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ferttgTeit, mit der die ohnehin schon so spärlichen Schutz-- bestimmungen für die Handlungsgehilfen umgangen werden. Für die Untergrabung der Gesundheit der Angestellten durch übermäßige Arbeitszeit und Entziehung der Nachtruhe erscheint eine so niedrige Geldstrafe durchaus unangemessen. Der betreffende Geschäftsführer wird sich hüten, die drei Tage Hast anzutreten. Gegen den Gewinn, den die Firma Jandors aus der Nachtarbeit ihrer Angestellten ge- zogen hat, fallen die 1b M. Strafe gar nicht ins Gewicht. Wie die Arbeitslosigkeit behörlich dekämpft wird, lehrt ein Inserat der Igt Gefängnisverwaltung in Bittrichhausen (Kreis Lennep), das wir in dem FachblattGUntersche Tischlerzeitung- finden. Hier ivird bekannt gemacht, daß sofort 50 Gefangene mit Strafzeit von drei Monaten und mehr zur Beschäftigung durch Unter- uehmer zu vergeben sind. Bewerber werden aufgefordert, versiegelte Angebote bei der genannten Behörde einzureichen. Während Hundert- tausende von Arbeitslosen immer tiefer in Not und Elend versinken, bietet man hier die Arbeitskräste der Gefangenen wie irgend eine Ware aus und vergrößert dadurch noch die Arbeitslosigkeit. Wir leben im Zeitalter der Sozialreform. Die widersinnigen Bestimmungeu gegen die Prostituierten wurden wieder einmal beleuchtet durch eine vor dem Schöffengericht in Halle a. S. stattgehabte Verhandlung gegen die 29jährige Marie G renile. Das Mädchen hatte das Leben imFreudenhause" satt, beabsichtigte zu heiraten und hatte in der Seifenfabrik von Stephan u. Flügge Arbeit genommen. Als sie aber die Beschäftigung auf- nehmen wollte so klagte sie vor Gericht habe man ihr die Papiere wiedergegeben mit dem Bemerken, die Polizei habe nachgefragt, und da sei man zu der Ansicht gekommen:Solche könnte»nan nicht beschästigen". Das Mädchen, das nun mit der Entfernung aus dem ihr widerlich gewordenen Prostituiertenhause jene schon oft gegeißelten Bestimmungen verletzt hat, wurde zu einer Woche Hast verurteilt. DerErfolg" des polizeilichen Eingriffes ist, daß die Unglückliche, die ehrlichen Erwerb und den Weg zur Besserung suchte, wieder auf den Weg des Ver- derbens getrieben werden kann. So heilt man die Schäden der Prostitution.________ Hus der frauenbcwegimg. Ein eigenartiges Plaidoyer für das Franenwahlrecht. Ein wegen seiner Form interessantes Plaidoyer für das Frauen- Wahlrecht finden wir in der englischen ArbeiterinnenzeitungThe Women Worker". Es ist eine Plauderei des sozialistischen Schrist- stellers Robert Blatchford . Die Nutzanwendung auf deutsche Ver Hältnisse zu finden, wird Lesern und Leserinnen des Artikels nicht schwer fallen. Genosse Blatchford schreibt: Meine Frau war auf vierzehn Tage nach Nordengland verreist gewesen. Sie kam bleich und abgespannt zurück nach einer Fahrt von 200 Meilen, sie hatte Schnupfen, Kopfweh, und ihr Herz saß ganz schief. Auch ivar sie hungrig, denn sie hatte seit dem Frühstück nichts genossen, und es ivar acht Uhr, als sie ankam. Was tat sie nun? Stürzte sie in meine Arme und rief:Mein Liebling, ich habe Dich so sehr entbehrt?" Nein. Sank sie in einen Stuhl und sagte:O, ich bin ganz erschöpft. Gib Du mir eine Tasse Tee?" Nein. So ist sie nicht geartet. Sie ging in das Borderzimmer und als sie eintrat und wir uns crhoberi. um sie zu begrüßen, sagte sie:Run, ich glaube nicht, daß in der Ecke hinter dem Pianino der Staub weggewischt worden ist, seit ich das Haus verließ." Dann duldete sie mit zerstreuter Miene, daß eine ihrer Töchter fie küßte, aber bevor noch die andere zum Angriff übergehen konnte, segelte sie schon in die Küche, fragte, ob die grüne Steppdecke gewaschen wäre, bemerkte, daß am Messerputzer eine Schraube loS war und sagte, die Scheuerfrau könnte am Donners- tag kommen. Lege doch ab und nimm etwas Abendbrot zu Dir," sagte ich. Meine Frau löste ihre Boa, zog eine Nadel aus dem Hut und /agte in mütterlich strengem Tone zu mir:Hast Du auch reine Socken an?" Und es gibt Männer, die denken, daß man den Frauen das Stimmrecht nicht geben sollte! Das Stimmrecht! Ich bitte darum, ein Amendement vorschlagen zu dürfen. Ich schlage vor, daß in Anbetracht der Tatsache, daß die Frauen unser Haus, unsere Familie und uns selbst so geschickt, pünktlich und erfolgreich versorgen, wir gut daran täten, die Männer aus dem llnterhause zu entfernen und ihre Plätze mit Parlainentarierinnen zu besetzen. Glaubt Ihr, Ihr ungalanten und törichten Männer, daß die Frauen, die Haus und Familie versorgen, einen Mann ernähren. beraten und ermahnen, sich und ihre Kinder kleiden und für zehn Mark mehr Waren einkaufen als ein Mann für 20 Mark jenials kaufen könnte, daß diese Frauen nicht besser geeignet sind, da? Land zu regieren und die Nationaleinkiinfte zu verwalten, als die 670 rülpsenden, schwatzenden und faullenzenden männlichen Wesen, welche weder die Kinder ernähren, noch die Frauen schlitzen, noch Arbeit für die Männer schaffen können? Trollt Euch, sage ich. Trollt Euch! WaS wir brauchen, ist ein Parlament britischer Matronen. Außerdem... Außerdem arbeitet eine Frau nicht so viel nach Formeln und »ogischen Prinzipien wie der Mann. Sie läßt ihren, gesunden Verstand mehr Spielraum. Sie trifft ein Problem, wie ein Sportsmann einen Vogel, ohne langes Ziele», vielmehr instinktiv abdrückend. Setzt ein Frauenparlament ein, damit es die Arbeitslosenfrage behandele oder damit es die Mittel finde für die Speisung der Schulkinder. Die Frauen werden von Nationalökonomie nicht so- viel verstehen wie die Männer; sie werden eine holde Unkenntnis Ricardos, JevonS und Mills zeigen; sie werben so wenig vom römischen Recht oder der Eroberung von Peru wissen und verstehen. Ivie wir von Fruchlmarmelade oder Chiffonichleiern verstehe» oder wisien; aber sie werden über die wesentlichen Punkte voll- kommen klar und entschieden denken. Es genügt ihnen, daß die Kinder unglücklich sind, daß dies eine Sünde und Schande ist und daß die Dinge nicht so bleiben können. Sie werden reden und Lärm schlagen, sie werden sich auch einmal widersprechen; aber in weniger Zeit als unser Unterhaus braucht, um zu beschließen, daß die Tcühter eines Methodisten gegen ihren Willen nicht einem römisch» katholischen Goitesdicnst bei- zuwohnen braucht, wird ein Frauenparlament alle Kinder in Eng- land gewaschen und gekämmt, gespeist und getränkt und in reinen Kleidern und trockenen Schuhen zur Schule gescbickt haben. Warum machen die Männer so viel Wesens davon, daß sie ins Parlament gehen? Wir machen uns keine Gedanken über den Waschtag und den Kaminteppich im Schlafzimmer und die Bäcker- rechnung. Wir würden die häusliche Ordnung nur durcheinander bringen, wenn wir es versuchten. Im parlamentarischen Haushalt haben wir es nicht besser gemacht. Seht Euch Herrn Asquith an, Herrn Lloyd George , Herrn Gladstone, Herrn John BnrnS I Wozu find sie nütze? Ihr Lieblingswort ist:unmöglich". Unsere Frauen würden alle ihreUnmöglich" in einer Session in vollendete Tat- fachen verwandeln. Wir schwatzen vor dem Winkel hinter dem Pianino. Es gibt Winkel in unserer Reichsverfassung, wo sich der Staub seit Jahr- Hunderten angesammelt hat. Wie viel Zeit ivürden wohl unsere Frauen dazu brauchen, um das Oberhaus zu säubern? Ein S-zialrcsormer zur Dienftbotcustage. In Köln redete vieser Tage im Verein für S o z i a l r e f o r in der Vorsitzende der Aachener Ortsgruppe. Professor Dr. Kahler. Es ist begreiflich, daß der Herr sich stellenweise in Bahne» bewegte, die der bürger lichen Sozialreform nicht zuwiderliefen. Vielfach erg'ng et sich je­doch in Ausführungen, die geradezu philisterhaft waren und den engherzigstenHerrschaften"standpunkt hervorkehrten. In der Dis- kussion traten dein Herrn denn auch drei Redner entgegen, die ihm entschieden widersprachen. Dadurch in Rage gebracht, legte er im Schlußwort in einer Weise gegen die Dienstboten los. wie eS sonst nur auf dem Kaffeeklatsch befchränktester Bourgeoisdamen geschehen mag. Der Herr Professor erzählte, daß seine beiden Dienstmädchen in einer Woche mehr Butter gebraucht hätten als im ganze» übrigen Haushalt verwendet worden sei; cS fei ihm sogar ein Fall bekannt, wo ein Dienst- Mädchen in kurzer Zeit so üppig geworden sei. daß ihm an den Kleidern die Nähte platzten. Tiefer als auf daS Niveau des ödesten KaffeekränzchentratscheS kann man als«Sozialreformer" allerdings nicht sinken._ Franenbewegmig in Böhme». In Bodenbach tagte am vorletzten Sonntag die erste Konferenz der sozialdemokratischen Frauen in Dentsch-Böhmen . Es waren nicht weniger denn 64 Delegiertinnen und viele Frauen als Gäste er- schienen. Außerdem hatte die deutsche und die slavotschechische Partei- leitung ihre Vertreter entsandt. Beschlossen wurde, überall, wo es möglich ist, politische Frauenorganisatioiren zu gründen, welche die besondere Aufgabe haben, die Frauen und Mädchen zur politischen Tätigkeit heranzuziehen nnd somit auch den Gewerkschaften zuzn- führen. Der Monatsbeitrag soll 30 Heller betragen, wofür die Frauen dieArbeiterinnen-Zeitung" geliefert erhallen. Gerade diese neueste Gründung der Arbeiterklasse wird sehr viel dazu beitrage». die nationalen Gegensätze, die ja auch in der Arbeiterschaft nicht fehlen, auszugleichen. Politische Aufklärung bringt eben auch Klar- heit über die nationalen Fragen. Ckrlcbts- Leitung. Ein Meineidsprozeß gegen einen Lehrer gelangte in der gestrigen Schwurgerichtsperiode des Landgerichts I zur Verhandlung. Auf der Anklagebank mußte der Gemeindeschnl- lehrer Gustav Etzerodt zu Borsigwalde und die Geschäftsinhaberin Minna Lippert geb. Füllgrabe Platz nehmen. Die Anklage gegen Etzerodt lautete auf Meineid in zwei Fällen und gegen die Mit- angeklagte auf Anstiftung zum Meineide. Am 8. Juli d. I. erschien der Angeklagte Etzerodt bei der Kriminalpolizei mit der Angabe, daß er zwei Meineide geleistet habe. Er wurde einstweilen in Haft genommen. Da diese Selbstbezichtigung etwas sonderbar erschien, wurden sofort Ermittelungen angestellt, die folgendes ergaben. Der Angeklagte Etzerodt Ivar am 3. Juni 1905 in einer Ehescheidungs- klage, welche die Mitangeklagte Lippert gegen ihren Ehemann an- gestrengt hatte, vor dem Landgericht I als Zeuge geladen. Der Ehemann Lippert hatte Widerklage erhoben und diese mit Ehebruch begründet. Etzerodt sagte damals unter seinem Eide aus, daß er niemals mit der Frau L. in näherem Verkehr gestanden habe. In einem zweiten Termin am 4. November beschwor Etzerodt, daß er angeblich gesehen hatte, wie der Ehemann L. seine Frau mißhandelte. Etzerodt behauptete vor der Polizei und blieb auch später vor dem Untersuchungsrichter dabei, daß er diese beiden Eide auf Anstiftung der Frau L. wiffentlich falsch geschworen habe. Der Angeklagte wurde dann.svüter gegen eine Sicherheit von 5000 M. aus der Unrersuchungstzaft entlassen. In der gestrigen Verhandlung ergab sich folgender Sachverhalt: Frau L. vermietete an den Angeklagten ein möbliertes Zimmer. Schon nach kurzer Zeit kam es zwischen ihm und der zehn Jahre älteren Frau zu einem intimeren Ver- kehr, der sich dann über zwei Jahre hindurch hinzog. Schließlich kam der Ehemann L. hinter die Untreue seiner Frau und leitete die Scheidungsklage ein. Vor Gericht behauptete der Angeklagte, daß er vollständig unter dem Banne der Frau L. gestanden habe, während diese wiederum bestritt, ihn beeinflußt oder angestiftet zu haben. Die Geschworenen bejahten bezüglich des Etzerodt die Schuldfrage nach Meineid in einem Falle unter Anwendung des strafmildernden§ 157i des Strafgesetzbuches. Gegen Etzerodt lautete das Urteil auf sechs Monate Gefängnis, unter Anrechnung von einem Monat der erlittenen Untersuchungshaft. Frau Lippert wurde freigesprochen._ Eine Bluttat, die am 4. September in Eharloltenburg im Hause Wallstraße 14 sich abspielte und auf verschmähte Liebe zurückzuführen ist, be schastigte gestern das Schwurgericht des Landgerichts III in de: ersten Sitzung seiner neuen, unter Vorsitz des LandgcrichtsdirektorS Neichhelm begonnenen Tagung. Auf die schwere Anklage des ver- suchten Mordes hatte sich der Friseurgehilfe Wilhelm Wndick zu verantworten. Dieser bisher unbestrafte und harmlos aussehende junge Mann hatte am 7. Februar eine Bekanntschaft mit der Ar- beiierin Emma Marsch gemacht. Sie gefiel ihm. Man traf sich öfter, ging zusammen spazieren und suchte auch gemeinschaftlich Schanklokale auf. Das Mädchen fand keinen rechten Gefallen an ihm und wurde immer abweisAider zu ihm. Er lauerte ihr wieder- holt auf, wenn sie von der Fabrik in der Franklinstraße nach Hause ging, und versuchte das. was er in Güte nicht erreichen konnte, nun durch Drohungen zu erreichen. Er drohte dem Mädchen wiederholt daß er sie und einen etwa von ihr bevorzugten Liebhaber erschießen würde und schlug sie eines Tages auch in Liebesraserei mit einem Stock über den Kopf. Am 4. September suchte der Angeklagte das von ihm verfolgte Mädchen in der Wohnung ihrer Freundin auf Dort öffnete ihm die Marsch. Sie floh, als sie den Angeklagten vor sich stehen sah, mit dem Rufe:er schießt!" in die Küche zurück. Der Angeklagte verfolgte sie mit vorgehaltenem Revolver und gab plötzlich einen Schuß ans sie ab, der sie zu Boden streckte. Dann entfloh er, und es fielen bald daraus noch zwei Schüsse, die der Angeklagte angeblich auf sich selbst gerichtet hatte, ohne zu treffen. Er wurde bald nach der Tat festgenommen. Die Angeschossene wurde nach dem Krankenhause auf Westend transportiert. Sie hatte einen von hinten schräg nach vorn gehenden Schuß in die linke Brustseite erhalten. Nach dem Gutachten des Oberarztes Dr. Neupert ist dabei die Lunge leicht verletzt worden. Fräulein Marsch konnte am 24. Oktober in arbeitsfälligem Zustande aus dem Krankcnhause entlassen werden, und nachteilige Folgen sind für die Zukunft für sie aus der Verletzung nicht zu befürchten. Die Ge- schworcncil gaben ihr Verdikt nur aus schuldig Weyen gefährlicher Körperverletzung unter Zubilligung mildernder Umstände ab. Der Angeklagte wurde zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Verlammlungeti. Massenprotest der Lithographen und Steindrnckcr gegen die neuen Stcuerpläne. Die Lithographen, Steindrucker und verwandten BenifSgenoffen protestierten am Freitag in einer Massenversammlung gegen die neuen Sleuerplänc der Reichsregiernng, vor allem gegen die Tabak- banderolensteuer und die Plakalsteuer. die, wenn sie wirklich bescblossen werden, das Sieindruckgewerbe aufs schwerste schädigen müssen; Taufende von Arbeitern und Arbeiterinnen mit Vernichtung ihrer Existenz bedrohen. Die Masse der Bernfsangehörigen hat offenbar diese Ge- fahr begriffen, denn die Versammlung war so zahlreich besucht, daß der große Saal des GewerkfchaftshanseS kaum Platz genug bot. Zunächst hielt der Reichstagsabgeordnete Hermann Molken- b u h r einen inhaltreichen mld feffeluden Vortrag über die Zoll- Politik, die neue Reichsfinanzreform und die Arbeiterschaft. Der Redner schilderte aussühr- lich, wie sich im Deutschen Reiche daS System der in- direkten Steuern, der Finanz- und Schutzzölle allmählich entwickelte, wie die Lasten, die so dem arbeitenden Volke auferlegt wurde», immer mehr ins Uiigeheure wüchsen, und wie gleichwohl das Reich, das bei seiner Geburt mit den 5 Milliarden Frank Kriegsentschädigung gesegnet war, vor allem durch die grenzenlosen Ausgaben für Heer und Marine. Kolonial- und Weltpolitik an den Rand des Bankrotts getrieben wurde. Der Redner zeigte auch, wie empörend ungerecht dieses Steuersystem samt der Liebesgaben- wirtschnst ist, wie verderblich besonders die Tabaksteuer und die fortgesetzte Beunruhigung der Tabakindustrie auf die Arbeiterschaft dieser Industrie gewirkt hat, und welche ichlinnnen Folgen die vor- geschlagene Banderolensteuer bringen muß, die als Wertsteuer gleich- sain eine Prämie ans Lohnherabsctzungen bilden und, da die Tabak- industriellen natürlich vor allem auch an der Ausstättnng sparen werden, nebenbei auch das Steiudrnckaewerbe außerordentlich schädigen wird. ebenso wie die geplante Plakatsteuer. Scharf krinsierte der Redner auch die übrigen Steuerpläne sowie der Abneigung der Regierung und ihres Anhanges, das so gewaltig gewachsene Vermögen der Besitzenden zu den Lasten des Reiches heranzuziehen. Er schloß mit den Worten, daß mit diesem ganzen Regierungssystem gebrochen werden muß, um der bankrotten Fmanzwirtschafr ein Ende zu machen. Hierauf sprach der OrganisationSvertreier Haß über die Wirkungen der geplanten Tabakbau deroleu- und der P l a k a t st e u e r. Er führte unter anderem anS, daß das Steindruckgewerbe schon ungeheuer unter der Einführung de» bestehenden Zollivuchcrtarifs gelitten hat, die eine Reihe von Staaten wie Frankreich , Oesterreich. Belgien , Italien , die Schweiz veranlaßte, so hohe Steuern auf die Erzengnisse des deutschen SteindruckgewerbeS zu legen, daß damit die wichtigsten ans- ländischen Absatzgebiete verschlossen wurden. Selbst in Nordamerika macht sich jetzt eine Strömung zur Erhöhung der Steuer auf diese Produkte geltend, und Rußland produziert selbst schon in solchem Umfange, daß in diesem Artikel kein Geschäft mehr für die Deutschen zu machen ist. So wird daS deutsche Steindruckgewerbe immer mehr auf den Inlandsmarkt angewiesen. Die Arbeitslosigkeit wächst immer mehr an, die Gewerkschaft bringt immer gewaltigere Summen ans. um die Massen der Arbeitslosen zu unter« stützen, aber ein Finanzminister schämt sich nicht, diese Kulturarbeit der Gewerlschaften zu verdächtigen und ver- sucht sie zur Begründung seiner ungeheuerlichen Steuer- Pläne auszunutzen, ivelche dem Steindruckgewcrbe nun auch den In- landSmarkt gewaltig einschränken sollten. Eine große lithographische Anstalt für Tabakpacknngen in Hanau läßt jetztbereits mit Rück- d.icht auf die geplante Banderolensteuer ihre samt- lichen Fabrikate, die früher in 8Farben gedruckt wurden, sreifarbig herstellen. Die Tabakindustriellen sparen also jetzt schon an der Ausstattung, um auf die Steuer gerichtet zu sein. Tausende von Arbeitern und Arbeiterinnen werden natürlich arbeitslos gemacht, wenn diese Steuer kommt, und dieselbe Wirkung muß die Plakat- steuer mit sich bringen. DaS Organ des Unternehmer» schutzverbandes für das Steindruckgewerbe, dessen Vorsitzender der blockliberale Abgeordnete Dr. Gerschel ist, schreibt bereits. daß infolge der Steuer Entlgssungen stattfinden müssen, und daß dann das Ueberau gebot von Arbeitskräften erhebliche Lohnrcduktionen zur Folge haben werde. Die Unternehmer bereiten sich also sclwn darauf vor, die Lasten der Steuer auf die ArbeiteN'chaft des Berufes abzuwälzen. Der Redner wies am Schlüsse seines Vortrages darauf hin. wie notwendig unter diesen Umständen die gewerklchastliche wie die politische Organisation ist. Die Versammlung spendete beiden Rednern lebhaften Beifall und nahm einstimmig folgende Resolution an: Die im großen Saale des Gewerkschaftshauses tagende Lffentlickie Versammliing der Lithographen, Steindrnckcr und ver- wandten Berufe Berlins protestiert nach Anhörung eingehender Referate über die Finanzreform auf das entschiedenste gegen die Steuerpolitik der Reichsregiening, insbesondere gegen jede Er- Höhimg der Taboksleuer, des Tabakzolles, der Einführung der Banderolestener»nd der geplanten Plakatsteuer. Alle diese Steuerprojekte würden»ach fachmännischer Be- rechnung als Gesetze die Produktion der lithographischen Er» zeugnisse ganz erheblich einschränken. DaS Gewerbe hat durch die bisherige Zoll- und Handelspolitik des Reiches bereits so gelitten, daß eine weitere Einschränkung der Produktion dem Ruin dieser Industrie gleich käme. Die Folgen dieser Politik machen sich schon jetzt durch große Arbeitslosigkeit bemerkbar, die den nie erreichten Stand von mehr als 10 Proz. der im Gewerbe Beschäftigten ausmachen, Tie Versammlung erwartet deshalb vom Reichstage die Ab- lehnung der gewerbe- nnd volksfeindlichen Regierungsvorlagen. Die Stukkateure Berlins hielten am Donnerstag ihre Mit- gliederversainnilung ab. BerbandSvorsitzender Krebs referierte über das Genter System der Arbeitslosenunterstützung und über die Krise im Stukkateurberuf. Redner schilderte die ungeheure wirtschaftliche Depression, unter der auch das Baugewerbe leidet, und wies dann auf die unumgängliche Notwendigkeit hin, aus all- gemeinen Mitteln im Verein mit den Gewerkschaften eine Arbeits- losenunterstützung einzurichten, die es ermöglicht, einigermaßen wenigstens der großen Not in den betroffenen Schichten zu steuern. So wie im Krankenkassenwesen ist es auch in der Frage der Er. werbslosenunterstützung die organisiert? Arbeiterschaft gewesen, die den Anstoß gegebe» hat. Redner gibt eine Skizze des vorgenannten Genter Systems, schildert, wie dort, unter Aufwendung von öffent- lichen Mitteln, zu denen alle Bürger beisteuem, eine solche Unter­stützung ins Leben gerufen ist. Straßbnrg i. Elf. folgte dem Bei- spiel, und der Magistrat überwies die bewilligten Mittel an die Geivcrkschaften zur Auszahlung an die Arbeiislosen. Allerdings werden nur organisierte Leute unterstützt. Die Gemeinde richtet sich ganz nach den Satzungen der Gewerkschaften. Man sage nun. eS müßten doch eigentlich die Ausgesteuerten unterstützt werden. Das ist aber eine Frage, die erst in zweiter Linie zu erwägen ist, die aber in Zukunft wohl auch noch gelöst wstd. Bei Streiks, Aus­sperrungen usw. wird nichts aus öffentlichen Mitteln gezahlt. Die Gewerkschaften haben sich diesen Satzungen angeschlossen, er. Redner, könne nur dasselbe tun. Der Zuschuß aus Gemeinde- Mitteln wird nur an solche gezahlt, die mindestens ein Jahr in Stratzburg ansässig sind. Für Berlin wüßte» natürlich die Vor­orte mit einbegriffen werden. Der Zuschuß hört auf, wenn die Arbeitslosigkeit aufhört, was ganz selbstverständlich ist. Das System kommt nur für die Berufe in Geltung, die die Arbeitslosen- Unterstützung schon auö eigenen Mitteln eingeführt haben. Bei den Stukkateuren trifft dies nicht zu, doch sei dies für sie kein Grund, eine solche Einrichtung abzulehnen, sondern der Verband muß ebenfalls darangehen, die Arbeitslosenunterstützung einzu- führen. Hier muh sich die Solidarität bewähren. Die Kassen- und Geschäftsführung muß bei einem derartigen System getrennt sein, was jedem sofort einleuchten muß. wenn es auch absolut aus- geschlossen wäre, daß städtische Mittel zu anderen Zwecken ver» wendet würden. Ein« regelrechte Durchsicht unserer Bücher wäre ja technisch absolut nicht inoglich; cS könnte sich nur um Stichproben bandeln. Damit sind alle Bedenken in dieser Richtung hinfällig. Es ist schon ein Fortschritt, daß die einsichtigen Elemente des Bür- gertums das Genter System befürworten, hieß es doch gewöhnlich, derartiges wäre eine Prämie für die Faulheit. Das Abtragen von Angern und dergleichen sei unzureichend und kommt für fach- gewerblich vorgebildete Arbeiter nicht in Betracht. Leider werden große Arbeiten, Bauten usw. immer zurückgestellt von den Be- Hörden. Die Arbeitslosenunterstützung wird auch noch im Stukka- teurberuf kommen, dann wird das Genter System auch für uns Bedeutung erlangen. In der nachfolgenden Diskussion machten mehrere Redner Be- denken gegen einzelne Satzungen dieser Einrichtung geltend, die aber im Schlußwort von dem Referenten zerstreut wurden. Daran schlössen sich Erörterungen internen Eharakters. Verantwortlicher Redakteur: Hans Weber, Berlin . Für den Inseratenteil verantw.: Th. Glocke. Berlin . Druck«.Verlag-Vorwärts Buchdruckerei u. Verlagsanstalt Paul Singer& Co.. Berlin SW,