts als eine Verlegenheits-phvase war es, wenn die konservativen Redner und auchHerr Dr. Lieber die Sache so darzustellen suchten, als seiennur unbekannte Einzelfälle vorgebracht worden, derenRichtigkeit zu prüfen, der Reichstag keine Möglichkeit habe.Der Fall des Lieutenant von Salisch in Koblenz und diemeisten der sonst erwähnten Thatfälle, haben die Militär-gerichte beschäftigt und sind auch in der Presse besprochenworden. Wenn Herr Dr. Lieber und. von Manteuffel trotz-dem die Unwissenden spielen, so ist das ihre Sache. Aberzu verlangen, daß auch die Abgeordneten unserer Parteiüber Skandalosa, die seit Jahrzehuten das deutsche Volkaufregen, ohne daß Adhilse geschaffen wird, schweigen sollen,das heißt den Vertretern unserer Partei einen Treubruchgegen ihre Wähler zumutheu. Nun, diese Zumuthung hatja die gsbührende Zurückweisung erfahren.Was weiter die Unterstellung anbelangt, die wiederholtvom Bundesrathstisch aus gemacht wurde, daß die vor-gebrachten Beschwerden nicht den Zweck haben, die Uebcl-stände zu beseitigen, sondern unsere Redner nur von derAbsicht geleitet werden, die Ehre und das Ansehen derArmee zu untergraben und den Klassenhaß auch in derArmee zu fördern, so läßt uns diese Ausflucht mehr alskalt. Wenn die vorgebrachten Thatsachen geeignet sind, dieEhre und das Ansehen der Armee zu schädigen, warumbeseitigt man dieselben dann nicht? Ist es unsere Schuld,daß die Soldatenmißhandlungen eher zu als abnehmen?Oder ist es unsere Schuld, daß heute die Militär-Straf-rechtspflege noch in einem geradezu vorsintfluthlichen Zu-stände sich befindet, so daß im ganzen Reichstag nicht eineeinzige Partei ist, welche auf diesem Gebiete nicht grttnd-liche Aenderungen verlangte. Wenn aber diese Aende-rungen, wie der Abgeordnete Richter treffend bemerkte,seit zwanzig Jahren zugesagt sind und der derzeitigeKriegsminister bereits der fünfte ist, welche alle die Aende-rung versprochen haben, diese aber bis heute nicht er-folgt ist, ist das die Schuld der sozialdemokratischenPartei?Freilich, wenn auch die allseitig verlangte Moderni-sirung der Militär-Strafprozeßordnung kommt und endlichauch auf diesem Gebiete das Prinzip der Mündlichkeit undOeffentlichkeit eingeführt wird, die scheußlichen Soldaten-Mißhandlungen werden auch dann nicht verschwinden, wiedas Beispiel in Bayern zeigt. Diese Bestialitäten, welchedie Militärverwaltungen so gut und so scharf wie wir undwie alle normal urtheilcnden Menschen verabscheuen undverurtheilen, sie sind nicht die Folge eines mangelhaftenGerichtsverfahrens, sondern sie sind die nothwendige undunvermeidliche Beglelterscheinnng des in der Armee auf diehöchste Spitze getriebeneu Prinzips des blinden und un-bedingten Gehorsams. So lange dieses Prinzip herrscht— und die modernen stehenden Armeen beruhen aufihm, stehen und fallen, mit diesem Prinzip—so lange werden die Soldatenmißhandlungen nichtverschwinden. Daran kann das redlichste Wollen derVorgesetzten nichts ändern, und erweisen sich anderes Be-schwerdeversahren und geänderte Prozedur vor Gericht nurals Palliative von minimem Werth. So lange man sichnicht entschließen kann, mit den Traditionen des Sold-knechtthums gründlich zu brechen und in dem Soldatenuur den Vaterlandsvertheidiger zu erblicken, so lange wirdman auch den Schandfleck der Soldatenmißhandlungen nichtlos werden. Nur eine Armee kennt diese Greuel nicht,die Schiveizer Miliztruppe; in dieser Truppe ist aber auchder blinde, unbedingte Gehorsam eine unbekannte Größe.Wer deshalb die Soldatenschinderei gründlich beseitigenwill, der unterstütze das Streben der Sozialdemokratie aufUmwandlung der stehenden Heere in ein Volksheer, wie esdie Schweiz zum Wohle seiner Bürger und zur größtenSicherheit seiner Grenzen eingeführt hat.—Runde bei den Pferdehändlern zweiten Ranges gemacht.Sie fanden ein erträglich gutes kleines Steppenpferd mit kleinemKopfe und geradem Rücken. Der Eigenthümer garantirte,daß es gut eingeritten sei. Am Nachmittag kehrtensie mit einem Sattel, welchen Wasselij aus zweiter Handkaufte, dahin zurück. Sie probirten das Pferd sorgfältigund brachten, nachdem sie stark gefeilscht hatten, ihren neuenEinkauf nach dem Wirthshanse. Die nächsten Tage brachteAndrej zu Pferde zu, um das Thier kennen zu lernen. Eswar sehr muthig, ziemlich schnellfüßig und nicht besonderslaunisch. Der letzte Punkt war von großer Wichtigkeit, dabei Ausführung des Planes sicherlich Schüsse fallen würden,welche das Thier erschrecken könnten. Er hatte einige Blühe,seine Rostnante, wie er seine Stute scherzhaft hieß, an dasGeräusch von Feuerwaffen zu gewöhnen. Als er an einerabgelegenen Stelle den ersten Schuß neben dem Ohre desPferdes abfeuerte, sprang dieses unter seiner Last, als obes besessen wäre. Beim zweiten und dritten Schuß benahm essich schon besser. Nach einer Woche waren sowobl Pferdals Reiter zur That gerüstet. Bei einem Schuß über denKops hinweg zitterte es zwar noch, doch war dies auchAlles. Den Rest jeden Tages brachte Andrej damit zu,das neue Terrain und die Rückzugslinie zu studiren.Sina war indeß eifrig beschäftigt, die Kompagnie derWachtposten, Gefängnißwärter und Boten zu schulen. Siewaren acht an der Zahl und hatten durch eineReihe geschickler und femer Operationen die Angreiferund die Estorte im richtigen Mo»>ente zusammenzubringen.Tie Zeit, wann die Gefangenen zum Verhör hin-geführt werden sollten, war nur annähernd bekannt. DieWahl von Tag und Stunde hing gänzlich vomBelieben des Staatsanwaltes ab. Deshalb mußte biszu der Zeit, für welche die Vorladung zu erwartenwar, alles zum sofortigen Handeln bereit sein.(Fortsetzung fofgt.)Die Mklitärkommisfion hat heute die erste Lesungbeendigt(S. Parlamentarisches). Sie hat dazu zwei volleMonate gebraucht. Resultat: null! Kein Vorschlag, keinAntrag hat die Majorität erlangt. Das heißt aber nicht,daß es nun aus sei mit der Regierungsvorlage, sondernnur, daß ein neuer Akt der Verschleppungs-k o m ö d i e b e g i n n t. Die z w e i t e Lesung soll— nichtnächsten Montag, nein erst Donnerstag, den 16. d. Mts.beginnen. Auch zum Nichtsthun muß man sich ausruhen.Und inzwischen wird hinter den Kulissen am Kompromißgearbeitet.—Der Bundesrath ertheilte in der am 0. d. Mts.abgehaltenen Plenarsitzung dem Freundschafts-, Handels-und Schifffahrtsvertrag zwischen dem Reich und dem Frei-staat Kolumbien, dem Entwurf eines Gesetzes zum Schutzder Waarenbezeichiiungen und dem Entwurf einer Branntwein-Reinigungsordnung die Znstimmung. Einer Aktien-gesellschaft wurde auf ihren Antrag das Recht zugestanden,zu einem gemeinnützigen Zweck Aktien unter dem gesetzlichenMindestbetrage auszugeben.Dem Bundesrath ging heute ein Gesetzentwurfzu, betreffend die Beschäftigung von Arbeiterinnenund jugendlichen A r b e i te rn in Ziegeleien.—Der Umfall des Deutschfreisinns. Wie die umR i ck e r t und Hinze gesonnen sind, ersieht man ans einemArtikel der dem Abgeordneten Rickert gehörigen„DanzigerZeitung", der unmittelbar vor der famosen Fraktions-sitzung des Deutschfreisinns am 8. ds. Mts., erschienen ist.Darin flötet der Wadelstrumpf:„Gegen die liebenswürdigeUnterstellung des„Umfalls", wie sie von gewissen Kraft-federn dabei beliebt wird, sind wir sonst wohl gesichert ge-nug durch die wiederholt abgegebeile Erklärung, daß wirals Voraussetzung einer solchen Verständigung das Entgegen-kommen der Reichsregierung gegenüber der Majorität desReichstages und eine erhebliche Einschränkung ihrer Forde-rungen ansehen. Es handelt sich n i ch t um e i n e V e r-ständig ung um jeden Preis, aber auch umdie Vereitelung einer solchen um jeden Preisdarf es sich nicht handeln!" Die rückgratloseNachgiebigkeit der Deutschfreisinnigen wird hier offen dar-Sethau. Trotz aller lendenlahmen Fraktions- Erklärungenleibt es dabei, daß eine Gruppe der Deutschsreisinnigentompromisseln will. Und das ist der U m f a l l.—Znr Militärvorlage. Die„Germania" begrüßtes freudig, daß es heut« in der Kommissionzur ersten A b st i m m u n g über die Militärvorlagekommen wird, und sagt:„Eine Mehrheit ist nur dafür Bewilligung von so viel Rekruten und Geld, daß diejetzige Präsenz auch bei der zweijährigen Dienstzeit, diegesetzlich festgelegt werden muß, erhalten bleibt— fürmehr giebt es keine Mehrheit und wird es keineMehrheit geben. Möge die Regierung auf diesenBoden treten und mit diesen wahrlich nicht geringen Be-willigungen so, wie sie es für richtig hält, sich ein-richten!" Trotz dieser siegesgewissen Sicherheit desultramontanen Zentralorgans kennen wir unsere klerikalenPappenheimer grade gut genug, um zu wissen, daß sie sichin letzter Stunde mit der Regierung verständigen, sobaldes ihnen Vorthcil bringt. Die Parteiführer haben nichtumsonst lebhaft betont, sie verhandelten deshalb so ein-gehend in der Kommission, damit jedes Fraktionsmitgliednach eignem Ermessen stimmen könne. Caprivi wird seinenKuhhandel mit dem Zentrum abschließen und die nöthigeAnzahl Stimmen für die Vorlage liefert dann das schacher-frohe Zentrum mit der peinlichen Gewissenhaftigkeit einesehrlichen Terminspekulanten.„Ich nehm', ich geb'", dasist die Losung.—Postamtliche Agitation für die Militärvorlag»'Der P o st h a l t e r in Hilden besaßt sich jetzt mit derVertheilung der aus dem Militärpreßbureau stammendenBroschüre„Warum muß Deutschland seine Wehrmacht ver-stärken?" und des bekannten Reptilieu-Flugblatts„Wievielkostet uns Deutschen die Vertheidigung des Vaterlandes?"Diese Erzeugnisse des Militärpreßbureaus werden in Hildenan der Post herumgegeben, jedenfalls eine neue Art vonBenutzung des amtlichen Apparats.—Neues vom Schiff. An Bord des Schiffes„Erna",das zur Rhederei des wohl genügend bekannten Adolf Schiff-Elsfleth gehört, ist ein Fall von schmachvoller M i ß h a n dl u n g eines Schiffsjungen zur Anzeige gekommeil'Der Junge ist in unerhörter Weise gepiesackt, u. a. auch'an der Kehle gepackt worden, daß ihm das Blut aus demMunde floß. Ter Junge ist dam: mit Hilfe einiger vonder Mannschaft in Liverpool von Bord deserlirt und wirdnächstens in Elsfleth eintreffen. Er heißt Milleitnerund stammt aus Oldenburg. Schiff ist immer noch Mit-glied des Borstandes der See- Bcrufsgenosscnschaftund der oldenburgischen Schifffahrts- Kommission.—Die Jesuiten. Im ultramontanen„BayerischenVaterland" liest man:„Ww glaubennicht.daßdie Jesuiten denSozialdemokraten nicht gefährlich würben; denn was nütztder heiligste und gescheiteste Jesuit, wenn der vermaledeiteSozi nicht zu ihm in Beichtstuhl und Predigt oder Vortraggebt! Wie soll denn aber sonst der Jesuit dem Sozi dieGiftzähne ausreißen und ihn zu einem„echten" Zentrums-Katholiken niachen? Aristokraten und geistliche Herren habeneine weit größere und ausrichtige Angst vor den Sozi, dennwenn die Sozi überhand nähmen und„Religion Privat-fache" würde, kämen schlimme Zeiten für Geistliche undAristokraten, da es dann weder Domherrn-, noch Pfarrer-gehältcr und Stolgebnhren, noch höfische Sinekuren«. mehrgäbe und auch die frommsten Bauern freiwillig nichtgern in die Tasche greisen."—Wenn ein Junker aus der Schule plaudert. Wiehabe» die Agrarier gescholten, wenn die unabhängige Presse,wenn die Arbeitervertreter die elenden Arbe»terverhältnisseOstelbienS als die Grundursache der S a ch s e n g ä n g e r e ibezeichneten! Was hat nun am 7. März ein eingefleischter,in der Wolle gefärbter Junker, Herr v. P u t t k a m e r-P l a u t h. ein Führer der westpreußischen Konservativen,gesagt? Er sprach in einer von den Vorständen der land-wirthschaftlichen Vereine des Kreises Roscnberg nach Frey-st a d t(Westpreußen) einberufenen Versammlung über denAnschluß an den Bund der Landwirthe. Junker Puttkamerführte nun u. a. aug:„Wenn eS noch zwanzig Jahre so weiter ginge, wie jetzt,müßte aller Groß- und Klemgrundbefltz. welcher einigermaßenverschuldet sei, in Westpreußen zum Teufel gehen. Jetzt nähmeder Bauer ja nur noch Gesinde, welches er„mit der Schub-karre" aus das Feld bringen kann. Wie er vor 2v Jahrennach Plauth gekommen sei. hätte er Scharwerksmädchen vor-gesunden, das sei eine reine Freude gewesen, die hätten alleKürassier werden können. Das könne eben nicht eher besserwerden, als bis wir die Leute so gut halten könnten,wie die Industrie im Westen, wohin sie gehen. Wenner Arbeiter wäre(Herr v. Puttkamer), so wäre ergewiß hier auS Westpreußen schon längst weg."Es ist nicht nöthig, unsere Genossen darauf hinzuweisen,welche treffliche Waffe für die L a n d a g i t a t i o n Herrv. Puttkamep durch seine offene Beichte uns da geschmiedethat.—Das„gleiche Recht für Alle" ist eine schöne Rede-wendung. Wie aber sieht es damit in Wirklichkeit aus?Während die A r b e i t e r- F a ch v e r e i n e in Sachsenmit einander nicht in Verbindung treten dürfen, auchdie politischen Vereine nicht, steint den Fachvereinender Brotverth eurer k�.n Stein in den Weg gelegtzu werden. Ter Bund der Landwirthe versendetein Rundschreiben, in dem es in bezug auf die Organisationheißt:„Als Bezirksabtheilung wird in den meisten Fälle»:der politische Kreis die geeignete Abgrenzung des Bezirkesabgeben, eventuell ist es natürlich nicht ausgeschlossen,kleinere Bezirke zu bilden. Der einheitlichen Gestaltungwegen kann es auch angängig erscheinen, statt einen Wahl-kreis in kleinere Bezirke zu theilen, als die politischenKreise, und dadurch dem kleineren Besitzer die größereKonzentration und Möglichkeit zur Theilnahme an Ver-sammlungen zu gewähren, daß der Bezirksoorsitzende, statteiner Versammlung für den ganzen Bezirk, Theilversamm-lungen, zum ersten Male unter seinem Vorsitz, in besonderenZentren des Bezirkes abhält, in der eine Anzayl Orts-grupen mit einem gemeinsamen Mittelpunkte eine Haupt-g nippe bilden. Für das Königreich Sachsen ergiebt sich dieEiulheilung entsprechend obigem Plane den Statuten gemäßin Kreis-, Haupt-, Bezirks- und Orts-g r u p p e n, wobei die Hauptgruppe mit dem Wahl-kreise zusammenfällt und die Kreisgruppe der Provinzial-abtheUung entspricht."— Wir sind sehr neugierig, was diesächsische Polizei zu dieser Organisation sagt. Hoffentlichwird sie geduldet, damit später die Arbeiter sich gleichfallsin der angegebenen Form organisiren können. Denn wasdem Einen recht, muß dem Anderen billig sein?!?—Gemeindewahlrechts-„Reform" i« Halle a. S.Der H a l l e s ch e Stadtniagistrat, der die A u s b e b u n gdes reaktionären Bürgerrechts-Geldes unv dadurcheine Ausdehnung des Gemeindewahlrechts be-antragt hatte, hat bei den tapferen Bourgeois der Stadt-verordneten- Versammlung Widerspruch ge-sunden. Die Stadtverordneten lehnten den Antrag ab,beschlossen aber, die Erwerbung des Bürgerrechts künftignur an die Entrichtung der Steuer von einem Mindest-einkommen von 666 M.(bisher 900 M.) zu knüpfen. Dem-gemäß werden künftig auch die bisher steuerfreigelassenen Einkommenklassen 660—900 M. zur K o m-m u n a l st e n e r herangezogen. So wird zwar die Zahlder Wähler vermehrt, die Ncuhinzugekommenen jedoch sindmit einer Steuer beschwert. Das Widersinnige des Zensus-Wahlrechts ergiebt sich klipp und klar aus dieser Wahl-„reform". Wer wüßte nicht, daß gerade die„bisher steuer-freien" Einkommenklaffen durch die schlimmsten, die in-direkten, Stenern am härtesten getroffen werden?—„Freie Liebe". Zu unserer kürzlichen Mittheilungüber den züchtigen Zentrumsabgeordneten, so als treuerEhemann mit einem Mägdlein der heimlichen Minne pflogund nun vor einem Alimenten- Ereigniß steht,bemerkt Dr. S i g l im„Vaterland":„Das schöne Mägdc-lein, welchem das passirt ist, stand früher im Dienste beidem würdigen Zentral-Patrioten, und lebt jetzt, nachdem esMutter- und andere Freuden genossen, in Erwartung dessen, wasnoch kommen soll, allhie in M ünchen irgendwo in der Rosen-Heimerstraße, während der„Patriot" und geweste Liebhaberbeim Zentrum in Berlin das„Wohl des Volkes" vertrittund über der lex H e i n z e brütet, wenn er nicht daheimist. Daß aber doch der Teufel immer sein Spiel habenmuß, um der Tugend derer vom Zentrum Fallstricke zulegen\"—Das internationale Panama. In Italien istes der Regierung bis jetzt noch gelungen, die parlamentarischeUntersuchung zu hintertreiben. Und die gerichtlicheUntersuchung ist die reinste Komödie, da die italienischeJustiz allezeit die Dienstmagd, oder richtiger die Dirne derMachthaber war, und feil ist wie eine Dirne.Ganz so korrupt, wie in Italien, haben sich dieherrschenden Klassen in Frankreich nicht gezeigt. Siehatten noch so viel gesunde Elemente unter sich, daß eineparlamentarische Untersuchung zu stände kam, und daß dieseeine Zeit lang mit scyanungs- und rücksichtsloser Energiegeführt ward. Aber jetzt ist sie offenbar an einem Punktangekommen, wo die Energie aufhört und die bürgerlicheTugend sich gelähmt fühlt. Viele der Größen des republi-kanischen Bürgcrthums sind in den Orkus(die Unterwelt)hiuabgeschleudert worden— ein Exminister plärrte gesternwie ein ertappter Gaffenjunge vor dem Gerichtshof undverwünschte sich, daß er seine und des Vaterlandes Eyre zuMarkt getragen—. Allein plötzlich finden wir uns vor einemRührmichnichtan: vor Clemeuceau, Freycinet, Floquet hältdas geschwungene Schwert der strafenden Gerechtigkeit still,als wäre es verzaubert. Die bürgerliche Gesellschaft hatentdeckt, daß sie sich selbst nicht blos ins Fleisch schneidet,sondern das Herz durchbohrt, wenn sie das Schwert tieferins Fleisch treibt.—Das Notizbuch des berüchtigten A r t o n ist richtig indie Hände der Behörden gelangt— es wurde jedoch nichtin Rumänien, sondern in Paris gefunden, und 30 neueNamen von Bestochenen sind darin verzeichnet. Einneuer Prozeß— also ein dritter Panama- Prozeß—wird vorbereitet. Allein auch in diesem neuen Prozeß, dassteht jetzt schon fest, wird die Grenzlinie nicht überschrittenwerden, die der bürgerlichen Gesellschaft durch das Klassen-interesse und den Selbsterhaltungstrieb gezogen ist.—Frankreich. Man schreibt unö aus Paris, den8. März 1893:Die neuen französischen Preßgesetze. DerGesetzentwurf, den die Regierung nach den Dynamilaitentatendes vorigen Jahres znr Einschränkung der Preßfreiheit ein,brachte, war bekanntlich von der Abgeordnetenkammer arg ver-lümmelt worden. Namentlich hatte die Kammer die wichtigsteBestimmung des Entwurfes, welche die sofortige Beschlagnahme